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WALD/065: Hambacher Forst - Ungleicher Kampf (2) (Hubert Perschke)


Hambacher Forst - Kerpen, 12. Juni 2013

Hambacher Forst - Klein Frankfurt für die Dürener Polizei

von Hubert Perschke


Ein gefesselter Aktivist wird von zwei Beamten abgeführt - Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Einschüchterungsversuch
Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Am 11.06.2013 gegen 11.15 Uhr erschien wieder einmal die Polizei auf dem Wiesencamp der Braunkohlegegner. Aber dieses Mal ging es nicht nur ums "Bange machen", dieses Mal ging es zur Sache. Um 10.45 Uhr erhielt nach Auskunft des Polizeisprechers, Bernd Maul, die Polizei eine Anzeige von RWE. Ca. 10 vermummte Personen hätten in einem Waldstück nahe der Wiese RWE-Mitarbeiter mit Stöcken bedroht und versucht, deren Fahrzeuge in Beschlag zu nehmen. Die Aufgabe dieser RWE-Mitarbeiter war die Beseitigung von Barrikaden. Auch diese sollen von den Aktivisten errichtet sein.

Die Version der Waldbesetzer lautet anders. Sie wollten mit den Waldarbeitern den Dialog suchen und brachten Kaffee, um in gemeinsamer Runde sprechen zu können. Einige hatten, um nicht erkannt werden zu können, ihr Gesicht verdeckt.

Dieses war der Anlass für einen Polizeieinsatz, zu dem im weiteren Verlauf ein Hubschrauber mit einer Wärmebildkamera, eine Hundertschaft aus Köln und eine Hundestaffel hinzugezogen wurden, ein immenses Aufgebot an Ordnungskräften.

Wie die Aktivisten berichteten, stürmte die Polizei mit Schlagstöcken und Pfefferspray die Wiese. Alle diejenigen, die sich am Rande des Waldes aufhielten, wo das Küchenzelt steht, oder die sich im Wald auf der Toilette befanden, waren die potentiellen Straftäter. Drei von ihnen wurden festgenommen und in Handschellen abgeführt. Die Aktivisten bezeichneten das Vorgehen der Polizei als äußerst gewalttätig.

Da man "nur" drei Personen festnehmen konnte, ging die Polizei davon aus, dass sich im Wald noch weitere Personen versteckt hätten. Dafür wurden der Hubschrauber, die Hundertschaft und die Hundestaffel angefordert. Später spürte die Polizei eine Person im Wald auf, und eine weitere Person wurde später mit einer richterlichen Verfügung aus einem Wohnwagen geholt und festgenommen. Soweit der Sachverhalt.

Ich wurde von den Aktivisten telefonisch informiert und kam gegen 12.00 Uhr zur Wiese. Das Betreten der Wiese war für alle, Presse und auch Wieseneigentümer, verboten. Die drei Festgenommenen saßen bereits länger bei gleißender Sonne und geschlossenen Fenstern in den Autos. Ihnen ging es nicht gut. Sie hatten Durst und die stehende Hitze in den Fahrzeugen machte ihnen zu schaffen. Der Einsatzleiter, ein ranghoher Polizist, stand auf dem Standpunkt, die Polizei sorgt gut für die Festgenommenen und wir brauchten uns nicht einzumischen. Es waren die nachgeordneten Polizisten, die die Türen öffneten und es zuließen, dass Wasserflaschen ins Innere gereicht wurden. Diese Unnachgiebigkeit des Einsatzleiters zog sich durch die gesamte Aktion.

Ein weiteres Beispiel für diesen Eindruck: gegen 18.00 Uhr sollte ein Aktivist, der sich in einem Wohnwagen befand, festgenommen werden. Der Einsatzleiter klopfte an die Tür des Wohnwagens und befahl deren Öffnung. Augenscheinlich musste er erwartet haben, er klopft und unmittelbar wird geöffnet. Denn einige Sekunden später sagte er bereits inhaltlich: "Wenn er nicht öffnet, geht einer durchs Fenster". Und es stand wie abgesprochen ein Polizist mit Spezialhandschuhen auf dem Sprung. Hätte der Aktivist nicht innerhalb weniger Sekunden die Tür geöffnet, wäre ein Fenster zerstört und eine gewaltsame Festnahme erfolgt. Von seiten des Einsatzleiters gab es keine Zwischentöne wie: "Wenn Sie nicht öffnen, müssen wir durchs Fenster kommen."

Die Polizei unterstrich ihre unnachgiebige Haltung, indem sie davon sprach, dass "Straftäter" festgenommen werden müssen. Es gab kein Pardon und vielleicht auch keine Rechtsstaatlichkeit, in deren Sinne die Aktivisten als Verdächtige oder eventuelle Straftäter zu bezeichnen wären. Aber hier ist zumindest eine verbale Vorverurteilung vorgenommen worden. Aber woher hat die Polizei die Sicherheit für diese Aussage genommen? Alle Personen, die die RWE-Mitarbeiter angegriffen haben sollen, waren vermummt.

Im Hintergrund der Wald und Hütten, davor Polizisten mit ihren Fahrzeugen - Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Repräsentanz staatlicher Gewalt im Hambacher Forst
Foto: © 2013 by r-mediabase / Hubert Perschke

Im vergangenen Jahr wurde kurz vor der Räumung des Waldcamps immer wieder behauptet, die Camp-Bewohner hätten mehr als 100 Straftaten begangen. Kein einziges Ermittlungsverfahren wurde gegen einen Camp-Bewohner eingeleitet. Aus dieser Situation sollte die Polizei doch gelernt haben und den Schuldspruch einem Gericht überlassen. Die Bürgerinitiative Buirer für Buir hatte sich in der Situation hinter die Camp-Bewohner gestellt und die Frage geäußert, ob mit diesen Aktionen die Aktivisten kriminalisiert werden sollten. Auch heute ist diese Frage wieder berechtigt. Der Aufwand der Aktion ließ vermuten, es wurden Terroristen verfolgt. Von daher darf man die Frage stellen, ob hier die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt war.

Warum wurde dieser Aufwand betrieben? Der Eigentümer der Wiese, Kurt Claßen, hat bereits 2.000 Euro Zwangsgeld bezahlt und hat damit die Räumung der Wiese verhindert. Ein Gericht muss nun entscheiden. Kurt Claßen argumentiert u. a. gegenüber dem Gericht, dass auf der Grundlage der garantierten Meinungsfreiheit das Camp ein Protestcamp ist und damit durch den Kreis Düren zu dulden ist. Wenn aber nun die Aktivisten zu "Kriminellen" werden, zählt dieses Argument nicht und die Wiese kann geräumt werden. Das enorme Polizeiaufgebot kann dann dazu dienen, den Eindruck einer "kriminellen Vereinigung" zu unterstreichen. Dieses ist ein Eindruck, der bei vielen Außenstehenden aufkam.

In der Vergangenheit haben immer wieder Polizisten das Wiesencamp betreten, das Anwesen in Augenschein genommen und die Aktivisten verunsichert. Die Dauerhaftigkeit des Camps ist durch die Anwesenheit der Polizei immer wieder in Frage gestellt worden. Den Bewohnern wurde und wird Angst eingeflößt. Die Blockaden, sollten sie von den Aktivisten errichtet sein, sind Ausdruck dieser Angst und sollten Schutz vor einem Zugriff aus dem nicht zu kontrollierenden Wald bieten. Bei allem Verständnis, das man für diese Situation haben kann, bieten die Barrikaden aber gerade keinen Schutz, sondern legitimieren polizeiliche Zugriffe. Um sicher zu sein, müssen die Aktivisten im Moment auf den Wiesenbesitzer vertrauen und alles unterlassen, was der Polizei Zugriffsmöglichkeiten bietet. Nur dann sind sie sicher. Das verhindert nicht, dass sie für alles verantwortlich gemacht werden, was um sie herum geschieht. Mit dem Autobahnbau wurde die Bürgerinitiative in Buir mit der Zerstörung der entsprechenden Baufahrzeuge in Verbindung gebracht. Sich im "bürgerlichen" Legalbereich zu bewegen, reduziert aber die polizeilichen Möglichkeiten.

Der Aktivist, der sich im Wald versteckt hatte, berichtete nach seiner Rückkehr von der Polizeiwache, dass er dort geschlagen wurde und einen Faustschlag auf den Solarplexus erhielt und danach ohne Bewusstsein war. Kratzer und Striemen am Hals sind fotomäßig dokumentiert, ohne einen Beleg für diese Äußerungen zu haben.

Der Polizeisprecher und auch der Einsatzleiter betonten immer wieder, dass es nicht um die Räumung des Wiesencamps ginge. Diese Aussage mag richtig sein, soweit es sich um die aktuelle Festnahme der sog. "Straftäter" handelte. Was im Hintergrund ablief, war für die Außenstehenden nicht erkennbar. Fest steht, dass im Umfeld von Morschenich weitere Fahrzeuge mit Flutlichtmasten, ein LKW mit einer Planierraupe sowie Fahrzeuge mit Verpflegung für die Beamten und Transportfahrzeuge standen. Dies lässt natürlich darauf schließen, dass daran gearbeitet wurde, die Wiese komplett zu räumen. Genährt wird diese Vermutung durch die Äußerung des Pressesprechers, dass eine von der Presse nicht erwartete größere Aktion stattfinden würde. Soweit diese Vermutung stimmt, hat das Gericht die Polizei in ihrer Zugriffmöglichkeit eingegrenzt und ein Desaster verhindert.

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/

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Quelle:
© 2013 für Text und Fotos by Hubert Perschke, Kerpen
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2013