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WALD/039: Hambacher Forst - Zermürbungskessel (SB)


Hambacher Forst - 12. Januar 2013

Zermürbungstaktik gegen ein "Symbol des Widerstands"



Nachdem zunächst seitens des Braunkohlewiderstands im Hambacher Forst, der in dem zweiten, auf einer in Privatbesitz befindlichen und an den zur Rodung vorgesehenen Wald angrenzenden Parzelle errichteten Protestcamp einen weithin sichtbaren Ausdruck gefunden hatte, mit einer kurzfristigen Räumung hatte rechnen müssen, zumal eine vom Kreis Düren an den Grundstücksbesitzer gerichtete Frist zur Stellungnahme verstrichen war, sieht es nun so aus, als würden die zuständigen Behörden eine Art Zermürbungstaktik bevorzugen. Wie in der Aachener Zeitung am Donnerstag berichtet, weist der Grundstücksbesitzer das an ihn gerichtete Räumungsbegehren zurück und fordert stattdessen die Zulassung des Protestcamps. Zur Begründung führte er unter Berufung auf die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie des Widerstandsrecht an [1]:

Für den Protest und Widerstand gegen den Tagebau, gegen die Verlegung der A4, gegen die Umsiedlung von Manheim und Morschenich hat das Grundstück eine hohe Symbolkraft. Es eröffnet die Möglichkeit, die Missstände nachdrücklicher ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen.

Allem Anschein nach ist der zuständige Kreis Düren einer solchen Argumentation nicht zugänglich. Der Aachener Zeitung zufolge beharrt er auf seiner Position, daß das betreffende Grundstück im Außenbezirk liege und deshalb ausschließlich landwirtschaftlich genutzt werden dürfe. Wie das Amt für Recht, Bauordnung und Wohnungswesen des Kreises Düren der Zeitung zufolge mitgeteilt habe, stellten die darauf errichteten Anlagen einen Verstoß gegen geltendes Baurecht dar. Einen Ermessensspielraum gäbe es in dieser Frage nicht, weshalb das Amt für das Camp auch keine Baugenehmigung erteilen könne. Ergo müßten die Aufbauten entfernt werden, außerdem habe der Eigentümer dafür Sorge zu tragen, daß sein Grundstück auch künftig unbebaut bliebe. Ein Sprecher der Behörde habe der Aachener Zeitung zufolge bestätigt, daß der Kreis Düren dem Grundstücksbesitzer, so er das Grundstück nicht räumen lassen will, ein Zwangsgeld androhen werde, das mehrfach gesteigert werden könne. Eine "sofortige Räumung" werde es nicht geben, eine solche Maßnahme könne jedoch erforderlich werden, um "den ordnungsgemäßen Zustand wiederherzustellen" [1].

Wer wird sich da des Eindrucks erwehren können, hier werde aus politischen Gründen mit Kanonen auf Spatzen gefeuert und eine höchst umstrittene rechtliche Handhabe konstruiert bzw. geltend gemacht? Gegen den vom Bundestagsabgeordneten der Grünen, Oliver Krischer, gegen ihn erhobenen Vorwurf, RWE Power zu helfen, verwahrte sich Landrat Wolfgang Spelthahn ausdrücklich und betonte, daß vor dem Gesetz alle gleich seien. [1] Für den sich mit den Wald- bzw. Wiesenbesetzern und -besetzerinnen solidarisierenden Bürger aus Kerpen-Buir, der diesen nach der Räumung der Waldbesetzung sein brachliegendes Grundstück zur Verfügung gestellt hatte, damit der Protest vor Ort weitergeführt werden könne, ist das unterschiedliche Vorgehen der zuständigen Behörden ohnehin nicht zu verstehen und nicht zu akzeptieren.

In einer Stellungnahme machte er desweiteren deutlich, wie fragwürdig die von der Ordnungsbehörde als Begründung angeführte, angeblich drohende Zersiedelung des Außenbereichs durch das Protestcamp sei. Seinen Angaben zufolge befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Parzelle ein Sportflughafen mit einer Start- und Landebahn von ca. 400 Meter x 50-80 Metern, auf dem eine große Flugzeughalle betrieben werde. Etwas weiter entfernt befände sich, vor einer Brücke über die A 4, eine verwahrloste Kiesgrube, während an einer Abzweigung zu einer Unterführung unter der A 4 ein ehemaliger Aussiedlerhof läge. Vor dieser Unterführung betreibe ein Kleinkaliberverein ein Vereinshaus mit Schießstand und schließlich zerschnitten sowohl die A 4 als auch die Hambach-Bahn die Landschaft und große Flächen des Hambacher Forstes. Eine Zersiedelung des Außenbereichs, so die Argumentation des Grundstücksbesitzers, sei durch diese Objekte längst eingetreten, weshalb ihm nicht recht verständlich sei, warum das Protestcamp nach § 35 Abs. 3 Nr. 7 BauGB die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten lassen sollte. Auch sei die Belastung des Außenbereichs durch das Camp wesentlich geringer als beispielsweise durch die Fliegerhalle.

Auf dem Blog der Gegner und Gegnerinnen des Braunkohletagebaus im Hambacher Forst wurde anläßlich der Erklärung von Landrat Spelthahn, daß es eine "sofortige Räumung" nicht geben werde, angemerkt, daß er Gerüchten zufolge hart durchgreifen wolle, "um bei seinen potentiellen Wähler_innen zu punkten, um von seinem Verfahren abzulenken" [2]. Wie die Zeitung "Der Westen" am 10. Januar berichtete, wurden ein ehemaliger Bochumer Geschäftsführer wie auch der Dürener Landrat Spelthahn wegen Untreue angeklagt im Zusammenhang mit Vorgängen in Düren. Ab April werde gegen beide vor dem Schöffengericht Düren verhandelt [3]. Von der Frage, ob die anhand einer solchen Meldung vermuteten Zusammenhänge nun zutreffend sind oder nicht, bleibt der Kernkonflikt zwischen den Betroffenen einer solchen Energiepolitik und jenen, die ihre wirtschaftlichen oder sonstigen Interessen auf Wegen durchzusetzen verstehen, die mit dem Begriff "Korruption", der eine Bestechlichkeit von Amtsträgern eher im unteren und mittleren Bereich der Verwaltung nahelegt, kaum zu fassen sind, allerdings gänzlich unberührt.

Zu der gegen die Bewohner des Wiesencamps sowie den Grundstücksbesitzer durch die Ankündigung eines Ordnungsverfahrens inklusive der Verhängung massivster Zwangsmaßnahmen in Stellung gebrachten Zermürbungstaktik würde unterdessen wohl auch das Vorgehen privater Sicherheitskräfte direkt im Hambacher Forst passen. Wie der Besitzer des Wiesencampgrundstücks mitteilte, soll dieser Sicherheitsdienst vor etwa zehn Tagen einen Pressevertreter und einen Repräsentanten von attac von zwei Seiten eingekesselt und an der Weiterfahrt gehindert haben. Der attac-Angehörige habe per Handy die Polizei angerufen, die dann über Handy auch mit einem Vertreter des Sicherheitsdienstes gesprochen und diesen angewiesen habe, den Weg freizugeben - was dann allerdings, dem Grundstücksbesitzer zufolge, nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen sei, geschehen sei. Der gesamte Wald einschießlich der Zufahrts- und Waldwege sei schließlich nicht, so seine Argumentation, für die Öffentlichkeit gesperrt. Ihm zufolge komme es häufiger vor, daß Spaziergänger von privaten Sicherheitskräfte angehalten und zum Verlassen des Waldes aufgefordert werden.

Die Tatsache, daß der Braunkohletagebau im Hambacher Forst jahrzehntelang nahezu störungsfrei durchgesetzt werden konnte, steht keineswegs im Widerspruch dazu, daß ein Prozeß des Umdenkens auch in der Öffentlichkeit stattfindet. So findet dieser Bürgerprotest in der lokalen Presse inzwischen Gehör und Berücksichtigung, und auch die Wortwahl des Wiesenbesitzers, der das Camp als ein "Symbol des Widerstands" bezeichnete, wird weitervermittelt, ohne noch länger dem vorauseilenden Gehorsam staatsloyaler Medien nachzugeben, indem die Protestierenden, auf welche Weise auch immer, diskreditiert werden. Wenn schon die Räumung des Waldcamps den Verantwortlichen Kritik eingebracht hat, könnte sich die mögliche Entscheidung des Kreises Düren, in absehbarer Zeit ein Polizeigroßaufgebot gegen ein im Freien befindliches kleines Protestcamp in Marsch zu setzen, als Boomerang erweisen, weil immer mehr Menschen in der Region wie auch darüber hinaus auf diesen Konflikt aufmerksam werden und sich dem im Entstehen begriffenen Braunkohlewiderstand anschließen könnten.

Im Vordergrund Sommerwiesenblumen, im Hintergrund der Hambacher Tagebau - Foto: © 2012 by Schattenblick

Schwindende Akzeptanz für den Braunkohletagebau und seine Folgen für Mensch, Wald und Umwelt
Foto: © 2012 by Schattenblick

Weitere Informationen:
http://hambacherforst.blogsport.de/

Fußnoten:

[1] Streit um das Protestcamp auf dem freien Feld geht weiter. Von Jörg Abels, Aachener Zeitung, 10.01.2013
http://www.aachener-zeitung.de/lokales/dueren/streit-um-das-protestcamp-auf-dem-freien-feld-geht-weiter-1.491692

[2] "Eine sofortige Räumung werde es aber nicht geben", Meldung des Blogs "Hambacher Forst" vom 10.01.2013
http://hambacherforst.blogsport.de/2013/01/10/eine-sofortige-raeumung-werde-es-aber-nicht-geben/

[3] Strafprozess gegen Ex-EGR-Chef Müller. Der Westen, 10.01.2013
http://www.derwesten.de/staedte/bochum/strafprozess-gegen-ex-egr-chef-mueller-id7468755.html

Zum Hambacher Forst siehe im Schattenblick auch:

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → POLITIK → KOMMENTAR:
RAUB/1047: Helden der Zerstörung gegen Outlaws der Utopie (SB) (18.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1047.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN:
LAIRE/209: Waldgrenze, Ödfraß und Profit ... (SB) (13.11.2012)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/meinunge/umme0207.html

SCHATTENBLICK → INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml
https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_interview.shtml

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12. Januar 2013