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INTERVIEW/284: Meeressterben - vermehrte O₂-Nebenverluste ...    Dr. Johannes Hahn im Gespräch (SB)


Kleinräumige Wirbel von etwa 100 Kilometern Durchmesser in den Ozeanen wirken sich deutlich auf Windgeschwindigkeiten, Wolkenbedeckung und Niederschlagsmuster aus. Zwischen 2002 und 2009 wurden 600.000 davon im Südpolarmeer mittels Satellitendaten registriert. [1] - Foto: NASA Mit dem Fernbeobachtungsprogramm OSCAR (Ocean Surface Analysis Realtime) werden die Meeresströmungsgeschwindigkeiten einer Farbskala von Rot, Gelb, Grün bis Blau zugeordnet. Rot = 1 m/sek bis Blau = 0 m/sek. - Foto: NASA

Harmlose Wirbel oder mobile Todeszonen?
Bis zu 30 Prozent der weltweiten Wasserfläche werden von Wirbeln bedeckt.
Forscher des SFG 754 erkunden die Bedingungen, die 10 Prozent dieser Wirbel zu O₂-Abflüssen werden lassen.
Fotos: NASA

Im vergangenen halben Jahrhundert sind die Todeszonen im Pazifik, Atlantik und im Indischen Ozean, d.h. jene Wassermengen, in denen Sauerstoff fast vollständig fehlt, um mehr als das Vierfache angewachsen. Dieses erschreckende Fazit zieht eine Studie des Global Ocean Oxygen Network (GO₂NE) [2], die im Januar 2018 im Fachmagazin Science erschien [3]. In Küstengewässern, einschließlich Flußmündungen und Randmeeren, haben sich seit 1950 Standorte mit niedrigem Sauerstoffgehalt sogar mehr als verzehnfacht. Darüber, daß diese Entwicklung bereits eine Folge der zunehmenden globalen Erwärmung ist und die Sauerstoffkonzentrationen auch außerhalb dieser Gebiete weiter absinken werden, sind sich die Ozeanografen des SFG 754 einig. Allerdings reichen die Computermodelle, mit denen Klimaforscher und Ozeanografen Prognosen für die Zukunft des Erdsystems und der Ozeane erstellen, nicht aus, um die tatsächliche Entwicklung nachzuvollziehen. Eine genaue Prognose für die Zukunft zu erstellen, ist somit nicht möglich. Wenn man die im Juni 2018 in Nature veröffentlichte Studie wörtlich nimmt [4], scheint es für 1,4 von 2 Prozent des gemessenen Sauerstoffschwunds im Meer keine wissenschaftlich gesicherte Begründung zu geben. Könnten mobile Todeszonen, die plötzlich und unvorhersehbar innerhalb von kleinen Wirbeln entstehen, zur Klärung dieser Diskrepanz beitragen? Oder sind die kleinen "Todeszonen-Wirbel" nur ein Außenseiterphänomen, so daß die Frage nach den möglichen Ursachen weiterhin offen bleibt?

Um die fehlenden Parameter zu finden, mit denen die unzureichenden Modellierungsprogramme korrigiert und neu kalibriert werden könnten, gehen Wissenschaftler selbst den unwahrscheinlichsten Hinweisen potentieller Sauerstoffleckagen im Meer akribisch und mit größtem technologischen Aufwand nach.

In den Ozeanen der Erde kreisen unzählige kleinere und größere Wasserwirbel - im Fachenglisch: Eddys -, die Wärmeenergie, Plankton und Nährstoffe in nahezu abgeschlossenen Systemen durch die Weltmeere transportieren. Sie spalten sich spontan, bzw. als "off-Spin-Ereignis", aus den Turbulenzen von Meeresströmungen ab und lösen sich auf ihrer Wanderung über den Atlantik in Richtung Westen nach ein paar Tagen oder Monaten wieder auf. Ursprünglich weisen sie keine ausgeprägt niedrigen Sauerstoffkonzentrationen auf, dafür sind sie relativ nährstoffreich.


Gebiete mit extremer Sauerstoffarmut dehnen sich flächig von den Küsten ins offene Meer aus. Dazu kommen viele punktuelle Zonen in den Küstenregionen. - Grafik: GO₂NE working group. Daten vom World Ocean Atlas 2013, Abb. von R. J. Diaz

Sauerstoffnot im tropischen Ozean.
Die Todeszonen im Pazifik, Atlantik und Indischen Ozean. Ozeanografen messen hier niedrige Sauerstoffwerte, die unter 2 mg/l liegen. [3]
Grafik: GO₂NE working group. Daten vom World Ocean Atlas 2013, Abb. von R. J. Diaz

Die Meeresforscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung im tropischen Atlantik fanden heraus, daß Sauerstoff unter bestimmten Bedingungen innerhalb eines Wasserwirbels ebenso aufgezehrt werden kann, wie man es sonst nur in küstennahen Todeszonen beobachtet. Dr. Johannes Hahn war einer der ersten, der Einblick in die Daten nehmen konnte, mit denen die "mobile Todeszone" entdeckt wurde. Seit 2009 arbeitet er im SFG 754 über Sauerstoff und nimmt in seiner Tätigkeit als Postdoc regelmäßig an Ausfahrten in den tropischen Atlantik teil, auf denen er unterschiedliche Entwicklungen im Sauerstoffeld untersucht. Die jüngsten Erkenntnisse seiner Forschungsgruppe bei der Jagd auf Todeszonen-Wirbel stellte er im Rahmen der vom SFB 754 organisierten, internationalen Konferenz zum Sauerstoffschwund in den Ozeanen gleich zweimal vor: am 3. September einem Auditorium aus internationalen Fachkollegen und am 5. September innerhalb der öffentlichen Veranstaltung mit dem Titel "Geht dem Ozean die Luft aus?" einem Publikum aus interessierten Laien. Vor Beginn der Veranstaltung war er bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Foto: © 2018 by Schattenblick

Aus dem Alltag eines Todeszonenwirbel-Jägers.
Dr. Johannes Hahn (GEOMAR)
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie haben Ihren heutigen Vortrag mit einem Titel überschrieben, der neugierig macht: "Jagd auf gigantische Wasserwirbel in der Todeszone". Wie groß muß man sich einen "gigantischen" Wasserwirbel vorstellen?

Dr. Johannes Hahn (JH): Im Vergleich zu den kleinen Wasserwirbeln, die wir im Waschbecken, der Badewanne oder in einem Fluß beobachten können, kommen uns die Meereswirbel, die wir erforschen mit einer Größenordnung von 100 Kilometern im Durchmesser gigantisch vor. Wenn man durch einen solchen Wirbel fahren würde, dann entspricht das einer Strecke von Kiel bis Hamburg. Das ist schon ein beachtlich großes Gebiet. Verglichen mit entsprechenden Erscheinungen in der Atmosphäre, beispielsweise mit den Hoch- und Tiefdruckgebieten aus dem Wetterbericht, die 500 bis 1000 Kilometer Durchmesser umfassen, sind die Wirbelstürme des Meeres, wie die Ozeanwirbel oft genannt werden, allerdings noch klein.

SB: Sie sagten 'wenn man durch so einen Wirbel fahren würde'. Kann man das überhaupt? Oder gibt es Strudel, wie man sie aus Abenteuerromanen kennt, die einem Schiff tatsächlich gefährlich werden könnten?

JH: Nein, gefährlich sind diese Wirbel nicht. Die Schiffahrt merkt in der Regel gar nicht, wenn sie einen Wirbel durchfährt. Man wird nicht wie in einem Strudel in die Tiefe gezogen, so wie man sich das vielleicht vorstellt, wenn man den "Fluch der Karibik" gesehen hat, wo im dritten Teil zwei Schiffe in einem gigantischen Wasserwirbel versinken. Ich werde aber im Vortrag nachher die Unterwasser-Segelflugzeuge zeigen, von denen wir unter anderem die Strömungsgeschwindigkeiten des Wirbels erhalten. Diese Glider bewegen sich mit einer Geschwindigkeit von 30 Zentimetern pro Sekunde durchs Wasser. Wirbel haben ganz ähnliche Strömungsgeschwindigkeiten. Wir haben es also mit Geschwindigkeiten zu tun, die noch unter der normalen Schrittgeschwindigkeit liegen. Schiffe, die sehr viel mehr Fahrt machen, stört das nicht. Aber für einen Glider kann es durchaus gefährlich werden, in einen solchen Wasserwirbel hineinzufahren. Er kann sogar von der Strömung gefangen und mit dem Wirbel ins offene Meer transportiert werden. Aus Sicht des Ozeanografen ist das fatal, weil der Glider dann keine Befehle mehr ausführt und praktisch steuerlos mit dem Wirbel treibt. Im schlimmsten Fall kann er auf diese Weise sogar verloren gehen, weil man ihn vom Schiff aus nicht mehr erreicht.


Im Fluch der Karibik versinken zwei Schiffe in einem Wasserwirbel. Hier sieht man den Untergang der im Film genutzten Schiffsreplik der Bounty, die am 29. Oktober 2012 während des Hurricans Sandy im Atlantik bei stürmischer See und 6 Meter hohen Wellen mit Wasser vollief, weil die Lenzpumpen ausgefallen waren. - Foto: by US Coast Guard [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Luftwirbel sind eine größere Gefahr als Wasserwirbel.
Physikalische Veränderungen von Parametern wie Dichte, Geschwindigkeit oder Sauerstoffkonzentration im Wasser verursachen keinen Schiffsuntergang.
Foto: by US Coast Guard [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

SB: Dürfen wir fragen, wie teuer so ein Gerät ist?

JH: Der Anschaffungspreis der Glider liegt im sechsstelligen Bereich. Das heißt ein Gerät kostet etwa 100.000 Euro. Den möchte man ungern verlieren.

SB: Wie gehen die Meeresbewohner mit diesen im Grunde natürlichen Phänomenen um? Meiden sie die Wirbel oder arrangieren sie sich damit?

JH: Wasserwirbel an sich würden die Meeresbewohner nicht stören. Der Anteil an gigantischen Wasserwirbeln, über den ich spreche, wird aber von marinem Leben gemieden, weil diese Wirbel so intensiv in die Sauerstoffkonzentration im Ozean eingreifen, wie man es sonst nur von der afrikanischen Westküste in den Tropen kennt. Dort bedingen natürliche Prozesse eine Sauerstoffarmut des Wassers, so daß Bereiche entstehen, in denen man keine Fische findet. Wasserwirbel schließen nährstoffreiches Wasser in sich ein. Warme und sonnige Bedingungen fördern zusätzlich die biologische Produktivität, etwa das Wachstum von Algen und Plankton. Andere Mikroorganismen bauen die abgestorbenen Organismen ab. Diese Prozesse zehren den vorhandenen Sauerstoff auf. Gleichzeitig verhindern die Strömungen des Wirbels den Wasseraustausch mit dem umgebenden Ozean, so daß die Konzentration des lebenswichtigen Gases extrem absinkt. Wir haben in diesen Wirbeln Bereiche gefunden, in denen sauerstofffreies Wasser vorherrscht wie in einer Todeszone. Und sauerstofffreies oder sauerstoffarmes Wasser meiden vor allem Makroorganismen, beziehungsweise Fische. Aber auch kleinere Organismen und selbst Mikroorganismen verlassen diese mobilen Todeszonen.

SB: Wie ist es mit den großen Säugern. Schwimmen Wale und Tümmler um die Todeszonen-Wirbel herum? Oder spielen sie für Tiere, die an der Wasseroberfläche Luft holen können, keine Rolle?

JH: Die Säuger meiden ebenfalls die sauerstoffarmen Gebiete. Das hat möglicherweise jeweils andere Gründe. Aber grundsätzlich findet man in allen Bereichen des Meeres, in denen wenig Sauerstoff ist, kaum tierisches Leben.

SB: Inwieweit sind Fische mit ihrem eigenen Sauerstoffverbrauch am Verschwinden des Sauerstoffs beteiligt?

JH: Der Hauptanteil an sauerstoffverbrauchenden Organismen kommt tatsächlich aus der Mikrobiologie. Natürlich veratmen Makroorganismen wie Fische ebenfalls Sauerstoff. Aber ihr Schwellenwert für den Sauerstoffbedarf liegt sehr viel höher als der von Mikroorganismen. Wenn die Sauerstoffkonzentration im Wasser darunter abfällt, leiden die Fische. Sie verbrauchen aber vergleichsweise weniger Sauerstoff als die Mikroorganismen, die letztlich dafür verantwortlich sind, daß die Sauerstoffressourcen in einem Wirbel so extrem aufgezehrt werden.

SB: Kann man diese langsamen Wirbel an der Oberfläche erkennen und in welcher Wassertiefe muß man nach ihnen suchen?

JH: Wasserwirbel befinden sich schon in den oberflächennahen Gebieten in 400 oder 500 Meter Tiefe. Von einem Schiff aus könnte man Wasserwirbel nicht mit bloßem Auge sehen. Sie könnten sie auch nicht fotografieren. Doch man kann eine Oberflächensignatur beobachten, denn die Meeresoberfläche wird durch den Wirbel nach oben oder nach unten ausgelenkt. Verrückterweise sind diese Meeresoberflächenunterschiede von wenigen Zentimetern sehr gut auf Satelliten-Messungen zu sehen, so daß wir diese nutzen, um Wirbel zu identifizieren. Es gibt darüber hinaus klassische beobachtende Systeme, mit denen man die Wasserwirbel vom Schiff aus beobachten kann. So kann man mit Hilfe eines gewöhnlichen Geschwindigkeitsmessers, mit dem man vom Schiff aus in die Tiefe schaut, die Drehgeschwindigkeit eines Wirbels erkennen, während man ihn durchfährt.


Fast alle Werkzeuge, gleichzeitig im Einsatz gezeigt: Flugzeuge und Satelliten bemessen Veränderungen der Meeresoberfläche. Forschungsschiffe nehmen Meeresproben, lassen Kranzwasserschöpfer in die Tiefe. Verankerungen und fernsteuerbare Wassersegelflugzeuge (Glider) erstellen die Profile der Meereschemie und -physik. - Grafik: 2015 by NOAA (gemeinfrei)

Vielseitig brauchbar.
Die klassischen Jagdwerkzeuge der Wasserwirbeljäger im und auf dem Wasser sowie in der Luft:
von Verankerungen mit 3,5 Kilometer langen, Sensor bestückten Drähten bis zu Fernerkundungs-Hochtechnologie und Satellitentechnik.
Grafik: 2015 by NOAA (gemeinfrei)

SB: Wie sieht die alltägliche Arbeit eines Wasserwirbeljägers aus? Wieviel trockene Datenauswertung liegt vor den spannenden Ergebnissen?

JH: Die Satelliten schätzen wir als sehr bequeme und nützliche Werkzeuge, deren Daten eine gute Grundlage bilden. Sie helfen uns, die Meeresregion einzugrenzen, in der ein Wirbel zu finden ist. Die Feinarbeit erfolgt dann vom Schiff aus. Man fährt nicht blind über den Ozean, beziehungsweise mit Blick auf die Schiffsinstrumente, welche die Strömungsgeschwindigkeiten messen, um dann zufälligerweise mal auf einen Wirbel zu stoßen. Um das eigentliche Zentrum exakt zu lokalisieren, das um einige Kilometer von den Satellitendaten abweichen kann, muß man vom Schiff aus die Geschwindigkeitsverteilung über einen Schnitt, den man mit dem Schiff beschreibt, genau vermessen. Für die Beschreibung eines Wirbels nutzen wir mehrere Beobachtungssysteme, beziehungsweise -plattformen wie die etwa eineinhalb Meter langen Glider, von denen wir schon gesprochen haben. Mit ihren zwei Flügeln bewegen sie sich wie ein hydrodynamisch ferngesteuertes Segelflugzeug durch das Wasser und haben jede Menge Meßgeräte und Sensoren für Temperatur, Druck, Salz- und Sauerstoffgehalt an Bord. Damit können sie sehr gezielt Daten einsammeln.

SB: Wie viele dieser gigantischen Wirbel gibt es eigentlich in den Weltmeeren?

JH: Die Meeresoberflächenströmung wird tatsächlich von Wirbeln dominiert. Sie sind eine allgegenwärtige Erscheinung im Ozean. Wenn man sich die Wasseroberfläche insgesamt anschauen könnte, dann würden vielleicht zehn, zwanzig, bestenfalls dreißig Prozent davon dauerhaft durch Wirbel bedeckt sein. Sie erscheinen immer wieder an neuen Positionen und lösen sich nach einiger Zeit wieder auf. Aber nicht jeder Wirbel ist wirklich von einer starken Sauerstoffzehrung begleitet. Nur etwa zehn Prozent davon sind Todeszonen-Wirbel.

SB: Gibt es schon Untersuchungen dazu, wie lange so ein Wirbel existieren muß, um wie ein schwarzes Loch den Sauerstoff darin zu verschlingen?

JH: Genau! Diese Wirbel brauchen tatsächlich eine bestimmte Lebenszeit, damit sie entsprechend hohe Sauerstoffzehrwerte erreichen und sich eine Todeszone entwickeln kann. Es dauert eine Weile, in der Regel etwa ein halbes Jahr, bis die Mikroorganismen den gesamten Sauerstoff darin aufgebraucht haben.

SB: Einem Laien erscheint das wirklich paradox. Man würde immer denken, daß beim Verquirlen von Wasser vermehrt Sauerstoff in das Oberflächenwasser eingearbeitet wird.

JH: Das ist keineswegs falsch. Wenn ein Wirbel sehr stark ist und sein Kern und seine maximale Geschwindigkeit an der Wasseroberfläche liegen, kann er das Wasser sehr gut durchmischen. Die Wirbel, von denen wir sprechen, haben aber ihr Zentrum unter der Wasseroberfläche, so daß sie eine bestimmte Menge Wasser vollständig einschließen können. Die erhöhte biologische Aktivität im Inneren zehrt dann den Sauerstoff auf.

SB: Wie wird es jetzt mit Ihrer Forschung weitergehen? Sind Ihre Meßergebnisse für die Modellierung von Klimamodellen oder den Sauerstoffschwund relevant oder lassen sich die Erkenntnisse Ihrer Forschung in Zukunft für eher kurzfristige "Wirbelvorhersagen" analog zu den Wetterberichten nutzen?

JH: Zunächst haben wir schon einige sogenannte Hotspots identifizieren können. Das sind Positionen oder Gebiete im Ozean, an denen häufig und bevorzugt solche besonders sauerstoffarmen Wirbel entstehen. Die Entstehung von Wirbeln ist ein chaotisches System. Wir können nicht vorausberechnen, wann und wo genau ein solcher Wirbel auftritt. Aber man kann inzwischen vorhersagen, in welchen Regionen diese Wirbel gehäuft entstehen. Das könnte beispielsweise für die Fischerei wichtig werden, wenn wir den gesellschaftlichen Aspekt oder Nutzen unserer Forschung betrachten. Mobile Todeszonen-Wirbel in dieser Größenordnung beeinflussen selbstverständlich die Fischwanderung und auch die Bestände. Inwieweit dies relevant ist, hängt wiederum von der Anzahl der Wirbel ab und wieviel sie praktisch zur Minderung der Sauerstoffkonzentration beitragen. Es betrifft derzeit nur etwa 10 Prozent der Wirbel. Wenn sich dieser Anteil in Zukunft, zum Beispiel im Zuge des Klimawandels, verstärkt oder häufiger auftritt, würde damit die Gesamtsauerstoffkonzentration im Meer weiter abnehmen. Dies würde die Fischbestände stärker betreffen. Gerade im Hinblick auf eine nachhaltige Fischerei, die momentan viel diskutiert wird, kann das Wissen über solche Zusammenhänge elementar wichtig werden.

SB: Wie verhält es sich mit den Müllstrudeln, die dieser Tage wieder in den Medien thematisiert werden. Transportieren die kleinen Meereswirbel, die Sie beforschen, neben Wärmeenergie, Nährstoffen und Plankton auch noch Kunststoffabfall und andere Relikte unserer Zivilisation?

JH: Mit Müllstrudeln sind andere Strudel mit einer beckenweiten Ausdehnung gemeint. Es gibt zwei davon im Atlantik, einer kreist im Nordatlantik um die Kanaren. Ein entsprechend riesiges Gegenstück findet man auf der Südhalbkugel, im Südatlantik. Weitere Müllstrudel finden Sie im Nord- und Südpazifik sowie im Indischen Ozean. Diese Phänomene haben eine Ausdehnung von mehreren tausend Kilometern über das gesamte Becken, in dem die Strömung unentwegt im Kreis geführt wird. Auf diese Weise spülen sie den Müll von den Rändern und sammeln ihn in der Mitte. Das hat nichts mit den Wirbeln zu tun, über die wir hier sprechen. Es wäre in der Tat noch ein interessanter Aspekt, die Plastikanteile, die mit Sicherheit von diesen kleineren Wirbeln zwischen 100 und 150 Kilometern eingefangen werden, daraufhin zu untersuchen. Das hat meines Wissens bisher noch niemand gemacht, selbst wenn das Gesamtproblem in den Köpfen der Ozeanografen sehr präsent ist.


Zeigt einen Gleiter der NOAA beim Einsatz im Südpazifik. Die Unterwasser-Segelflieger können chemische Signaturen erfassen, z.B. von Gasen, die Unterwasservulkane ausstoßen. - Foto: NOAA

Im Todeszonen-Meereswirbel verloren - HighTech-Kunststoffmüll.
Unterwasser-Glider können von der Strömung eingefangen werden und den Kontakt zu ihrer Basis verlieren.
Foto: NOAA

SB: Wie sind Sie darauf gekommen, daß es sauerstofffressende Ozeanwirbel geben könnte und wie wurde das Phänomen "entdeckt"?

JH: Ich befasse mich seit meiner Doktorarbeit am GEOMAR in erster Linie mit Sauerstoffkonzentrationen im tropischen Atlantik und mit veränderlichen Meeresströmungen, die eine Veränderung in der Sauerstoffkonzentration hervorrufen können. Dazu nutzen wir verschiedene Meßplattformen. Wie bereits angesprochen, handelt es sich dabei um Schiffsmessungen und Glidermessungen, die wir neben "Verankerungsmessungen" auswerten. Verankerungen bilden ein System aus verschiedenen Sensoren und Meßgeräten, die an einem Draht von einigen Kilometern Länge befestigt sind, der wiederum an einer bestimmten Position im Ozean mit Hilfe von schweren Eisenbahnrädern verankert wird. Auf diese Weise kann man Temperatur, Dichte, Strömungsgeschwindigkeit, Salz- und Sauerstoffgehalt kontinuierlich in verschiedensten Tiefen messen. Die Bojen am Ende des Drahtes können von der Meeresoberfläche via Satellit die Sensordaten direkt in unser Büro am GEOMAR senden. Aber in der Regel fährt man mit dem Schiff vor Ort, um die Verankerung zu warten, mit neuen Batterien zu bestücken, die intern aufgezeichneten Meßdaten auszulesen und das System wieder neu auszubringen. Das haben wir 2011 mit einer Verankerung im tropischen Atlantik gemacht und als wir uns die Aufzeichnungen der Sauerstoffkonzentration ansehen wollten, konnten wir überraschenderweise in einem Abschnitt von Januar bis April 2010 überhaupt keinen Sauerstoff finden. Ich habe diese Zeitserien als einer der ersten gesehen. Sie waren für unsere Gruppe zunächst völlig unbegreiflich. Wir fragten uns, ob dieser offensichtliche Meßfehler vielleicht durch ein Tier verursacht worden war, das den Sauerstoff lokal weggeatmet hatte. Bis dahin wußte man noch nichts über sauerstofffreie Zonen im Atlantik und hatte diesen "Ozeaneffekt" nicht erwartet. Glücklicherweise konnten wir die Aufzeichnungen der Verankerung mit denen anderer, mobiler Meßgeräte ergänzen, beispielsweise mit Daten zur Strömungsgeschwindigkeit. Nachdem wir diese mit den Zeitskalen der Verankerung verglichen hatten, konnten wir zu dem fraglichen Zeitpunkt einen Wasserwirbel identifizieren.

SB: Vielen Dank für den aufschlußreichen Einblick in Ihr Forschungsfeld.


Anmerkungen:

[1] https://www.spektrum.de/news/kleinere-meereswirbel-beeinflussen-wind-und-wetter/1200649

[2] Dabei handelt es sich um eine Arbeitsgruppe, die 2016 von der zwischenstaatlichen ozeanografischen Kommission der Vereinten Nationen (IOC) ins Leben gerufen wurde. Für ihre Studie haben die beteiligten Autorinnen und Autoren etwa eine Viertelmillion Datensätze und die am GEOMAR durchgeführte Klimamodellrechnungen zu Sauerstoffkonzentrationen in Meeren ausgewertet.

[3] https://www.geomar.de/news/article/die-sauerstoffarmut-im-ozean-nimmt-zu/
und
http://science.sciencemag.org/content/359/6371/eaam7240

[4] https://www.geomar.de/news/article/weitere-ursachen-von-sauerstoffverlust-der-ozeane-identifiziert/
und
https://www.nature.com/articles/s41561-018-0152-2c


Bisher im Schattenblick zu der Veranstaltung "Geht dem Ozean die Luft aus?" am 5. September 2018 in Kiel unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/144: Meeressterben - Mangelzonen wachsen an ... (SB)
BERICHT/145: Meeressterben - ungeahnte Wechselwirkungen ... (SB)
INTERVIEW/281: Meeressterben - Die Größe eines Kontinents ...    Prof. Dr. Andreas Oschlies im Gespräch (SB)
INTERVIEW/282: Meeressterben - wir wissen genug ...    Dr. Christiane Schelten und Dr. Paul Kähler im Gespräch (SB)
INTERVIEW/283: Meeressterben - Zuwachs ökosystemischer Wandlungen ...    Dr. Helena Hauss im Gespräch (SB)

19. September 2018


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