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INTERVIEW/269: Insektenschwund - schon länger in der Peilung ...     Marie Thöne im Gespräch (SB)



Mit rund 250 Personen war die Tagung "Rückgang der Insekten: Kenntnisstand, Forschungen, Aktivitäten" am Institut für Landschaftsökologie (ILÖK) in Münster komplett ausgebucht. Es mußte sogar einigen Leuten abgesagt werden, berichtete Jürgen Tumbrinck, Vorsitzender des Landesverbands NRW der Naturschutzorganisation NABU, am 17. Februar 2018 in seiner Eröffnungsansprache.

Zu der Tagung eingefunden hatten sich auch viele Studierende des ILÖK, die gewissermaßen von Berufs wegen ein Interesse an dem Thema Insektenschwund haben und ganz nebenbei ihren "Prof" auch mal auf einer öffentlichen Veranstaltung erleben konnten - im Gespräch bzw. Disput mit Vertretern der chemischen Industrie und des Bauernverbands, die nach eigenem Bekunden selbstverständlich ebenfalls für den Erhalt der Biodiversität sind, die aber eben auch Lobbyinteressen verfolgen, welche sich - milde gesagt - gewiß nicht immer im Einklang mit dem befinden, was beispielsweise Nicht-Zielinsekten der von ihnen produzierten bzw. verwendeten Pestizide guttäte ...

Zu den Studierenden der Landschaftsökologie, die an diesem Samstag ihren Weg ins ILÖK gefunden haben, gehörte auch Marie Thöne. Sozusagen zur Halbzeit der Veranstaltung war sie bereit, dem Schattenblick ihre Sicht auf die bisherigen Vorträge zu schildern und einige Fragen rund um das Thema Insektenschwund zu beantworten.


Porträt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Marie Thöne
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Vielleicht stellst du dich als erstes einmal vor und sagst, wie du zu dieser Konferenz gekommen bist?

Marie Thöne (MT): Das ist ein bißchen lustig, denn ich studiere Landschaftsökologie hier am Institut und bin dort in der AG Klimatologie. Ich bin jetzt am Ende meines Bachelorsemesters, also mittlerweile im siebten Semester, und mache gerade mein Studienprojekt in der Klimatologie. Aber ich bin gar nicht über mein Institut auf diese Veranstaltung gestoßen, sondern ich arbeite in der Station Natur und Umwelt in Wuppertal. Das ist die größte Umweltbildungseinrichtung Nordrhein-Westfalens und dort sieht man es gerne, wenn wir uns weiterbilden. Also habe ich mir das Programm von der Natur- und Umweltschutzakademie durchgelesen - weil die eine Menge anbieten, das ich auch ganz spannend finde -, und habe die Ankündigung zu einer Tagung entdeckt, die zufällig noch an meinem Institut stattfindet. Das war natürlich eine willkommene Einladung, die ich nicht ausschlagen wollte.

SB: Und wie fandest du die Vorträge bisher?

MT: Den ersten Vortrag, der von Staatssekretär Bottermann gehalten wurde, fand ich ziemlich schwach. Mich hat es etwas überrascht, daß sich jemand, der Präsident vom LANUV (Anm. d. SB-Red.: Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen) war - was ja eine Organisation ist, die ich sehr schätze und die immer sehr fundiertes Wissen präsentiert -, ein bißchen so angehört hat, als gebe er vorgefertigte Antworten. Das klang etwas wie auswendig gelernte, brave Schülersätze. Natürlich auch mit vielen "kritischen Ansätzen", aber so richtig aussagekräftig fand ich das jetzt nicht. Das war etwas, was man auf politischer Ebene gewohnt ist.

SB: Kanntest du die Studie zum Insektenrückgang, von der heute viel die Rede war und die für einiges Aufsehen gesorgt hat?

MT: Ja, vom Entomologischen Verein Krefeld hatte ich vorher schon gehört. Ich komme aus Wuppertal - Krefeld liegt da in der Nähe -, und die Studie war mir ebenfalls bekannt. Das war aber für mich nichts Schockierendes, weil ich durch mein Studium in diesem Themenbereich schon etwas länger drin bin und darum auch weiß, daß sich fast jede Bachelorarbeit zumindest teilweise damit befaßt. Viele Bachelorarbeiten drehen sich um Insektenpopulationen, die erkannt und bestimmt werden und deren Masse berechnet wird. Natürlich hört man dann häufiger: Das ist heute nicht mehr so wie früher. Also, der Eindruck hatte sich bei mir schon irgendwie festgesetzt, so daß mich das Ergebnis der Krefelder Untersuchungen nicht so wahnsinnig schockiert hat.

SB: Hier war heute häufiger die Rede von Citizen Science - Bürgerwissenschaft. Es ist sicherlich spannend, wenn Bürgerinnen und Bürger bei den Wissenschaften mitmachen können. Aber wie siehst du die Gefahr, daß sich der Staat da ein bißchen aus der Verantwortung ziehen könnte, indem er solche ehrenamtliche, idealistische Tätigkeit unterstützt?

MT: Ich sehe Citizen Science aus einer etwas anderen Perspektive. So etwas wie Bürgerwissenschaften gibt es eigentlich gar nicht. Vielmehr handelt sich um das Problem, daß es eine Diskrepanz gibt zwischen dem Fortschritt, den die Wissenschaft erarbeitet - das ist eine unglaubliche Informationsflut -, und dem Wissensstand, auf dem sich die Bürger befinden. Dazwischen zu vermitteln kann ein sehr zäher Prozeß sein. Es geht nicht anders, als daß Institutionen, Umweltstationen, etc., die auf wissenschaftlicher Basis arbeiten und gut vernetzt sind, in der Mitte stehen und die Vermittlung übernehmen. Und das muß staatlich gefördert werden.

SB: Wäre das auch dein Ansatz für die pädagogische Arbeit, wenn du, wie du im Vorgespräch berichtet hast, das weitergeben willst, was hier auf der Tagung besprochen wird?

MT: Ja, ich mache in der Hinsicht schon eine ganze Menge. In der Station für Natur und Umwelt haben wir ganz viele Veranstaltungen mit Kindern, Familien, aber auch Erwachsenen. Der Schwerpunkt liegt aber eher auf Kinder- und Jugendpädagogik. Ich habe dazu immer viel zu Vögeln gemacht, und Insekten ist auch ein bißchen mein Gebiet. Dazu bieten wir zahlreiche Bildungsveranstaltungen an. Mir geht es natürlich darum, den Inhalt zu verbessern, auf dem neuesten Stand zu bleiben, damit ich da auch Kompetenzen oder Werte weitergeben kann.

SB: Können Kinder die Problematik des Insektenschwunds erfassen?

MT: Ja! Auf jeden Fall! Ich biete zum Beispiel einen Jugend-Klimaforscher-Kindergeburtstag an. Der ist von acht bis zwölf Jahre, und das verstehen die super, wenn man ihnen das erklärt.

SB: Wenn die Kinder heute die Vorträge gehört hätten, wäre ihnen das zu langweilig?

MT: (lacht) Ja, die Vertretung der Landwirtschaftsministerin heute durch Herrn Bottermann, das war auch mir zu langweilig. Der macht ja auch nur seinen Job, aber wenn man gewohnt ist, wissenschaftlich zu arbeiten und zu argumentieren, ist das was anderes als ein politisches Statement mit einem wissenschaftlichen Touch. Das ist nicht zu vergleichen.

SB: Was wünschst du dir denn, was die Politik jetzt machen sollte?

MT: Mehr investieren, mehr finanzieren, in alle Richtungen.

SB: Was Herr Wägele in seinem Kurzvortrag gesagt hat.

MT: Genau, den fand ich zum Beispiel sehr, sehr toll. Das war beeindruckend. Auch der Redner, der den Entomologischen Verein Krefeld vorgestellt hat, war klasse. Das sind genau solche Leute, die wissen, wovon sie reden, die die Feldarbeit machen. Die stichhaltige Argumente liefern. Die dadurch auch gute Forderungen stellen können und gute Ansätze haben. Solche Redner sind toll, deswegen bin ich heute hier.

SB: Die Vorträge heute wurden - und werden auch nachher noch - alle von Männern gehalten. Die Wortmeldungen aus dem Publikum kamen zu geschätzten 95 Prozent ebenfalls von Männern ...

MT: (lacht) Wenn man an der Uni ist, dann muß man sich daran gewöhnen. Ich bin absolute Feministin. Doch das ist ... Universitäts-Lifestyle. Das ist immer so. Natürlich haben wir hier jemanden, der für Familien- und Gendergerechtigkeit zuständig ist - aber die ist natürlich heute nicht da. In der Struktur der Universität versucht man das natürlich mit einzubeziehen. Bei solchen Veranstaltungen hingegen wird kein Wert darauf gelegt ... vielleicht in dreißig Jahren. Mal sehen.

SB: Was glaubst du, was der Klimawandel, den Herr Bottermann ganz oben auf seiner Ursachenliste für den Insektenschwund genannt hat, zum Insektensterben beiträgt?

MT: Das ist immer dasselbe, der Klimawandel muß als Universalbegründung für alle Probleme herhalten. Ich sehe das so wie seine Nachredner. Das hat ja auch Herr Scherber in einer Statistik auf der Folie gezeigt: Ein Anstieg von Temperatur und Feuchtigkeit wird eher zu einer positiven Beeinflussung die Insektenpopulationen führen. Allerdings sehe ich die Entwicklung eher kritisch, weil andere Insekten, die zum Beispiel Malaria übertragen, einwandern könnten.

Also, eigentlich müßte der Klimawandel einen positiven Effekt auf die Insekten haben. Hat er aber offensichtlich nicht. Ich bin mal gespannt, was gleich die Firma Bayer dazu zu sagen hat. Darauf freue ich mich vielleicht auch nur, weil Glyphosat der Insektenkiller "number one" ist.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Bisher im Schattenblick zur NABU-Tagung über den Insektenrückgang unter UMWELT → REPORT → BERICHT und UMWELT → REPORT → INTERVIEW erschienen:

BERICHT/133: Insektenschwund - Politik zu träge ... (1) (SB)
BERICHT/134: Insektenschwund - Politik zu träge ... (2) (SB)

INTERVIEW/268: Insektenschwund - Aufgabenvielfalt unterschätzt ...     Prof. Dr. Christoph Scherber im Gespräch (SB)


26. Februar 2018


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