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INTERVIEW/228: Gitterrost und Permafrost - Schrittmacher Menschenhand ...    Prof. Guido Grosse im Gespräch (SB)


11. Internationale Permafrostkonferenz (ICOP) vom 20. bis 24. Juni 2016 in Potsdam

Prof. Guido Grosse über das Abtauen des Permafrosts in Alaska, Seen, die nicht mehr zufrieren und darüber, welchen Aufwand es bedeutet, den Menschen vor Ort ein Weiterleben wie bisher zu ermöglichen ...



Flacher kleiner See mit Ufergräsern - Foto: von Dr. John Cloud, NOAA Central Library (NOAA Photo Library [1]) [Public domain], via Wikimedia Commons

Immer mehr flache Thermokarst-Seen frieren aufgrund der ungewöhnlich hohen Temperatur der Arktis nicht mehr zu.
Auch die Nähe zu Infrastruktur, wie hier die Straße von Nome (hinter Pilgrim Hot Springs), begünstigt das Abtauen des Permafrosts.
Foto: 2010 von Dr. John Cloud, NOAA Central Library (NOAA Photo Library) [Public domain], via Wikimedia Commons

Noch kann niemand genau sagen, wann und wie stark die Permafrostböden tatsächlich auftauen, die Kanada, große Teile Rußlands, Skandinaviens und Alaskas umfassen, etwa ein Viertel der nördlichen Hemisphäre; und wie viel CO2 und Methan aus ihnen entweicht, wenn Bakterien ernsthaft damit beginnen, die Pflanzenreste zu zersetzen. Permafrost, der in geringer Ausdehnung außerdem in eisfreien Gebieten der Antarktis, auf einigen subantarktischen Inseln sowie in Hochgebirgen gefunden werden kann, nennt man den gefrorenen Dreck bzw. die Mischung aus Sediment, Humus oder Gestein, wenn all das mindestens zwei aufeinander folgende Jahre gut durchgefroren ist, und genau das scheint in vielen Regionen immer fraglicher zu werden. Das Tauen und Erweichen der bislang festen Böden bringt allerdings neben möglichen Folgen für die globale Erwärmung einen ganzen Komplex unerwünschter und möglicherweise wenig erkannter Konsequenzen mit sich, über deren vollständiges ökologisches und klimabeeinträchtigendes Ausmaß selbst die Experten trotz der mühseligen und völlig unspektakulären Kleinarbeit, Daten zu sammeln, Modelle zu entwerfen und Grundlagen zu schaffen, bisher noch im Dunkeln tappen. Um sich über den gegenwärtigen Stand der Forschung zu informieren und zu diskutieren, trafen sich fünf Tage lang, vom 20. bis 24. Juni 2016 Permafrostforscher in Potsdam auf der 11. Internationalen Permafrostkonferenz.

Eine der jüngsten Studien, die kurz vor Beginn der Konferenz im Fachjournal Geophysical Research Letters veröffentlicht wurde, zieht nun eine Parallele zwischen der Meereis-Entwicklung in der Arktis und den flachen Seen Alaskas, die nicht mehr komplett zufrieren. Infolgedessen hat im letzten Jahrzehnt der bisher vorhandene Permafrost unter den vielen flachen arktischen Seen begonnen aufzutauen. Prof. Guido Grosse, der als Coautor an dieser Studie mitgewirkt hat und sich seit 17 Jahren auf das Thema Permafrost spezialisiert hat, war bereit, am ersten Tag der Konferenz dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Foto: © 2016 by Schattenblick

'Auf Kraftwerke könnte man Filter setzen, aber bei einer Permafrostregion, die 23 Millionen Quadratkilometer groß ist, geht das nicht.'(Prof. Guido Grosse)
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie befassen sich mit dem Permafrost unter arktischen Seen, die - wie die Studie sagt, an der Sie als Coautor beteiligt sind - nicht mehr komplett zufrieren. Bedarf es dafür ungewöhnlicher Bedingungen oder ist dieses Verhalten inzwischen schon der zu erwartende Standard?

Prof. Guido Grosse (GG): Das ist ein besonderer Prozeß, der etwa in den letzten zehn Jahren eingesetzt hat. Wir haben diese Seen schon vor längerer Zeit untersucht. Und zwar in einem Projekt, das von der NASA und der National Science Foundation gesponsort wurde. Ich war einige Zeit an der Universität Alaska Fairbanks tätig, ehe ich hier nach Potsdam an das AWI (Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung) gekommen bin. Dieses Projekt haben wir dann von unserer Seite weitergeführt, wobei wir feststellen konnten, daß das Eis auf diesen Seen immer dünner wird. Das liegt vor allem daran, daß sich das Winterklima in der Arktis stark ändert. Man erwartet für die Zukunft, das heißt die nächsten hundert Jahre, daß die arktischen Winter deutlich wärmer werden. Bisher hatte man allerdings angenommen, daß das keinen großen Einfluß hat, da der Winter immer noch sehr kalt ist und auch in Zukunft bleiben wird. Und man glaubte daher, daß dies den Permafrost nicht so stark beeinflussen wird. Was wir jetzt aber anhand dieser Studie nachweisen konnten, ist, daß die Seen durch das veränderte Winterklima nicht mehr so stark zufrieren. Das heißt, dort, wo die Alaska-Seen früher noch zwei Meter Eismächtigkeit aufgewiesen haben, ist diese heute deutlich unter zwei Metern. Viele der Seen sind sehr flach und frieren deshalb nicht mehr komplett bis zum Boden durch. Damit haben wir dann sozusagen während des ganzen Winters flüssiges Wasser auf dem Grund und das verändert den gesamten Typ.

SB: Wie kommt es zu diesem Unterschied zwischen dem Umfeld der Seen, wo der Permafrost noch stabil ist, und dem tauenden Permafrost unter den Seen?

GG: Es handelt sich um sogenannte Thermokarst- oder Tau-Seen, die erst durch das Tauen der Oberfläche des Permafrosts entstanden sind. Das ist ein Prozeß, der schon seit Tausenden von Jahren stattfindet. In den letzten zehn Jahren konnten wir jedoch eine deutliche Veränderung der Seen selbst feststellen, die damit einhergeht, daß sie nicht mehr komplett zufrieren. Zum einen verändert sich das gesamte Habitat, das heißt wir erwarten in Zukunft auch bestimmte Fischarten, die dort jetzt überleben können und die man bisher noch nicht gefunden hat, weil der See eben zeitweise zugefroren ist. Die Nahrungsketten werden sich somit vollkommen verändern. Für den Thermafrost selbst bedeutet es, daß er nicht mehr nur im Sommer, sondern ganzjährig unter diesen Seen tauen wird, was auch heißt, er wird tiefer tauen, wobei mehr Kohlenstoff freigesetzt wird.

SB: Gibt es bereits Berechnungen darüber oder Beobachtungen dazu, wie stark die biologischen Prozesse unter dem noch gefrorenen Bereich schon zugenommen haben?

GG: Über das, was direkt am Sediment passiert, gibt es noch wenige Studien. Das ist ein Forschungsbereich, der sich erst jetzt gerade eröffnet und in das Interesse der Wissenschaft gerückt ist.

SB: Würde das Freisetzen von Kohlenstoff respektive das Treibhausgas Methan dann auch relevante Größen für die Klimaforschung betreffen?

GG: Ja, es gibt Untersuchungen, in denen - basierend auf Modellen - berechnet wird, wieviel Methan aus den Seen emittieren könnte. Das wäre das Methan, das aus den Sedimenten hervorgeht. Zum einen sind es die normalen, saisonalen Pflanzenreste oder Böden, die bei der Expansion der Seen über die Zeit entstehen. Aber zum anderen betrifft es eben auch den Permafrost unterhalb des Sees, der jetzt taut und damit die organischen, kohlenstoffhaltigen Überreste freigibt, die vorher schön konserviert waren. Und dieses überwiegend anaerobe, also sehr sauerstoffarme Umfeld der Seeböden begünstigt bereits bestimmte Bakterien-Communities, die hauptsächlich Methan produzieren. Es gibt nun verschiedene Mechanismen, wie das gasförmige Stoffwechselprodukt aus dem tiefen Untergrund nach oben kommt. Eine Form ist die Diffusion, das heißt das Methan verteilt sich ganz langsam und wandert allmählich durch das Sediment und die Wassersäule nach oben in die Atmosphäre. Wir sehen aber auch, daß ein Großteil des Treibhausgases wahrscheinlich aus diesen Thermokarst-Seen als kleine Bläschen aufsteigt. Es löst sich somit nicht im Wasser, sondern dort sammeln sich im Sediment eine Weile Blasen, dann bilden sich kleine Kanäle, die nach oben führen und durch welche die Gasbläschen hoch blubbern und austreten können. Das ist eine Veränderung, die man sogar mit bloßem Auge beobachten kann.

SB: Untersuchen Sie - abgesehen davon, was an Gasen austritt - auch die Produzenten, also die Mikrofauna oder die Organismen, deren Stoffwechsel dafür verantwortlich ist?

GG: Ich bin selbst kein Biogeochemiker. Aber ich arbeite mit Leuten zusammen, die das genau untersuchen. Wir haben Mikrobiologen dabei, die sich damit befassen. Mein Bereich betrifft eher die landschaftsdynamische Seite, also die Fragen, wie sich die Seen selbst verändern und welche Folgen das für den Permafrost hat und wieviel Kohlenstoff aus dem Permafrost dadurch praktisch in die Seen umgeschaufelt oder verlagert wird, also vom gefrorenen in den getauten Zustand. Das ist mein Anteil an dieser Forschung. Wir arbeiten zudem mit beispielsweise einer Kollegin aus Alaska zusammen, Katey Walter Anthony (University of Alaska Fairbanks, United States of America), die auf diese Methanuntersuchungen von der biogeochemischen Seite her spezialisiert ist und sich anschaut, wieviel Methan produziert wird, wieviel konkret austritt oder wie alt es jeweils ist. Methan hat auch eine Alterssignatur, die man, je nachdem, welche Art von Kohlenstoff die Bakterien umsetzen, analytisch unterscheiden kann. Darüber hinaus gibt es Leute, die sich der Mikrobiologie im Detail widmen. Sie untersuchen die Proben daraufhin, welche Bakterien vorkommen, was sie im einzelnen machen und wie vital sie unter den verschiedenen Temperatur- und Umweltbedingungen sind. Die Proben werden auch genetisch untersucht, um eine Art Fingerprint zu erhalten.

SB: Wird dabei auch das Alter der Mikroorganismen selbst untersucht, beispielsweise ob es sich um Arten handelt, die mit dem tauenden Permafrost praktisch erst wieder aktiviert werden?

GG: Das ist ebenfalls ein sehr spannendes Gebiet. Ein paar Studien befassen sich damit, daß einige der Sporen von ehemals eingefrorenen Bakterien-Communities überlebensfähig geblieben sind und wiederbelebt werden können. Ein Großteil wird aber wahrscheinlich aus dem Wasser, aus dem Sediment nach unten wandern. Das heißt die Bakterien folgen gewissermaßen der Taufront nach unten, wie wir sie auch nennen, denn das ist der Bereich, in dem sich der leckere, frisch aufgetaute Kohlenstoff befindet.

SB: Sie erwähnten vorhin die biologischen oder ökologischen Änderungen, die mit dem Tauen des Permafrosts einhergehen. Wenn in diesen Seen jetzt ganz neue Fischarten oder Lebewesen auftauchen, die vorher nicht da waren, woher kommen sie?

GG: Von neuen Fischarten würde ich noch nicht ausgehen. Dies gilt auch nur für bestimmte Seen. Ich spreche jetzt erst einmal über den North Slope Alaska. Hier haben sich Fischbiologen die Verteilung von Fischarten angesehen und wie und wo in der Region sie überhaupt im Winter überleben können. So können beispielsweise gewisse Lachsarten nur in ganz bestimmten Gewässern flußaufwärts wandern und daher auch nur in spezifischen Wasserläufen überwintern, die eben nicht zufrieren und in denen das Wasser während des ganzen Winters flüssig bleibt. Die sehen jetzt schon voraus, daß sich das System vollkommen verändern wird. Von neuen oder veränderten Arten würde ich in dem Fall noch nicht sprechen. Aber die ansässigen Arten werden den Lebensraum, der sich mit dem Klimawandel ändert, anders nutzen als zuvor. Die migrieren sozusagen mit.

SB: Sind diese oder ähnliche Entwicklungen für die gesamte Arktis zu erwarten?

GG: Ich würde davon ausgehen. Es ist tatsächlich nichts Einzigartiges, das sich allein auf Nordalaska beschränkt, sondern eine Entwicklung, die wir für die gesamte Arktis - die große sibirische, die europäische und auch die kanadische - erwarten. Im Detail werden dabei sicherlich kleine Unterschiede zu erkennen sein. Aber im Großen und Ganzen sahen wir in der Vergangenheit schon diesen Klimatrend für die Arktis, die sich besonders stark erwärmt. Das ergeben die Messungen von meteorologischen Stationen wie auch die Satellitendaten, die jetzt schon teilweise Erwärmungen von über drei Grad dokumentiert haben, auch wenn wir für den Rest des Erdballs noch von sehr viel geringeren Änderungen sprechen. Dieser Trend wird sich in der Arktis in den nächsten hundert Jahren und darüber hinaus noch wesentlich verstärken.

Wir bezeichnen das als "arctic amplification", also die arktische Verstärkung. Das ist ein Rückkopplungseffekt, vor allem durch Schnee und Eis. Momentan haben wir dort sehr viel davon. Dadurch wird auch sehr viel Sonnenlicht, das heißt Wärme, zurück ins Weltall reflektiert. Und wenn sich Schnee und Eis zurückziehen, können die dunklen Böden der Regionen mehr Sonnenlicht aufsaugen und speichern und erwärmen sich dann entsprechend stärker. Das wäre dann ein Effekt, der sich selbst verstärkt.


Die alaskische Tundra mit Blick in südlicher Richtung (Brooks Range) - auch ohne Klimawandel bereits eine Karge Wüstenlandschaft. - Foto: von U.S. Fish & Wildlife Service Mattisse at en.wikipedia [Public domain], vom Wikimedia Commons

Noch kann niemand genau sagen, wann und wie stark die Permafrostböden verschwinden und was von Natur und Landschaft in hundert Jahren noch übrig ist.
Foto: von U.S. Fish & Wildlife Service Mattisse at en.wikipedia [Public domain], vom Wikimedia Commons

SB: Würden Sie sagen, daß die Arktis in diesem Jahr eine besonders extreme Erwärmung erfahren hat? In Grönland wurde am 9. Juni dieses Jahres in Nuuk ein neuer Rekord von 24 Grad Celsius registriert?

GG: Ja, was ich verfolgen konnte, war, daß auch in Fairbanks, Zentralalaska, das Frühjahr einige Wochen vor der üblichen Zeit begonnen hat. Dort war bereits im März der Schnee fast vollständig verschwunden, womit man normalerweise erst im April rechnet. Nun gut, das könnte man vielleicht noch für Wetterbesonderheiten halten. Im nächsten Jahr muß sich das nicht wiederholen. Darüber hinaus wird aber auch in diesem Jahr wieder ein erneutes Meereisminimum erwartet. Es scheint also ein größeres, regionales Problem zu sein und nicht nur ein Wettereffekt. Da paßt der Hitzerekord in Grönland natürlich auch gut rein. Man erwartet für das Meereis, falls es nicht irgendwo noch einen plötzlichen Kälteeinbruch gibt, wie einen frühen Winter am Ende des Jahres, daß es vielleicht sogar das Minimum von 2012 übertrifft.

SB: Die Arktis ist ohnehin ein Gebiet, in dem sich der Klimawandel bereits jetzt am deutlichsten zeigt. Was erwartet man in nächster Zeit und könnte sich dadurch auch die sozioökonomische und soziale Struktur der Region ändern? Und was bedeutet das schließlich konkret für die Bevölkerung? Wird dadurch eine Besiedlung in bisher unwirtlichen und lebensfeindlichen Gebieten möglich?

GG: Das kommt darauf an, in welchen Zeiträumen man da denkt. Sehr langfristig kann man sicherlich auch Vorteile in dieser Entwicklung sehen. Vielleicht wird die Region irgendwann einmal besiedelt. Vielleicht werden auch eine bestimmte landwirtschaftliche Bebauung und agrartechnische Aktivitäten möglich, die bisher undenkbar sind. Langfristig müßte man da von mindestens hundert Jahren und mehr ausgehen. Was allerdings kurzfristig passieren wird, sind vermutlich in bestimmten Gegenden sehr dramatische Entwicklungen in den Ökosystemen, weil sich die Vegetation ausgiebig verändert, wenn sich die Baumlinie nach oben verschiebt, auch hydrologisch, weil sich Seen sehr stark verändern werden. Da ist das Bild zwar noch ein bißchen unklar. Generell sagen Modelle voraus, daß es in der Arktis immer trockener wird, wobei andere Modelle wieder vorhersagen, daß sich die Niederschläge erhöhen. Gleichzeitig steigt auch die Temperatur und damit einhergehend erhält man mehr Evaporation [Wasserverdunstung, Anm. d. SB-Red.]. Und schließlich kommt es auch darauf an, wann die Niederschläge fallen, ob es sich um mehr Schnee im Winter handelt, was der Fall zu sein scheint, dann hat das über das Jahr hinweg einen kleinen Effekt auf die Vegetation, da der Schnee im Frühjahr schmilzt. Dann ist der Boden noch gefroren und das Wasser fließt nur einmal ab, was heißt, daß der größere Niederschlag eigentlich gar nichts für die Böden bringt. Im wärmeren Sommer trocknen sie spätestens aus.

Schließlich nicht zu vergessen haben wir auch den Effekt, der vom tauenden Permafrost ausgeht, der vermutlich in einigen Regionen sehr dramatisch sein wird. Wir haben in manchen Gegenden sehr viel Eis im Untergrund, also im Permafrost selbst. Das ist zum einen Teil sehr massiv, zum anderen Teil sind es kleine Eislinsen, die in einigen Gebieten bis zu weit über fünfzig Prozent des Bodenvolumens ausmachen, was bedeutet, wenn der Boden dort taut, kann man eine entsprechende Absenkung der Landoberfläche erwarten. Das wird unregelmäßig sein, weil das Eis sehr unregelmäßig verteilt ist. Eine entsprechende Problematik gibt es dann auch, wenn in diesen Gebieten Infrastruktur geplant, gebaut oder repariert werden muß. Man kann bereits heute schon an Straßen, Pipelines und ähnlichem sehen, daß man großen Aufwand betreiben muß, damit das alles intakt bleibt. Das wird mit dem Abtauen von Permafrost durch eine starke, globale Erwärmung sehr viel schwieriger, noch aufwendiger und kostenintensiver werden.

SB: Sie sind selbst hin und wieder mal vor Ort in der Region, konnten Sie da bereits Veränderungen ausmachen, die auch die Menschen dort betreffen?

GG: Ich denke da besonders an Regionen Alaskas im Norden Kanadas, in denen es einige Siedlungen und auch größere Städte gibt, relativ dünn gesät natürlich. Hier gibt es viele Inupiaq. Das ist eine Gruppe von Eskimos, die mit der Region sehr stark verwachsen sind und die man nicht einfach umsiedeln kann. Es wäre vielleicht für viele eine schnelle und günstigere Lösung, wenn die Permafrostregion absinkt, einfach zu sagen: Es ist viel zu teuer, das alles zu erhalten, schickt die doch alle nach Fairbanks. Genau das wird nicht passieren. Weil auch eine kulturelle Verwurzelung mit der Region berücksichtigt werden muß, die seit Tausenden von Jahren gewachsen ist. Das heißt, man wird auf jedem Fall versuchen, diese Infrastruktur erhalten. Und das wird extrem teuer.

Um Zahlen zu nennen, in Alaska wird ganz konkret geplant, bestimmte Dörfer im Westen, die stark von Küstenerosionen und zusätzlich auch durch das Tauen von Permafrost betroffen sind, ein Stück weiter ins Land zu verlegen und umzusiedeln. Das betrifft auch alle Gebäude, Straßen, Flugplätze, das betrifft Öltanks, Wassertanks, Schulen, öffentliche Gebäude. Es sind kleine Dörfer, die wenige hundert Einwohner haben, aber die Kosten für die Umsiedlung gehen in Hunderte von Millionen, weil es bereits wahnsinnig viel Infrastruktur gibt.

SB: Kann das die Regierung beziehungsweise die gemeinsame Landsverwaltung der vierzehn Staaten von Alaska tragen? Wer finanziert das?

GG: Das wird mehr oder weniger aus verschiedenen Quellen getragen.

SB: Die Regierung hat ein entsprechendes Interesse daran, daß die Menschen vor Ort bleiben. Steckt in dieser Entscheidung vielleicht noch ein Teil des amerikanischen Mythos?

GG: Ja genau, das Ganze ist auch geschichtlich sehr verwickelt und keineswegs einfach. Es gab zahlreiche Spannungen zwischen den Ureinwohnern und den neu Hinzugekommenen, was sich bis in die 60er, 70er Jahre so gehalten hat; und erst seit vielleicht 50 Jahren entwickelt sich so nach und nach, daß die Ureinwohner viel stärker auf ihre Selbständigkeit pochen, sie auch einfordern und bekommen. Sie haben nun auch mehr Anrechte zum Beispiel für die Landnutzung. Viele von diesen Siedlungen sind schon in den 20er oder 30er Jahren aus Umsiedlungsprogrammen entstanden. Das ist meines Erachtens in Rußland und Kanada ganz ähnlich. Dort hat die Regierung einfach bestimmt, den ursprünglich nomadisch lebenden Menschen eine Siedlung vor die Nase zu setzen und sie alle zu zwingen, an einem bestimmten Fleck zu wohnen. Genau das wird jetzt zum Problem, weil alle diese Siedlungen auf einem nicht ganz stabilen Grund stehen.

SB: Gibt es denn überhaupt noch nomadische Völker in den fraglichen Gebieten?

GG: In Alaska gibt es zwar noch große Rentierherden, die auch Richtung Kanada über die Grenzen wandern, aber ich glaube, da ziehen keine Nomaden mehr mit. Nomaden gibt es vielleicht noch in Nordsibirien oder auf Yamal.

SB: Wenn man die Themen auf dem diesjährigen Internationalen Permafrost Kongress ansieht, dann hat zumindest die Wissenschaft die Herausforderung der Adaptation an den Klimawandel angenommen. Was wären Ihrer Meinung nach die wichtigsten, nächsten Schritte, die von der Forschung in Angriff genommen werden sollten?

GG: Das AWI hat seinen Schwerpunkt zumindest in diesem Jahr ganz klar auf die Kohlenstoffforschung im Permafrost gesetzt. Denn wir sehen hierin einen Faktor, der die Permafrostregion wirklich bedeutsam global macht. Das ist nicht nur ein Effekt, der regional oder lokal etwas verursacht oder bleibt, sondern wenn Kohlenstoff aus dem Permafrost in die Atmosphäre gelangt, als Treibhausgas, Methan oder Kohlendioxid, betrifft das uns alle. Dafür gibt es keine Ländergrenzen. Das kann zur globalen Erwärmung beitragen. Im Vergleich zu den fossilen Brennstoffemissionen ist es noch ein relativ kleiner Beitrag. Wir Menschen emittieren weit mehr, als was der Permafrost momentan an Treibhausgasen von sich gibt, und das wird vermutlich auch in Zukunft so bleiben. Aber es ist ein zusätzlicher Faktor, den wir nicht kontrollieren können. Anders gesagt, um den klimawirksamen Beitrag des Permafrost zu reduzieren, müssen wir eigentlich unsere eigenen Emissionen reduzieren. Also auf Kraftwerke könnte man Filter setzen, aber bei einer Permafrostregion, die 23 Millionen Quadratkilometer groß ist, geht das nicht.

SB: Vielen Dank Herr Prof. Grosse, daß Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben.


Anmerkungen:

[1] http://www.awi.de/nc/ueber-uns/service/presse/pressemeldung/permafrost-unter-flachen-arktischen-seen-taut-wegen-waermerer-winter.html

Die Originalstudie finden Sie hier: Christopher D. Arp, Benjamin M. Jones, Guido Grosse, Allen C. Bondurant, Vladimir E. Romanovsky, Kenneth M. Hinkel, Andrew D. Parsekian - Threshold sensitivity of shallow Arctic lakes and sublake permafrost to changing winter climate
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2016GL068506/full

[2] Prof. Guido Grosse, Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Division Geosciences | Periglacial Research | PETA-CARB - Rapid Permafrost Thaw in a Warming Arctic and Impacts on the Soil Organic Carbon Pool
[ORCID http://orcid.org/0000-0001-5895-2141]


Ein weiteres Interview zur Internationalen Permafrostkonferenz ICOP 2016 finden Sie unter:
Umwelt → Report:
INTERVIEW/227: Gitterrost und Permafrost - Zahlenspiele, Umweltziele ...    Prof. Hans-Wolfgang Hubberten im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0227.html

27. Juni 2016


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