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INTERVIEW/200: Aus berufenem Mund - Das eine was man will ...    Hinrich Schultze im Gespräch (SB)


Ins Bild rücken, was allzuleicht übersehen wird ...

Interview in Hamburg Altona am 14. Januar 2016


Hinrich Schultze arbeitet seit vielen Jahren als Pressefotograf [1] und hat dabei soziale Bewegungen und politische Konflikte aller Art dokumentiert. Mit seiner Kamera begleitete er die Anti-AKW-Bewegung, war bei den Auseinandersetzungen um die besetzten Häuser der Hamburger Hafenstraße zugegen, hat Leben und Leute auf St. Pauli ins Bild gesetzt [2] und engagiert sich in Menschenrechtsangelegenheiten, so in den Kurdengebieten der Türkei und in Mexiko. Anläßlich der Vorführung des Films "Unser gemeinsamer Widerstand", in dem auch einige Aufnahmen des Fotografen zu sehen sind, beantwortete Hinrich Schultze dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Arbeit, seinen politischen Beweggründen und den beruflichen Bedingungen, denen seine Zunft heute ausgesetzt ist.


Im Gespräch - Foto: © 2016 by Schattenblick

Hinrich Schultze
Foto: © 2016 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Hinrich, du hast die Anti-AKW-Bewegung als Fotograf dokumentiert. Wann hast du damit angefangen?

Hinrich Schultze (HS): Ich mache das seit dem Beginn der ersten Brokdorf-Demonstrationen 1976. Im Jahr davor fanden die Proteste in Wyhl statt. Mein Schwerpunkt waren die ersten zwanzig Jahre der Anti-AKW-Bewegung gewesen.

SB: Hast du diese Arbeit als Fotograf einer Presseagentur oder vorwiegend aus eigenem Engagement gemacht?

HS: Seit 1980 war ich öfter auch beruflich unterwegs, aber inzwischen bin ich freier Fotograf. Wenn man freiberuflich ist, strengt man sich mehr an, und es ist insgesamt auch günstiger.

SB: Verstehst du dich trotz deiner beruflichen Arbeit als Aktivist?

HS: In gewissem Maße bin ich Aktivist, aber ich stand nicht an allervorderster Front. In den 70er Jahren haben sich viele Menschen mit diesem gesellschaftlichen Thema sehr intensiv beschäftigt. Das war fast schon ein allgemeiner Trend, egal, wie man sich dazu positioniert hat. Überall wurde darüber geredet. Und es gab auch genügend Gründe, die Gesellschaft, das System und den sogenannten Fortschritt kritisch zu hinterfragen. Seinerzeit war das Buch des Club of Rome über "Die Grenzen des Wachstums" sehr verbreitet, und Menschen wie Robert Jungk und Heinz Brandt haben viele Fragen angestoßen. Diverse Katastrophen wie der havarierte Öltanker "Amoco Cadiz" in Frankreich, die Verschmutzung des Rheins oder die Chemiewerke, die in der Schweiz und in Italien explodiert sind, und vor allem das Unglück in Seveso, haben den Fortschrittsglauben über die Jahre hinweg immer wieder erschüttert. Als bekannt wurde, daß die Regierung den Bau mehrerer Aufbereitungsanlagen und neuer Atomkraftwerke plante, war die Skepsis in der Bevölkerung groß.

SB: Wie in dem Film "Unser gemeinsamer Widerstand" zu sehen war, gab es damals auch etliche linksradikale Gruppen, die sich an den Protesten beteiligt und auf die zunehmende Polizeigewalt mit Militanz reagiert haben. Wie würdest du aus deinen Erfahrungen heraus das Verhältnis zwischen der organisierten radikalen Linken und den im wesentlichen am Umweltschutz interessierten Aktivisten bewerten? Waren die linken Gruppen sehr einflußreich oder stellten sie eher eine Minderheit im Kreis der Kernkraftgegner dar?

HS: Ich war nie Mitglied einer politischen Gruppe, auch wenn es damals bei jungen Leuten und vor allem bei Studenten üblich war, daß man ein kritisches Verhältnis zum Staat und Gesellschaftssystem wie überhaupt zur Weltpolitik der westlichen Staaten hatte. Der wesentliche Unterschied bestand darin, daß die einen hierarchisch organisiert waren, während die anderen das Ganze lockerer und insbesondere undogmatischer gesehen haben.

SB: Hat es aus deiner Sicht so etwas wie eine klare Abgrenzung oder inhaltliche Differenzen gegeben, oder arbeitete man in der Sache im wesentlichen zusammen?

HS: Es gab schon Konflikte, beispielsweise mit der DKP oder dem MSB Spartakus. Diese hierarchischen Gruppen bekamen ihre Direktiven aus dem Osten, was in der Bundesrepublik durchaus zu Spannungen führte. Als die DKP den Auftrag erhielt, in der Bundesrepublik eine Veranstaltung zu organisieren, die deutlich machen sollte, daß das sozialistische Plutonium viel besser sei als das kapitalistische, war das schon ziemlich peinlich. Man hatte Mitleid mit den armen Kerlen, aber sie mußten es durchziehen. So gesehen hat es unter den verschiedenen Gruppen schon viel Streit gegeben.

SB: Warst du auch beim Hüttendorf in Gorleben dabei?

HS: Ja, ich wohnte dort in einem Haus mit einigen Aktivisten zusammen, die Verbindungen zum antimilitaristischen und Anti-AKW-Kampf in Frankreich unterhielten. Aus Solidaritätsgründen hatten wir Wein aus Frankreich importiert, daraus ist inzwischen der größte Weinhandel in Nordhessen geworden. Wir waren auch in Malville, wo viele ein Trauma erlitten.

SB: Wegen der massiven Polizeieinsätze?

HS: Ja, es gab dort einen Toten und viele Schwerverletzte. Einige haben echte psychische Probleme bekommen. Ich kenne sogar Leute, die anschließend das Land verlassen haben, weil sie nicht mehr in einem Staat leben konnten, in dem sie solche Erfahrungen machen mußten.

SB: Hast du während deiner Zeit in der Anti-AKW-Bewegung selbst konkrete Erfahrungen mit der Polizei gemacht, daß du beispielsweise in deiner Arbeit behindert wurdest?

HS: Ja, vor allem in der Anfangszeit hatte ich ziemlich heftige Probleme mit der Polizei gehabt. Da sind Sachen geschehen, die einem heute niemand mehr glauben würde. Momentan ist das Verhältnis zwischen Presse und Polizei in Deutschland alles in allem recht einvernehmlich, aber damals sind die Konflikte regelrecht eskaliert. Wenn ein gewisser Grad an Eskalation überschritten ist, gibt es von seiten der Polizei kein Halten mehr, dann ist alles möglich, auch ganz krasse Sachen.

SB: Selbst körperliche Gewalt?

HS: Es entspricht ja nicht dem Bild von normalen Polizisten, daß sie arme, harmlose Praktikanten auf dem Nachhauseweg überfallen und ihnen die Kameras und Tonbandgeräte klauen. So etwas ist mehrmals passiert.

SB: Gab es für dich so etwas wie einen Schlußpunkt in der Anti-AKW-Bewegung oder hat sich das aus deiner Sicht organisch weiter entwickelt?

HS: In letzter Zeit treffe ich häufig Leute, die darüber klagen, daß früher Hunderttausende nach Brokdorf gekommen sind, es jetzt aber mit der Anti-AKW-Bewegung bergab ginge. Es hat aber immer wieder Zyklen gegeben, wo weniger Leute gekommen sind, das Interesse dann aber wieder aufgelebt ist. Momentan ist es um die Bewegung trübe geworden, aber wahrscheinlich wird sie eines Tages wieder stärker werden.

SB: Für einen professionellen Fotografen ist es doch eigentlich ideal, auf dokumentarische Weise zur Aufklärung kritischer Entwicklungen beizutragen. Kannst du dein Anliegen in deiner Arbeit nach wie vor erkennen?

HS: Das sind zwei verschiedene Sachen; mit dem einen verdient man Geld und mit dem anderen verbindet man ein persönliches Interesse. Leider überschneiden sich diese beiden Felder im realen Leben meistens nicht. So war ich vor einiger Zeit in Kurdistan und habe die Kämpfe dort dokumentiert, aber solche Sachen lassen sich nicht gut verkaufen.

SB: Ist es nicht dennoch wichtig, diese Kämpfe in irgendeiner Weise der Welt zu vermitteln und bekannt zu machen, weil es den Menschen in Kurdistan vielleicht nützen würde, die sich in einer schwierigen Situation befinden?

HS: Ja, das sind so Sachen, die kaum Geld bringen, einem aber Freude machen. Vor wenigen Wochen habe ich einen Preis von einer Menschenrechtsorganisation in Mexiko überreicht bekommen. 2006 kam es dort zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Repressionen, die ich dokumentiert hatte. Daß mir diese Menschen den Preis verliehen, hat mir viel bedeutet. Normalerweise zieht man als Fotograf in exotische Länder und macht dort Fotos, und wenn man damit nach Hause zurückkehrt, heißt es, die Bilder sind gut, dafür kriegst du einen Preis. In diesem Fall war es jedoch so, daß die Menschen, die ich dokumentiert hatte, mir mit dem Preis vermittelten, daß meine Arbeit bedeutsam war. Auf diese Anerkennung bin ich durchaus stolz.

SB: Gibt es für einen professionellen Fotografen in Anbetracht der vielen Menschen, die heute Fotos machen oder sich gar als Bürgerreporter verstehen, überhaupt noch eine Zukunft oder die berufliche Aussicht, von seiner Arbeit leben zu können?

HS: Ich denke, das wird immer schwieriger, und nicht nur, weil heutzutage jeder mit dem Handy Fotos machen kann. Wir waren früher Spezialisten und wußten, wie man in der Dunkelkammer arbeitet. Wir haben damals die Fotos noch selber bearbeiten müssen. Das war im gewissen Sinne auch ein Geheimwissen. Deswegen wurden wir ganz anders hofiert. Wenn ich in den 80er Jahren beim Stern anrief und ihnen mitteilte, daß ich etwas fotografiert hatte, war es noch so, daß sie einen Fahrer vorbeischickten, um die Fotos bei mir abzuholen. Der Stern hat sich die Bilder dann angeschaut und allein dafür 300 Mark überwiesen. Der Fahrer hat die Fotos dann wieder zurückgebracht und noch eine Packung mit 50 Schwarzweißfilmen hinzugelegt.

SB: Heute bieten Bildagenturen Material von allen möglichen Quellen an. Kannst du dein Material überhaupt noch ohne eine Agentur auf den Markt bringen?

HS: Die meisten Agenturen, die ich kenne, sind pleite. Die Bilder in Zeitungen kommen in der Regel von einigen wenigen oder ganz großen Agenturen. Das ist ein echtes Problem, weil sie damit ein Meinungsmonopol besitzen. Wenn dpa eine Geschichte verbreitet, die von allen kostenlos abgedruckt wird, sehe ich darin durchaus eine Gefahr. Die Staatsnähe dieser Konzernagenturen ist sehr groß. Bereits in den 80er und 90er Jahren gab es starke Hinweise auf eine Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und großen Agenturen. Wenn ich jetzt eine Geschichte über einen staatlichen Übergriff in der Türkei anbiete, dann wird bei der Redaktion angefragt, ob dpa auch darüber berichtet hat, wenn nicht, erscheint der Bericht unglaubwürdig. Die Leute haben Angst, etwas zu drucken, was nicht durch die großen Agenturen abgesegnet ist.

SB: Ich möchte noch einmal auf deine Reise nach Kurdistan zurückkommen: Handelte es sich dabei um eine Auftragsarbeit, oder bist du eher aus persönlichem Interesse dorthin gefahren?

HS: Eher aus persönlichem Interesse. Ich bin öfter mit Menschenrechtsdelegationen unterwegs, zuletzt auch als Wahlbeobachter. Kurdistan ist eine umkämpfte Region, in der es beispielsweise während des Newroz-Festes des öfteren zu Übergriffen des Staates kommt. In den letzten Monaten ist Kurdistan durch eine Reihe massiver Ausgangssperren zum Krisengebiet geworden. Ausgangssperre klingt harmlos. In Deutschland hieß das, daß man ab zehn Uhr abends nicht mehr nach draußen gehen durfte. Die Ausgangssperren, die dort verhängt werden, sind anders. Sie laufen 24 Stunden und gehen über drei, vier Wochen. Wenn jemand seine Tauben auf dem Dachboden füttern will und seinen Kopf aus der Dachluke steckt, kann es geschehen, daß auf ihn geschossen wird. Das ist vor kurzem passiert. Der Mann wurde schwer verletzt, aber der Krankenwagen konnte wegen der Ausgangssperre nicht kommen. Solche Ereignisse müßten eigentlich in einem viel größeren Ausmaß öffentlich gemacht werden. Wenn so etwas in Kuba oder Venezuela passieren würde, wäre der Aufschrei groß.

SB: Du warst in einem Brennpunkt des nahöstlichen Krisengeschehens, und gerade das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Türkei erhält viel Aufmerksamkeit in den Medien. Im Grunde müßte man vermuten, daß sich die Redaktionen um Bilder oder Berichte aus dieser Region geradezu reißen.

HS: Solche Berichte werden nur sehr vereinzelt abgedruckt.

SB: Wie erklärst du dir das?

HS: Es gibt Dinge, die sich gut verkaufen lassen, weil sie im Trend liegen, während andere Dinge kaum Erwähnung finden. Das liegt nicht selten an den vorgefaßten Meinungen, die man sich über die Konflikte in dieser Region macht. Artikel, die diesen Vorstellungen entsprechen, haben es leicht, aber jede Geschichte, die ihnen widerspricht, gilt als fragwürdig. Nach den Aufgaben der Presse, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind, müßte es eigentlich andersherum sein. Die Presse hat ja einen grundgesetzlichen Auftrag.

SB: War die Arbeit in der Türkei für dich gefährlich, drohten dir eventuell selber Repressionen durch die türkischen Behörden?

HS: Ich werde öfter gefragt, ob ich Angst habe, wenn es dort härter abgeht. Aber wie kann ich mir Gedanken um meine Sicherheit machen, wenn die Menschen dort viel gefährdeter sind? Manchmal kann der Nachbar zum Feind werden, wenn er einen bei der Polizei denunziert. Sie können nicht weg, wenn es zu gefährlich wird, ich schon. Entweder kann ich abhauen oder werde abgeschoben.

SB: Hinrich, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] Internetauftritt Hinrich Schultze
http://www.dokumentarfoto.de/

[2] http://st.pauli-news.de/tageslicht/mit-der-kamera-auf-dem-alten-kiez-1/


Zur Filmvorführung "Unser gemeinsamer Widerstand" am 14. Januar 2016 im Altonaer Museum unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/110: Aus berufenem Mund - Ein fundamentaler Konflikt ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0110.html

INTERVIEW/197: Aus berufenem Mund - Anti-AKW, der Widerstand ...    Dieter Kröger im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri-197.html

INTERVIEW/198: Aus berufenem Mund - wir wollten viel mehr ...    Friedemann Ohms im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0198.html

INTERVIEW/199: Aus berufenem Mund - gegen den Strich ...    Antje Kröger-Voss im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0198.html

9. Februar 2016


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