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INTERVIEW/191: Hambacher Forst - Vita meines Widerstands ...    Aktivistin Wanda im Gespräch (SB)


"Wir wollen nicht mehr mit dem Zwang leben, daß die Braunkohle gebraucht wird"

Interview mit der Aktivistin Wanda im Rahmen einer Führung durch den Hambacher Forst am 14. Juni 2015


Seit Jahren wird der jungen Generation Politikverdrossenheit attestiert, weil viele nicht zu Wahlen gehen, sich in keinen politischen Parteien engagieren oder angeblich nicht an politischen Fragen interessiert sind. Solche Einschätzungen verweisen, vor allem wenn sie von Leuten verbreitet werden, die selber in etablierten Positionen sitzen, auf eine sehr bequeme Sichtweise. Zum einen sind die jungen Menschen ein familiäres, schulisches und allgemein gesellschaftliches Produkt eben jener Generation, die sich nun über ihre angebliche Politikverdrossenheit beklagt. Zum anderen kann sich politisches Engagement auch auf eine Weise ausdrücken, die von den ausgetretenen Wegen abweicht.


Seile, die zu einem Baumwipfel hochführen, und Plakat im Baum mit Aufschrift 'Wald statt Kohle' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Ausgetretene Wege verlassen, um etwas gegen die globale Erwärmung zu machen ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

So fordern zwar Politik, Umweltverbände und Wissenschaftler regelmäßig zu einer Änderung des individuellen Konsumverhaltens auf. Aber wenn junge Menschen kein Fleisch und keine Tierprodukte essen, containern gehen (das heißt, ihr Essen aus den Abfallcontainern von Supermärkten holen) oder sich entschieden und teils unter Einsatz ihres Körpers gegen Technologien wenden, die nur auf der Basis extremer Naturzerstörung funktionieren, dann werden sie mitunter als "Spinner" oder "Chaoten" verunglimpft. Das mußten und müssen auch die Besetzerinnen und Besetzer der verbliebenen Restwaldfläche des Hambacher Forsts im Rheinland erleben. Seit mehreren Jahren versuchen sie, die weitere Rodung dieses uralten Walds, der dem Braunkohletagebau Hambach geopfert wird, zu verhindern. Schon mehrmals wurden sie von der Polizei geräumt, was sie jedoch nicht abgehalten hat, an ihrem Ziel festzuhalten.

Die Besetzerinnen und Besetzer leben sowohl im Hambacher Forst selbst als auch auf einer Wiese am Waldrand, die dem Steuerberater Kurt Claßen aus der nahegelegenen Stadt Buir gehört. Jenes Wiesen-Camp wird regelmäßig von dem Waldpädagogen Michael Zobel angesteuert, der einmal im Monat eine Führung durch den Hambacher Forst veranstaltet und dabei über die Braunkohleproblematik informiert. Am 14. Juni nahm der Schattenblick an einer solchen Führung teil [1] und sprach im Wiesen-Camp mit einer Besetzerin namens Wanda.


Bauwagen, Hütten und Zelte am Waldrand - Foto: © 2015 by Schattenblick

Wiesen-Camp der Braunkohlegegnerinnen und -gegner
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Wie lange bist du schon hier im Camp und was hat dich motiviert, dich in diese - normalerweise würde man sagen - gesellschaftlich unsicheren Verhältnisse zu begeben?

Wanda (W): Ich bin seit September letzten Jahres hier, also länger als ein halbes Jahr. Zunächst waren einige Freundinnen und Freunde hierhergegangen, haben mir immer wieder davon erzählt, natürlich auch vom Braunkohlewiderstand. Vorher war ich eher in der Antiatomkraftszene aktiv und hatte Braunkohle überhaupt nicht auf dem Schirm, was wohl den meisten so geht. Aber durch die Leute, die mir davon und auch von dem riesigen Loch, das für die Braunkohle gegraben wird, erzählten, habe ich mir überlegt, auch einmal hierherzukommen. Eigentlich wollte ich nur mal kurz vorbeischauen und dann mit dem Rucksack weiterreisen. Dann bin ich aber geblieben, habe mich weiter engagiert und mich in Gruppenprozesse reinbegeben. So hat sich das entwickelt.

SB: Erhaltet ihr hier im Camp auch Besuch von Anwohnern?

W: Wenn Anwohner hierherkommen, dann ist die Stimmung meistens super positiv, weil das eben genau die Leute sind, die aufgeschlossen sind. Die Leute, die uns kritisieren und uns nicht mögen oder uns sogar hassen, die kommen gar nicht erst. Das ist schade, weil dann keine offenen Diskussionen ausgetragen werden können. Wir kriegen eigentlich öfter Besuch, vor allem am Wochenende, dann trinken wir zusammen Tee, reden und erzählen. Und die Leute sagen Dinge wie: "Boah, kraß, wir dachten wir kommen hierher und werden verprügelt!" Und wir sagen dann: "Nee, sowas machen wir nicht!"

SB: Woher haben die Leute diesen Eindruck?

W: Aus der Presse.

SB: Wird das in der Presse so verbreitet, daß ihr den Leuten etwas tut?

W: Auf jeden Fall, ja. Vor allem, weil wir uns auch vermummen und beispielsweise in Camouflage durch den Wald laufen. Die Vermummung hat damit zu tun, daß wir nicht erkannt werden wollen, sollten wir fotografiert werden. Viele Leute haben allein aufgrund von Fotografien Repressionen durch RWE und Polizei erfahren. Das ist ein Problem, davor wollen wir uns schützen. Die Camouflage ist einfach superpraktisch, wenn man sich verstecken will. In der Presse werden Trugbilder geschaffen, damit die Bevölkerung sich gegen uns wendet.

SB: Kommt die Security auch in den Wald?

W: Ja, es gibt mehrere Security-Firmen, die hier Streife fahren. Auf dieser Seite der Autobahn sind sie nicht so aktiv, weil das - in ganz dicken Anführungszeichen - "unser Revier" ist. Aber vor allem auf der Autobahn und dahinter patrouillieren sie ziemlich oft, und man sieht sie immer wieder im Wald, auch mit Hunden, wie sie unter den Baumhäusern entlangstreichen und gucken, ob sie Seile abschneiden können. Tatsächlich werden sie immer aggressiver. Wir hatten jetzt schon mehrere Zusammenstöße mit ihnen, bei denen Leute auch geschlagen wurden und mit Pfefferspray um sich gesprüht wurde. Letztens wurde bei einem Skill-sharing-Camp eine Spaziergängerin festgenommen, die beschuldigt wurde, sie wolle einen Bagger besetzen. Solche Geschichten erfahren wir immer wieder und machen mir auch angst.


Geländewagen auf Betriebsweg, im Hintergrund ragt Braunkohlebagger über Abbruchkante des Tagebaus Hambach hinaus - Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Security ist allgegenwärtig - Schutz für einen zerstörerischen Lebensstil
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Und wie verhält es sich hier im Camp - ist da ebenfalls schon die Security oder die Polizei aufgetaucht?

W: Ja, wir hatten Besuch von einem Security-Chef, der meinte, er wollte sich das einfach mal angucken. Das fand ich sogar ziemlich gut. Ich weiß allerdings nicht, was die Intention dahinter war. Polizei ist hier auch schon öfter mal aufgekreuzt, Durchsuchungen gab es ebenfalls. Ich selbst habe nie eine mitbekommen. Seit ich hier bin, gab es auch erst eine.

SB: Kurt Claßen, dem das Grundstück gehört und der euch das zur Verfügung gestellt hat, hat ja deswegen Probleme bekommen und ist wegen Ordnungswidrigkeit verklagt worden. Da war es wohl um die sogenannten festen Bauten, die hier stehen, gegangen. Was weißt du über den Stand der rechtlichen Lage?

W: Vor einigen Wochen gab es einen Prozeß, bei dem entschieden wurde, daß das Wiesencamp geräumt werden muß, weil unsere Bauten unrechtmäßig, sprich: ohne Baugenehmigung, errichtet wurden. Auf diese Weise wird versucht, das Camp verschwinden zu lassen. Denn wir sind RWE natürlich ein Dorn im Auge. Der Kurt Claßen erfährt eine Menge Repressionen, er ist auch schon ziemlich fertig. Er kämpft aber trotzdem noch für uns und sagt, das sei unser Ding und daß wir hier geduldet sind. Ursprünglich hatten wir die Wiese ja besetzt, sie ist aber von ihm aufgekauft worden, bevor RWE sie sich schnappen konnte. Seitdem duldet er uns hier. Soviel ich weiß, will Kurt in Berufung gehen und sich auf jeden Fall bemühen, daß wir das Camp möglichst lange halten können.

SB: Kann man sagen, daß ihr noch relativ geschützt seid, solange das Rechtsverfahren läuft?

W: Ja, geschützt in ganz dicken Anführungszeichen. Die Polizei kann hier jeden Tag aufkreuzen und alles durchsuchen. Das machen sie supergerne. Ich bereite mich mental ein bißchen darauf vor, mein gesamtes Leben in den Wald zu verlagern, was ich mir durchaus sehr gut vorstellen kann. Natürlich haben wir hier auf der Wiese eine schöne Basis mit den Wohnwagen, in denen wir wohnen können, wir können hier unser Material lagern, es können Leute herkommen. Es wäre schade, wenn all das verschwinden würde, und natürlich auch ein harter Schlag.

SB: Das ganze zu legalisieren und daraus eine Art Ferien-Wohnwagensiedlung samt Baugenehmigung zu machen würde vermutlich nicht funktionieren, oder?

W: Ich glaube nicht. Selbst wenn wir uns auf diesen Rechtsweg begeben würden, würde das hier auf sehr viel Widerstand stoßen, denn das ist schon ein anarchistisch geprägtes Camp. Das bedeutet, es wird einfach darauf geachtet und so gebaut, daß es stabil ist und hält, was dann ganz allein unsere Verantwortung ist. Dafür wollen wir nicht irgendwelche Genehmigungen einholen, die dann ewig dauern und dann wahrscheinlich sowieso nicht erteilt werden. Die haben uns ja alle auf dem Schirm und wissen, wer wir sind. Die haben eher die Richtung eingeschlagen, uns die Sache zu erschweren.


Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Führung im Wald zwischen riesigen Bäumen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Bäume lebten schon lange auf der Erde, bevor es Menschen gab
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Ganz allgemein gefragt: Habt ihr euch schon überlegt, was ihr macht, sollte das Camp geräumt werden?

W: Klar, vor dem Prozeß haben wir natürlich immer wieder große Besprechungen gehabt, wie wir Kurt helfen können und was wir gegen eine Räumung tun wollen. Da haben alle Einzelpersonen ihre ganz eigenen Pläne.

SB: Was sicherlich ein gewisser Schutz ist.

W: Definitiv. Das macht das ganze undurchsichtiger. Wenn die Polizei kommt, heißt es gleich: "Wer ist denn hier jetzt der Chef?" Und dann sagen wir: "Es gibt keinen Chef, wir sind eigenorganisiert." Es ist immer schön einfach, sich eine Person rauszupicken, die dann der Chef ist, aber das funktioniert nicht, wir sind Einzelpersonen, die ganz in ihrem eigenen Interesse handeln und dennoch auf die anderen achten. Das funktioniert gut.

Eine Camp-Besucherin, die dem Gespräch zugehört hat, wirft ein: Könnte man nicht das Personal von RWE noch für sich gewinnen? Die tun ja etwas, was ihnen eigentlich innerlich total widersprechen muß. Die tun das ja nur, um Geld zu verdienen, um selber am Leben zu bleiben, aber die graben sich auch gleichzeitig die Luft ab. Ich finde, das ist alles so widersprüchlich.

W: Das wird von RWE bewußt so gemacht, daß es sich alle Leute aus der Umgebung ranholt. Dieser Tagebau ist natürlich ein riesiges Konstrukt, hinter dem viele Arbeitsstellen stecken, die besetzt werden. Damit werben sie ja auch: "Wir geben den Leuten Arbeit." Tatsächlich gibt es relativ viele SympathisantInnen, die sich auch mit uns solidarisieren, aber ebenfalls sagen: "Ey, ich muß meine Familie ernähren. Es geht nicht anders." Die schließen manchmal Verträge ab, die sie für Jahre binden. Das ist eine sehr vertrackte Situation.

Wir sind natürlich auch alle in einer voll privilegierten Position, daß wir einfach sagen können: "Alles klar, wir leben jetzt hier, wir holen uns das Essen aus dem Container." Das ist einfach ein Privileg, das andere Menschen natürlich nicht haben.

SB: Stellst du dir über den Widerstand gegen Braunkohle hinausgehend die Frage, wie die Menschen überhaupt leben sollten?

W: Definitiv. Wenn der Kapitalismus weiter wie bisher existiert, dann brauchen wir die Braunkohle, das ist halt so. Es wird ja immer wieder das Argument vorgebracht: "Wir brauchen doch den Strom! Wir müssen doch dies und wir müssen das ..." Aber mir und, das kann ich wohl so sagen, auch den anderen im Camp geht es um einen kompletten Umbau der gesamten Gesellschaft. Wir wollen nicht mehr mit dem Zwang leben, daß die Braunkohle gebraucht wird. Wir müssen einfach effizienter und energiesparender leben. Das ist möglich. Wir haben hier Solarstrom, das ist eine Umstellung, ein ganz anderes Leben. Als ich noch in der Stadt wohnte, habe ich jeden Tag geduscht. Das mache ich jetzt natürlich nicht mehr. Daran mußte ich mich auch erst einmal gewöhnen, aber es funktioniert.

Und wenn ich ins Internet gehe, mache ich nur die nötigsten Sachen, weil der Strom für etwas anderes gebraucht wird. Das schafft auch ein ganz anderes Bewußtsein. Einfach den ganzen Tag draußen zu sein, wirklich die ganze Zeit, das verändert einen total stark und läßt einen ganz anders bewußt werden über unseren Konsum ... überhaupt über alles.


Solarkocher im Wiesen-Camp - Foto: © 2015 by Schattenblick

Man muß sich umstellen, aber es funktioniert ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Man hört oft von Leuten: Man kann sowieso nichts gegen den Tagebau machen, der Widerstand hat doch keinen Zweck. Wie gehst du mit dieser Schicksalsgläubigkeit um?

W: Auch ich habe manchmal diese Gedanken, und ich glaube, das gilt für alle hier. Dann mache ich irgendeine Aktion oder gehe auf die Baumhäuser, blockiere irgend etwas, und dann habe ich das Gefühl, doch etwas zu tun. Zum Beispiel die Baggerbesetzung am Wochenende. Das waren vier Leute, die da raufgeklettert sind und diesen Bagger für 55 Stunden aufgehalten haben. Das war ihr einziger Plan, es war also unglaublich einfach, etwas zu machen. Und dafür gibt es unheimlich viele Wege.

Ich könnte mich nicht ausruhen und denken, in soundsoviel Jahren bin ich sowieso tot, dann kriege ich dieses ganze CO2-Zeugs nicht mehr mit. Das finde ich einfach unfair, und es gibt ganz andere Möglichkeiten, mit dieser Erde umzugehen. Irgendwie sehe ich da keinen anderen Weg drumherum, außer dafür zu kämpfen. Ich sehe keine andere Möglichkeit, außer mich und das, was ich habe, sprich: meinen Körper, dagegenzustellen. Und das in den Formen, die ich für möglich halte und die mich psychisch nicht komplett fertigmachen. Irgendwo einfach rumzusitzen, könnte ich eigentlich nicht mehr.

Deswegen bin ich hier mit Leuten, die zusammenarbeiten, und versuche, wenigstens ein bißchen was zu bewegen oder zumindest Aufmerksamkeit dafür zu schaffen. Das fühlt sich einfach gut und irgendwie richtig an. Es könnte noch viel mehr sein. Aber darauf, was ich noch machen könnte, arbeite ich mich langsam zu.

SB: Vielen Dank für die offenen Worte.


Selbstgemaltes Bild mit zwei außerirdischen Tentakelwesen im Raumschiff außerhalb der Erde, auf der ein RWE-Bagger ein riesiges Loch gräbt. In der Sprechblase eines der Wesen heißt es: '?M/_y^a#${l'. Und in der mitgelieferten Übersetzung: 'SCHAU DIR DIESE PRIMITIVEN ERDLINGE AN WIE SIE DEN PLANETEN ZERSTÖREN ...' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Man kann ganz anders mit dieser Erde umgehen ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

Fußnote:

[1] Näheres dazu unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT:
BERICHT/103: Hambacher Forst - Kehrwald voran ... (1) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0103.html

16. Juli 2015


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