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INTERVIEW/189: Waldvorräte, Kolonien - den Teufel mit dem Beelzebub ...    Joseph Ole Simel im Gespräch (SB)


Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker

Tagung des Vereins INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie und des Klima-Bündnisses am 12. Juni 2015 im LVR LandesMuseum Bonn

Joseph Ole Simel über den schonenden Umgang mit Wäldern durch Hirtengemeinschaften und daß, sobald kommerzielle Interessen dominieren, traditionelle Anliegen der Indigenen auf verstopfte Ohren stoßen - selbst bei der Finanzierung internationaler Klimaschutzmaßnahmen


Vom Klimawandel werden nicht alle Menschen in gleichem Maße heimgesucht. Indigene Gemeinschaften, die in marginalisierten Gebieten leben und zudem in politischer Hinsicht marginalisiert sind, werden härter getroffen, sagt Joseph Ole Simel aus Kenia. Die Vermeidung des Klimawandels (Mitigation) und die Anpassung an den Klimawandel (Adaptation) erfordern viel Geld, doch hätten sogenannte Klimafonds keine oder nur unzureichende Menschenrechtsstandards, kritisiert der Leiter der Mainyoito Pastoralist Integrated Development Organization (MPIDO), einer in Kenia ansässigen Nichtregierungsorganisation, die sich für die Interessen von Hirtengemeinschaften einsetzt. Ole Simel, der selbst vom Volk der Massai stammt, hielt auf der Fachtagung "Wird der Wald für den Klimaschutz verheizt? Die Ressource Wald im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen und die Vorschläge indigener Völker", die am 12. Juni 2015 vom Verein INFOE - Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie und dem Klima-Bündnis organisiert wurde, einen Vortrag zu dem häufig vernachlässigten Problem der sozialen Auswirkungen von kapitalintensiven Klimaschutzmaßnahmen. [1]


Joseph Ole Simel beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Die UN-Deklaration zum Recht der Indigenen muß eine Säule sein, ein Mindeststandard, in dem Klimaschutzprojekte durchgeführt werden."
(Joseph Ole Simel, 12. Juni 2015, Bonn)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Die Problematik erläuterte er an zwei Beispielen zu Klimaschutzprojekten, die im Rahmen von Kenias "Vision 2030" mit Hilfe internationaler Unterstützung verwirklicht werden sollen. Da nur 22 Prozent der 44 Millionen Einwohner Zugang zu elektrischer Energie haben, bildet die Stärkung der Energieversorgung eine der Säulen der zukünftigen Politikgestaltung. Bis zum Jahr 2030 will die Regierung Kenia zu einem Land mittleren Einkommens transformieren.

Ole Simels erstes Beispiel betrifft den Ausbau der Geothermie. So mündete der Bau einer Reihe von geothermischen Kraftwerken in Olkaria, das als CDM-Projekt [2] anerkannt ist und von der deutschen Bundesregierung über die KfW Entwicklungsbank mitfinanziert wird, in einen Konflikt zwischen der örtlichen Bevölkerung und der Polizei, der schließlich in der gewaltsamen Vertreibung der Einheimischen mündete. Einrichtungen wie die von Frauen betriebene Posho-Mühle wurden niedergebrannt. Kenia hat weitere Erdwärmeprojekte geplant. Bis 2030 soll eine Geothermie-Kraftwerksleistung von 5.530 MW installiert sein. Dann wird das Land hierüber voraussichtlich mehr als 25 Prozent seines elektrischen Energiebedarfs abdecken.

Auch in einem Gebiet am Turkanasee, in dem ein riesiger Windpark entsteht, für den Investoren aus der Europäischen Union schon mehrere hundert Millionen Euro bezahlt haben, leben Menschen, die nicht gefragt wurden, ob sie mit dem Bau einverstanden sind. Eine Klage gegen den Turkana-Windpark ist noch vor dem Obersten Gericht Kenias anhängig. Der Turkana-Windpark soll aus 365 Windrädern mit einer Nennleistung von je 850 KW bestehen und sich über eine Fläche von 160 km² verteilen. (Vergangene Woche meldete "Standard Digital", daß Kenias Präsident Uhuru Kenyatta in Sarima, Marsabit County, den ersten Spatenstich für dieses größte Windparkprojekt Afrikas gesetzt hat. [3])

In beiden Projekten seien die Interessen der Einheimischen nicht berücksichtigt worden, berichtete Ole Simel. Die indigenen Gemeinschaften hätten überhaupt nichts gegen Adaptation und Mitigation als Klimaschutzmaßnahme, aber da sie das Land nutzen würden, forderten sie, daß ihr Recht gewahrt wird und man sich mit ihnen einigt. Die UN-Deklaration zum Recht der Indigenen müsse Mindeststandard sein, in dem solche Projekte durchgeführt werden. Wald- und Klimaschutzkonzepte, die unter dem Stichwort REDD und REDD+ [4] firmierten, würden einen Schutz der Indigenen vorsehen, ob dieser auch gewährleistet werde, wenn im Dezember auf der UN-Klimakonferenz in Paris verhandelt wird, sei für ihn noch offen.

Am Rande der Tagung ergab sich für den Schattenblick die Gelegenheit, mit weiteren Fragen insbesondere zur Problematik der Landverteilung in Kenia nachzufassen.

Schattenblick (SB): Im Unterschied zu Kenias Mau-Wald fand noch keine ausgeprägte Besiedlung des Loita-Walds, den Sie erwähnten, statt. Woran liegt das?

Joseph Ole Simel (JOS): Weil die dort heimischen Communities ein traditionelles System etabliert haben, nach dem es den Menschen untersagt ist, in den Wald zu gehen. Würden sie sich nicht daran halten, würden sie und ihr Vieh alles zertrampeln. Deshalb halten wir uns an das von den Massai eingeführte, traditionelle Nutzungssystem, das der Bewahrung des Loita-Walds gerecht wird. Nach diesen Bestimmungen darf man ihn nur während der Trockenzeit betreten. Was den Mau-Wald betrifft, so wollten sich Regierungsbeamte das Waldgebiet aneignen, als sie die Menschen ermunterten, sich dort anzusiedeln.

SB: Das war also eine bewußte Strategie?

JOS: Ganz genau, eine Strategie. Sie haben den Wald für die Leute freigegeben, um ihn sich anschließend anzueignen.

SB: Und das irgendwann mit dem Argument, daß es jetzt aber zu viele Menschen geworden sind, sie den Wald zerstören würden und ihn deshalb verlassen müßten?

JOS: Richtig. Etwas später existierte der Wald größtenteils nicht mehr. Es gibt dort jetzt etliche Teeplantagen und Fabriken, aber die gehören nicht der örtlichen Bevölkerung, sondern großen Leuten aus der Hauptstadt, einflußreichen Politikern.

Der Grund, warum man den Leuten gesagt hat, sie dürften den Wald betreten, ist folgender: Der Mau-Wald ist sozusagen ein Wasserturm. Das Wasser fließt von dort in den Naivashasee, den Nakurusee, den Wildpark Maasai Mara und zahlreiche Flüsse. Sie alle werden vom Mau-Wald gespeist. Als aber große Flächen entwaldet wurden und alles zerstört war, hat es aufgehört zu regnen. Prompt setzte ein Aufschrei ein. Alle fingen an zu jammern. Und deshalb wurden die Leute aufgefordert: Ihr müßt den Wald verlassen, geht da raus! Aber das ging von den gleichen Leuten aus, die den Menschen zuvor gesagt hatten, sie dürften den Wald betreten.

Die indigenen Gemeinschaften hingegen leben gar nicht im Wald. Sie gehen nur am Tag hinein und verlassen ihn am Abend wieder. Sie wissen, daß sie da nicht wohnen sollten, weil das den Wald ansonsten zerstören würde. Was ja auch mit dem Mau-Wald geschehen ist.

SB: Der längste Fluß Kenias ist der Tana. Vor einigen Jahren wurde berichtet, daß in dessen Delta eine große Plantage errichtet werden sollte. Ist es dazu gekommen?

JOS: Ja, der Regierung von Katar wurde eine riesige Agrarfläche zugesprochen, auf der sie Nahrung für die eigene Bevölkerung produzieren kann. Doch von jeher hatten indigene Hirtenvölker das Tana-Delta genutzt. Nun wurden sie von ihrem eigenen Land vertrieben. Das ist eine neue Form von Land Grabbing. Sie geht von verschiedenen Akteuren aus, teils ausländischen Regierungen, teils Unternehmen. Das bereitet uns Sorgen, ja, sehr, sehr große Sorgen.

SB: Sie begründeten in Ihrem Vortrag den Schutz des Waldes unter anderem mit spirituellen Aspekten. Glauben Sie, daß die Befürworter der Klimaschutzmaßnahme REDD+ beispielsweise in den westlichen Regierungen oder in den Chefetagen wirtschaftlicher Schwergewichte begreifen, was Sie mit "spirituellen" Aspekten meinen?

JOS: Einige von ihnen werden es schon verstehen, die größere Anzahl eher nicht, weil sie andere, kommerzielle Interessen verfolgt. Und wer davon geleitet wird, lehnt es ab, auch nur zuzuhören. Er wird sich dem verweigern, was offensichtlich ist. Sobald das Moment des kommerziellen Interesses im Vordergrund steht, hören sie nicht mehr zu. Aber eine kleine Zahl von Leuten wird zuhören.

SB: Sie sprachen über Kenias Vision 2030 und den hohen Stellenwert, den die Energieversorgung dabei einnimmt. Aber Sie erwähnten nicht den Wunsch von Kenias Regierung, Atomenergie zu generieren. Existieren solche Pläne noch oder sind sie vom Tisch?

JOS: Darüber wird viel debattiert. Ich kenne aber die Details nicht, was, wo, wann gebaut werden soll. Deshalb habe ich nicht darüber gesprochen. Die Regierung arbeitet zur Zeit an Entwürfen und stellt Überlegungen an, wie sie Ressourcen dafür erschließen kann.

SB: Wie Sie berichteten, sind Energieprojekte manchmal flächenintensiv, was zu Konflikten insbesondere mit den Hirten führt. Werden Hirtengemeinschaften wie die der Massai seitens der Regierung hinsichtlich der Landnutzung und Landrechte unterstützt?

JOS: Nicht genügend, obgleich wir eine neue Verfassung haben. Mit ihr wurde eine neue nationale Kommission für Landfragen ins Leben gerufen, die für die Vergabe von Land verantwortlich zeichnet. Mein Eindruck ist, daß sich die Dinge zum besseren wenden. Außerdem haben wir seit wenigen Jahren eine Koalitionsregierung, die sich ernsthafter mit der Landnutzungsfrage befaßt. Ich rechne damit, daß die Pläne der Regierung auch für die Hirtenvölker besser ausfallen werden.

SB: Kenia befindet sich in einem militärischen Konflikt mit Gruppen in Somalia. Die Organisation Al-Shabaab hat vor wenigen Monaten in der kenianischen Universitätsstadt Garissa unter den Studierenden ein Blutbad angerichtet. Die Regierung hat daraufhin ein hartes Vorgehen gegen diese Gruppierung angekündigt. Glauben Sie, daß sich diese Härte auch auf andere, innere Konflikte Kenias und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen auswirken wird?

JOS: Das könnte sein. Die meisten Kenianer betrachten den Konflikt in Somalia als religiös begründet. Der Islam in Somalia gegen das Christentum. Diese Spannung existiert, wenngleich unterschwellig. Wird die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen durch diesen Konflikt erschwert? Nun, man hat versucht, einige NGOs mit Terrorismus in Verbindung zu bringen. Die heutige Regierung hat nicht viel Vertrauen in NGOs, weil diese über Menschenrechte sprechen - man darf nicht vergessen, daß sich der heutige Präsident, Uhuru Kenyatta, vor dem Internationalen Strafgerichtshof ICC verantworten muß. Die Regierung denkt, daß die NGOs in dieser Frage einigen Druck aufbauen. Aber das gilt eben nicht für alle, sie werden deshalb auch nicht über einen Kamm geschoren.

SB: Gibt es in Kenia irgendein Klimaschutzprojekt, von dem Sie sagen würden, daß da die Bevölkerung in einem positiven Sinne mit eingebunden wurde, oder ist es bisher immer so gelaufen wie beim Turkana-Windpark und der Geothermie?

JOS: Es hat einmal einen Versuch gegeben, mehrere Gemeinschaften in ein Wasserprojekt mit einzubeziehen. Aber das hat nicht geklappt. Ich würde sagen, bisher gibt es keine positiven Vorbilder. Es ist immer auf eine Form von Land Grabbing hinausgelaufen.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:


[1] Zu der Fachtagung sind bisher unter
INFOPOOL → UMWELT → REPORT
mit dem kategorischen Titel "Waldvorräte, Kolonien" erschienen:

BERICHT/102: Waldvorräte, Kolonien - Beutespiel mit Lebensraum ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umrb0102.html

INTERVIEW/187: Waldvorräte, Kolonien - geben und nehmen ... Josien Aloema Tokoe im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0187.html

INTERVIEW/188: Waldvorräte, Kolonien - die letzten Wächter ... Thomas Fatheuer im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0187.html

[2] CDM steht für Clean Development Mechanism (Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung) und bedeutet, daß im Rahmen von internationalen Klimaschutzmaßnahmen Industriestaaten nicht die von ihnen produzierten CO2-Emissionen reduzieren müssen, wenn deren Äquivalent andernorts vermieden werden kann, beispielsweise durch die Förderung von sogenannten regenerativen Energien in Entwicklungsländern.

[3] http://www.standardmedia.co.ke/article/2000167839/president-uhuru-kenyatta-breaks-ground-for-sh70b-wind-power-project-africa-s-biggest

[4] Das Akronym REDD, bzw. die erweiterte Form REDD+ bedeutet: Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation and the role of conservation, sustainable management of forests and enhancement of forest carbon stocks in developing countries, z. Dt.: Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung sowie die Rolle der Bewahrung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wald und dessen Ausbau als Kohlenstoffspeicher in Entwicklungsländern.

7. Juli 2015


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