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INTERVIEW/159: Klimarunde, Fragestunde - Am Rande der Wissenschaften ...    Dr. Cush Ngonzo Luwesi im Gespräch (SB)


Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions

Scandic Hotel, Berlin, 18. - 21. August 2014

Dr. Cush Ngonzo Luwesi über vernachlässigte Variablen in Klimasimulationen, den potentiellen Widerspruch zwischen globalen und regionalen Modellen und die Probleme, die sich aus der Waldnutzung in seiner Heimat Kenia ergeben



Selbstverständlich haben nicht nur unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen innerhalb eines Landes ein starkes Interesse an Geoengineering, sondern auch Menschen aus den verschiedenen Weltregionen. So waren auf der Climate Engineering Conference 2014, die das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) vom 18. bis 21. August in Berlin organisiert hat, alle Kontinente, mit Ausnahme der Antarktis, vertreten.

Die voranschreitende globale Erwärmung betrifft jeden, wenn auch unterschiedlich hart. Wohlhabende Länder und, innerhalb eines Landes, die wohlhabenderen Einwohner verfügen in der Regel über bessere Möglichkeiten, mit den Folgen des Klimawandels zurechtzukommen. Einem Land wie Kenia beispielsweise stehen enorme Herausforderungen bevor. Bereits heute herrscht in seinem Nordosten extreme Trockenheit. Immer wenn im Nachbarland Somalia dürrebedingte Hungerkrisen entstehen, von denen hin und wieder auch hiesige Medien berichten, ist Kenia kaum weniger betroffen. Manchmal steht aber auch fast das ganze Land unter Wasser, was ebenso problematisch ist und schon viele Opfer gefordert hat.

Am Rande der Climate Engineering Conference ergab sich die Gelegenheit für ein Interview mit dem kenianischen Wissenschaftler Dr. Cush Ngonzo Luwesi, der die Lage in seinem Land natürlich sehr genau kennt. Er lehrt in der Abteilung für Geographie der Kenyatta-Universität und hat schon zahlreiche Forschungsarbeiten zum Thema Wasser veröffentlicht. [1]

Beim Interview - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dr. Cush Ngonzo Luwesi
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Haben Sie ein spezielles Interesse an Geoengineering?

Dr. Cush Ngonzo Luwesi (CNL): Selbstverständlich. Ich habe meinen Abschluß zum Thema Ökonomie des Klimawandels und Wasser gemacht und befasse mich mit Modellierungen. Geoengineering ist für mich wie eine neue Technologie, um den Klimawandel zu zügeln.

SB: In der Session vorhin haben Sie Kritik an Klimamodellen geübt und gesagt, daß diese so weit gefaßt werden müßten, daß sogar Hexerei in sie Eingang findet. Könnten Sie das näher erläutern?

CNL: Ich wollte damit sagen, daß Wissenschaft nicht das einzige Mittel ist, um zu Wissen zu gelangen. Ich bin ein Vertreter der Wissenschaft, aber es gibt eben noch viele andere Herangehensweisen, beispielsweise Religion, Magie oder Hexerei. Sie alle sind Quellen des Wissens, die von Menschen benutzt werden, um etwas vorherzusagen, zu prognostizieren oder zu prophezeien, was geschehen wird, und das manchmal mit sehr hoher Präzision.

SB: Denken Sie, daß es möglich ist, etwas wie Hexerei mit wissenschaftlichen Simulationen zu kombinieren?

CNL: Natürlich. Wissenschaftler haben ja bereits verschiedene Erkenntnisse miteinander kombiniert, woraus dann etwas entstanden ist, das wir heute eben Wissenschaft nennen.

SB: Haben Sie eine Vorstellung dazu, wie das Ergebnis einer solchen Verbindung aussehen könnte? Welche Funktion könnte in einem strikt wissenschaftlich vorgegebenen Rahmen das Wissen von Hexerei haben?

CNL: Okay, ich bin kein Medizinmann und weiß nicht, wie das funktioniert. (lacht) Aber was ich weiß, ist, daß andere Leute, die keine Wissenschaftler sind, aufgrund anderen Wissens Vorhersagen treffen können.

SB: Handelt es sich dabei um traditionelles Wissen?

CNL: Das weiß ich nicht, vielleicht ist es traditionelles Wissen, vielleicht kommt es von Außerirdischen, woher auch immer. Aber es ist nicht Wissenschaft, sondern eine andere Art von Wissen. Sie haben ihre eigenen Funktionen, ihre eigenen Modelle - ich habe keine Ahnung, wie sie es machen. Aber wir haben gehört; wir lesen die Bibel. Da prophezeit Jesaja, noch 200 Jahre bevor König Kyros geboren wurde, den Fall von Babylon. Und den Historikern zufolge ist das eingetreten. Da stellt sich die Frage: Welches Wissen, welches Modell hat er benutzt?

SB: Bei der Diskussion vorhin konnte man den Eindruck gewinnen, daß ein Mißverständnis aufgetreten ist wegen des Unterschieds zwischen Projektionen und Prognosen. Wäre es nicht wichtig, das an so einer Stelle genau zu differenzieren, wo doch Klimaforscher nicht prognostizieren, wie die Zukunft sein wird, sondern was ihre Projektionen aufgrund von bestimmten Ausgangsbedingungen ergeben haben?

CNL: Fakt ist, daß Sie vergangene Daten haben und wissen wollen, wie die Zukunft sein wird. Dazu sind mehrere Herangehensweisen möglich. Sie können vorhersagen, Sie können aber auch simulieren, in beiden Fällen werden vergangene Daten genommen. Aber die Art, wie Sie es machen, ist manchmal präzise, und manchmal sind die Daten unsicher, denn sie basieren auf bestimmten Vorannahmen.

Ein großes Problem besteht darin, die Variablen in ein Modell einzubringen. Dort sollten die Daten miteinander korrelieren. Wenn mir meine Daten zu einem bestimmten Untersuchungsgebiet das nicht erlauben, beispielsweise weil Niederschläge und Temperatur nicht zueinander passen, gehören sie nicht in das gleiche Modell, andernfalls wäre es fehleranfällig. Umgekehrt gilt, sollten Ihnen Ihre ursprünglichen Daten gestatten, Niederschläge und Temperatur zu korrelieren, dann benutzen Sie diese, weil sie zusammengehen. Jemand, der eine Prognose trifft, sollte in der Lage sein, Ihnen zu sagen: "Abhängig von den Variablen wird etwas geschehen als Gegensatz zu oder auf gleiche Weise wie die Vorhersage."

Daraus folgt, daß man zu verschiedenen Orten verschiedene Realitäten haben kann. Benutzt man ein globales Modell, ist das aus meiner Sicht illusorisch, weil man unterschiedliche Variablen für verschiedene Regionen hat. Deshalb können Sie erleben, daß Vertreter der wissenschaftlichen Gemeinde auf Basis der gleichen Fakten verschiedene Modelle anwenden und andere Ergebnisse erzielen.

Als ich in Kanada studiert habe, gab es jemanden im Fernsehen, der sich sehr negativ über den IPCC-Bericht und den Meeresspiegelanstieg in Bangladesch geäußert hat. Es muß im Juni oder Juli 2009 gewesen sein. Der Forscher sagte sinngemäß: "Der Bericht ist falsch. Wir sind nur zwei Experten in der Region, wir haben unsere Untersuchungen gemacht und sie veröffentlicht. Es gibt dort keinen Meeresspiegelanstieg. Was in dem IPCC-Bericht steht, ist falsch."

SB: In Bangladesch befürchtet man wohl eher die Wassermassen, die von den Bergen kommen.

CNL: Ganz genau. Da haben Sie also auf der einen Seite Experten vom IPCC, die das eine Modell benutzen, und auf der anderen einen Forscher, der ein anderes Modell benutzt, und die Ergebnisse fallen unterschiedlich aus. So sieht Wissenschaft allzu oft aus.

Ich glaube nicht, daß man mit einem globalen Modell Vorhersagen für einen lokalen Standort machen kann. Das wird nicht funktionieren. Ich habe das gemeinsam mit meinem Professor am Beispiel eines Untersuchungsgebiets in Kenia durchgespielt. Die Vorhersage des ursprünglichen Klimamodells ergab eine Zunahme der Niederschläge. Daraufhin haben wir eine Vergleichsstudie für drei verschiedene Wassereinzugsgebiete durchgeführt. Im ersten Gebiet: Abnahme der Niederschläge. Im zweiten Gebiet: Abnahme der Niederschläge. Im dritten Gebiet: Abnahme der Niederschläge. Interessant daran war nun, wenn man auf die Temperatur geschaut hat, daß in zwei Gebieten die Temperatur gestiegen und im dritten zurückgegangen war.

Wie kann das sein, daß unsere Modelle das Gegenteil von dem des globalen Modells ergeben? Ich habe meinen Professor gefragt, ob da ein Fehler im Modell ist, was er verneinte und mir erklärte: "Schau dir das Raster an, das sie verwendet haben. Es ist sehr großskalig. Unseres dagegen ist sehr fein. Es ist korrekt und näher an den Untersuchungsgebieten dran."

Auch wenn man ein großes Gebiet untersuchen will, ist es besser, mit kleinen Skalen zu arbeiten. Das hatte ich vorhin in der Diskussion zu sagen versucht. Was wir auf globaler Ebene sehen, muß nicht auf die regionale Ebene zutreffen, weil darauf verschiedene lokale Ereignisse Einfluß haben. Eben weil etwas von der Modellierung und den verwendeten Parametern abhängig ist, muß es nicht wahr sein.

Wenn Sie die Leute gehört haben, die sich an der IPCC-Debatte beteiligten, so wissen Sie vielleicht, daß manchmal gesagt wurde, die Modelle würden benutzt, um katastrophale Vorhersagen zu machen, die vielleicht gar nicht eintreten. Geologen erzählen uns ständig, daß Klimawandel kein neues Phänomen ist und es ihn auch früher schon in der Menschheitsgeschichte gab. Eiszeiten und Warmphasen haben sich abgewechselt, und dieser Wechsel war natürlich. Menschen, die überlebten, haben weder Klimaschutz noch Geoengineering angewendet, sondern sie haben sich den neuen Verhältnissen angepaßt. Hätten wir mit unserer Technologie die Gelegenheit, könnten wir Klimaschutz betreiben. Doch warum sollten wir an dem Klimasystem herumdoktern? Aus meiner Sicht ist das nicht erforderlich. Aber es könnte sein, daß wir einen Plan B brauchen, auf den wir im Falle einer Katastrophe dann zurückgreifen. Das ist meine Meinung.

SB: Die Gletscher auf dem Mount Kenya ziehen sich zurück. Ist das ein Hinweis auf den Klimawandel?

CNL: Darüber wurde schon eine intensive Debatte geführt. Meteorologen hatten die Frage aufgeworfen, wie in 5000 Metern Höhe Schnee oder Eis tauen kann. Denn es ist dort sehr kalt. Wenn man von der globalen Erwärmung spricht, dann meint man das flache Land, nicht die Spitzen der Berge. Auf dem Mount Kenya war es nicht die Erderwärmung, sondern die Entwaldung, die zum Gletscherrückgang geführt hat. Zu diesem Phänomen wurden schon Berichte aus dem Himalaya, vom Mount Kenya, dem Mount Kilimandscharo und anderen hohen Bergen veröffentlicht. Überall das gleiche Problem. Die Menschen fällen die Bäume, die den Gebieten einen Schutz geboten und diese gekühlt hatten. So hat der Rückgang der Bäume, nicht der Klimawandel und die globale Erwärmung zum Eisverlust geführt. Dieser wird vielleicht irgend etwas zum Klimawandel beitragen, aber es ist nicht der Klimawandel, sondern ein lokaler Umweltwandel, der den Klimaeffekt ausgelöst hat. So etwas muß sehr sorgfältig bedacht werden, wenn wir über den Einfluß des Klimawandels sprechen.

SB: Was unternimmt die kenianische Regierung gegen die Abholzung? Oder anders herum gefragt: Hat sie Ihrer Meinung nach die Notwendigkeit von Aufforstungsprogrammen ausreichend erkannt ...

CNL: Ja, selbstverständlich.

SB: Und wie schafft sie es, die Interessen einer wachsenden Bevölkerung, die teilweise in den Wäldern lebt, zu wahren? Die Menschen, die vertrieben werden - ich denke da an den Mau Forest -, wollen eigentlich auch nur überleben.

CNL: Ja, Sie haben recht. Das Problem geht in Kenia auf die 1970er Jahre zurück, wenn ich das richtig erinnere. Der damalige Präsident Moi sagte: "Der Wald gehört euch. Geht hinein und lebt davon." Daraufhin drangen die Menschen in die Wälder ein und siedelten sich dort an. Moi hätte es besser wissen müssen. Die damals wichtigste Waldschützerin, Prof. Wangari Maathai, die 2004 für ihr Umweltengagement mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde, stand in Opposition zu Moi. Mit seinem Aufruf handelte er unmittelbar gegen diese Dame.

Doch nach zehn Jahren der Besiedlung war die Lage in den Wäldern katastrophal. 1999 faßte die Regierung einen Plan zur Aufforstung des gesamten Landes. Aber, wie Sie schon sagten, unglücklicherweise besteht nach wie vor das Problem des Bevölkerungswachstums; auch die Eigentumsrechte von Land sind ein wichtiges Thema. In den letzten Jahren hat die Koalitionsregierung versucht, ein Gesetz zum Schutz von sieben Regionen durchzubringen. Das war der Grund, weswegen viele Bewohner aus Wäldern wie Mau vertrieben wurden. Die Regierung hat versucht, die Menschen woanders anzusiedeln. Das Aufforstungsprogramm wird fortgesetzt und unterliegt der Obhut des Kenya Forest Service, der damit alle Hände voll zu tun hat. Ich gehe davon aus, daß die Waldfläche Kenias in den nächsten Jahren glücklicherweise wieder wachsen wird.

SB: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

Mit Mikrophon und Power Pointer - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dr. Cush Ngonzo Luwesi am 19. August beim Vortrag über "Perspectives on Climate Engineering - From People on the Front Lines of Climate Change" (Perspektiven des Climate Engineering - Von Menschen an den Frontlinien des Klimawandels)
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://www.ku.ac.ke/schools/humanities/images/stories/docs/Cush-N-Luwesi-june2014.pdf


Zur "Climate Engineering Conference 2014" sind bisher in den Pools
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und
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unter dem kategorischen Titel "Klimarunde, Fragestunde" erschienen:

BERICHT/088: Klimarunde, Fragestunde - für und wider und voran ... (SB)
Ein Einführungsbericht

INTERVIEW/149: Klimarunde, Fragestunde - Hört den Wind ...    Pene Lefale im Gespräch (SB)
INTERVIEW/150: Klimarunde, Fragestunde - defensiv zur Sicherheit ...    Prof. Jürgen Scheffran im Gespräch (SB)
INTERVIEW/151: Klimarunde, Fragestunde - Folgen kaum absehbar ...    Prof. Mark Lawrence im Gespräch (SB)
INTERVIEW/152: Klimarunde, Fragestunde - geteilte Not, dieselbe Not ...    Dr. Thomas Bruhn im Gespräch (SB)
INTERVIEW/153: Klimarunde, Fragestunde - Fortschritt in falscher Hand ...    Prof. Clive Hamilton im Gespräch (SB)
INTERVIEW/154: Klimarunde, Fragestunde - Erstickt nicht den Atem der Natur ...    Viliamu Iese im Gespräch (SB)
INTERVIEW/155: Klimarunde, Fragestunde - schlußendlich nach der Decke strecken ...    im Gespräch mit fünf Klimawandelexperten, -besorgten und -betroffenen der CEC'14 Tagung (SB)
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INTERVIEW/158: Klimarunde, Fragestunde - Zeit für neue Kalküle ...    Dr. Rachel Smolker im Gespräch (SB)


17. September 2014