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INTERVIEW/139: Indikator Salz - verknüpfen, vernetzen, Prognose ... Dr. Helga Wiederhold im Gespräch (SB)


SWIM
23. Salt Water Intrusion Meeting
16. bis 20. Juni 2014 im Husumhus in Husum

Dr. Helga Wiederhold vom Leibniz Institut für Angewandte Geophysik über die Möglichkeiten des Menschen, aus der Luft in die Wasseradern des Planeten zu schauen



Während der zivilisierte Mensch selbstverständlich davon ausgeht, daß trinkbares Wasser aus der Leitung sprudelt, wenn er die Armaturen seines Badezimmers bedient, Exkursionen zum Mars geschickt werden, um auch dort nach Resten möglichen Lebens, sprich Wasserspuren oder -adern, zu suchen, sind Wasserexperten hierzulande die Grenzen ihrer technikgestützten Analysemethoden nur allzu bewußt. Immer wieder hörte man am Rande des 23. Salt Water Intrusion Meetings in Husum, SWIM 23, auch das Bedauern über den spekulativen Charakter einiger Aussagen oder über die methodische Unsicherheit bei Prognosen für die Grundwassersysteme: "Wir können in den Untergrund nur beschränkt hineinschauen" hieß es.

Quellwasser tritt im Raben Steinfelder Forst am Pinnower See im Landkreis Parchim (Mecklenburg) aus dem Boden aus. - Foto: by Botaurus (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein seltener Anblick: Sobald Grundwasser ans Tageslicht kommt, ist es Quellwasser und unterliegt Umwelteinflüssen.
Foto: by Botaurus (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Das wäre aber hilfreich. Erst vor wenigen Tagen machte eine neue Studie unter Federführung der Hydrologin Petra Döll [1] auf sich aufmerksam, in der hydrologische Modelle entworfen wurden, die, global gesehen, auf einen alarmierenden Wasserschwund in den unterirdischen Grundwasserleitern hinweisen. Die Wissenschaftlerin will herausgefunden haben, daß die jährliche "Grundwasserzehrung" im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts doppelt so groß war wie im Durchschnitt der Jahre zwischen 1960 und 2000. Man könne zeigen, meinen die Wasserexperten der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, daß die vermehrte Nutzung des Grundwassers in der Landwirtschaft in einigen Ländern bereits meßbar zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt, weil das Wasser nach Verdunstung und Abregnen in den Ozeanen landet. Nach ihren Berechnungen waren es im letzten Jahrzehnt im Durchschnitt 0,3 Millimeter pro Jahr. Wenn hierzulande, wie die Wasserexperten von SWIM 23 angaben, die Grundwassersituation relativ stabil ist, trifft es wasserarme Länder wie Libyen, Ägypten, Mali, Mosambik und die Mongolei umso härter. Sie werden in absehbarer Zukunft auf dem Trockenen sitzen, denn dort müssen bereits mehr als 30 Prozent des Wasserbedarfs aus nicht erneuerbarem Grundwasser bestritten werden.

Die "derzeit zuverlässigste Schätzung des Grundwasserschwunds", wie die Studie der globalen Wasserressourcen und ihre Nutzung eingestuft wurde, hat allerdings ebenfalls nur mit "Wasser gekocht". Sie beruht, wie die Professorin von Klimaretter zitiert wird [2], auf einer Vielzahl von "Brunnenbeobachtungen und Daten von Umweltsatelliten, welche die Veränderungen des Schwerefelds durch die Wasserentnahme der Erde messen".

Megacity Mumbai am Abend: 22,5 Millionen Einwohner brauchen Nahrung und Wasser. - Foto: by Aam422 [GFDL (www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Potentielles Ziel für Fernerkundungen
Konzentrierter Wasserbedarf sorgt für Schwund an fossilem Grundwasser.
Foto: by Aam422 [GFDL (www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Hydrologen wie Salzwasserintrusionsspezialisten sind sich darin einig, daß sowohl bei der Situation des überdies klimastabilisierenden Grundwassers im allgemeinen, aber besonders auch bei potentiellen Salzintrusionen in das Wasser, sei es durch Salzstöcke in Brunnennähe, durch unterirdisches Eindringen von Meerwasser in die Süßwasserlinsen von Inseln, Überschwemmungen der Küstenbereiche und durch den Eintrag von Chemie über die Landwirtschaft (Düngemittel), über Winterdienste (Streusalz) oder die Industrie (Abraumhalden, Aus- und Übertritt von Lagerstättenwasser mit darin gelösten Salzen ins Grundwasser), die Ermittlung eines flächendeckenden Status Quo unabdingbare Voraussetzung für jede weitere Prognose ist.

Zahlreiche Versuche, mit Hilfe von moderner Technologie ins Innere der Erde zu blicken, um das Wasser gewissermaßen bei seiner Entstehung, Hydrologen sprechen von Neubildung, zu beobachten, konnten Teilnehmer der SWIM 23 Tagung auf der dazugehörigen Postersession im Pavillonzelt auf dem Husumhus-Hinterhof in Augenschein nehmen. Statt durch größere Annäherung einen tieferen Einblick zu nehmen, sprich, mit Sonden ins Erdinnere vorzustoßen, um der Wasserneubildung direkt zuzuschauen, scheint die größere Präzision offenbar darin zu liegen, sich immer weiter vom Ort des Geschehens zu entfernen, d.h. Messungen aus der Luft oder von Satelliten auszuwerten.

Postersession im Pavillionzelt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Dargestellte Analyse und Raum zum Vernetzen
Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Projekte der anderen Teilnehmer im einzelnen zu verstehen, habe ihr selbst einiges abverlangt, meinte Dr. Helga Wiederhold, die Leiterin vieler bereits abgeschlossener und aktueller Forschungsunternehmen des Leibniz-Instituts für Angewandte Geophysik (LIAG) zum Thema Grundwassersysteme-Hydrogeophysik angesichts der vielen farbigen Darstellungen, die erst recht auf den Laien so wirken wie das Buch auf den Analphabeten. Man weiß einfach nicht, wie herum man es halten soll, damit sich einem der Inhalt erschließt.

Als Expertin für geophysikalische Methoden war sie im Verlauf des ersten Konferenztages bereit, einige Fragen zu den Möglichkeiten der Fernerkundung anhand des eigenen Posters zu erläutern. Dabei machte sie klar, daß diese Form der flächendeckenden Datenermittlung einen wesentlichen Vorteil gegenüber punktuellen Grundwasserproben hat, bei denen man sich, wenn man sie über größere Abstände extrapoliert, durchaus mal irren kann, weil die Salzgehalte im Boden nicht so graduell verlaufen, wie man vielleicht denkt. Doch auch die Fernerkundung kommt ohne die Arbeit am Boden nicht aus. Erst gemeinsam mit den Projekten anderer geologischer Dienste aus den Nachbarländern wird ein Schuh daraus ...

Helga Wiederhold vor dem Poster des Leibniz-Instituts für Angewandte Geophysik (LIAG) - Foto: © 2014 by Schattenblick

Hier hat es 1901 durch die Entdeckung von Herrn Herzberg angefangen.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau Dr. Wiederhold, Sie sprachen vorhin davon, daß zur Kontrolle und Beobachtung der Salz-/Süßwassergrenze Grundwasserproben gezogen werden, bei denen man punktuelle Meßwerte erhält, die dann eventuell über größere Abstände extrapoliert werden müssen. Angesprochen wurde auch, daß man sich dabei durchaus auch mal irren kann, weil die Salzgehalte im Boden nicht so graduell verlaufen. Sie sind nun besonders gut mit einem physikalischen Instrument vertraut, das ein flächendeckendes und sehr genaues Bild über die Salz-/Süßwassergrenze herstellen kann, Stichwort: Fernerkundung. Könnten Sie uns das näher erläutern?

Helga Wiederhold (HW): Ja, da kommt die Geophysik ins Spiel. Mit geophysikalischen Methoden sind wir in der Lage, profilhaft oder sogar flächenhaft den Untergrund zu erkunden und eben nicht nur in einer Bohrung Informationen zu gewinnen.

SB: Sind das dann seismische Daten oder nutzen Sie andere Wege?

HW: Es gibt verschiedene geophysikalische Methoden. Die Seismik ist eine Möglichkeit, Daten zu ermitteln, aber auf die Leitfähigkeit von Salzwasser und Süßwasser sprechen elektrische Verfahren an. Die elektrische Leitfähigkeit von Salzwasser ist wesentlich höher als die von Süßwasser und dies können wir mit geoelektrischen oder elektromagnetischen Verfahren messen, die wir auch von der Erdoberfläche aus anwenden können und mit denen wir ein Bild vom elektrischen Widerstand aufzeichnen. Der Kehrwert davon ist dann die elektrische Leitfähigkeit, den wir auf diese Weise im Untergrund messen können. Das geht auf der einen Seite von der Erdoberfläche aus, indem wir einfach Elektroden in den Boden stecken, Strom einspeisen und dann kann man den Widerstand messen.

SB: Also "minimal-invasive Eingriffe" gewissermaßen.

HW: Ja genau, das geht absolut zerstörungsfrei. Dieses Verfahren fällt unter den Oberbegriff Geoelektrik. Dann gibt es auch noch die Elektromagnetik. Da wird der Strom im Untergrund induziert, wofür kein Kontakt mit dem Boden notwendig ist. Das heißt, wir können das Verfahren auch aus der Luft anwenden, indem wir eine solche Spule, mit der dieses elektromagnetische Feld erzeugt wird, unter einen Hubschrauber hängen und dann können wir mit 150 Stundenkilometern die in Frage kommenden Profile abfliegen und damit eine entsprechend große Fläche innerhalb von drei Tagen schaffen.

Hubschrauber mit dem darunter hängenden hexagonalen Rahmen, in dem das Meßsystem steckt. - Foto: © 2014 by SKYTEM SURVEYS APS

Forschung geht in die Luft.
"Mit geophysikalischen Methoden sind wir in der Lage, profilhaft oder sogar flächenhaft den Untergrund zu erkunden."
Foto: © 2014 by SKYTEM SURVEYS APS

SB: Und wie tief kommen Sie mit dieser Messung?

HW: Das hängt natürlich von der Geologie ab, das heißt, ob wir Tone, Sande, Salzwasser oder Süßwasser vorliegen haben, aber in der Regel kommen wir etwa hundert Meter tief. Es gibt zwei verschiedene Meßsysteme. Das eine kommt etwa bis hundert Meter tief und das andere dringt sogar in Bereiche vor, die 200 bis 250 Meter tief liegen.

SB: Ist das nicht ein bißchen unheimlich?

HW: Nein überhaupt nicht.

SB: Macht das denn den Lebewesen, die sich gewissermaßen unfreiwillig in dem Einzugsbereich des Induktionsfeldes aufhalten, nichts?

HW: Nein, nein. Also wir haben das mal genau ausgerechnet, dieses elektrische Feld, das dabei erzeugt wird, ist auf keinen Fall stärker, als würden Sie an der Bahn stehen und mitbekommen, was da in den Überleitungen abgeht.

Wir haben diese Verfahren in den letzten Jahren ein wenig gepusht, um große Flächen an der Küste zu vermessen. Das können Sie sich auch in unserer Postersession ansehen. Weitere Bilder davon finden Sie auch in unserer Broschüre über die Insel Föhr. [3,4] Die Vermessung der Küste auch im Bild ist uns für die Gesamtkartierung der Salz-/Süßwassergrenze wichtig. Und das ist wiederum der erste Schritt, um daraus ein Monitoring-System abzuleiten. Mit dieser Befliegung haben wir also eine Basis geschaffen, und wenn wir vielleicht in 50 Jahren diese Aufnahme wiederholen, dann können wir sehen, ob sich da was geändert hat. Andere Länder haben solche Messungen schon längst. Da sind wir noch ein bißchen rückständig.

Das Poster in Zusammenarbeit von drei Institutionen, Helga Wiederhold (LIAG), Reinhard Kirsch (LLUR) und Bernhard Siemon (BGR), zeigt den norddeutschen Küstenraum in einem Farbspektrum von Rot (Salzwasser) zu Blau (Süßwasser) - Foto: © 2014 by Schattenblick

Überfliegungen fanden hauptsächlich im Küstenbereich statt. Das Binnenland ist teilweise noch Terra incognita für die flächendeckende Kartierung der Grundwassersysteme.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Auf den Postern der Überfliegungen erkennt man an den rötlichen Farben, wo die Salzwassergrenze ins Land ragt wie zum Beispiel bei Cuxhaven. Die blauen Bereiche weiter zur Küste sind Geestrücken, wo auch Grundwasserneubildung stattfindet, also mehr Süßwasser in den Untergrund geht. Wir haben übrigens den ganzen Elbebereich beflogen.

SB: Sind Sie selbst auch mitgeflogen?

HW: Nein, aber mir liegt das Projekt sehr am Herzen. Ich habe auf unserem Poster noch einmal die geschichtliche Entwicklung der Salzwasserintrusionsforschung dargestellt. Hier oben zum Beispiel hat Herr Herzberg auf der Insel Norderney 1901 die Entdeckung gemacht, daß sich eine Süßwasserlinse unter den Inseln ausbildet, und dazu eine Formel aufgestellt, die heute eigentlich jeder kennt.

SB: Wußten denn die Menschen, die dort gewohnt haben, gar nichts davon? Sie müßten doch eigentlich durch eigene Beobachtung zum Beispiel bei der Versorgung ihrer Tiere mit Wasser gemerkt haben, wo das Wasser salzig aus dem Boden kommt oder vielleicht das Gemüse, das sie anpflanzten, nicht mehr gesalzen werden mußte?

HW: Ja, natürlich haben die Einwohner das Phänomen gekannt. Aber sie konnten es nicht berechnen. Herzberg hat das nach dem Archimedischen Prinzip [5] in eine Formel gefaßt. Sie stimmt für den statischen Sonderfall auch heute noch, ist aber natürlich im Einzelfall viel komplizierter.

SB: Sprechen Sie von der Ghijben-Herzberg-Relation [6], die man überall in Zusammenhang mit Salzwasserintrusion findet?

Grafik: 2003 by Barlow, Paul M. (USGS) Ground Water in Freshwater-Saltwater Environments of the Atlantic Coast. Gemeinfrei via Wikimedia Commons

Die Grafik zeigt die für die Ghijben-Herzberg-Relation zur Berechnung der Salzwasserintrusion eingehenden Größen wie die Mächtigkeit (Höhe) der Süßwasserzone über dem Meeresspiegel (h) und unterhalb des Meeresspiegels (z).
Grafik: 2003 by Barlow, Paul M. (USGS) Ground Water in Freshwater-Saltwater Environments of the Atlantic Coast. Gemeinfrei via Wikimedia Commons

HW: Ja genau. Herr Ghijben hat etwa zeitgleich die Beobachtungen von Herzberg über Süßwasserlinsen in Belgien festgestellt und somit bestätigt.

SB: Das ist doch, wenn ich es richtig verstanden habe, eine Konstante, die sich aus der Salzwasserdichte und der Süßwasserdichte zusammensetzt und dann, multipliziert mit dem Stand des Grundwassers über dem Stand des Meeresspiegels, die Tiefe der Süßwasserlinse wiedergibt.

HW: Genau.

SB: Wie ist das eigentlich, wenn im Zuge des gerade aktuellen größeren Kohlenstoffdioxid-Eintrags ins Meer das Meerwasser saurer wird, wie es im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung diskutiert wird? Ändert sich dann nicht auch die Dichte des Meerwassers und stimmt dann noch die Berechnungsgrundlage?

HW: Die Ghijben-Herzberg-Relation ist eigentlich eine ganz primitive Formel. Sie beruht auf eine Reihe von Annahmen, die nicht in jedem Fall zutreffen, und im Detail muß man dann kompliziertere Grundwassermodelle heranziehen. Aber sie ist zumindest eine erste Näherung an das Problem. Dafür ist sie gut, aber für mehr denn auch nicht.

Grafik: © 2014 by Schattenblick

Eine Annäherung an das Problem: die Ghijben-Herzberg-Relation.
Grafik: © 2014 by Schattenblick

SB: Arbeiten Sie auch mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zusammen? Auf dem Poster von der BGR scheint das gleiche Gebiet ins Visier genommen worden zu sein.

HW: Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hat ein eigenes Hubschraubersystem. Bernhard Siemon [7], der diese Tage auch hier in Husum ist, betreut das Projekt. Wir sitzen zwar im gleichen Haus in Hannover im Geozentrum, aber LIAG ist eine eigenständige Forschungsinstitution. Wir teilen uns nur die Verwaltung, sind also sonst eigentlich nicht weiter verbandelt.

1978 hat die BGR angefangen, ihr Hubschraubersystem zu entwickeln, und die erste Befliegung wurde auf Spiekeroog durchgeführt. Wir vom LIAG haben uns dann, nachdem wir in der Nähe von Lüdingworth, einem Stadtteil von Cuxhaven, eine Forschungsbohrung gemacht hatten, ab 2000 in Hannover im Geozentrum mit der BGR zusammengetan, uns gefragt, wie wir unsere Projekte gegenseitig unterstützen können und schließlich ein weitflächiges Küstenaquifer-Testfeld aufgebaut. Das drappiert sich um diese Forschungsbohrung als Brennpunkt herum, und in dem Rahmen konnten wir wieder große Flächen befliegen.

Bei dieser Befliegung hat sich dann gezeigt, daß wir damit nicht nur gut die Salz-/Süßwassergrenze, sondern auch in Bereichen, wo die Geest weit ins Meer hineinreicht, sehr gut Süßwasseraustritte ins Meer erkennen können. Und schließlich können wir damit die für den norddeutschen Untergrund sehr typischen, sogenannten quatären Rinnen, d.h. die glazialen, eiszeitlichen Rinnenstrukturen, in diesen Daten sehen. Die sind für uns sehr interessant, da ihre Entstehungsgeschichte teilweise noch nicht geklärt ist, aber auch die sandig kiesige Füllung darin eine Bedeutung für die Trinkwasserversorgung besitzt.

Daraufhin haben wir dann im Rahmen des europäischen Interregionalen IVB Nordseeprogramms ein eigenes "Interreg"-Projekt [8] auf die Beine gestellt, in welchem wir diese verborgenen, eiszeitlichen Täler verstärkt mit geophysikalischen Methoden untersucht haben. Mit der Teilfinanzierung durch die Europäische Union konnten wir weitere Flächen befliegen und Daten sammeln.

SB: Konnten Sie damit die Referenzdaten gewinnen, um gegebenenfalls Änderungen feststellen zu können?

HW: Genau, es wurden aber auch eine Reihe neuer Erkenntnisse über die Form der glazialen Strukturen, ihren Aufbau und ihren Verlauf gewonnen. Außerdem haben wir dieses Projekt zusammen mit den Geologischen Diensten in Holland und Dänemark [9] durchgeführt. Dabei haben wir dann auch diese Ecke mit den Holländern beflogen, die auf der Karte nur ein Fitzelchen ist, aber das war dann doch so ergiebig, daß es auf einmal hieß: "Ach, dafür kriegt ihr noch ein bißchen mehr Geld für den Haushalt, um diese Befliegungen weiter fortzusetzen ..."

Auf diese Weise konnten wir dann also immer wieder neue Flächen befliegen, wobei unser Ziel letztendlich darin besteht, eine Karte über die Grundwassersituation von ganz Deutschland zu erstellen. Doch zunächst haben wir mal den Küstenbereich kartiert.

SB: Hatte das auch mit Ihrem Projekt CLIWAT zu tun, bei dem es laut Ihrer Webseite um die Folgen des Klimawandels ging?

HW: Nein, im CLIWAT, das 2011 beendet wurde, haben wir uns auch mal um die Grundwasserdynamik gekümmert, das heißt Grundwassermodelle, also richtiggehend detaillierte, hydraulische Modelle für verschiedene Küstenregionen von Belgien bis Dänemark erstellt, darunter auch vor den Nordseeinseln Borkum und Föhr.

Dabei haben wir eigentlich festgestellt, daß sich durch die im Wasser gelösten Stoffe wie vor allem Meersalz und durch den Meeresspiegelanstieg im großen Maßstab an der Gestalt der Süßwasserlinse bis 2100 nichts ändern wird. In größeren Tiefen der Insel muß man jedoch mit einer zunehmenden Versalzung der Süßwasserlinse durch Meerwasser rechnen, vor allem im Bereich der Brunnen. Das heißt, daß die Wasserwerke mit der Bepumpung, also bei der Wasserversorgung, aufpassen müssen, damit man diese Süßwasserlinse nicht zu konzentriert an einer Stelle ausnutzt, sondern die Brunnenfelder möglichst weit auseinanderzieht, damit die Süßwasserlinse über ihre gesamten Fläche an vielen Stellen gleichzeitig ausgenutzt wird, um damit eben Salzwasserintrusionen zu vermeiden.

SB: Sind denn die Regenmengen so groß, daß sie durch die zunehmende Verdunstung im Sommer nicht wieder aufgebraucht werden?

HW: Ja, rund ums Jahr ist insgesamt eher ein Niederschlagszuwachs von 5 oder 10 Prozent zu erwarten. Also das ist eher gut für unsere Grundwasserressourcen.

SB: Das heißt, die Inselbewohner müssen sich gar keine Sorgen machen, daß ihnen das Wasser ausgeht?

HW: Man muß eben nur aufpassen. Der Regen fällt vor allem im Winter, da wird die Linse schon aufgefüllt. Aber wenn die Winter auch wärmer werden, verdunstet natürlich auch einiges. Dann funktioniert die Grundwasserneubildung vielleicht nicht mehr genauso wie jetzt. Also leider kann man das noch nicht ganz genau verstehen, in welchem Maße sie zunimmt und welche Faktoren noch dabei berücksichtigt werden müssen.

Im Sommer wird natürlich immer weniger Regen fallen und dann muß man schon aufpassen, daß nicht auf einen Schlag zu viel Wasser gefördert wird, sondern daß man bei der Wasserversorgung wirklich nachhaltig wirtschaftet. Dafür sind meines Erachtens auch Monitoring-Systeme ganz notwendig. Es ist eine unserer Aufgaben, entsprechende Systeme dafür zu entwickeln.

SB: Ja, die sieht für den Laien ein bißchen wie ein Puzzle aus, bei dem noch sehr große Teile, vor allem im Binnenland, fehlen.

HW: Unsere Erkundungen fallen bisher immer in den Grenzbereich zwischen Dänemark, Deutschland, Holland und so weiter, da wir meistens über das europäische Interregionale IVB Nordseeprogramm finanziert werden. Vor diesem Hintergrund ist natürlich die interregionale Zusammenarbeit sehr wichtig. Und für uns war diese Zusammenarbeit mit den Geologischen Diensten von Holland, Dänemark und dann auch Belgien eine ganz tolle Erfahrung, dieses gegenseitig voneinander lernen. Das hat uns sehr viel weiter gebracht.

SB: Was bedeutet denn dieser kleine gelbrote Fleck an dem langen elektromagnetisch "durchgemessenen" Streifen, der sich durch die ansonsten geophysikalische Terra inkognita Niedersachsens erstreckt? Was hat Sie veranlaßt, dieses Gebiet näher in Augenschein zu nehmen?

HW: Ja, als wir diese europäischen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen haben, mit dem Auftrag verbunden, auch größere Flächen zu befliegen, habe ich mich natürlich mit allen anderen geologischen Diensten kurzgeschlossen und sie gefragt: "Wo sind denn eure Probleme, wo sollen wir am besten fliegen, was sind die wichtigsten Fragestellungen, die wir mit berücksichtigen sollten? Von Niedersachsen, vom LBEG, dem Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie, kam dann der ausdrückliche Wunsch, einen Streifen von der Küste bis ins Bergland geophysikalisch zu vermessen, um zu sehen, ob dieses SkyTEM-Verfahren grundsätzlich auch für ihre geologische Bestandsaufnahme sinnvoll ist. Und da hat sich an diesem Punkt eine Versalzungsstelle gezeigt, die auch schon länger bekannt war, und so etwas sehen wir uns dann natürlich etwas detaillierter an, wenn schon die Gelegenheit da ist.

SB: Herzlichen Dank, Frau Wiederhold, daß Sie sich für uns die Zeit genommen haben.

Die Sendeschleife beim Start in Indien - Foto: © 2014 by SKYTEM SURVEYS APS

Transienten-Elektromagnetisches (TEM) [10] Know How von der Nordseeküste beim Einsatz in Indien.
Foto: © 2014 by SKYTEM SURVEYS APS


Anmerkungen:


[1] Petra Döll, Hannes Müller Schmied, Carina Schuh, Felix T. Portmann und Annette Eicker, "Global-scale assessment of groundwater depletion and related groundwater abstractions: Combining hydrological modeling with information from well observations and GRACE satellites"
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2014WR015595/abstract;jsessionid=6F8AA5AB874EF267C0FD08C8BB879C01.f02t03

[2] http://www.klimaretter.info/umwelt/hintergrund/16864-gefaehrlicher-schwund

[3] Hrsg. Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Schleswig-Holstein, Broschüre: "Der Untergrund von Föhr: Geologie, Grundwasser und Erdwärme", Ergebnisse des INTERREG-Projektes CLIWAT

[4] Einen Bericht über das Projekt der Insel Föhr und weitere Berichte und Interviews zum 23. Salt Water Intrusion Meeting im Husumhus, SWIM 23, finden Sie in den Pools
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → BERICHT
und
INFOPOOL → UMWELT → REPORT → INTERVIEW
unter dem kategorischen Titel "Indikator Salz":

BERICHT/081: Indikator Salz - eingekreist und nicht geflohen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0081.html

INTERVIEW/119: Indikator Salz - Sachlicher Leisten rührt noch am meisten ... Prof. Hans von Storch im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0119.html

INTERVIEW/131: Indikator Salz - Küste, Klima, Wechselwirkung ... Broder Nommensen, Johannes Michaelsen und Helga Wiederhold im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0131.html

INTERVIEW/133: Indikator Salz - IT-gestützt ... Dr. Wolfgang Scheer im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0133.html

INTERVIEW/134: Indikator Salz - Im Prinzip sicher, aber ... Dr. Johannes Michaelsen im Gespräch (SB) http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0134.html

[5] Das Archimedische Prinzip gilt für alle Flüssigkeiten und Gase: 'Der statische Auftrieb eines Körpers in einem Medium ist genauso groß wie die Gewichtskraft des vom Körper verdrängten Mediums.' Ein Gegenstand niedriger Dichte steigt danach in einem Medium größerer Dichte auf. Auf diese Weise schweben heliumgefüllte Luftballons oder Zeppeline, schwimmen Schiffe auf dem Wasser und bleibt Süßwasser auf Salzwasser schwimmen, solange es sich nicht damit vermischt.

[6] 1828 wurde das Prinzip der Salzwasserintrusion von dem Franzosen Joseph Du Commun erstmals beschrieben. Unabhängig voneinander, aber zeitgleich, entwickelten darauf 1888/89 die beiden holländischen Militärs J. Drabbe und Willem Badon Ghijben (1845 - 1907) sowie 1901 der deutsche Baurat Alexander Herzberg die physikalische Formel zur Berechnung dazu. Sie erstellten dabei analytische Lösungen zur möglichst gut angenäherten Beschreibung des Verhaltens von intrudierendem Salzwasser, basierend auf einer Reihe von Annahmen, welche allerdings nicht in allen Fällen zutreffen. Danach bestimmt die Mächtigkeit der Süßwasserschicht über dem Meeresspiegel (innerhalb der Wasserlinse) die Mächtigkeit der Süßwasserlinse unterhalb des Meeresspiegels.

[7] Ein Interview mit Bernhard Siemon folgt.

[8] Mit dem Projekt BurVal wurden diese verborgenen Rinnen (buried valleys) zum Forschungsobjekt einer internationalen Expertengruppe. LIAG übernahm die Federführung des durch die Europäische Union kofinanzierten Projektes.
http://www.liag-hannover.de/fsp/gws-hydro/strukturerkundung-und-parameterermittlung/burval.html

Die Rinnenstrukturen, im englischen auch als "buried valleys" bezeichnet, sind auch in den Niederlanden und Dänemark von großer Bedeutung für die Grundwasserversorgung und den Grundwasserschutz. Im Rahmen einer internationalen Kooperation von verschiedenen staatlichen Geologischen Diensten und Forschungsinstituten wurden von Januar 2004 bis Dezember 2006 gemeinsame Untersuchungen an insgesamt sechs Teststandorten durchgeführt. Projektgebiete in Norddeutschland sind dabei die Ellerbeker Rinne (südliches Schleswig-Holstein und Hamburg) und die Bremerhaven-Cuxhavener Rinne (südlich von Cuxhaven). Ziel des Projektes BurVal (http://www.burval.org) ist die Entwicklung von Untersuchungskonzepten zur Nutzung bzw. zum Schutz von Grundwasserreservoiren in eiszeitlichen Rinnen. Der Schwerpunkt wird dabei auf geophysikalischen Untersuchungsmethoden liegen. Am Ende des Projektes sollen Erkenntnisse zur verbesserten länderübergreifenden Erkundung dieser wichtigen Grundwasserreservoire stehen, die den betroffenen Institutionen helfen werden, den hohen Standard der Wasserversorgung langfristig zu sichern. Die Ergebnisse werden in zwei Handbüchern zur Verfügung gestellt.

[9] http://www.begravede-dale.dk/english_version.htm

[10] SkyTEM - Transienten-Elektromagnetik aus dem Himmel.
Durch eine Sendesschleife wird ein primäres elektromagnetisches Feld in den Untergrund induziert. Das sekundäre EM-Feld wird mittels einer Empfangsspule als mit der Zeit abklingende Spannung (Transient) gemessen. Der Transient spiegelt in seinem Verlauf die Eigenschaften der Widerstandsverteilung im Untergrund wider. Die Erkundungstiefe reicht von einigen Metern bis zu einigen hundert Metern. Anwendungsgebiete sind neben der Erzerkundung auch die Grundwassererkundung.

23. Juli 2014