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INTERVIEW/086: Atommüll ohne Ende - Nullgrenze, Adele Schnell im Gespräch (SB)


Atommüll ohne Ende - Auf der Suche nach einem besseren Umgang

Eine Tagung von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen unter der Federführung des Deutschen Naturschutzrings (DNR) am 28./29. März 2014 in Berlin

Interview mit Adele Schnell (Anti-Atom-Plenum Kassel und Göttingen)



Soll sich ausgerechnet die Anti-Atombewegung zur Verwalterin eines Erbes machen, dessen Zustandekommen sie nie gewollt und sogar bekämpft hat? Hatte man nicht schon vor vielen Jahrzehnten auf der Basis sachkundiger Expertise davor gewarnt, sich auf eine Technologie einzulassen, die einen hochgefährlichen Müll aus Plutonium und anderen Transuranen erzeugt, der noch in zehntausenden Generationen sicher aufbewahrt werden muß, damit Mensch und Umwelt keinen Schaden erleiden? Jetzt bietet die Bundesregierung den Umweltverbänden zwei Plätze am Tisch der politischen Entscheidungsträger an und nennt dies "Bürgerbeteiligung" und "Partizipation". Es sollen Kriterien erarbeitet werden, auf deren Grundlage ein Endlager für den radioaktiven Abfall aus der deutschen Atomwirtschaft gesucht werden soll.

Menschentrauben im Foyer, ein TV-Team und Stand des BUND - Foto: © 2014 by Schattenblick

Debatte ohne Unterlaß - bereits vor Beginn der Podiumsdiskussion
Foto: © 2014 by Schattenblick

Am 28./29. März hatte der Deutsche Naturschutzring (DNR) zu einer Tagung in die Auferstehungskirche von Berlin geladen, um den Umweltverbänden, Bürgerinitiativen und allen anderen Interessierten die Gelegenheit zu geben, sich über das Angebot der Regierung auszutauschen. Mehr als 200 Personen waren angereist und erlebten eine teils hitzige Debatte entlang von Bruchlinien, die sich mitunter quer durch die Verbände zogen.

Der Schattenblick hat einige der Stimmen eingefangen und in einer Serie von Interviews veröffentlicht. Weitere werden folgen. Am Rande der Tagung ergab sich die Gelegenheit für ein Gespräch mit Adele Schnell, die ursprünglich zum Anti-Atom-Plenum Kassel gehörte, aber auch gern mit dem Anti-Atom-Plenum Göttingen zusammengearbeitet hat.

Letztere begreifen sich als "Teil einer außerparlamentarischen linken Bewegung" und schreiben in ihrer Selbstdarstellung:

"Unser Ziel ist der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie und den Strukturen, die Profitmaximierung über Menschenrecht und Natur setzen. Wir arbeiten selbstbestimmt und basisdemokratisch, um unsere Kritik laut werden zu lassen. Wir versuchen, die Problematik der Atomenergie global zu begreifen und beschäftigen uns so mit all ihren Erscheinungsformen. Der Protest gegen Castortransporte, Uranabbau und Endlagerungspläne gehört für uns dazu wie auch Solidaritätsarbeit mit AntiAtomAktivistInnen, die staatlicher Repression ausgesetzt sind." [1]

Ähnliches ist auf der Internetseite des Anti-Atom-Plenums Kassel nachzulesen. Dort sieht man die "konstruktive Einmischung in die politischen Entscheidungsprozesse" als "ein wichtiges Werkzeug um alternative Wege aufzuzeigen und einem möglichst schnellen Energieausstieg zu realisieren". [2]

Könnte "konstruktive Einmischung" bedeuten, daß man sich an der Endlagerkommission beteiligt? Nach der Lesart der Regierung wäre es genau das. Doch in diesem Fall wäre es voreilig, denn auf der Website ist ebenfalls zu lesen: "Da die Politik aber auf ganzer Linie versagt, ist es darüber hinaus dringend notwendig, den Ausstieg aus der Atomenergie selbst in die Hand zu nehmen." Zum Abschluß des folgenden Interviews legt Adele Schnell ihren differenzierten Standpunkt hinsichtlich der Frage nach der Beteiligung an der Kommission dar.

Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Adele Schnell
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du hast dir von den fünf Arbeitsgruppen der Tagung die AG zu den Medien ausgesucht. [3] Was hast du dort erwartet und haben sich deine Erwartungen erfüllt?

Adele Schnell (AS): Ich hätte mir eigentlich gewünscht, daß von der Medienseite mehr Verbindlichkeit gezeigt oder zumindest positiv in Aussicht gestellt wird, worin sie in den nächsten Jahren ihre Rolle sieht. Inzwischen ist mir aber klar, daß das vielleicht auch gar nicht so leistbar war. Im zweiten Teil der AG hätte ich mir gewünscht, ein paar Hinweise dafür zu bekommen, wie wir uns von der Anti-Atombewegung selber etwas geschmeidiger positionieren können für die Arbeit dieser Herrschaften. Das ist aber jetzt teilweise auch erfüllt worden und hat insofern hingehauen. Das, was wir machen, hatte ich ganz oft schon - natürlich auch aus eigenem Mitteilungsdrang als Betroffene - in den Medien schlecht repräsentiert gesehen. Und bei Aktionen oder am Rande von Aktionen bin ich tatsächlich immer wieder in der Bevölkerung darauf gestoßen, daß da doch ein ganz erhebliches Informationsdefizit besteht.

SB: Du sagtest eben in der Arbeitsgruppe "Sprache macht Denken". Könntest du das näher erklären?

AS: Ja, ich finde, daß wir mit den Möglichkeiten unserer Sprache auch gewisse Bilder evozieren. Das ist nicht nur hier in diesem Bereich der Atomtechnologie so, sondern in allen anderen Bereichen auch. Wie wir miteinander umgehen und wie wir Dinge betrachten, bilden wir in Sprache ab. Zum Beispiel, indem weibliche Formen in die Sprache einbezogen werden. In dem Moment, wo das überschwappt und du tatsächlich vorsichtshalber nur von Automechanikerinnen sprichst, entsteht natürlich ein anderes Bild. Dann stolpern alle und fragen, wieso das eine Automechanikerin ist. Bis dann klar wird, was eigentlich gemeint ist, wenn darin auch der Automechaniker enthalten ist. Das gleiche gilt natürlich, wenn ich von "End"-Lager spreche, um das Beispiel zu nehmen. Dann könnte man annehmen, daß es tatsächlich einen Ort gibt, wo der Atommüll sicher lagern könnte, bis alle Halbwertzeiten abgebaut sind. Und dem ist ja nun mal nicht so.

SB: Vorhin wurde bei der Diskussion argumentiert, daß in der Berichterstattung die Gefahren, die von dem Versuchsendlager Asse ausgehen, übertrieben dargestellt werden. Siehst du das auch so?

AS: Das finde ich überhaupt in keiner Weise übertrieben. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Asse das Modell für andere Standorte und eben auch für Gorleben sein sollte. Ich halte es eher für zynisch, so etwas zu behaupten, denn die Asse ist ja nun kapital gescheitert. Daran kann man sehr schön den unverantwortlichen Umgang der Verursacher und der Behörden ablesen, und ich möchte mir auch nicht anhören müssen, daß erst alles perfekt katastrophal sein muß, bevor es medienrelevant wird. Auch kleine Dosen Radioaktivität im Grundwasser machen das Grundwasser einfach nicht mehr für das einsatzfähig, was es ist. Und es gehört allen Menschen und den Tieren und den Pflanzen. Es ist für alle da und darf nicht einmal gering verseucht werden. So etwas würde dann ein riesiges Gebiet in Norddeutschland betreffen. Also, das kann man gar nicht drastisch genug darstellen.

SB: Welche Meinung hast du zu dem eigentlichen Thema dieser Veranstaltung: Beteiligung an einer Endlagersuchkommission der Umweltverbände - bist du dafür oder dagegen?

AS: Wir debattieren das schon seit längerem und in immer dichteren Abständen. Ich tendiere dazu, nicht reinzugehen. Meine Vision wäre eher, daß man wirklich begleitend noch mal eine Art Tribunal außerhalb aufbaut, das dicht am Geschehen wäre, und den Vorgang von dort aus kommentiert. Aber nicht als beleidigte Leberwurst, sondern weil ich denke, wenn wir in die Kommission gingen, wäre es schlichtweg eine Instrumentalisierung. Wenn ich mir angucke, wie die Kommission jetzt besetzt ist, dann möchte ich mich nicht zum Alibi für andere Leute machen. Das ist das eine.

Das andere ist, daß die Kommission die letzte Möglichkeit wäre zu sagen: Leute, wenn ihr das nur im geringsten ernst meint, dann sorgt doch bitte dafür, daß, bevor die Kommission zum ersten Mal zusammentritt, wirklich alle Atomanlagen in diesem Land stillgelegt werden, am besten sogar weltweit. Dazu gehören dann auch die Urananreicherungsanlage in Gronau und die Brennelementefabrik in Lingen, die in keinem Ausstiegsbeschluß Erwähnung finden. Das wäre der entscheidende Punkt für mich. Den würde ich ungern drangeben. Wenn das gemacht würde, dann würde ich sagen: Okay, wir gehen da rein. Ansonsten nicht.

SB: Vielen Dank für das Gespräch.

Matthias Miersch bei seinem Zuschauerbeitrag während der Podiumsdiskussion am 28. März 2014 - Foto: © 2014 by Schattenblick

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Matthias Miersch wirbt bei den Umweltverbänden um ihr Vertrauen und für eine Beteiligung an der Endlager-Kommission
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://aapgoe.so36.net/main/ueber_uns.html

[2] http://aapkassel.blogsport.de/selbstverstaendnis/

[3] AG 5: Rolle der Medien und ihre Verantwortung beim Atomkonflikt
Mit Mit Axel Schröder (Deutschlandradio), Malte Kreutzfeldt (taz), Manfred Ladwig (Report Mainz), Klaus Brunsmeier (BUND) und Peter Dickel (Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad)

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6. April 2014