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BERICHT/144: Meeressterben - Mangelzonen wachsen an ... (SB)



"Die Welt weiß von der Versauerung der Meere, der globalen Erwärmung und davon, daß Plastik nicht so phantastisch ist - doch was ist mit der Sauerstoffabnahme der Ozeane?"

Die Eingangsfrage wurde von "Ocean Deoxygenation Kiel 2018" anläßlich der gleichnamigen, fünftägigen Konferenz (3.-7.9.2018) im Audimax der Universität Kiel per Kurznachrichtendienst Twitter versendet [1].

An anderer Stelle wurde getweetet: "Wenn sich die Leute schon Sorgen wegen des Plastikmülls im Meer machen, was werden sie wohl sagen, wenn sie erst von der Sauerstoffabnahme erfahren ..." Die Meere verlieren also an Sauerstoff - diese Meldung blieb bislang nicht nur unter dem Radar der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern auch unter dem großer Teile der Wissenschaft. Gewiß, schon lange haben sich einzelne Forscherinnen und Forscher mit diesem Thema befaßt, wovon eine Reihe von Untersuchungen in den einschlägig bekannten Wissenschaftsmagazinen und Fachjournalen zeugt, doch bislang tauchte das Phänomen selten an so prominenter Stelle auf wie jetzt in Kiel. Mehrere hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zahlreichen Ländern waren in die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt gereist, um fünf Tage lang zu diesem Thema zu referieren, zu diskutieren und weiterführenden Fragen nachzugehen. Am Ende der Konferenz, die den Titel "Klima - Biogeochemische Wechselwirkungen im tropischen Ozean" trug, wurde eine "Kieler Erklärung zur Ozean-Sauerstoffabnahme" verabschiedet. Damit sollen unter anderem das Problem und seine Ursachen in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt und die Politik zu Gegenmaßnahmen bewegt werden [2].


Podiumsrunde - Foto: © 2018 by Schattenblick

Von links: Kristin Burmeister (Moderatorin), Prof. Dr. Martin Visbeck, Prof. Dr. Tal Dagan, Dr. Johannes Hahn, Dr. Helena Hauss, Dr. Renato Salvatteci und Prof. Dr. Andreas Oschlies
Foto: © 2018 by Schattenblick

Die Kieler Konferenz wurde vom SFB 754 organisiert. SFB steht für "Sonderforschungsbereich". Das sind von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Forschungsvorhaben, an denen häufig eine Vielzahl von Arbeitsgruppen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachrichtungen mit einer bestimmten Frage befaßt ist. Im Rahmen der Konferenz hatte das Organisationsteam am Mittwoch, den 5. September, zu einer öffentlichen Veranstaltung geladen. Unter der Fragestellung "Geht dem Ozean die Luft aus?" referierten Prof. Dr. Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel über "Sauerstoff im Meer: Was geht uns das an?", Dr. Renato Salvatteci von der Christian-Albrechts-Universität Kiel über "Peru: Sauerstoffminimum vor unserer Haustür - was bedeutet das für die Fischerei?", Dr. Johannes Hahn, GEOMAR, über seine "Jagd auf gigantische Wasserwirbel in der Todeszone", und Dr. Helena Hauss, GEOMAR, über "Leben ohne Sauerstoff - ist das möglich?".

Seit den 1960er Jahren hat der Sauerstoff in den Weltmeeren um zwei Prozent abgenommen, berichtete Oschlies, dabei sei dieses lebenswichtige Gas ungleich verteilt. In den Hohen Breiten, also jeweils auf der Nord- und der Südhalbkugel, wiesen die Meere einen rund doppelt so hohen Sauerstoffgehalt auf wie in den Tropen. Das hängt vor allem mit der dort vorherrschenden Temperatur zusammen, denn im Unterschied zu dem sprichwörtlich eiskalten Wasser des zirkumantarktischen Randmeeres und des Nordpolarmeeres kann das aufgewärmte Wasser rund um den Äquator weder Sauerstoff noch andere Gase "festhalten". Oschlies veranschaulichte das am Beispiel der Champagnerflasche, die man aus gutem Grund im Kühlschrank aufbewahrt, damit nach dem Öffnen der Flasche das Gas - in dem Fall Kohlendioxid - nicht blitzschnell entweicht.

Außerdem nimmt der Sauerstoffgehalt der Meere mit der Tiefe ab. Zwar ist das tiefere Wasser auch kälter, aber dafür ist es dort unten stockdunkel. In der lichtlosen Sphäre existieren keine Pflanzen, die weiter oben im lichtdurchfluteten Bereich in Form von Algen den Sauerstoff als Abspaltprodukt bei ihrer Photosynthese freisetzen. Abgestorbene Algen werden entweder gefressen oder sinken auf den Grund. Dabei laufen Fäulnisprozesse ab, bei denen Sauerstoff gebunden und somit der Umgebung entzogen wird.


Kurvendiagramm von 1960 (unter 100) bis 2015 (über 600) - Grafik: Fährtenleser, erstellt nach: World Scientists´ Warning to  Humanity: A Second Notice, in: BioScience, Vol. 67, Ausg. 12, Dez. 2017, S. 1026ff, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]

Die Anzahl der toten Zonen im offenen Meer steigt rapide an
Grafik: Fährtenleser, erstellt nach: World Scientists´ Warning to Humanity: A Second Notice, in: BioScience, Vol. 67, Ausg. 12, Dez. 2017, S. 1026ff, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]

Meeresströmungen sorgen zwar für eine gewisse Verteilung des Sauerstoffs, aber ausgerechnet die relativ warmen und somit von vornherein sauerstoffarmen tropischen Meere sind relativ unbewegt, so daß sich dort in der lichtlosen Tiefe regelrechte "Todeszonen" herausgebildet haben. Der Klimawandel wird diesen Effekt verstärken. Zu der geringeren Löslichkeit von Sauerstoff in tropischen Meeren kommt eine ausgeprägtere Schichtung der Ozeane hinzu, wenn das Wasser wärmer wird.

Oschlies benennt mehrere Faktoren, wie der Sauerstoffschwund der Ozeane begrenzt werden kann. Erstens könnte man Maßnahmen gegen die globale Erwärmung ergreifen, so daß sich die Ozeane nicht weiter aufheizen. Zweitens sollte in der Landwirtschaft nicht mehr Dünger eingesetzt werden, als auf dem Acker gebraucht wird. Denn der Dünger regt das Algenwachstum an. Drittens haben auch die Stickoxide aus Autoabgasen und anderen Quellen einen ähnlichen Effekt auf das Algenwachstum und sollten daher reduziert werden.

Vom Humboldtstrom vor der Pazifikküste Südamerikas und der Frage, welche Folgen die dort beobachtete Sauerstoffarmut auf die Fische hat, berichtete der aus Peru stammende Palöogeograph Renato Salvatteci. Der Humboldtstrom ist eines von weltweit vier größeren Auftriebsgebieten, die jeweils vor den Westküsten der Kontinente liegen und in denen kräftige Winde kaltes, nährstoffreiches Wasser an die Oberfläche bringen. Diese vier Gebiete nehmen nur rund ein Prozent der weltweiten Ozeanfläche ein, auf sie entfallen jedoch 20 Prozent des weltweiten Fischfangs.

Vor der Küste Perus gehen, abgesehen von Makrelen, Sardinen und Kalmaren, vor allem Anchovis ins Netz. Diese machen 85 Prozent der gefangenen Fische Perus aus, das nach China die zweitgrößte Fischfangnation der Welt ist. Die Anchovis werden zu Fischmehl verarbeitet, das unter anderem an Lachse, Hühner und Schweine verfüttert wird. Deutschland nimmt Peru 15 Prozent des Fischmehls ab. Bislang seien Anchovis und Kalmare ganz gut mit der "Sauerstoffminimumzone" des Humboldtstroms zurechtgekommen, berichtete Salvattecci, aber mit der Erwärmung entstünden vermehrt Algen, und es würde mehr organisches Material zum Meeresboden fallen, wo sich giftige Gase entwickelten und der Sauerstoff verzehrt werde. Das sei auch für die Anchovis und damit für die örtlichen Fischer schlecht.

"Wasserwirbeljäger" Johannes Hahn stellte zunächst seine bevorzugten Instrumente vor, mit denen er sich auf die Jagd nach den teilweise 100 Kilometer durchmessenden Wasserwirbeln begibt: Drifter, Glider und Verankerung. Dabei handelt es sich um kein wirkmächtiges Waffenarsenal aus der virtuellen "World of Warcraft", sondern um Instrumente zur Messung physikalischer Parameter der Ozeane wie beispielsweise die Temperatur und der Sauerstoffgehalt. Während die Drifter, wenig erstaunlich, driften, das heißt passiv mit der Strömung treiben und dabei allerdings auf- und absteigen, können die Glider, vergleichbar mit einem Segelflugzeug in der Luft, sehr lange Strecken durch das Wasser gleiten und dabei Daten aufnehmen. Die Verankerung wiederum, auch das verrät der Name, ist am Meeresboden verankert und bleibt ortsfest. Mit Hilfe von Auftriebskörpern werden die an einem langen Seil befestigten Meßinstrumente in der Senkrechten gehalten.

Wenn mit so einem Wasserwirbel sauerstoffarmes bzw. -freies Wasser aus der sogenannten Todeszone an die Meeresoberfläche verfrachtet wird, wirkt sich das selbstverständlich auf die dort lebenden Bewohner aus. Ihnen verschlägt es sprichwörtlich den Atem. Das allerdings wäre dann weniger eine Frage, die sich der physikalische Ozeanograph Johannes Hahn stellt, sondern dafür wäre die biologische Ozeanographin Helena "Leni" Hauss zuständig. Sie hat den letzten der vier Vorträge gehalten, den sie "Wer überlebt die Todeszone?" überschrieben hat und der ebenfalls einen Einblick in die Fragestellungen bot, die in den zurückliegenden rund zehn Jahren im SFB 745 behandelt wurden.

Hauss interessiert sich für das Zooplankton, das tierische Plankton, das zeit seines Lebens weder den Ozeanboden noch die Meeresoberfläche zu sehen bekommt, sondern sich in dem Raum dazwischen aufhält. Zum Zooplankton zählt eine Vielzahl von Arten, von denen viele kaum gegen die Strömung anschwimmen können, sondern sich allenfalls wie zum Beispiel Krill im Tag- und Nachtrhythmus vertikal bewegen. Tagsüber taucht der Krill von der lichten Welt der Oberfläche ab, um Freßfeinden auszuweichen, nachts steigt er wieder auf.

Welche Mengen scheidet das Plankton aus, wenn es in sauerstoffärmere Regionen gerät? Diese Frage, die sich für einen Laien womöglich merkwürdig anhört, da Ausscheidungen ekelbehaftet sind, ist durchaus von wissenschaftlichem Interesse. Denn solange solche Fragen noch wenig verstanden sind, erklärt Hauss, sind die Faktoren auch "schlecht in den biogeochemischen Modellen repräsentiert". Warum wiederum das wichtig ist, hatte eingangs "Modellierer" Andreas Oschlies erklärt: Ihre Computermodelle können die beobachtete Sauerstoffabnahme der Ozeane nicht vollständig erklären. Es fehlt noch etwas. Diese Lücke soll geschlossen werden, um genauer zu verstehen, was in den Meeren vor sich geht.


Einzelnes, hell beleuchtetes Tier - Foto: Uwe Kils, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Antarktischer Krill Foto: Uwe Kils, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Im Anschluß an die jeweils rund zehnminütigen Vorträge aus dem Innern des SFB 754 stellten sich Referentin und Referenten, sekundiert von Prof. Dr. Martin Visbeck (GEOMAR) und Prof. Dr. Tal Dagan (Institut für Allgemeine Mikrobiologie, Kiel), eine Stunde lang den Fragen aus dem Publikum. Sicherlich nicht zuletzt dank der erfrischenden Moderation von Kristin Burmeister (GEOMAR) brauchte das vorwiegend junge Publikum keine Zeit, um warm zu werden und die Expertinnen und Experten mit ihren Fragen zu löchern. Von all den aufgeworfenen Fragen sei hier stellvertretend und sicherlich den Gesamteindruck des lebhaften Interesses ganz und gar unzureichend repräsentierend, nur eine einzige herausgegriffen.

Den warmen Sommer habe vermutlich jeder erlebt, müsse man nun damit rechnen, daß die Sommer weiter so warm und die Winter kälter werden, und was habe das mit dem Abschwächen des Golfstroms zu tun, wollte eine Schülerin wissen.

Den ersten Teil der Frage beantwortete Oschlies zunächst unter Verweis auf die Schwierigkeit, Wetter und Klima auseinanderzuhalten. In diesem Sommer sei es nicht überall in der Welt wie in Europa wärmer gewesen, 2018 war der zweitwärmste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Aber es stimmt, es werde fast jedes Jahr ein Stückchen wärmer. Dennoch könne man nicht konkret vorhersagen, ob die Sommer in Europa jetzt immer wärmer werden. Die Wahrscheinlichkeit für warme Extreme nehmen zu, weil sich die mittlere Temperatur der Erde erhöht, und das gelte sowohl für den Winter als auch den Sommer.

Zu der Frage nach dem Verhalten des Golfstroms und den Folgen antwortete Martin Visbeck, daß die Wissenschaft unter "Golfstrom" nicht allein den Meeresstrom meint, der warmes Wasser von der Karibik nach Europa bringt und hier für mildere Temperaturen sorgt als sie beispielsweise in Neufundland gemessen werden. Das liegt auf demselben Breitengrad wie Kiel, doch dort gibt es Eisbären - "und baden geht dort keiner".

Die Wissenschaft verstehe unter Golfstrom eine Umwälzbewegung, bei der warmes Wasser nach Norden fließt, dort abgekühlt wird, Sauerstoff aufnimmt, absinkt und in die Tiefe geht. Wenn im Zuge des Klimawandels der Norden wärmer wird, ist das Wasser nicht mehr so kalt, sinkt nicht mehr so leicht ab und - um die Antwort nicht zu verkomplizieren, deutete Visbeck lediglich an, daß noch "ein Effekt mit dem Salzgehalt" dazukommt - die Umwälzbewegung verlangsamt sich.

Mit jenem "Effekt" dürfte der GEOMAR-Forscher gemeint haben, daß bei der Erwärmung der Arktis erwartungsgemäß mehr Eis schmilzt. Durch das viele Schmelzwasser nimmt der Salzgehalt des Meerwassers ab, woraufhin dieses leichter wird und nicht mehr so schnell absinkt. Auch das bremst tendenziell jene Umwälzbewegung.

Man könnte nun annehmen, daß es deshalb in Europa kälter wird, doch dürfe man nicht übersehen, daß die Verlangsamung der Umwälzbewegung nur deshalb zustande kommt, weil es bereits wärmer geworden ist, erläuterte Visbeck. Deshalb gehe die Wissenschaft davon aus, daß, wenn Europa beispielsweise zwei Grad wärmer würde, es in Folge dieses Effekts nur auf 1,5 Grad hinausliefe. Bei der Verlangsamung des Golfstroms würde übrigens nicht nur weniger Sauerstoff ins Meer wandern, sondern auch weniger CO2. Das bereite der Wissenschaft mehrfach Sorgen, nicht nur wegen der Temperaturveränderung.


Der Fisch steigt mit weit geöffnetem Maul auf, um Plankton aufzunehmen - Foto: Jaontiveros, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]

Walhai beim Planktonfressen Foto: Jaontiveros, CC BY-SA 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/]

Das Konzept, die öffentliche Veranstaltung auf den Besuch mehrerer Schulklassen auszurichten, kann als gelungen bezeichnet werden. Alle vier Vorträge versuchten, Fachfragen möglichst allgemeinverständlich abzuhandeln, und der in der Ankündigung noch als "Diskussion" ausgewiesene Programmteil lief erfreulicherweise nicht darauf hinaus, daß sich die Expertinnen und Experten gegenseitig die Bälle zuspielen oder umgekehrt schon ältere, nie zu Ende gebrachte Debatten austragen, denen das Publikum unmöglich folgen kann, sondern daß eine Stunde lang vollumfänglich Fragen gestellt werden konnten.

(Der Schattenblick wird die Berichterstattung über die öffentliche Veranstaltung zum Sauerstoffschwund der Ozeane mit einer Reihe von Interviews fortsetzen.)


Fußnoten:


[1] https://twitter.com/DeoxyOcean/status/1037602900871131141

[2] Der Text der "Kieler Erklärung" soll demnächst auf die Internetseite https://www.ocean-oxygen.org/ gestellt werden. Wer das nicht abwarten will, kann ihn schon mal hier nachlesen: https://twitter.com/LlevinAnn/status/1038045822863253506


7. September 2018


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