Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


BERICHT/135: Insektenschwund - Politik zu träge ... (3) (SB)




Libelle auf mit ausgebreiteten Flügeln auf einem großen Blatt - Foto: © 2018 by Schattenblick

Auch Insekten selber sind auf Insekten angewiesen. Die Blaugrüne Mosaikjungfer gehört noch nicht zu den vielen Libellenarten, die vom Aussterben bedroht sind.
Foto: © 2018 by Schattenblick

Zur Zeit findet das sechste große Artensterben der Erdgeschichte statt. Dafür sei der Mensch verantwortlich, lautet eine in der Wissenschaft verbreitete Einschätzung [1].

Da von den rund 8,7 Millionen bekannten Tierarten etwa 50 Prozent auf die Insekten entfallen, sind auch sie maßgeblich vom Aussterben betroffen. Rund eine Million Insektenarten wurden bislang identifiziert, auf weitere vier Millionen wird ihre Gesamtzahl geschätzt. Angesichts der kaum zu bewältigenden Aufgabe, eine globale Bestandsaufnahme der Insektenwelt vorzunehmen oder gar sämtliche Veränderungen innerhalb der Arten möglichst zeitnah zu verfolgen, bestimmen Einzeluntersuchungen das Feld. Davon liegen allerdings sehr viele vor.

Häufig wird die Verbreitung nur einer oder weniger Insektenarten gleichzeitig ermittelt. Beispielsweise ist im nationalen Insektenzensus der USA von einem Rückgang von vier verbreiteten Hummelarten um bis zu 96 Prozent die Rede [2] und aus Süddeutschland wird ein Schmetterlingsschwund im Laufe der letzten rund zwei Jahrhunderte vermeldet [3]. Die Zoological Society of London allerdings gibt eine allgemeinere Einschätzung ab und berichtet von einer Gefährdung eines Fünftels der Invertebraten (Wirbellosen), zu denen auch die Insekten gehören [4]. Für internationales Aufsehen hatte im Oktober vergangenen Jahres die Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse des Entomologischen Vereins Krefeld im Journal PLOS One [5] gesorgt, wonach die Biomasse von Fluginsekten in Schutzgebieten von NRW (sowie Brandenburg und Rheinland-Pfalz) im Laufe von 27 Jahren um teils mehr als 75 Prozent abgenommen hat.

Die Diskussion über dieses Ergebnis, aber auch die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen standen im Mittelpunkt der Tagung "Rückgang der Insekten: Kenntnisstand, Forschungen, Aktivitäten", die der Landesverband NRW der Naturschutzorganisation NABU am 17. Februar 2018 an und mit dem Institut für Landschaftsökologie (ILÖK) in Münster organisiert hatte.

Wenngleich das Ergebnis der Krefelder Untersuchungen bestechend ausfällt, erscheint doch der Versuch des Referenten Dr. Christian Maus, wissenschaftlicher Leiter des Bee Care Centers der Bayer AG, die weltweit gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Insektenrückgang auf eben diese eine Langzeituntersuchung zuzuspitzen, vielleicht als taktisch geschickt, da in der Publikation günstigerweise keine Verursacher des beobachteten Phänomens genannt werden, doch wohl etwas verkürzt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Europäische Union hat bereits 1993 ein partielles Verbot des Inverkehrbringens der drei Insektizide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam, die zu den von der Bayer AG vermarkteten Neonicotinoiden gehört, ausgesprochen, da es die Bienen schädigt [6]. Dem Verbot war eine intensive Ursachenforschung vorausgegangen.

Auch auf nationaler Ebene wurden Verbote von Neonics, wie diese Insektizide verkürzt genannt werden, verhängt. Damit soll nicht behauptet werden, daß jene Bayer-Produkte der einzige potentielle Verursacher für den Insektenrückgang sind, aber umgekehrt stehen diese Pestizide im dringenden Verdacht, eben wegen ihrer systemischen Ausbreitung Bienen zu schwächen oder ihnen den Garaus zu machen. Systemisch bedeutet, daß der Wirkstoff in allen Pflanzenbestandteilen nachgewiesen werden kann, also auch in Pollen und Nektar, der von den Bienen aufgenommen wird.

Indes war vom Vertreter eines transnationalen Chemiekonzerns, der sich anschickt, durch die Übernahme des US-Riesen Monsanto gewaltig zu erweitern, nichts anderes zu erwarten, als daß er in seinem Vortrag das große Interesse der Bayer AG am Erhalt der Biodiversität bekundet, zugleich aber die Produkte des Unternehmens als ein sehr naheliegender Mitverursacher des Insektenrückgangs aus der Schußlinie nimmt.


Beim Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

Gerhard Brechmann von der Stiftung Hof Brechmann im östlichen Münsterland stellt seinen naturschutzfreundlichen Hof vor.
Foto: © 2018 by Schattenblick

Ein ähnliches Anliegen wie der Vertreter der Industrie verfolgte auch der Landwirt Erich Gussen, Vizepräsident des Rheinischen Landwirtschafts-Verbands (RLV), in seinem Vortrag zur "Sicht der Landwirtschaft auf das Thema Insektenrückgang". Auch er sprach sich für den Erhalt der Biodiversität aus, sagte aber ebenfalls, daß Pestizide gebraucht werden, um Lebensmittel zu produzieren. Naturschutz und Landwirtschaft sollten gemeinsam und "unaufgeregt" eine Strategie und Wege finden, forderte er, damit ausreichend und gesunde Nahrungsmittel für eine wachsende Weltbevölkerung nachhaltig produziert werden. Dabei sollte dann auch die Biodiversität erhalten bleiben und sogar gefördert werden.

Wer "Unaufgeregtheit" einfordert, unterstellt damit, daß Aufgeregtheit keine angemessene Reaktion auf den beobachteten dramatischen Insektenrückgang und somit keine geeignete Gesprächsvoraussetzung ist. Doch könnte es nicht, entgegen dieser durchaus verbreiteten Diskussionsphrase, sein, daß die Reaktion der Gesellschaft - Politik und Landwirtschaft eingeschlossen - noch viel zu wenig aufgeregt ausfällt? Wer weiß, vielleicht würde die Politik bei etwas mehr Aufgeregtheit der Öffentlichkeit auch weitergehende Maßnahmen zum Schutz der Insekten ergreifen, als sie es bisher zu beabsichtigen scheint.

Wenn es keinerlei Alternativen zum Pestizideinsatz in der Landwirtschaft gäbe, wäre es sicherlich Zeit, sie zu erfinden. Doch auf dem Markt der Möglichkeiten werden Alternativen angeboten. Der Ökolandbau beispielsweise hat sich in mancher Hinsicht bewährt. Da auch dort Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, muß er nicht die ultima ratio der landwirtschaftlichen Nahrungsproduktion des Menschen sein. Aber eines ist gewiß: Es gibt Alternativen zu Pestiziden. Auch und gerade zu den extrem nicht-zielinsektenschädigenden systemischen Mitteln wie den Neonicotinoiden. Hochaktuell, Ende Februar 2018, wurde in dem Journal Environmental Science and Pollution Research ein Bericht veröffentlicht, der aufzeigt, wie auf systemische Insektizide verzichtet werden kann [7]. Dieses "Update" der "weltweiten integrierten Bewertung systemischer Insektizide" ist selbstverständlich nicht der erste Beitrag, in dem "Wege und Strategien", wie sie von Gussen noch immer gefordert werden (als gäbe es sie nicht längst), zu einer zumindest pestizidärmeren Landwirtschaft aufgezeigt werden.


Beim Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

Matthias Geiger referiert über DNA-Barcoding, eine schnelle und einfache Methode zur Artenbestimmung.
Foto: © 2018 by Schattenblick

So kenntnisreich und ergiebig die NABU-Tagung auch war, am Ende des Tages hätte man sich eine noch zugespitztere, stellenweise gern auch kontroversere Debatte gewünscht. Da wurde aus dem Publikum festgestellt, daß wir keine zehn oder zwanzig Jahre Zeit für weitere Studien haben, was auf breite Zustimmung stieß - die Aufgeregtheit war nicht zu überhören ... -, und ein etwas längerer Beitrag eines weiteren Teilnehmers aus dem Publikum lautete, daß der Mensch darauf bestehe, immer effizienter zu werden. Es sei doch das Ziel, auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche alles zu töten, was nicht die Hauptfrucht sei. Deswegen bräuchten wir uns auch gar nicht zu wundern, daß alle anderen Lebewesen, die nicht Hauptfrucht sind, auf eben diesem Feld zurückgehen. Die Konsequenzen müsse man nicht noch erforschen. Blühstreifen anzulegen genüge nicht, in der Fläche müsse sich was ändern. Jede Fläche müsse wieder so viel Strukturvielfalt erhalten, daß dort Lebenszyklen von Insekten unterkommen.

Die Bundesregierung und die Europäische Union verfügen durchaus über Mittel, um dem Insektenschwund noch offensiver entgegenzutreten. So heißt es auf der Seite des Umweltbundesamts zum Vorsorgeprinzip:

"Das Vorsorgeprinzip ist Leitlinie der Umweltpolitik auf der deutschen, der EU- und der internationalen Ebene (...) Besteht eine Gefahr für die Umwelt - sind Schäden für die Umwelt also mit einiger Wahrscheinlichkeit absehbar - gebietet es die Gefahrenabwehr, deren Eintritt zu verhindern. Einen wichtigen Schritt weiter geht die Vorsorge: Sie soll verhindern, dass Gefahren für die Umwelt überhaupt erst entstehen. Das Vorsorgeprinzip leitet uns also dazu an, frühzeitig und vorausschauend zu handeln, um Belastungen der Umwelt zu vermeiden (...) Risikovorsorge bedeutet, bei unvollständigem oder unsicherem Wissen über Art, Ausmaß, Wahrscheinlichkeit sowie Kausalität von Umweltschäden und -gefahren vorbeugend zu handeln, um diese von vornherein zu vermeiden (...)" [8]

Zwar orientieren sich die Bundesregierung und die Europäische Union bei ihren Entscheidungen manchmal am Vorsorgeprinzip, aber sie orientieren sich eben auch und oftmals prioritär an ökonomischen Vorteilserwägungen vor dem Hintergrund der Standortkonkurrenz in einer globalisierten Welt. Da sich die politischen Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel selber Daumenschrauben anlegen, indem sie Freihandelsabkommen abschließen, die Handel und Wirtschaft stärken und die Regulation schwächen, besteht die Gefahr, daß eine Angleichung der geltenden Sozial- und Umweltstandards auf dem jeweils niedrigeren Niveau stattfindet. Da könnte es geschehen, daß der Schutz der Insekten für weniger wichtig genommen wird als beispielsweise der Schutz von Investitionen und der Handlungsfreiheit der Unternehmen gegenüber administrativen Auflagen.


Apfelminzekraut mit mehr als ein Dutzend Schmetterlingen (Kleiner Fuchs, Kohlweißling) und Wildbienen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Um sie geht es: Schmetterlinge und andere Insekten auf Apfelminze am Straßenrand
Foto: © 2018 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] http://science.sciencemag.org/content/345/6195/401

[2] http://www.pnas.org/content/early/2011/01/03/1014743108

[3] http://onlinelibrary.wiley.com/wol1/doi/10.1111/cobi.12656/abstract

[4] https://www.zsl.org/conservation/news/invertebrates-on-the-brink

[5] http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809

[6] http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R0485&from=EN

[7] https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs11356-017-1052-5.pdf

[8] https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/umweltrecht/umweltverfassungsrecht/vorsorgeprinzip


Bisher im Schattenblick zur NABU-Tagung über den Insektenrückgang unter UMWELT → REPORT → BERICHT und UMWELT → REPORT → INTERVIEW erschienen:

BERICHT/133: Insektenschwund - Politik zu träge ... (1) (SB)
BERICHT/134: Insektenschwund - Politik zu träge ... (2) (SB)

INTERVIEW/268: Insektenschwund - Aufgabenvielfalt unterschätzt ...     Prof. Dr. Christoph Scherber im Gespräch (SB)
INTERVIEW/269: Insektenschwund - schon länger in der Peilung ...     Marie Thöne im Gespräch (SB)
INTERVIEW/270: Insektenschwund - Interessengegensätze ...     Prof. Dr. Werner Kratz im Gespräch (SB)


28. Februar 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang