Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


BERICHT/129: Botanik 2017 - Gretchens gefährliche Rechnungen ... (SB)



"Was kann man auf 2000 m² Ackerfläche anbauen?", fragte der Vertreter der Organisation Brot für die Welt, Stig Tanzmann. Er nahm am 18. September auf der Botanikertagung 2017 in Kiel an einer Podiumsdiskussion teil, die sich an den öffentlichen Vortrag "Können wir mit unseren Nutzpflanzen in 20 Jahren noch die Welt ernähren?" anschloß. Auch wenn nicht näher auf die Eingangsfrage eingegangen wurde, hatte vieles, was an diesem Abend besprochen wurde, eben damit zu tun. 2000 m² ist eine ähnlich einprägsame Größe wie in der Klimapolitik das sogenannte 2-Grad-Ziel und entspricht ungefähr der Ackerfläche, die jedem Menschen auf der Welt rechnerisch zur Verfügung steht. 7,4 Mrd. Menschen teilen sich 1,4 Mrd. Hektar Ackerfäche. Darin nicht enthalten ist die Weidefläche.

Es diskutierten, abgesehen von Tanzmann, der Referent des öffentlichen Vortrags, Prof. Dr. Andreas Graner, geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben, Prof. Dr. Friedhelm Taube (Institut für Pflanzenbau & Pflanzenzüchtung der CAU), Prof. Dr. Andreas Weber (Institut für Biochemie der Pflanzen an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Sprecher des Exzellenzclusters CEPLAS) und Dr. Frank Wolter (Norddeutsche Pflanzenzucht, NPZ Innovation GmbH, Hohenlieth, Holtsee) unter der Moderation von Prof. Dr. Karl-Josef Dietz (Präsident der Deutschen Botanischen Gesellschaft) über den zukünftigen Innovationsbedarf der Pflanzenzüchtung, die Möglichkeiten und Grenzen des ökologischen Anbaus, die Entwicklung der Weltbevölkerung und vieles mehr.

Zu der Frage, ob und inwiefern 2000 m² Ackerfläche genügen, um einen Menschen zu ernähren, die Baumwolle für seine Kleidung sowie den Bioanteil an dem Treibstoff, den er verfährt, zu produzieren, wurde vor einigen Jahren eine Initiative gegründet, die heute solch eine 2000 m² große Fläche auf der Internationalen Gartenausstellung (IGA) in Berlin-Marzahn bewirtschaftet und die Fläche genau so aufgeteilt hat, wie auch die Nutzpflanzen an der weltweiten Ackerfläche aufgeteilt sind. Die kleine Fläche spiegelt somit im gleichen Flächenverhältnis das wieder, was weltweit angebaut wird, und wird deshalb treffenderweise "Weltacker" genannt. Berücksichtigt wurden Kulturen ab einer globalen Anbaufläche von zwei Mio. Hektar. Lediglich auf einer kleineren parzellierten Fläche werden auch weniger verbreitete Gemüsearten angebaut.


Langer Stall mit Spaltenboden, einem Mittelgang und rechts und links davon Boxen mit zusammen etwa 200 Schweinen - Foto: EPA, gemeinfrei

Um diese Schweine zu füttern sind rund 100 Flächen zu je 2000 m² erforderlich.
Wer muß dafür seinen Weltacker abtreten?
Foto: EPA, gemeinfrei

Der Weltacker zeigt sehr anschaulich, daß sich Tierhaltung als regelrechter Flächenfraß erweisen würde. Wer auch nur ein einziges Schwein ernähren wollte, müßte dafür schon die Hälfte seiner 2000 m² in Anspruch nehmen, bei zwei Schweinen bliebe nichts mehr für ihn übrig. Daraus läßt sich ableiten, daß diejenigen, die viel Fleisch verzehren, mehr als "ihre" 2000-m²-Ackerfläche beanspruchen. Diese zusätzliche Fläche wird anderen Menschen vorenthalten.

Diese Form des Raubzugs über weltumspannende Entfernungen hinweg vermittelt sich über gesellschaftliche Ordnungsfaktoren und läßt sich beispielsweise an Begriffen wie Wertschöpfungskette und Wohlstandsgefälle, am Einfluß auf globaladministrative Institutionen sowie an wirtschaftlicher und gewiß nicht zuletzt militärischer Dominanz festmachen. Wobei sich der räuberische Charakter mitnichten auf den Fleischkonsum beschränkt; auch mit einem vegetarischen oder veganen Lebensstil wird unter Umständen über die 2000 m² hinausgeschossen.

Das entscheidene Stichwort lautet "Umstände". Als Mitglied dieser Gesellschaft bemißt sich die beanspruchte Ackerfläche nicht allein am individuellen Konsumstil. Einzurechnen ist der Verlust entlang der gesamten Lieferkette, also beispielsweise auch das, was über den Verbrauch im eigenen Haushalt hinaus vom Einzelhandel und Großhandel weggeworfen wird, was die Bauern auf dem Feld aussortieren oder auch was beispielsweise aufgrund der Qualitätsstandards der Europäischen Union bereits in afrikanischen Exportländern verdirbt.

Inzwischen gibt es solche Weltäcker auch in anderen Ländern. Benedikt Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, der die Initiative mit angeschoben hat und für deren Website (www.2000m2.eu) verantwortlich zeichnet, sagte vor drei Jahren, also noch am relativen Beginn des Projekts, gegenüber dem Schattenblick: "Jeder Ort ist einzigartig. Diese Norm der 2000 globalen Quadratmeter sieht eben sieben Milliarden Mal unterschiedlich aus. Es gibt nirgends die identisch gleichen 2000 Quadratmeter, und das ist auch das, was uns antreibt, von lokaler Versorgung zu reden, oder davon, daß es an jedem Ort eine andere Art von Fauna- und Flora-Gemeinschaft gibt." [1]

Hinter der 2000m²-Modellfläche steckt die Idee zu zeigen, daß sich ein Mensch davon ernähren kann; zugleich wird auf den beträchtlichen Mehrverbrauch an Ackerfläche nicht zuletzt des westlichen Konsumstils aufmerksam gemacht. Unter anderem wegen der besagten Flächennutzung für die Fleischproduktion und wegen Nutzungskonflikten (Pflanzen werden auch für die Gewinnung von Treibstoff und industriellen Rohstoffen angebaut) beansprucht ein Durchschnittseuropäer 2700 m². [2]


Blick auf ein langgestrecktes, parzelliertes Feld, parallel zu einem Weg. Links davon vermutlich eine Kleingartensiedlung, rechts davon in rund 100 Meter Entfernung ein Gewässer - Foto: © V.Gehrmann_J.Ganschow CC BY-NC-SA 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/]

Luftbild_Weltacker_2017
Foto: © V.Gehrmann_J.Ganschow CC BY-NC-SA 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/de/]

Im Jahr 2050 werden voraussichtlich 9,5 Mrd. bis 9,7 Mrd. Menschen die Erde bevölkern. Sie müssen sich nahezu die gleiche Ackerfläche teilen, wie sie der heutigen Weltbevölkerung zur Verfügung steht. Dadurch verringert sich der "Weltacker" auf 1500 m² pro Person. Denn eine Ausdehnung der Ackerfläche ist in den entwickelten Ländern nahezu ausgeschlossen, das hatte Prof. Graner in seinem Vortrag erläutert. Wenn Ausdehnung, dann käme dafür bestenfalls Afrika in Frage. Dem Kontinent wird ein noch verhältnismäßig großes Potential sowohl bei der Erweiterung der Ackerfläche als auch der Intensivierung der Bewirtschaftung attestiert.

Wobei sich daraus in beiden Fällen schwerwiegende andere Konflikte ergeben, beispielsweise mit den Nomaden, die Weideflächen beanspruchen, oder auch damit, daß zur Ausdehnung der Ackerfläche Wälder gerodet und andere Ökosysteme zerstört werden. Zudem ist Wald ein sowohl lokaler als auch regionaler klimastabilisierender Faktor. Wird dieser geschmälert, wärmt sich die Erde stärker auf, was wiederum die Qualität von Ackerflächen beeinträchtigt. Deshalb ist es keine gute Idee, Wald zu roden, um landwirtschaftliche Flächen zu erhalten.

Eine Reduzierung des Weltackers von 2000 m² auf 1500 m², um auf diese Weise das Jahr 2050 zu repräsentieren, könnte sogar noch ein geschöntes Bild ergeben, auch wenn die Rechnung stimmen mag. Denn 40 Prozent der Nahrungspflanzen werden heute auf künstlich bewässerten Feldern produziert. Eine Steigerung der Bewässerungslandwirtschaft bis 2050 ist nur im geringen Ausmaß möglich. In vielen Ländern sinken die Grundwasserspiegel in Folge der exzessiven Wasserentnahme bereits. Ein Beispiel nannte Prof. Tauber bei der Podiumsdiskussion: Der Ogalalla-Aquifer, der wichtigste Grundwasserspeicher für den landwirtschaftlichen Anbau in den Great Plains der USA, ist innerhalb der letzten 30 Jahre zu 70 Prozent entleert worden. "In North-Dakota fängt man jetzt schon wieder an, Ackerflächen in Grünland zurückzuverwandeln, weil das Wasser nicht reicht", so Tauber. Mit anderen Worten, die Ackerfläche schrumpft. Auch die zunehmende Verstädterung geht zu Lasten der landwirtschaftlich günstigsten Standorte.

Indien, China, der Nahe und Mittlere Osten verzeichnen ebenfalls teils drastisch sinkende Grundwasserstände. Ein Drittel der globalen Grundwasserbestände gilt inzwischen als übernutzt. [3] Es ist fraglich, ob Bewässerungslandwirtschaft überhaupt im gleichen Ausmaß wie heute weitergeführt werden kann. Sicherlich wird man sich verstärkt der Tröpfchenbewässerung und anderen Effizienzmaßnahmen der Wassernutzung zuwenden. Doch das Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg schreibt dazu:

"Selbst wenn die Bewässerungstechniken in Zukunft wesentlich effizienter gestaltet werden, steigt der für die künstliche Bewässerung benötigte Wasserbedarf bis 2050 (im Vergleich zum Jahr 2000) vermutlich um 50 % an, da sich die Bewässerungslandwirtschaft dem steigenden Lebensmittelbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung anpassen muss." [4]

Darüber hinaus besteht die Gefahr der Versalzung, je länger eine Fläche bewässert wurde. Dadurch sinkt der Ernteertrag, der hierauf erwirtschaftet wurde. Laut dem im September 2017 erstmals herausgegebenen "Global Land Outlook" der UN-Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung sind inzwischen rund 30 Prozent der globalen Landfläche degradiert. Der Trend hat in den letzten beiden Jahrzehnten "extrem" zugenommen. [5]


Sanfte Hügel mit vertrocknetem Gras und verkarsteten Boden - Foto: USDA, gemeinfrei

Da hilft auch keine Bewässerung mehr. US-Bundesstaat Montana wurde in diesem Sommer von einer schweren Dürre heimgesucht.
Foto: USDA, gemeinfrei

Degradierung kann viele Formen und viele Ursachen haben, Versalzung ist nur eine davon. Gemeinsam ist ihnen allen am Ende, daß eine Nutzbarmachung der Lands als Ackerfläche geringere Erträge abwirft und daß, wenn der Trend zur Degradierung anhält, dies bis 2050 global dramatische Folgen zeitigen wird.

Ob die bereits stattgefundene Degradierung mit der globalen Erwärmung und damit einhergehenden klimatischen Veränderungen zu tun hat oder nicht, noch weit vor Mitte dieses Jahrhunderts dürfte auch der letzte Trump die Anzeichen des Klimawandels nicht mehr übersehen können. Die Folgen des Klimwandels auf die landwirtschaftliche Produktion sind kaum kalkulierbar, gelten aber alles in allem als negativ. Ein höherer CO2-Gehalt der Atmosphäre liefert jedenfalls nicht den Mehrertrag, den man sich davon erhoffen könnte, da Pflanzen CO2 zum Wachstum brauchen. Hinzu kommen vermehrte Unwetterkatastrophen. Beispielsweise haben die massiven Überschwemmungen in Südostasien in diesem Sommer die Ernten von Millionen Menschen vernichtet. Niemand von ihnen kann die 2000 m² für sich beanspruchen.

Der 2000-m²-Weltacker bietet ein sehr positives Bild von der Versorgungslage der Menschen, für die Gegenwart und die Zukunft sowieso. Vieles, was auf dem Versuchsfeld demonstriert wird, läßt sich nicht auf andere Regionen der Welt übertragen. Wie Haerlin schon sagte, keine Fläche gleicht der anderen. Der Berliner Standort beispielsweise, wenngleich ein etwas sandiger Boden, ist gegenüber vielen anderen Standorten in der Welt begünstigt. Und allein schon daß mehr als eine Person den Acker bewirtschaftet hat, obgleich doch jede weitere Person ihren eigenen Weltacker haben und vollumfänglich biologisch bewirtschaften müßte (hallo Schnecken, ick hör' euch trapsen; guten Morgen, liebes Unkraut, bist ja auch schon da; und, ach ja, Gruß an die Getreidepilze ...) verzerrt das Bild.

Wollte man also in Zukunft den "Weltacker" nicht mehr mit 2000 m², sondern nur noch mit 1500 m² bemessen, müßte ein solcher Standardacker als trockener und stärker degradiert angenommen werden als heutige Böden. Es sind zwar Konstellationen vorstellbar, in denen es Menschen gelingt, mit einer noch geringeren Ackerfläche auszukommen, mehr als fraglich ist jedoch, daß alle Menschen unter diesen Voraussetzungen davon leben könnten, was auf 1500 m² degradierter Ackerfläche angebaut werden kann. Selbst bei einer idealen Verteilung, die unter den gegebenen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen nicht einmal annähernd erreicht, ja nicht einmal angestrebt wird, würden allein von den natürlichen Voraussetzungen her vermutlich zahlreiche Menschen verhungern. Wenn also bereits heute der Lebensstil der Menschen in den Wohlstandsregionen - rechnerisch oder unmittelbar: Stichwort Landgrabbing - nur durch Raub aufrechtzuerhalten ist, dürfte dieser in Zeiten knapper werdender Ressourcen noch harscher ausfallen.


Ein Mann, bis zum Kopf - mit Strohhut - im Wasser stehend, inspiziert ein Reisfeld - Foto: IRRI, CC BY-NC-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]

Der Anbau von Tiefwasserreis ist ein Versuch, die Ernteverluste durch Überschwemmungen zu verringern. Aber eine Pauschallösung ist auch das nicht, da die langen Reispflanzen beispielsweise bei Zyklonen umgeknickt werden können.
Foto: IRRI, CC BY-NC-SA 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/]


Fußnoten:


[1] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0124.html

[2] http://www.2000m2.eu/de/about/

[3] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-18978-2015-06-17.html

[4] https://www.mpimet.mpg.de/kommunikation/aktuelles/single-news/news/auswirkungen-von-bewaesserungslandwirtschaft-auf-das-klima

[5] tinyurl.com/y8ujmszz


Bisher zur öffentlichen Abendveranstaltung der Botanikertagung 2017 in Kiel im Schattenblick unter INFOPOOL → UMWELT → REPORT erschienen:

BERICHT/127: Botanik 2017 - Agrarpfründe, Agrarsünde ... (SB)
BERICHT/128: Botanik 2017 - mundgerechtes Zählen ... (SB)

INTERVIEW/261: Botanik 2017 - Nahrungsquellen nicht grenzenlos ...     Prof. Dr. Andreas Graner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/262: Botanik 2017 - Finanzbedarf und Wissensmängel ...     Prof. Dr. Andreas Weber im Gespräch (SB)


3. Oktober 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang