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BERICHT/100: Der Blick aus dem All - ein Hauch Atmosphäre ... (SB)


Back on Earth

Heiteres, Ermunterndes und Nachdenkliches von dem ESA-Astronauten Alexander Gerst am 8. Mai 2015 bei einem Vortrag im Audimax der Universität Hamburg


"Darauf war ich nicht vorbereitet. Als Geophysiker kannte ich alle Zahlen, aber das hat mich nicht auf diesen Blick vorbereitet. Man sieht, wie dünn diese Atmosphäre wirklich ist in Relation zur Erde! Ich glaube, manchmal muß man einfach etwas sehen, um es wirklich zu begreifen." Das betonte der deutsche Raumfahrer Alexander Gerst im Vortrag über seine Mission "Blue Dot" der Europäischen Raumfahrtagentur ESA am 8. Mai 2015 im Audimax der Universität Hamburg. Gerst ist nicht der erste, der nach seiner Rückkehr aus dem All den Menschen eine solche Botschaft nahebringen will.

Viele Raumfahrer, welcher Nationalität auch immer, haben sich in ähnlicher Weise geäußert. Eine Ahnung, daß das Blau des vermeintlich unendlichen Himmels das Auge täuscht, beschleicht die Menschen manchmal in einer sternklaren Nacht, wenn die Himmelskörper nah an sie heranzurücken scheinen. Die atmosphärische Schutzhülle, die das Leben überhaupt erst ermöglicht hat (anfangs ohne den hohen Sauerstoffanteil von heute) und bis heute gewährleistet, ist im Verhältnis zur Erde dünner als die äußerste Schale einer Zwiebel zum Rest.


Alexander Gerst vor Großbildleinwand mit dem Ringplaneten Saturn und einem kleinen blauen Fleck im unteren Bildbereich, der Erde - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Für uns ist das der einzige Ort, an dem wir leben können. Wir haben keinen Plan B. Wenn wir diesen Ort zerstören, und das könnte passieren - es könnte sogar passieren, daß wir es aus Versehen tun -, dann ist es vorbei mit uns. Das ist eine Perspektive, die wir aus der Raumfahrt bekommen. Deswegen haben wir unsere Mission 'Blue Dot' genannt."
(Alexander Gerst, 8. Mai 2015, Audimax der Universität Hamburg)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Der an der Universität Hamburg promovierte Vulkanologe Gerst hat fünf Monate (28. Mai - 10. November 2014) auf der Internationalen Raumstation ISS gelebt. Dabei war er an Dutzenden Experimenten beteiligt, mal als menschliches Versuchskaninchen, mal als Laborant für industrielle Anwendungen beispielsweise aus der Material- und pharmazeutischen Forschung, mal als Naturwissenschaftler, der aus rund 400 Kilometern Höhe "Erdsystembeobachtung" betreibt, und nicht zuletzt als Astronaut, der mit großer Begeisterung Forschungsvorschläge von Schülern aufgreift und umsetzt. So weiß man jetzt, daß sich Luftblasen unter den Bedingungen der Mikrogravitation auf der Raumstation nicht miteinander verbinden, sondern abprallen, wenn sie sich treffen, und daß man einen Bleistift in eine Luftblase stecken kann, ohne daß sie platzt.

"Blue Dot" wurde Gersts Mission genannt. Der Name geht auf eine Aufnahme der ESA-Raumsonde Cassini-Huygens aus 1,5 Milliarden Kilometern Entfernung vom Ringplaneten Saturn in Richtung Erde zurück. Die ist auf dem Foto nur noch als blauer Punkt zu erkennen. "Für uns ist der kleine blaue Fleck alles", erläutert Gerst anhand eines riesigen Fotos auf der Leinwand hinter ihm. Auf dem Bild könne man ebenfalls sehen, wie wichtig unsere Erde für den Rest des Universums ist, nämlich: "Vollkommen unwichtig."

Ein anderes Bild, das Gerst von der ISS aus aufgenommen hat, zeigt einen Teil des Amazonas-Regenwalds, in den Schneisen geschlagen wurden, von denen wiederum weitere Schneisen wegführen. Wie ein Krebsgeschwür, kommentiert der ESA-Astronaut das Foto und erklärt, daß man darauf noch den Vorgang der Abholzung sehen könne, an anderen Stellen der Region seien jedoch große Waldflächen ganz und gar verschwunden. Es sei schon bizarr, daß "wir Menschen diese grüne Lunge, die unseren Sauerstoff produziert, abholzen".


Gerst vor dem Foto eines deutlich von Abholzung betroffenen Gebiets des Amazonas-Regenwalds - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Es ist bizarr, wenn man sieht, daß wir Menschen diese grüne Lunge, die unseren Sauerstoff produziert, abholzen. Wir wissen, daß das passiert, aber scheinbar ist es jemand anderes Problem, wir tun erstmal nichts dagegen. Aber trotzdem wissen wir, wenn der Wald weg ist, daß es mit uns vorbei ist. Wir brauchen Sauerstoff auf der Erde."
(Alexander Gerst, 8. Mai 2015, Audimax der Universität Hamburg)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Ein kleines bißchen dürfen sich die ESA-Verantwortlichen für das Casting, bei dem Gerst und eine Handvoll Mitstreiter aus über 8000 Bewerberinnen und Bewerbern für das ESA-Astronautenkorps ausgewählt wurden, auf die eigene Schulter klopfen. Für sie muß der Vulkanologe ein Glücksgriff gewesen sein. Gerst bewegt sich nicht nur auf seinem Fachgebiet souverän, sondern versteht sich auch bestens auf den Umgang mit den Medien und wirbt allein durch seine Präsenz für die Raumfahrt. Im Januar hat er von Bundespräsident Joachim Gauck das Verdienstkreuz Erster Klasse erhalten, und für seine Twitter- und Facebook-Beiträge aus dem Weltraum wurde er für den Grimme Online Award nominiert.

Bestandteil der nachmittäglichen Veranstaltung vor fast 1500 Personen war, neben einem Grußwort des Uni-Präsidenten Prof. Dieter Lenzen und eines der frisch gekürten Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank, ein Podiumsgespräch mit Experten, das von der NDR-Moderatorin Julia Sen geleitet wurde. Gersts Doktorvater Prof. Matthias Hort vom Geophysikalischen Institut der Universität Hamburg berichtete, daß sein ehemaliger Promotionsstudent für ihn und seinen Kollegen Klemen Zakšek Fotos von der Aschewolke eines Vulkans auf der ostsibirischen Halbinsel Kamtschatka geschossen hat. Gerst habe gewußt, auf was es ihnen ankam, und die Wolken sowie deren Schattenwürfe am Boden aus verschiedenen Winkeln fotografiert. Dadurch konnten sie eine neue Methode zur Bestimmung der Höhe von Vulkanaschewolken überprüfen. Das sei deshalb von großem Interesse, weil die Partikel, je nach Luftschicht, in verschiedene Richtungen driften können und eine Gefahr für den Flugverkehr darstellen.


Podiumsteilnehmer bei der Übergabe. Hinter ihnen auf der Großbildleinwand das Magazin vor einem Fenster des ISS-Moduls Cupola mit Blick auf die Erde - Foto: © 2015 by Schattenblick

Alexander Gerst überreicht das Magazin "Klima im Fokus" des Hamburger Excellenzclusters CLiSAP, das 2566mal mit ihm die Erde umkreist und dabei 110 Mio. Kilometer zurückgelegt hat, an Prof. Stammer.
(Von links:) Prof. Matthias Hort, Prof. Lars Kaleschke, Dr. Alexander Gerst, Prof. Detlev Stammer, Julia Sen (im Hintergrund), Dr. Maurice Borgeaud.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Auf dem Podium saß auch Dr. Maurice Borgeaud, Bereichsleiter Wissenschaft und ESA-Programmdirektion für Erd- und Umweltbeobachtung. Er berichtete vom neuen ESA-Programm Copernicus, das den Start einer Reihe von Umweltsatelliten in den nächsten Jahren vorsieht. Hierzu ging bereits im vergangenen Jahr der Satellit Sentinel-1 in eine Umlaufbahn und soll rund um die Uhr und bei jeder Wetterlage Daten von der Erdoberfläche, ob vom Festland, Meer oder Eis, liefern. Daß solche Messungen nützlich sind, zeigt das aktuelle Beispiel Nepal, das von einem schweren Erdbeben und mehreren kräftigen Nachbeben verwüstet wurde.

Klimaschutz und Katastrophenhilfe sind nur zwei der Gebiete, auf denen die Satellitenunterstützung als Ergänzung zu Beobachtungen und Maßnahmen von der Erdoberfläche aus von Nutzen ist. Dies wurde von zwei weiteren Hamburger Wissenschaftlern, Prof. Lars Kaleschke vom Institut für Meereskunde am CEN (Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit) und CEN-Direktor Prof. Detlef Stammer bestätigt. Kaleschke hatte ein Foto aus rund 700 Kilometer Höhe vom Nordpol mitgebracht und daran verdeutlicht, daß das arktische Meereis im Sommer 2012 um 40 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der zurückliegenden Jahrzehnte geschrumpft war. Auch der Meeresspiegelanstieg, der laut Stammer regional unterschiedlich ausfällt, aber im globalen Durchschnitt an die drei Millimeter pro Jahr beträgt, wird von Satelliten aus gemessen.

In einer abschließenden Fragerunde stellte sich Gerst den knallharten Fragen insbesondere aus kindlichem Munde: "Wie war das, als Sie wieder auf der Erde waren?" "Schwer", lautete seine Antwort, die nicht zum ersten Mal an diesem Nachmittag das Publikum zum Lachen brachte.


Gerst steht am vorderen Rand der Bühne und spricht mit dem Publikum - Foto: © 2015 by Schattenblick

Eine Botschaft an die Kinder: "Gebt euren Träumen eine Chance!"
(Alexander Gerst, 8. Mai 2015, Audimax der Universität Hamburg)
Foto: © 2015 by Schattenblick

So bildreich und leichtfüßig Alexander Gerst die Begebenheiten auf seiner Blue-Dot-Mission auch schildert, ernste Themen hat er nicht ausgespart. Abholzung des Regenwalds, Wüstenbildung, Bodenerosion, hoher Energieverbrauch und allgemein der Klimawandel waren ihm offenkundig wichtige Anknüpfungspunkte, um mit ihrer Hilfe den Menschen die Perspektive aus dem All näherzubringen.

Und mehr noch: "Ich habe einmal rausgeschaut und bewegte orangene Punkte gesehen ... da habe ich realisiert, daß das Krieg ist." Gerst hatte bereits in sozialen Netzwerken mit seinen Meldungen aus dem All, bei denen er den Gazakrieg im Juli 2014 kommentierte, für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Jetzt sagte er auffallend nachdenklich: "Wenn es tatsächlich einmal so sein sollte, daß es da draußen im Universum Lebewesen gibt, die uns einen Besuch abstatten, dann ist es das erste, was sie sehen. Dieses Bild geben wir Menschen, die wir uns als intelligentes Leben bezeichnen, nach außen ab. Wie würden wir es denen erklären, daß wir uns gegenseitig umbringen und ganz offensichtlich den Ast absägen, auf dem wir sitzen, und nichts dagegen tun? Ich weiß bis heute keine Antwort darauf, wie wir das erklären könnten." Die Reaktion des Publikums, das auch und gerade zu den etwas ernsteren Aussagen Gersts Beifall klatschte, bestätigt, daß er ihre Wellenlänge getroffen hat und seine Botschaft angekommen ist.

Bei Vortrag und Podiumsgespräch konnte man den Eindruck gewinnen, daß sich die bemannte und die unbemannte Raumfahrt zumindest an dieser Stelle der Anwendungen von ihrem rein militärischen Ursprung emanzipiert haben und damit nicht zu dem gehören, was man den Außerirdischen kaum erklären könnte ...

Innerhalb des gesellschaftlichen Rahmens hat die Raumfahrt da ihre Berechtigung, wo Gefahren von außen für die Erde abzuwenden sind, wie es Gerst am Beispiel eines Fotos von einem Asteroideneinschlag angedeutet hat, und auch Gefahren von "innen", die die Menschen mit ihrem hohen Verbrauch an fossilen Energieträgern wachrufen, den allerdings auch der Vorstoß in den Weltraum nicht unmaßgeblich forciert. Bei der Warnung vor Naturkatastrophen wie Erdbeben, Tsunamis oder Vulkanausbrüchen, ebenso wie bei ihrer Bewältigung können Fernerkundungssysteme ebenfalls gute Dienste leisten.

Die Botschaft von Raumfahrern, die wie Alexander Gerst nach ihrer Rückkehr aus dem All die Menschen eindringlich ermahnen, daß sie vorsichtig mit ihrer Lebenssphäre umgehen sollten, da sie ungeheuer verletzlich ist und sie an den Voraussetzungen ihrer eigenen Existenz kratzen, wenn sie so weitermachen wie bisher, wird in der Raumfahrt als "Overview"-Effekt bezeichnet.

Mit so einer Kategorisierung wird jedoch, wenn man es genau nimmt, die tiefgreifende Einsicht der Raumfahrer zu einer Art Stimmung erklärt, von der sie befallen werden können wie von der Raumkrankheit. Der Zweck einer solchen Zuordnung dürfte darin liegen, genau nicht die Konsequenzen zu ziehen, die eigentlich geboten wären, würden die Beobachtungen der Raumfahrer und ihre daraus abgeleiteten Warnungen ernst genommen.

Interviews, unter anderem mit Alexander Gerst, seinem Doktorvater Matthias Hort und dem Klimaforscher Lars Kaleschke, folgen in Kürze.


ISS, dahinter die wolkenbedeckte Erde - Foto: NASA

Die Internationale Raumstation ISS vom Space Shuttle Discovery aus am 7. März 2011 aufgenommen.
Foto: NASA

12. Mai 2015


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