Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

BERICHT/089: Technik klimagerecht - wie gehabt, nur besser ... (SB)


"Klimawandel und Klimaschutz - zwischen globaler Transformation und nationalen Herausforderungen"

Hochrangig besetzte Podiumsdiskussion der "Michael Otto Stiftung für Umweltschutz" am 2. September 2014 in den Mozartsälen, Hamburg



"Die Wirtschaft ist Teil des Problems, aber auch Teil der Lösung." Diese Grundsatzerklärung Dr. Michael Ottos zu Beginn seiner Begrüßungsansprache auf der öffentlichen Dialogveranstaltung "Klimawandel und Klimaschutz. Globale Transformation - nationale Herausforderungen" am 2. September 2014 in Hamburg traf den breiten Konsens der für diesen Abend geladenen Referentinnen und Referenten.

Bei der Podiumsdiskussion - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Vernünftiger Klimaschutz darf nicht als störender Kostenfaktor verstanden werden, sondern als eine lohnende Investition in unsere Zukunft."
(Dr. Michael Otto)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Aufsichtsratsvorsitzende der Otto Group hatte mittels seiner "Michael Otto Stiftung für Umweltschutz" sechs Jahre lang die Stiftungsprofessur "Ökonomie des Klimawandels" kofinanziert. Aus Anlaß ihres Abschlusses sprachen an diesem Abend außer dem Stifter selbst, der zugleich Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung ist, Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Prof. Dr. Christian Thomson, Präsident der Technischen Universität Berlin - an der die Professur eingerichtet worden war -, Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung und Inhaber der Stiftungsprofessur, sowie die Politikwissenschaftlerin und Germanistin Jennifer Morgan, Direktorin des Energie- und Klimaprogramms des Washingtoner World Resources Institutes. Moderiert wurde das Treffen von Max Schön, Vorstand der "Stiftung 2° - Deutsche Unternehmer für Klimaschutz".

Das Problem, an dem die Wirtschaft beteiligt ist: Die Erde erwärmt sich, die Eismassen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, Klimazonen verschieben sich, extreme Wetterereignisse nehmen zu. Als treibende Kraft dieser Entwicklung gilt die Verbrennung der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas, da hierdurch Abgase (Kohlendioxid) erzeugt werden, die den natürlichen Treibhauseffekt verstärken, also die Wärmerückstrahlung der Sonnenenergie von der Erdoberfläche hindern, in den Weltraum abzufließen.

Die dargebotene Lösung, an der die Wirtschaft beteiligt werden soll - ebenfalls in Kurzform beschrieben: Sie soll Produkte herstellen, die weniger Energie verbrauchen, haltbarer sind und vollständig recycelt werden können; sie soll bei der Produktion selber weniger Energie verbrauchen und fossile durch sogenannte regenerative Energieträger ersetzen. Hierzu hat die Regierung den politischen Rahmen vorzugeben und entsprechende Steuerungsinstrumente einzusetzen. Das könnten beispielsweise eine Abgabe auf CO2-Emissionen sein oder ein (im Unterschied zum bestehenden) wirksames Emissionshandelssystem, das am besten auf internationaler Ebene verankert wäre.

Bei der Podiumsdiskussion - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Ich bin optimistisch, aber es gibt ganz viel Arbeit zu tun, bis ein neues Modell der internationalen Zusammenarbeit beschlossen wird."
(Jennifer Morgan)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Über diese und weitere Fragen wurde an diesem Abend weitgehend im Konsens diskutiert. Wir brauchen eine "umfassende Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaftsweise" und zu neuen Produktions- und Konsummustern, forderte Barbara Hendricks. Sie sieht in dem vom Weltklimarat IPCC erkorenen Ziel, die Erderwärmung auf 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, was einer nahezu vollständigen Dekarbonisierung der Stromerzeugung bis 2050 in allen Ländern entspricht, eine "Chance". Eine an die Klimaschutzziele angepaßte Wirtschaft ist "mit Wachstumschancen im globalen Maßstab verbunden, die wir für Beschäftigung und Wohlstand in unserem Land nutzen wollen", so Hendricks.

Auch Michael Otto erklärte: "Vernünftiger Klimaschutz darf nicht als störender Kostenfaktor verstanden werden, sondern als eine lohnende Investition in unsere Zukunft." Je früher wir in Klimaschutz investieren, desto übersichtlicher blieben die finanziellen Aufwendungen und gesellschaftlichen Anstrengungen, um den negativen Effekten des Klimawandels zu begegnen. Werde nichts unternommen, sei es schwieriger, das 2-Grad-Ziel zu erreichen, und wenn man darüber hinaus komme, sogar noch teurer, lautet die Analyse des Unternehmers, der sich von seinem Selbstverständnis her in "gesellschaftlicher Verantwortung" sieht.

Deutschland hat sich im Bündnis mit anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren. Die Politikberaterin Jennifer Morgan hegt durchaus Hoffnung und ist "optimistisch", daß dieses Ziel erreicht werden kann, sieht aber auf dem Weg dahin noch einige hohe Hürden zu nehmen. Deutschland könne und solle hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen, wobei inzwischen auch die USA unter Präsident Barack Obama eine beachtliche Klimaschutzpolitik betrieben. Morgan ist zuversichtlich und würde "ihr Haus darauf wetten", daß es unter ihm keine neuen Kohlekraftwerke geben wird. Einen rascheren Ausstieg aus der Kohle empfahl sie auch der deutschen Regierung - dagegen wandte die Umweltministerin ein, daß ein Atom- und Kohleausstieg zugleich kaum zu machen sei.

"Noch viel Arbeit", "wir können es schaffen", "wir sind auf dem Weg" ... als im Laufe der Zeit die Diskussion auf dem Podium zu seicht wurde, sah sich Prof. Edenhofer aufgerufen, die Rolle des "bad guy" zu geben und auf die Probleme hinzuweisen. Wie er schon in seinem Vortrag anhand zahlreicher Schaubilder und Diagramme erläutert hatte, lassen die gegenwärtigen Trends der Treibhausgasemissionen sowohl in Deutschland als auch weltweit eine andere Entwicklung erwarten, als sie hier teilweise zum besten gegeben wurde. Die Beschlüsse der Verhandlungen der UN-Klimakonferenz von Cancún im Jahr 2010 (COP 16) sind seinen Berechnungen zufolge zwar dazu geeignet, das 2-Grad-Ziel zu erreichen, aber dann werden die Emissionen in den nächsten 20 Jahren weiter steigen und ab 2030 müßten sie pro Jahr um sechs (statt um drei) Prozent gesenkt werden - eine kaum lösbare Aufgabe, wenn man bedenkt, daß die Emissionen zur Zeit nicht sinken, sondern zunehmen. Außerdem steigen dann nicht nur die Kosten der Reduktion, sondern es nehmen auch die Risiken zu.

Was nicht gesagt wurde: Für das erste Prozent der CO2-Reduzierung werden all die Maßnahmen ergriffen, die wenig weh tun und vergleichsweise leicht umzusetzen sind. Beim zweiten Prozent wird es schon schwieriger und beim dritten müssen enorme Anstrengungen geleistet werden. Aber sechs Prozent ...

Der Referent beim Vortrag - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Wenn wir den Anteil der kohlenstofffreien Technologien erhöhen wollen, bedarf dies eines dramatischen, weitreichenden Transformationsprozesses. Und die Cancún-Zusagen, die wir bisher haben, reichen mitnichten aus, um dieses Ziel kosteneffizient zu erreichen."
(Prof. Ottmar Edenhofer)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Drei Faktoren sind laut Prof. Edenhofer für die Steigerung der CO2-Emissionen ausschlaggebend. "Wichtigster Treiber" ist für ihn das Wirtschaftswachstum. Dadurch sind alle Energieeffizienzeinsparungen, die es zweifellos gegeben habe, und der Zubau an erneuerbaren Energien überkompensiert worden. Als weiteren Faktor, wenngleich von geringem Einfluß, nannte er das Bevölkerungswachstum. Den dritten Faktor - Anstieg der Kohlenstoffintensität seit Beginn der Nuller Jahre, nachdem noch in den neunziger Jahren eine Reduzierung stattgefunden hat - bezeichnete der Referent als "geradezu besorgniserregend".

Mit Kohlenstoffintensität wird beschrieben, wieviel CO2-Emissionen durch eine Einheit Primärenergie hervorgerufen werden. Steigt beispielsweise der Anteil der Primärenergie Kohle im Verhältnis zur Primärenergie Windkraft, so nimmt die Kohlenstoffintensität zu, weil bei der Kohleverstromung mehr CO2 freigesetzt wird als bei der Windenergie. Prof. Edenhofer spricht von der "größten und breitesten Kohlerenaissance der Industriegeschichte", denn noch nie sei Kohle so wettbewerbsfähig gewesen wie heute. Wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, wird auf Kohlestrom zurückgegriffen. In China und Indien werde sogar kräftig in Kohleverflüssigung investiert, so daß die Kohle auch noch im Transportsektor eingesetzt werden kann.

Die Schwellenländer haben sich auf den gleichen Pfad wie die Industriestaaten begeben, warnte er, und letztere hätten den Beweis noch nicht erbracht, daß es anders geht. Deshalb befürchten die Entwicklungs- und Schwellenländer, daß eine internationale Klimapolitik dazu führen könnte, daß sie in die Armutsfalle, der sie so dringend entrinnen wollten, zurückgeworfen werden.

Ein Thema, das an diesem Abend wenig berührt, jedoch stets in der Frage nach Lösungsvorschlägen (und weiter unten bei der Frage nach der Ökonomie des Klimaproblems) enthalten ist, sind die externalisierten Kosten beispielsweise der Kohleverstromung. Kohle ist nur deshalb so wettbewerbsfähig, weil die Schäden an Mensch und Umwelt durch die Kohleverbrennung vergesellschaftet werden. Würden dagegen die CO2-Emissionen und damit ihr Anteil an den Folgen des Klimawandels geldwertig bemessen, so wäre der Energieträger Kohle wahrscheinlich unerschwinglich und nicht mehr konkurrenzfähig. (Das gleiche gilt im übrigen für die Kernkraft. Zum Beispiel werden die Schäden durch die Dreifachkernschmelze im japanischen Akw Fukushima Daiichi zum größten Teil vom Staat oder eben von Privatpersonen, wenn sie zum Beispiel in Folge des radioaktiven Fallouts an Schilddrüsenkrebs erkranken und medizinisch behandelt werden müssen, bezahlt.)

Ebenfalls nicht in Rechnung gestellt wird der Verlust der Heimat von Menschen, deren Dörfer dem Braunkohletagebau weichen müssen und "devastiert" werden. Zwar erhalten die Umgesiedelten von den Energienkonzernen neue Häuser und die Landwirte neue Bewirtschaftungsflächen, aber, wie man in der Lausitz und anderen deutschen Braunkohleregionen sagt: die Menschen ziehen um, aber ihre Seelen kommen nicht mit. Mit anderen Worten, die neuen Orte sind vielleicht hübsch und modern, aber oftmals auch leblos und wirken wie "entseelt". Welchen ökonomischen Wert wollte man diesem Verlust beimessen? Diese Frage wird gar nicht erst aufgeworfen, sie läßt sich schwerlich mit ökonomischen Kategorien erfassen.

Deutschland ist nicht nur im Fußball Weltmeister, sondern auch im Verbrennen von Braunkohle, dem klimaschädlichsten unter den fossilen Energieträgern. Hierzulande wird so viel Braunkohle gefördert wie in den nächsten beiden Staaten, China und USA, zusammen. Laut der "Energiewende" sollen Braunkohlekraftwerke noch bis zum Jahr 2030 oder gar 2045 als "Brückentechnologie" fungieren.

Beim Vortrag - Foto: © 2014 by Schattenblick

"... und wir sind im übrigen natürlich auch verpflichtet, Technologietransfer zu betreiben."
(Dr. Barbara Hendricks)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Worin besteht eigentlich die Ökonomie des Klimaproblems, fragt Prof. Edenhofer und gibt sich die Antwort selbst: "Es ist nicht die Knappheit der fossilen Energieträger im 21. Jahrhundert, sondern es ist die Knappheit des Deponieraums der Atmosphäre." Das stelle das entscheidende Problem dar. Wenn aber der Deponieraum knapp ist, dann bedarf es aus der Sicht des Chefökonomen des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung klarer "Marktsignale": "Wir brauchen einen Preis für CO2, der die Knappheit angemessen widerspiegelt."

So schlüssig diese Beschreibung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, bestimmte Annahmen bleiben hier unerwähnt. Denn rein physikalisch gesehen ist der "Deponieraum" nicht knapp. Zur Zeit der "kambrischen Explosion" vor etwa 505 bis 540 Millionen Jahren lag der atmosphärische CO2-Gehalt bei über 0,6 Prozent oder 6000 ppm (parts per million). Zum Vergleich: Heute liegt der CO2-Gehalt bei 0,0395 Prozent oder 395 ppm. Selbstverständlich wäre es nicht wünschenswert, wenn der CO2-Gehalt solch schwindelerregende Höhen erklimmt. An diesem Vergleich wird jedoch deutlich, daß "Knappheit" kein physikalischer, sondern ein ökonomischer Begriff ist. Er ist nicht wertneutral, also frei von bestimmten Interessen, sondern höchst politisch. Auf der Podiumsdiskussion wurde unhinterfragt vom 2-Grad-Ziel gesprochen. Das erscheint naheliegend, haben sich doch die Unterzeichner des internationalen Klimaschutzabkommens von Kyoto auf diesen Wert verständigt.

Wenn aber die gleiche Veranstaltung unter dem Titel "Klimawandel und Klimaschutz - zwischen globaler Transformation und nationalen Herausforderungen" auf einer der pazifischen Inselstaaten stattgefunden hätte, wäre womöglich nicht über das 2-Grad-Ziel, sondern das 1,5-Grad-Ziel gesprochen worden. Denn mit dieser Forderung waren die vom Meeresspiegelanstieg bedrohten, flachen Inselstaaten einst in die internationalen Klimaschutzverhandlungen eingetreten, und daran halten sie heute noch fest, hängt doch ihre Existenz davon ab. Daß ihre Stimmen nicht gehört werden, ist gewiß nicht ihnen anzulasten. Ein Inselstaat wie Tuvalu, der an seiner höchsten Erhebung nicht mehr als fünf Meter aus dem Meer ragt, wird größtenteils untergehen, auch wenn das 2-Grad-Ziel eingehalten werden sollte.

Um ein 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wären natürlich noch ganz andere Anstrengungen erforderlich. Würde man auf seiten der Industriestaaten und aufstrebenden Schwellenländer dieses Ziel ernsthaft verfolgen, müßte vielleicht sogar darüber nachgedacht werden, ob die vorherrschende, profitorientierte Wirtschaftsordnung überhaupt in der Lage ist, eine solche Aufgabe zu meistern. Und vielleicht liefert die Geschichte keine Beispiele dafür, in welcher Form der Gesellschaft oder Gemeinschaft und unter welchen Produktionsbedingungen die Menschen dann in Zukunft leben müßten.

Umweltministerin Hendricks sagte, wir brauchen eine "umfassende Transformation hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaftsweise" und zu neuen "Produktions- und Konsummustern". Würde das auch für das 1,5-Grad-Ziel genügen? Oder hat man es hier lediglich mit einem Tapetenwechsel zu, bei dem das braune Muster (fossile Energien) durch ein grünes (regenerative Energien) ausgetauscht wird?

Wie so oft bei Podiumsdiskussionen und anderen Veranstaltungen, auf denen der Klimawandel problematisiert wird, bleibt der Eindruck zurück, daß die beteiligten Interessenvertreter ihre Erkenntnisse, Vorhaben und Standpunkte mehr oder weniger schlüssig darlegen, aber vieles unausgesprochen bleibt oder bestenfalls nur angerissen werden kann. Wenn man davon ausgeht, was die wissenschaftlichen Projektionen nahelegen, nämlich ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um bis zu 4,8 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts - falls keine entschiedenen Gegenmaßnahmen getroffen werden -, dann hat der gesellschaftliche Diskurs darüber, in welcher Welt wir leben wollen, noch gar nicht angefangen.

Gruppenfoto - Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Referentinnen und Referenten (von links nach rechts):
Max Schön, Jennifer Morgan, Dr. Michael Otto, Dr. Barbara Hendricks, Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Prof. Dr. Christian Thomson
Foto: © 2014 by Schattenblick


7. September 2014