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BERICHT/074: Fracking nein danke - bohren, testen und zerbrechen (SB)


Mecklenburg-Vorpommern - das Erdölland von morgen?

Bericht und Hintergründe zu einer Demonstration am 24. Mai 2014 gegen die Förderung von Erdöl in Saal



Die US-Energieinformationsagentur revidiert ihre Einschätzung der gegenwärtig technisch förderbaren Reserven im kalifornischen Monterey-Schieferölfeld um 96 Prozent. Dieses Feld enthält rund zwei Drittel der nationalen Schieferölreserven der Vereinigten Staaten. [1]

Die Nationalen Institute für Arbeitsschutz und Gesundheit der USA haben die Untersuchung von Gesundheitsrisiken des Frackings aufgenommen, nachdem es seit 2010 in den Bundesstaaten North Dakota und Montana zu mindestens vier ungeklärten Todesfällen unter Ölarbeitern gekommen ist. [2]

Im vergangenen Jahr haben in den USA die Öl- und Gasleckagen bzw. -unfälle um rund 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen, obwohl die Bohrmaßnahmen insgesamt rückläufig waren, berichteten Analysten der Website Environment & Energy Publishing (E&E) nach ihren Recherchen. [3]

Haus mit zerstörter Backsteinwand, Steinhaufen am Boden - Foto: © Brian Sherrod / USGS

Am 6. November 2011 sorgte ein Erdbeben der Stärke 5,6 in Oklahoma für Gebäudeschäden. Eine Forschergruppe um die Geophysikerin Elizabeth Cochran vom US Geologischen Dienst (USGS) nimmt an, daß das Erdbeben durch die Injektion von Produktionswasser in ein Bohrloch im Rahmen von Fracking-Maßnahmen verursacht wurde.
Foto: © Brian Sherrod / USGS

Drei Meldungen allein aus dem Monat Mai aus dem Fracking-Land Nummer 1, den USA, die nur vordergründig nichts mit den regen Aktivitäten zu tun haben, die gegenwärtig am Rande einer einzigartigen Boddenlandschaft an der vorpommerschen Ostseeküste entfaltet werden. Dort hat das Unternehmen CEP GmbH (Central European Petroleum) die Erlaubnis, nach Erdöl zu bohren, und bereits ein fußballfeldgroßes Gelände samt Bohrturm eingerichtet. In wenigen Tagen, so rechnen besorgte Anwohner, könnte das Unternehmen mit der angekündigten mehrwöchigen Testbohrung beginnen.

Das Verfahren ist harmlos, es besteht keine Gefahr für Umwelt und Gesundheit, und es wird auch gar kein Fracking eingesetzt, sondern eine "hydraulische Stimulierung", beschwichtigt CEP.

Mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung braucht es die angebliche Harmlosigkeit allerdings nicht zu belegen, monieren Kritiker des Vorhabens. Und auch an einem geologischen Gutachten zu der Frage, wie sich in der geologischen Saal-Barth-Struktur die Bohrung, die 2680 Meter vertikal und rund 1000 Meter horizontal in eine relativ dünne, ölführende Gesteinsschicht des 256 Mio. Jahre alten Staßfurtkarbonats im Zechstein getrieben wurde, zu den älteren, stillgelegten Bohrlöchern aus der Zeit der DDR verhält, mangele es. [4]

Auch vermag man nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß sich ungeachtet einer Erschütterungen "dämpfenden", mehrere hundert Meter mächtigen Salzschicht oberhalb der Horizontalbohrung durch die Erdölförderung seismische Spannungen aufbauen oder umgekehrt entladen und zumindest kleinere Erdbeben auslösen, die Schäden an Gebäuden und Infrastruktureinrichtungen verursachen können. Von direkten Schädigungen des Menschen ganz zu schweigen. Größere Erdbeben sind in diesem Gebiet, das sich als großräumige Gegenbewegung zur Hebung Skandinaviens (seit dem Abschmelzen des mehrere tausend Meter mächtigen, schweren Eisschilds nach der letzten Eiszeit) senkt, eigentlich nicht zu erwarten. Allerdings zeigen wiederum jüngere Untersuchungen in den USA - wenngleich bei anderen geologischen Ausgangsbedingungen -, daß kleinere Fracking-Maßnahmen gravierende geotektonische Ereignisse auslösen können. [5]

Das sind nur einige der Gründe, weswegen sich in dem von der Erdölförderung betroffenen Dorf Saal am Barther Bodden und seiner Umgebung in diesem Jahr die Bürgerinitiative "BI Erdöl Barth" gegründet und am Samstag, den 24. Mai 2014, zu einer Demonstration gegen das Projekt aufgerufen hat. Rund 220 Personen waren zusammengekommen, um vom alten Saaler Bahnhof zur Barth 11 genannten Bohrstelle knapp außerhalb des Dorfrands zu ziehen. Vor Beginn, während und am Ende des Demonstrationszugs wurden Reden gehalten, die mal rein sachbezogen, mal mit emotionalem Tenor, mal theatralisch aufgezogen waren, aber zusammengenommen sich als durchaus so gehaltvoll erwiesen, daß jeder und jede nach der Demonstration einen Einstieg in die Problematik der Erdölförderung als Motor und Fortschreibung der fossilen Energiewirtschaft bekommen hatte.

Vorneweg Demonstrierende mit Plakaten, die Aufschriften haben wie 'Hände weg vom Grundwasser' und 'Stop Fracking' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Demonstrationszug setzt sich in Bewegung
Foto: © 2014 by Schattenblick

Fracking in Deutschland - wer hätte das gedacht! Gab es nicht eigentlich ein Moratorium gegen Fracking? Nein, so etwas existiert nicht, auch wenn in der Politik der gegenteilige Eindruck erweckt wird, nur weil sich dort kaum etwas bewegt, seitdem ein vom Wirtschafts- und vom Umweltministerium gemeinsam erarbeiteter Gesetzentwurf zum Fracking im Vermittlungsausschuß des Bundesrats steckengeblieben war. Zudem wird in Deutschland schon seit Jahrzehnten gefrackt, doch sind die Technologie der Umlenkung des Bohrkopfs von der Vertikalen in die Horizontale und andere Aspekte der Bohr- und Fördermethode hierzulande noch wenig erprobt. Sogar CEP schreibt, daß es sich um die "erste Horizontalbohrung im Osten Deutschlands" handelt. [6]

Das Verfahren zu testen würde 30 Jahre dauern, erklärte die Demonstrationsteilnehmerin Claudia Müller, die als Landesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen im mecklenburg-vorpommerschen Landtag sitzt und Fracking in ihrem Bundesland ablehnt, unter Berufung auf Experten des Erdölkonzerns Exxon Mobil. Zumindest aber müsse der Testbetrieb, der jetzt durchgeführt wird, in allen Phasen beobachtet werden, forderte sie bei einem Zwischenstopp der Demonstration.

CEP erhielt die Aufsuchungserlaubnis für das 1950 km² große Aufsuchungsgebiet Grimmen 2 im Jahr 2007. Zwei Jahre darauf wurden dort von der niedersächsischen Firma IPS GmbH 2-D-seismische Messungen durchgeführt. [7] Wiederum zwei Jahre später hat CEP in dem Dorf Saal eine Explorationsbohrung ausgebracht. Davon haben die Menschen in der Region erst aus der Zeitung erfahren, wie Wilfried Fischer aus Wieck, der für die Partei Bündnis 90/Die Grünen im Kreisverband Vorpommern-Rügen sitzt, in seinem Redebeitrag auf der Demonstration berichtete. Er zitierte aus der "Ostseezeitung" vom 2. März 2011 einen Artikel mit der Überschrift: "Weiße Lady sucht nach schwarzem Gold", durch den die Öffentlichkeit erstmals von dem Fracking-Vorhaben erfahren habe. In dem Artikel stehe geschrieben: "Schlank, weiß und elegant ragt der stählerne Bohrturm nördlich von Saal in den Himmel. White Lady - weiße Dame - nennen ihn die Männer vom Bohrloch Barth 11, die dort ab heute nach Erdöl suchen."

Das Unternehmen CEP betreibe zwar eine sehr gezielte, marketingorientierte Öffentlichkeitsarbeit - "es gibt immer was zu trinken und Häppchen, und es werden schöne Reden gehalten" - dennoch hätten die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck, daß sie laufend zu spät informiert werden, so Fischer. [8]

Der Physiker Dr. Fabian Czerwinski stellte in seiner Ansprache zur Demonstration zunächst einige Dinge klar. Das Unternehmen CEP schreibe, es würde kein Fracking betreiben, sondern die Methode der "hydraulischen Stimulierung" anwenden. Doch bei einer Sitzung des Landtagsausschusses in Mecklenburg-Vorpommern (MV) habe der Sachverständige aus dem niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie auf die Frage, ob das Fracking sei, geantwortet: "Ja, in Niedersachsen würden wir das Fracking nennen."

Ergänzend zu Czerwinski sei hier angemerkt: Selbst auf der gegenüber der Erdöl- und Erdgasförderung in der Regel positiv eingestellten Website "Erdöl und Erdgas in Deutschland" wird erklärt:

"Inzwischen hat sich CEP dazu entschlossen, einen Langzeitfördertest durchzuführen. Dieser ist vor wenigen Tagen von der zuständigen Bergbehörde des Landes MV genehmigt worden. Zugegebenermaßen etwas schwammig, letzten Endes aber clever formuliert und verpackt wird vom 'Anschluss einer konventionellen Öllagerstätte' gesprochen, womit aber Fracarbeiten gemeint sind." [9]

Mit jenen "Fracarbeiten" soll gewährleistet werden, daß das Erdöl in das Bohrloch fließen kann. Ansonsten wäre der Zufluß gehemmt, da unter anderem Bohrschlämme und das beim Bohren mechanisch zerkleinerte Gestein den Weg versperren.

Demnach soll es sich zwar bei dem von CEP eingesetzten Verfahren um Fracking handeln, nicht aber um jene Fracking-Methode, wie sie in den USA im großen Maßstab in Schiefergestein vorgenommen wird und bei der beispielsweise Perforationskanonen eingesetzt werden, die Munition durch die Bohrwandung hindurch ins Gestein schießen, dieses löchern, vor allem aber dadurch Wege quer zum Bohrloch schaffen, die dann mittels der unter hohen Drücken eingebrachten Frac-Fluide nochmals weiter aufgebrochen werden.

In Barth 11 werde weder eine unkonventionelle, das heißt über feinste Poren verteilte Erdöllagerstätte, noch das dichte Schiefergestein angebohrt, somit komme es auch zu keinen wiederholten Frack-Vorgängen, bemüht sich CEP um eine differenzierte Sicht auf das als Sammelbegriff für verschiedene Maßnahmen zur hydraulischen Druckentfaltung verwendete Fracking. Ab dem Zeitpunkt des Anschlusses fließt das Erdöl unter Umständen jahrelang in das Bohrloch. Sollte der Druck nachlassen, will man Pumpen einsetzen.

Umzäuntes Betriebsgelände mit Containern, großen Scheinwerfern und einem Bohrturm - Foto: © 2014 by Schattenblick

Bohrloch "Barth 11" des Unternehmens CEP
Foto: © 2014 by Schattenblick

Also alles harmlos in Barth 11? Keineswegs. Bei der Testreihe zur Bestimmung des Ölflusses, die zur Zeit vorbereitet wird (bereits im April wurde testweise Öl gefördert), wird zehnmal gefrackt bzw. "an die Lagerstätte angeschlossen", wobei auf jeder Stufe der Ölzufluß aus einem Radius von 70 Metern "stimuliert" werden soll. Je nach Ergebnislage will das Unternehmen bis 2015 noch ein oder zwei weitere Bohrlöcher ausbringen sowie seismische Untersuchungen vornehmen. Bei einem positiven Befund würden ein Förderantrag gestellt und ab 2016 im Aufsuchungsfeld Grimmen 2 voraussichtlich rund sieben Förderstellen mit 17 Bohrungen eingerichtet werden. Alles in allem würde also zu einem späteren Zeitpunkt und über Jahre hinweg durchaus häufiger gefrackt werden als nur einmalig zum "Anschließen der Lagerstätte an das Bohrloch".

Darüber hinaus ist zu fragen, ob die Bohrlöcher am Ende der Förderzeit, wenn das Erdöl nicht mehr als Folge des auf die Lagerstätte drückenden Gesteins fließt und selbst die Pumpen nicht mehr genügend fördern, nicht doch gefrackt werden wird, um noch weiteres Erdöl aus dem Gestein herauszupressen. Das wäre zumindest ein in der Erdölindustrie übliches Verfahren.

Selbst wenn es zutrifft, daß in der Saal-Barth-Struktur mit geringeren Drücken gearbeitet und "nur" produktionsbedingte Hindernisse des Ölflusses im unmittelbaren Bohrbereich mittels Fracking beseitigt werden müssen, ist das, was da quer durch die grundwasserführende Schichten (die bis zu einer Tiefe von etwa 65 Meter unter der Erdoberfläche liegen) ans Tageslicht gelangt, Erdöl. Will man das? Wollen die Menschen in der Region, daß nicht nur bei Saal, sondern auch an anderen Orten rund um den Barther Bodden, auf Usedom (wo es seit Jahrzehnten eine Ölquelle gibt) und in anderen Regionen des Bundeslandes Erdöl gefördert wird?

Das Argument, daß in dieser Region schon zu DDR-Zeiten Öl gefördert wurde, steht insofern auf schwachen Füßen, als daß laut Fabian Czerwinski damals von der Region Fischland bis Rignitz im Laufe von 25 Jahren 1700 Tonnen dieses begehrten Rohstoffs gefördert worden waren, jetzt aber von fünf Millionen Tonnen ausgegangen werde. Es handele sich demnach heute um eine ganz andere Größenordnung.

Ergänzend dazu: CEP schreibt, daß die geologischen und geophysikalischen Daten andeuteten, daß das von ihm "Big Barth" genannte Fördergebiet "nur ein Teil einer noch viel größeren konventionellen Lagerstätte sein könnte". Das werde CEP in den nächsten Jahren erkunden. [10]

Es bedarf keiner ausgeprägten Phantasie, um sich auszumalen, daß es später einmal immer schwieriger werden wird, eine einmal etablierte Erdölförderung wieder zurückzufahren oder einzustellen. Das heißt, der Zeitpunkt, an dem die Erdölförderung eingeschränkt wird, kann gar nicht früh genug liegen. Das eigentliche Problem ist nicht so sehr die Testbohrung, sondern das, was danach kommt.

"Umweltschutz hat absolute Priorität", versichert CEP in seiner Informationsbroschüre, schreibt aber, die Auswahl eines Bohrplatzes sei von einer Vielzahl von Parametern abhängig, denen Rechnung getragen werde: "Umweltschutzvorgaben und Zeitfenster (zum Beispiel Brut- und Setzzeiten), technische Machbarkeit und geologische Voraussetzungen, Eigentümergenehmigungen, infrastrukturelle Anbindung und Erreichbarkeit usw." Man sei bemüht, "bei der genauen Auswahl des Bohrplatzes die optimale Schnittmenge der unterschiedlichen Voraussetzungen zu berücksichtigen". [10]

"Absolute Priorität" und "optimale Schnittmenge" sind nicht das gleiche; das eine schließt das andere sogar aus. Da CEP ein Unternehmen ist, das im Rahmen des vorgegebenen Wirtschaftssystems profitorientiert arbeiten muß, um bestehen zu können, könnte man geneigt sein anzunehmen, daß die Beurteilung, was als "optimale" Schnittmenge der verschiedenen Einflußfaktoren angesehen wird, sich weniger am Naturschutz- als am ökonomischen Interesse orientiert.

Bohrturm und Windräder auf der gegenüberliegenden Boddenseite - Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Bohrturm (roter Pfeil) wurde relativ dicht am ökologisch sehr sensiblen Barther Bodden errichtet. Blick vom Ostsee-Ort Wustrow über den Bodden in Richtung Saal.
Foto: © 2014 by Schattenblick

Aus dem zu fördernden Erdöl würde überhaupt kein elektrischer Strom hergestellt, somit stehe das Projekt in keinem Widerspruch zur Energiewende, lautet ein Argument des Unternehmens. Das stimmt, Erdöl wird nicht verstromt, sondern zu Treibstoff verarbeitet oder auch beispielsweise für Produkte der chemischen Industrie verwendet. Warum aber die Energiewende nur auf den elektrischen Strom beziehen? Selbst der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBGU) empfiehlt in seinem Gutachten "Welt im Wandel - Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation" aus dem Jahr 2011:

"... schließlich enthüllt der Zusammenbruch von auf Extraktion von Öl und Gas gestützten Diktaturen (Sowjetunion, Libyen) zugleich die versteckten Kosten des 'fossilen' industriellen Metabolismus. Das kohlenstoffbasierte Weltwirtschaftsmodell ist auch ein normativ unhaltbarer Zustand, denn es gefährdet die Stabilität des Klimasystems und damit die Existenzgrundlagen künftiger Generationen. Die Transformation zur Klimaverträglichkeit ist daher moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit." [11]

Mehr noch als sogar das Unternehmen CEP muß sich die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns, der es obliegt, den administrativen Rahmen vorzugeben, in dem gewirtschaftet wird, fragen, ob sie jenem "fossilen industriellen Metabolismus" immer weiter Nahrung zuführen will, indem sie die Erdölförderung vorantreibt, oder ob sie sich um Alternativen bemüht und aktiv teilhat an der Großen Transformation. Die Ausrede, daß ein Verlassen der eingeschlagenen Pfade nicht möglich ist, wird vom WBGU entkräftet: "Der WBGU zeigt im Gutachten explizit, dass die technologischen Potenziale zur umfassenden Dekarbonisierung vorhanden sind, skizziert Geschäfts- und Finanzierungsmodelle für den Wandel und verdeutlicht, dass politische Instrumente für eine klimaverträgliche Transformation wohlbekannt sind."

Mit anderen Worten, aber von der Intention her etwas sehr Ähnliches, sagte kürzlich Prof. Ottmar Edenhofer aus Anlaß der Vorstellung des 3. Teils des Sachstandsberichts des Weltklimarats in Berlin im Schattenblick-Interview:

"Je länger wir warten, um so stärker und gravierender ist die Eingriffstiefe in die Wirtschaft. Wir können jetzt einen Weg gehen, auf dem wir mit graduellen Anpassungen eine Änderung herbeiführen. Es ist ein großer Vorteil, dass wir uns noch nicht in eine irreversible Situation verrannt haben. Wenn wir aber länger warten und gleichsam sagen, wir fahren bis kurz vor die Wand und müssen dann noch umdrehen, dann wird es eben schwieriger." [12]

Passend dazu wiederum ein Zitat aus dem WBGU-Gutachten: "Es gilt, vielfältige Pfadabhängigkeiten und Blockaden zu überwinden." [11]

Das gilt natürlich auch für die Bundesregierung, die wiederum die Leitplanken errichtet, zwischen denen sich die Landesregierungen ihren Weg bahnen. Gemäß dem deutschen Bergrecht sind fast alle Bodenschätze "bergfrei" und befinden sich deswegen nicht im Eigentum des Eigentümers eines Grundstücks. Bundeskanzlerin Merkel ist Direktkandidatin für den Bundestagswahlkreis 15 "Vorpommern-Rügen - Vorpommern-Greifswald I", in dem auch das Aufsuchungsgebiet Grimmen 2 mit der Bohrstelle Barth 11 liegt. Die Bundeskanzlerin muß sich nicht nur von den Oppositionsparteien die Frage stellen lassen, warum auch sie daran beteiligt ist, daß in den Naturschutz- und Vogelschutzgebieten Vorpommerns zukünftig im großen Maßstab Erdöl gefördert werden soll.

Es könnte bei der Energiewende um mehr gehen als nur um einen Stromanbieterwechsel. Es könnte um die gesamte Gesellschaft, auch um einen anderen Politikstil und vielleicht auch um eine andere Eigentumsordnung gehen. Denn wenn laut Wilfried Fischer ein Gemeinderat auf der Insel Usedom geschlossen gegen ein Bohrvorhaben in seinem Zuständigkeitsbereich gestimmt hat, das aber die geplante Erdölförderung nicht verhindern konnte, wäre spätestens an dieser Stelle die Frage nach der Legitimität einer solchen geradezu feudalistischen Verfügungsgewalt aufzuwerfen, wird hier doch von gesellschaftlich einflußreicheren Kräften ein "höheres Interesse" an der Erdölförderung behauptet und gegen das Eigentumsrecht der von solcher Übergriffigkeit Betroffenen vor Ort durchgesetzt. Kein Zweifel: Eigentum ist ein Lehen. Eine Ahnung davon, was das in der Konsequenz bedeuten könnte, bekommen die Einwohnerinnen und Einwohner von Saal, wo demnächst eine Testbohrung ausgebracht wird, zu spüren.

Demonstrierende halten große Buchstaben in die Höhe, die den Satz ergeben: K E I N - F R A C K - I N - S A A L - Foto: © 2014 by Schattenblick

"Kein Frack in Saal" - Absage an die fossile Wirtschaft
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.latimes.com/business/la-fi-oil-20140521-story.html

[2] http://blogs.cdc.gov/niosh-science-blog/2014/05/19/flowback/

[3] http://www.eenews.net/stories/1059999364

[4] Zum Verlauf der Bohrung bestehen widersprüchliche Angaben. CEP schreibt: "Die Bohrung Barth-11 wurde senkrecht abgeteuft und erst im Speichergestein in 2.700 Meter Tiefe horizontal abgelenkt."
http://www.cepetro.de/aktuelles/articles/fakten-check.html

Die Website "Erdöl und Erdgas in Deutschland" schreibt dagegen, daß die Bohrung eine vertikale Tiefe von 2.700 Metern erreichte: "Dabei wurde sie ab knapp 1.000 Metern abgelenkt und allmählich in die Horizontale geführt. Dadurch konnte das potenzielle ca. 20 Meter mächtige Speichergestein auf 950 Meter Länge aufgeschlossen werden."

Die Website beruft sich auf einen Link, der zu der CEP-Website führt, aber dort nicht mehr bedient wird.
http://erdoelerdgasdeutschland.wordpress.com/tag/vorpommern-fracking/

Dafür schreibt CEP aber in einer Informationsbroschüre: "Die Probebohrung reichte bis in 2.700 Meter Tiefe, wobei die Bohrung ab circa 2.000 Metern von einer vertikalen allmählich in eine horizontale Bohrung überging."
file:///home/linux24/temp/CEP_Informationsbroschuere_MV%20(1).pdf

Was denn nun, nach 1000, 2000 oder 2700 Metern? Die Antwort darauf mag vielleicht mit Blick auf die potentielle Umweltgefährdung durch die Erdölförderung nicht entscheidend sein, weckt aber Zweifel daran, daß das Unternehmen genau weiß, was es im Erdinnern anrichtet.

[5] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2013JB010612/abstract

[6] http://www.cepetro.de/aktivitaeten/articles/bohrung-barth-copy.html

[7] http://www.ips-celle.de/refseismik-2d.htm

[8] Man kann nicht erwarten, daß die Bürgerinnen und Bürger kontinuierlich sämtliche Fachpublikationen zu allen möglichen Industriezweigen verfolgen, damit ihnen auf keinen Fall eine Information entgeht, die ihr Umfeld so unmittelbar berührt wie die Erdölförderung. Deshalb mußte die Bevölkerung nicht wissen, daß beispielsweise bereits in der Festbroschüre "20 Jahre Bergamt Stralsund" aus dem Jahre 2010 auf Seite 27 berichtet wird, daß CEP für den Zeitraum 2011/12 plant, "auf den Strukturen Barth, Lütow und Pudagla ... Bohrungen niederzubringen".
file:///home/linux24/temp/Bergbau%252B-%252B20%252BJahre%252BFestbrosch%2525FCre.pdf

Die Bevölkerung zu informieren könnte beispielsweise bedeuten, daß die Behörden in einer so wichtigen Angelegenheit wie der Förderung von Erdöl von sich aus auf die Bürgerinnen und Bürgern zugehen und sie informieren und einen Diskussionsprozeß anregen, ob eine Region die Risiken der Ölförderung tragen will oder nicht. Wie man "von oben" regiert wird, wissen die Menschen in MV eigentlich zur Genüge.

[9] http://erdoelerdgasdeutschland.wordpress.com/tag/vorpommern-fracking/

[10] file:///home/linux24/temp/CEP_Informationsbroschuere_MV%20(1).pdf

[11] http://www.wbgu.de/fileadmin/templates/dateien/veroeffentlichungen/hauptgutachten/jg2011/wbgu_jg2011.pdf

[12] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0096.html

Eine Auswahl an Berichten der Schattenblick-Redaktion im INFOPOOL zum Stichwort Fracking:

NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

MELDUNG/007: Frackingschäden - eine Zwischenbilanz (SB)

UMWELTLABOR/275: Unbarmherzig, unbedacht - Fragen an das Fracking (SB)
UMWELTLABOR/276: Unbarmherzig, unbedacht - Folgen unausbleiblich (SB)
UMWELTLABOR/277: Unbarmherzig, unbedacht - Werbe- und PR-Chemie (SB)
UMWELTLABOR/278: Unbarmherzig, unbedacht - Frack as frack can (SB)
UMWELTLABOR/279: Kalifornien - Ressourcenfraß im Schutz der Lücken (SB)

UMWELT → REDAKTION
RESSOURCEN/141: Strahlengefahr durch Fracking? (SB)
RESSOURCEN/142: Folgen des Frackings unerforscht - Beispiel durchlässige Bohrwände (SB)
RESSOURCEN/143: Hoher Wasserverbrauch bei Förderung von Schiefergas (SB)
RESSOURCEN/145: USA - Neue Bestimmungen zum Fracking vorgeschlagen (SB)
RESSOURCEN/146: EU-Administration setzt umstrittenes Fracking auf ihre Agenda (SB)
RESSOURCEN/149: Fracking beschwört Strahlengefahr aus der Tiefe herauf (SB)
RESSOURCEN/150: Bürger von Balcombe wehren sich gegen das Fracking (SB)
RESSOURCEN/151: Fracking unverzichtbar? Britischer Premierminister konstruiert Sachzwänge (SB)
RESSOURCEN/153: Fracking - Radionuklide im Natur-Idyll Pennsylvanias (SB)
RESSOURCEN/154: Blubbernde Brunnen - Explosionsgefahr durch Fracking (SB)
RESSOURCEN/155: Konzertierte EU-Offensive für Fracking (SB)
RESSOURCEN/157: Sachzwanglogik - Fracking in der EU aufgrund Krim-Krise? (SB)
RESSOURCEN/158: Fracking und die explosive Zunahme von Erdbeben in Oklahoma (SB)

UMWELT → REPORT
BERICHT/069: Fracking nein danke - Zu viele Fragen ... (SB)

INTERVIEW/079: Fracking nein danke - Ökoökonomischer Widersinn, Uwe Thiele im Gespräch (SB)

30. Mai 2014