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BERICHT/068: Treffen der Wege - Urknallverständigung (SB)


Die Farbe der Forschung II

Das Innovationspotenzial von Beziehungen
Symposium am 7./8. März 2014 in Berlin



Wurzel an Erdreich ... Bitte melden!
Gedanken zum Vortrag von Saira Mian "Am Schnittpunkt von Kommunikationstheorie, Kryptographie und Agrarökologie"

Sollten Sie, werter Leser, noch zu jenen Zeitgenossen gehören, die unter Kommunikation das simple Gespräch von Mensch zu Mensch verstehen, dann haben Sie wohl noch nicht ganz den Zeitsprung in das Informations- und Kommunikationszeitalter mitvollzogen. Telefon, Handy, SMS, E-Mail, Internet, Skype, Twitter, Facebook oder Whats App haben schon lange die direkte Kontaktaufnahme mit dem Gegenüber überflüssig gemacht und die Kommunikation auf die Informationsübertragung als endlosen Fluß von einem Gadget zum nächsten reduziert. Nicht mehr allein ein gemeinsames Spektrum von Lauten bilden die Ausdrucksmöglichkeiten sozialer Verstrickungen ab, sondern Buchstabenfolgen oder andere digitale Zeichen oder Binärcodes; Bildchen, Links und vieles mehr bieten sich an, durch die vom eigenen Vorteil oder Standpunkt bestimmte Interpretation letztlich nur dann verstanden zu werden, wenn eine Übereinstimmung mit dem Sender besteht; das heißt, wie uns die Praxis lehrt: Mißverständnisse sind nie ausgeschlossen!

Die ohnehin vielschichtig bestehende Verständigungsverwirrung, kurz Sprache, wird durch diese Konzepte um ein Vielfaches erweitert. Nur eines scheint damit sicher ausgeschlossen, nämlich Gedanken, Vorstellungen oder Meinungen eines Individuums verzögerungs- und widerstandsfrei einem anderen zu vermitteln. Und was die Theorie dazu betrifft, wird diese ohnehin komplizierte Kommunikation auch noch ungemein umständlich beschrieben durch das an Signale, Übertragungswege oder -kanäle gebundende Informationsvermittlungs- und -übertragungskonzept.

Die Honorarprofessorin Saira Mian [1], die als zweite Referentin auf dem Symposium "Die Farbe der Forschung II" einige grundlegende Gedanken zum Innovationspotential von Beziehungen und Vernetzungen aus der Sicht der Computerwissenschaften und der Kommunikationstheorie liefern sollte, äußerte bei einem gemeinsamen Essen mit anderen Referenten, daß viele Lücken in der Wissenschaft dadurch entstehen, die einzelnen Fachbereiche immer weiter zu "fraktionieren", so daß der größere Zusammenhang zum Beispiel in der Natur gar nicht mehr gesehen werden kann. Mit ihrer Forschung sucht sie hier Brücken zu schlagen. [2]

Dafür untersuchen allerdings auch Saira Mian sowie ihr Kollege Christopher Rose wieder nur einen Teilbereich der Kommunikation, nämlich den Informationsfluß oder die Kommunikationswege vom Sender zum Empfänger. Der inhaltlichen Eindeutigkeit gilt ihr Interesse nicht. Grundlage ihrer Arbeitsthesen und Gedankenexperimente, wie Prof. Mian sie nannte, ist die mathematische Informationstheorie von Claude Elwood Shannon (1916 - 2001), der als Vater der digitalen Revolution gilt. Sämtliche Informationssysteme, angefangen mit Fernschreiber, Telefon, Fernsehen bis hin zur Komprimierung, Speicherung und dem Transfer von Informationen mittels CDs, DVDs, MP3s, Internet und Wireless LAN gehen von seinem Konzept aus, daß Nachrichten von einer Quelle produziert und mit Hilfe eines Übermittlungskanals an einen Bestimmungsort gesendet werden. Dabei werden die Signale oder Codes übersetzt oder codiert und unter anderem in dieser Form auf feste Medien gebannt.


Von der Flaschenpost im interstellaren Raum ...

Während Shannons Ziel noch darin bestand, den möglichst verlustfreien Kommunikationsfluß vor allem zwischen Menschen zu erforschen, zu ermöglichen und quantitativ zu erfassen, wobei er in seinem Modell auch den möglichen Störungsquellen eine wichtige Funktion zubilligte, sehen Saira Mian und Chris Rose ähnliche Kommunikationswege auf allen möglichen Ebenen, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren: Es würde einfach alles miteinander kommunizieren, belebte wie unbelebte Elemente, reale und virtuelle, antike oder moderne, gegenwärtige und sogar zukünftige Objekte, auf der Erde und bis ins All hinein. Auch letzteres habe man schon versucht und wenn es nicht auf eine verzögerungsfreie Verständigung ankäme, das heißt, die Übertragungsdauer egal wäre, dann habe sich ein materieller Gegenstand als der sicherste und verlustfreieste Träger für die Nachricht erweisen, also gewissermaßen per Flaschenpost in den Kosmos.

Dieser umfassende von der Scholle bis ins Weltall reichende Ansatz, das statische wie dynamische Weltgeschehen als Kommunikationsfluß zu beschreiben, gefiel dem überwiegend an ökologischer Landwirtschaft interessierten Publikum ausnehmend gut. Handfeste Versuche dazu hat es immer schon gegeben, dazu schrieb der Schattenblick:

Nicola Tesla (1856-1943) war wohl der erste, der 1899 mit einer aufwendigen Apparatur Nachrichten an sogenannte ETIs (Extraterrestrial Intelligence) versenden wollte. Sein Sender in Colorado Springs war mit einer gigantischen, 23 Meter hohen Drahtspirale versehen. Man sagt, daß den Menschen im Umkreis vieler Kilometer die Haare zu Berge standen, sobald er diesen Transformator einschaltete.
Viele Jahre später (März 1972 und Mai 1973) schickte man die Raumsonden Pioneer 10 und 11 auf ihre endlose Reise durchs All. Ihre Antennen sind mit Aluminiumplatten versehen, die eine Botschaft über die Existenz der Erde und das Aussehen der Menschen an intelligente außerirdische Lebensformen enthalten. Der Forscher Carl Sagan (1934-1996), Professor für Astronomie und Weltraumwissenschaften sowie Leiter des Laboratory for Planetary Studies an der Cornell University, Mitarbeiter bei der NASA, der hauptsächlich bestrebt war, extraterrestrisches Leben auszuforschen, schuf mit seiner Frau, der Künstlerin Linda Salzmann, diese "interstellare Grußkarte". Der Inhalt wurde unter der sehr zweifelhaften Voraussetzung gewählt, daß die Sprache der Wissenschaft universell sei und Naturgesetze unveränderbar, sozusagen losgelöst von allen sozialen und geschichtlichen Einflüssen zu verstehen sind. [3]

Bei der nächsten 1977 ergänzten Flaschenpost, die mittels der zwei Voyager-Sonden als interstellare Botschaft ins All geschickt wurde, ließ Sagan auch eine goldene Schallplatte anfertigen, die Grüße in 55 Erdsprachen (darunter Botschaften des damaligen UNO-Generalsekretärs Waldheim und des US-Präsidenten Carter) sowie unter anderem den Gesang von Walen, einen Querschnitt durch die Musikkulturen der Welt, 116 Bilder unserer Erde und Erdgeräusche beinhaltet.

Selbst bei aller Gutwilligkeit, die Absicht dieser Projekte zu verstehen, kann man vermuten, daß auch ein durchschnittlich gebildeter Mitteleuropäer allein schon mit der Deutung der "Grußkarte" überfordert ist. Ob wohl ausgerechnet ein Außerirdischer in der Lage sein wird, sie zu lesen, zumal sie die Gleichheit aller Wissenschaft voraussetzt?

Foto: by NASA (gemeinfrei via Wikimedia commons)

Eine Flaschenpost ins All wurde schon verschickt, doch wer soll das verstehen? Hier die 'Übersetzung' für Erdbewohner:
Eine sternförmige Gravur soll die Sternexplosion mit 14 geraden Linien darstellen, wobei jede Linie einen Pulsar symbolisiert. Die Länge der jeweiligen Linien steht für ihre Entfernung von dem zentralen Punkt, der Sonne. Entlang jeder Linie ist die Pulsarperiode in binären Zahlen vermerkt, wobei die Strahlung des Wasserstoffatoms als eine Einheit für Zeit und Länge verwendet wurde, denn sie ergebe sich aus den Gesetzen der Quantenmechanik, wonach das Wasserstoffatom mit seinem Elektron nur in den zwei möglichen Zuständen des Hochenergie- oder Niedrigenergiezustands existieren kann. Um auf den Wasserstoff, der als Maßstab gedacht ist, hinzuweisen, befinden sich oben auf der Gravurtafel die beiden mit einem Strich verbundenen Kreise. Am unteren Rand der Platte befinden sich Sonne und Planeten unseres Sonnensystems. Links sind zwei Menschen-Prototypen abgebildet.
Foto: by NASA (gemeinfrei via Wikimedia commons)


... über das Staubkorn im Boden ...

Wie man das Prinzip der "Flaschenpost ins oder aus dem All" auch auf die gleichfalls in vielen Bereichen noch unerforschte Ebene des biologischen Mikrokosmos und hier dann auch auf Agrarökosysteme übertragen könnte, machte die Forscherin anhand von Entsprechungen in der Biologie und Biochemie deutlich, die sie mit Kommunikations- und Informationsbausteinen aus der digitalen Welt verglich: Statt Bits oder Bites, die mathematisch oder in kryptografischer, also verschlüsselter, Form Worte oder andere Codes ergeben, kann sie in allen möglichen Dingen, Stoffen und Strukturen potentielle Informationsträger und spezielle Informationscodizes erkennen. Das können winzig kleine Nano- oder Mikroteilchen sein, chemische Moleküle (zum Beispiel Duftstoffe oder Pheromone), Strukturen (wie Prionen, atypisch gefaltete Proteine, aber auch ganze Landschaften), Mikroben, Staub oder Bodenpartikel, die über verschiedene "Informationskanäle" wie die unterschiedlichen Aggregatzustände oder Bewegungsformen von Luft (Wind), Wasser oder Boden, sowie an Tieren, Haustieren oder Schuhen klebend, an den jeweiligen Empfänger übertragen und dort entsprechend verstanden werden könnten, wenn man ihren Informationsinhalt zu übersetzen versteht. Viele diese Elemente tauchten in vielfacher Funktion im Kommunikationsgeflecht auf, das heißt sie würden beispielsweise durch ihre Struktur nicht nur als Träger von Informationen, sondern sogar selbst als Information oder Codes fungieren oder auch in anderer Form codierte Botschaften (Vibrationen) weiterleiten. Sowohl für die in Shannons Modell integrierte Störquelle (Interferenzen, Hintergrundlärm usw.) als auch für den "Lauscher an der Wand", der beispielsweise aus den Klickgeräuschen des Computers die vermittelten Informationen entschlüsseln kann, findet Mian entsprechendes in der biologischen Welt, die sie aber aufgrund der kurz bemessenen Vortragsdauer nicht näher beschrieb. Eine denkbare Störquelle könnten wohl klimatische Einflüsse sein, wie sie im Nebenherein bemerkte, da sich Wärme oder Kälte auf die Übertragungskanäle Luft, Wasser oder Boden auswirken, Duftstoffe intensivieren oder ausschalten. Auch Vibrationen, durch fallende Blätter oder Wassertropfen ausgelöst, veränderten den Informationsfluß.


... zum Landwirt!

Was geschieht mit diesen Transmittermedien, fragt sich Prof. Mian, wenn sie von der Bäuerin und dem Bauern bearbeitet werden? Inwieweit wird die Struktur dieser Informationsträger und damit ihr Inhalt verändert. Werden die Signale dadurch gefördert, unterdrückt oder ganz verändert? Müssen Landwirte in Zukunft lernen, auch Kryptographiker und Kommunikationswissenschaftler zu werden, um die Botschaften der Natur zu verstehen?

Auf diese Weise entstand vor dem Publikum eine bunte Palette voll zumeist noch unverstandener Zusammenhänge und Elemente, die in ständiger Bewegung, Interaktion und Kommunikation begriffen sind, die Welt, in der wir leben. Die meisten Beispiele wurden bereits von anderen Disziplinen in Form von kausalen Ketten beispielsweise in der Pheromon-Forschung beschrieben oder untersucht. Indem man jedoch den Duft der Erdbeere als gelungenen Kommunikationsversuch an den Vogel versteht, die Frucht zu fressen, damit die Samen (botanisch hier: die Nüßchen) verbreitet werden, um den Fortpflanzungszyklus voranzutreiben, wird durchaus eine neue Sichtweise vorgeschlagen und eröffnet, in der die Natur die eigenen Interessen aktiv zu vermitteln sucht.

Die Frage, was sich für die Bewohner dieser Welt verändern könnte, wenn man sämtliche Vorgänge ihres Lebensraums als Kommunikationsversuche der belebten und unbelebten Materie betrachtet, wurde in diesem Rahmen aber nicht weiter erörtert. Vielleicht sind die Grenzen eines solchen Systems zu offensichtlich, da dann, wie das recht umständliche, durch zahllose Widerstände des Weges aufwendige Shannonsche Kommunikationswegemodell zwischen Sender und Empfänger vorgibt, eine Verständigung schließlich nur dann gegeben ist, wenn eine Entschlüsselung des Inhalts der Nachricht durch das Wiederkennen von Bekanntem hergestellt werden kann. Doch wer kann wirklich sagen, ob die Erdbeere tatsächlich auf diese Weise ihr Fortpflanzungsinteresse kommuniziert oder nur die eigene Gier des Menschen dem Vogel oder der Schnecke ein solches tiefgreifendes Verständnis erdbeerspezifischer Anliegen unterstellt.


Das macht nachdenklich

Die durch Prof. Mians Forschungsarbeit möglicherweise geweckte Bereitschaft, in der Natur auch Übertragungswege von Botschaften zu verstehen, macht diese für den Menschen noch lange nicht zugänglicher. Es gelingt damit nicht, die Verständigung zu entwirren oder zu vereinfachen, sondern durch ihre Arbeit erhält die bereits bestehende Unüberschaubarkeit noch eine weitere Dimension. Durch die vom Modell vorgegebene Abfolge der Informationsübermittlung, die immer eine Überwindung von Raum und Zeit voraussetzt, haben so attraktive Ideen, wie die unmittelbare Verständigung zwischen Lebewesen, die beispielsweise das gleiche Interesse verfolgen und deshalb keine Kommunikationswege brauchen, überhaupt keinen Platz. Das ist schade, denn sowohl im Weltraum, als auch im Bereich des Mikrokosmos lassen sich unendlich viele Spielarten von Lebens- und Kommunikationskonzepten denken, die nicht an unsere Vorstellungen gebunden sind und daher durchaus denkbar neben uns, zwischen uns existieren könnten, ohne durch unsere umständlichen interpretationsgebundenen Wahrnehmungsorgane erfaßt zu werden. Solche Lebensformen scheinen denkbar.

Vielleicht für diese oder andere offene Fragen beziehungsweise Lücken in ihrem Konzept haben die beiden Wissenschaftler Saira Mian und Chris Rose durchaus ein noch zu erforschendes Potential postuliert, in das sich bisher keine Wissenschaft vorgewagt hat und das als informationstheoretische terra incognita daher auch außerhalb jeder Kritik steht: Analog zur dunklen Materie, die in der Physik erklärt, warum die Expansion des Weltraums endlich ist und der die Astrophysiker nun schon seit Jahren vergeblich auf der Spur sind, begeben sich die beiden in ihrer Forschung auf die Suche nach der "dunklen Information", die vielleicht die Antwort auf alles Ungeklärte, wie die ultimative Frage "nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest" enthalten könnte. Und die ein besonderes Charakteristikum auszeichnet, "it can't be easily detected", nämlich nicht so leicht entdeckt zu werden.

Ein Foto, auf dem sich nur die Zahl '42' befindet. - Grafik: 2011 by Thomas R. Schwarz (gemeinfrei via Wikimedia Commons)

'42' war die Antwort, die der Computer 'Deep Thought' (Douglas Adams: The Hitchhiker's Guide through the Galaxy oder Per Anhalter durch die Galaxis) auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest kommunizierte - und die bis heute an der Dechiffrierung scheiterte.
Grafik: 2011 by Thomas R. Schwarz (gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Fußnoten:

[1] Saira Mian Honorarprofessorin ist an der Fakultät für Computerwissenschaften am University College London. Ihre Forschungsarbeit soll eine Brücke zwischen Biologie, Kommunikationstheorie und statistischem maschinellen Lernen schlagen. Sie erforscht Grundfragen, die am Zusammenfluß dieser Bereiche entstehen und untersucht praktische Lösungen für reale Probleme, welche die Zwischenräume für sich nutzen.
http://www.zs-l.de/farbe-der-forschung/referenten/

[2] Einen einführenden Bericht zum Berliner Symposium "Die Farbe der Forschung II" finden Sie unter dem kategorischen Titel "Treffen der Wege":
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/ip_umwelt_report_bericht.shtml

BERICHT/067: Treffen der Wege - Ökosynaptische Knoten (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0067.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/litera/sfakz19.html


Dem Wunsch Prof. Mians folgend sei abschließend noch auf eine kleine Auswahl der wissenschaftlichen Arbeiten verwiesen, auf die sie ihre wissenschaftlichen Ausführungen stützt:

- Informationen über Forschung an kosmischer Kommunikation sind vor allem Chris Rose und seinem Kollegen Greg Wright zu verdanken:
http://www.winlab.rutgers.edu/~crose/cgi-bin/cosmicN.html

- Informationen zur akustischen Kryptographie:
http://www.cs.tau.ac.il/~tromer/acoustic/
http://www.berkeley.edu/news/media/releases/2005/09/14_key.shtml

- Informationen zur molekularen Kommunikation:
http://www.andreweckford.com
http://www.ece.gatech.edu/research/labs/bwn/monaco/index.html

- Informationen zur Informationsvermittlung mittels Strukturen:
http://dx.doi.org/10.1145/602382.602397
Frederick P. Brooks, Jr. University of North Carolina at Chapel Hill, "Three great challenges for half-century-old computer science" JACM 2003

14. März 2014