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BERICHT/007: Klima, Aerosole - Schadensträger im Fadenkreuz, Teil 4 (SB)


Generation Aufbruch in der kritischen Forschung

Bericht von der Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events" am 11./12.8.2011 in Hamburg


Teil 4: Über die Schwierigkeit, naheliegende sozio-ökonomische Konsequenzen für die Menschheit mit konkreten Zahlen zu validieren - am Beispiel der möglichen Folgen eines Nuklearen Konflikts für die Landwirtschaft in China (Impacts of nuclear war on agriculture in China)

Lili Xia (Graduierte Meteorologin der Rutgers Universität und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsteams von Prof. Alan Robock) - Foto: © 2011 by Schattenblick

Lili Xia (Graduierte Meteorologin der Rutgers Universität und
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsteams von Prof. Alan Robock)
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die Zeiten, als die satellitengestützten, computergenerierten Wetterprognosen noch in den Kinderschuhen steckten und die Wetterberichte in den Medien noch mit der Genauigkeit des Bauernkalenders, also mit interpretationsbedürftigen Aussagen wie "wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist", verglichen wurden, sind Gott sei Dank vorbei. Heute kann man, wie jeder aus eigener Erfahrung sofort bestätigen wird, den Vorhersagen der Meteorologen vertrauen... Nun ja, "nicht immer - aber immer öfter" - oder nicht?! Und wo diese Wettersimulationsinterpretationen nicht weiter wissen, setzt schließlich wie seit Anbeginn des Bauernkalenders der gesunde Menschenverstand an, auf den man sich doch mindestens ebensogut, wenn nicht besser, verlassen kann.

An dies mochte sich vielleicht der eine oder andere unbedarfte Konferenzbeobachter bei dem Versuch von Lili Xia, einer graduierten Meteorologin an der Rutgers Universität, erinnert fühlen, die agrarwirtschaftlichen Folgen eines schwerwiegenden Aerosol-Eintrags einmal für China ganz exakt auszurechnen. Schließlich sind es vor allem Folgen wie Kälteeinbrüche, künstliche Winterphasen, harte Frost- und Dürreperioden, vor allem aber Mißernten oder schlechte Ernteergebnisse und damit einhergehende Wirtschaftskatastrophen, von denen die Menschheit direkt betroffen sein würde, wenn es zu den bereits beschriebenen Simulationsbeispielen wie Vulkanausbrüchen oder einem regional begrenzten Nuklearkonflikt kommen sollte. Was erwartet den Landwirt, sollte es denn überhaupt noch Überlebende geben, in einem solchen Fall?

Die Mitarbeiterin im Team von Alan Robock hatte sich an die nicht ganz einfache Aufgabe gemacht, die mit den auf der Hamburger Klimakonferenz von Referenten unterschiedlichster wissenschaftlicher Diziplinen vorgestellten Beiträgen untrennbar verbundenen Schlußfolgerungen mit einem weiteren Computermodell zu validieren. Sie stellte ihre Ergebnisse auf dieser Konferenz erstmals dem kritischen Fachpublikum vor. Daß damit die Abstraktion noch um Potenzen weiter qualifiziert wurde, schien weder die Referentin noch die versammelten Wissenschaftler zu stören. Lili Xia bekam viel Zuspruch für ihren Beitrag, der sicher zum Teil auch ihrem Mentor, Alan Robock, galt. Hatte dieser bereits darüber gesprochen, daß die klimatischen Folgen eines erfolgreichen, nuklearen Erstschlags nicht nur das Zielland, sondern auch Land und Bevölkerung des Aggressors vermutlich vollständig vernichten, mindestens jedoch in schwere Not bringen würden, erinnerte Xia noch einmal am Beispiel Chinas an die Folgen für jene Länder, die nicht direkt an dem Konflikt beteiligt sind. Sie stützte ihre Berechnungen auf die Simulationsergebnisse, die Prof. Alan Robock und seine Kollegen (siehe hierzu auch: BERICHT/005: Klima, Aerosole - Schadensträger im Fadenkreuz, Teil 2 (SB) und INTERVIEW/005: Klima, Aerosole - Alan Robock, Klimaforscher an der Rutgers University (SB)) schon im Jahr 2007 veröffentlicht hatten und die sich auf einen möglichen regional begrenzten Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan beziehen. Die Wissenschaftler gingen dabei von einem Einsatz des gesamten Arsenals an Kernwaffen der beiden Kontrahenten und demzufolge von einem Eintrag von 5 Terragramm Ruß in die Atmosphäre (bzw. 5 Milliarden Kilogramm) aus.

Diese simulierten Voraussetzungen und die daraus gefolgerten klimatischen Veränderungen wie Rückgang der Niederschlagsmenge, Temperaturrückgang usw. speiste Lili Xia nun ihrerseits in ein weiteres agrarwissenschaftliches Simulationsprogramm ein, das die Situation ein Jahr nach diesem potentiellen Streitfall für das Land China beleuchten soll.

Das hierfür verwendete Decision support system for agrotechnology transfer (DSSAT), ein Agrarmodellsystem, mit dem sich die optimale Feldbestellung unter Berücksichtigung moderner Technologien am Computermodell vorausberechnen lassen soll, wird schon seit ca. 23 Jahren (seit 1991) von Forschern weltweit genutzt. Es enthält Modelle für 16 verschiedene landwirtschaftlich genutzte Kulturpflanzen. 2003 mußte es erneut überarbeitet (re-designed) werden, um die in verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Rechnerprogrammen verwendeten Codes für Kulturpflanzen, die nicht miteinander kompatibel waren, aneinander anzupassen. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, daß es zwar momentan keine besseren Modelle für Prognosen und zur Entscheidungsfindung gibt (von dem gesunden Menschenverstand einmal abgesehen) und daß die Ergebnisse solcher Simulationen immer unter dem Vorbehalt betrachtet werden müssen, daß sie zumindest bei der Einspeisung der darin verwendeten Daten sehr leicht Fehler oder Auslassungen enthalten können, die man den perfekten Kurven am Ende nicht mehr unbedingt ansieht.

Die Basis des neuen DSSAT Cropping system model (CSM), das Xia für ihre Demonstration benutzte, sind verschiedene, auswechselbare Einheiten, sogenannte Module, aus unterschiedlichen, wissenschaftlichen Disziplinen, die einen einfachen Austausch oder eine leichte Ergänzbarkeit gewährleisten. Gemeinhin wird ein Bodenbeschaffenheitsmodul, ein Kulturpflanzen-Schablonen Modul, mit dem das Verhalten verschiedener Kulturpflanzen simuliert werden kann, in dem die sogenannten "Species input files" (Eingabedateien zu bestimmten Kulturpflanzenarten) definiert werden, verwendet. Darüber hinaus existiert ein Interface, um weitere individuelle, aber kompatible Kulturpflanzen-Modelle (Crop models) zu ergänzen, dazu ein Wetter-Modul und ein Modul, um die Licht- und Wasserverhältnisse zwischen Boden, Pflanzen und Atmosphäre zu beschreiben.

Xia fütterte den Computer nun mit Daten über das Wetter (Temperatur, Niederschlagsmenge, Sonneneinstrahlung, CO2, O3), zur Bodenbeschaffenheit (Tiefe der Humusschicht, Sand, Schlamm und Lehm- Verhältnisse, Nährstoffe, pH-Werte), aber auch mit Zahlen zu landwirtschaftlichen Maßnahmen und möglichen technologischen Anpassungen (Terminierung der Aussaat- und Erntezeit, Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden, Kulturgut (Saat), Bewässerung, Bodenbearbeitung). Darüber hinaus erhielt sie Daten aus China über die derzeitige Agrarpraxis. So gibt es Reissorten, die im März gepflanzt und im Oktober geerntet werden, aber auch Sommer- und Winterreissorten mit früheren und späteren Erntezeiten.

All das in einem Computerprogramm unterzubringen, dazu noch ungewöhnliche Temperatur- und Wetterdaten aus bereits simulierten Szenarien, ist schon eine gewaltige Fleißarbeit. Wenn dabei dann auch noch etwas herauskommt, was man in etwa erwartet hat, kann man es wohl schon eine Leistung nennen. Doch manchmal ist das Ergebnis trotz alledem überraschend, selbst für die Wissenschaftler.

Die Forscherin, offenbar sehr davon überzeugt, nicht allzuviel ausgelassen zu haben, kam auf diese Weise zu dem Ergebnis, daß zwar die Einwirkung eines solchen Nuklearkonflikts auch auf benachbarte oder entferntere Länder enorme Auswirkungen haben wird (was jeder auf dieser Konferenz wohl bereits ahnte), daß man jedoch - und das war in der Tat ungewöhnlich - mit verbesserten landwirtschaftlichen Techniken durchaus der Gefahr eines Nuklearkonflikts begegnen könnte.

Zum einen kommt dieses Ergebnis dadurch zustande, daß Xia auch aktuellere, beobachtbare Werte der letzten Jahre in ihre Simulation einbrachte. Diese würden ihrer Meinung nach zeigen, daß landwirtschaftliche Techniken, vor allem aber der zunehmende Einsatz von Düngemitteln seit 1990 immer noch einen größeren Einfluß auf die landwirtschaftliche Produktion hätte als der Klimawandel selbst.

Die Produktion von Reis, Weizen und Mais steigt in China kontinuierlich an, auch wenn zwischen 1980 und 2008 die weltweite Reisernte aufgrund der globalen Erwärmung um ein Grad Celsius um etwa 10 Prozent zurückgegangen sei.

Zum anderen kam - vielleicht durch die unterschiedlichen Niederschlagsvoraussetzungen (ein Jahr nach dem Nuklearkonflikt würde jeweils im Sommer eine Niederschlagsmengenreduktion in West-China um die Hälfte erwartet (von 1 mm pro Tag auf 0,5 mm pro Tag), in Ost-China nur um 10 Prozent) - die Simulation zum Reisanbau in 24 Provinzen nach einem Atomkrieg in Pakistan und Indien zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen in den einzelnen Provinzen:

Frei nach der eingangs erwähnten Bauernregel vertrat die Meteorologin ihre Rechnungen selbstbewußt: In den meisten Provinzen ändert sich die Ernte, nur in vier Provinzen bleibt sie fast so wie sie ist, und in 7 Provinzen (alle im Süden Chinas gelegen) könne sie sogar zwischen 2 und 10 Prozent zunehmen. Allerdings sind in mindestens 6 Provinzen die Ernteverluste bis über 80 Prozent so gewaltig, daß die kleinen Änderungen zum Positiven kaum ins Gewicht fallen.

Die Erklärung der Forscherin für die positiven Ernteergebnisse, daß die Abkühlung durch die Aerosol Beschattung in diesen südlichen Regionen eine Erholung von dem dort üblichen ernteungünstigen Hitze-Streß für die Pflanzen bedeuten könne, liegt vermutlich darin begründet, daß Lili Xia auch sehr stark in Geo-Engineering Projekten engagiert ist und für den künstlichen Eintrag von 5 Terragramm Schwefeldioxid in die Atmosphäre im März dieses Jahres bereits eine fast identische Studie herausbrachte (vermutlich ebenfalls auf die von Robock ermittelten Daten basierend). Mit den auch hier sehr unterschiedlichen Ernteergebnissen in den verschiedenen Provinzen war sie derzeit verständlicherweise aber so unzufrieden, daß sie weiteren unbedingt notwendigen Forschungsbedarf einforderte. Nun ja, Ernteerträge von minus 80 Prozent oder durchschnittliche Verluste von 15 bis 30 Prozent sind keine besonders gute Werbung für diesen Forschungszweig.

Bei einem nuklearen Katastrophenszenario passen sie da schon besser ins Bild. Und an sich wäre auch gegen diese eindrücklichen Rechenbeispiele nichts einzuwenden, sofern man sie als das sieht, was sie sind. Daß aber keiner der anwesenden Wissenschaftler die geradezu blauäugig anmutende Schlußfolgerung in Frage stellte, Landwirte sollten, wenn es solche sicheren Vorhersagen gäbe, und sie die nötigen finanziellen Mittel besäßen und entsprechendes Land zur Verfügung stände, in so einem Konfliktfall einfach mit Mann, Maus und Saatgut "umziehen", die Anpflanzregion wechseln und natürlich in jedem Fall noch mehr Dünger einsetzen, stimmt schon recht bedenklich.

Bei der anschließenden Fragerunde kamen dann eher Probleme ins Gespräch, die das einfache Simulationsprogramm bzw. die darin nicht berücksichtigten Variablen nicht abdecken konnte. So daß auch hier wieder zu erkennen war: Den Wissenschaftlern ist die bauernkalendarische Aussage ihrer Prognosen durchaus bewußt, doch alle glauben letztlich an die ultimative, allesbegründende Simulation, wenn man erst einmal ausreichend Forschung betrieben und alle Variablen berücksichtigt hat. Doch sollten wohl schon geringere Hinweise ausreichen, um die potentielle Not zu erkennen, die aus Aerosol- Einträgen erwachsen kann. Ernterückgänge von 15 bis 30 Prozent lassen sich nicht einfach durch Düngemittel aufhalten. Um den Einsatz von Atomwaffen oder Aerosolen aufzuhalten, braucht man nicht einmal Düngemittel.


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Hinweis:
Neben den Interviews mit Referentinnen und Referenten der Aerosolkonferenz in Hamburg finden Sie unsere fortgesetzte Berichterstattung über diese Veranstaltung unter UMWELT -> REPORT -> BERICHT.

28. August 2011