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BERICHT/003: Generation nachhaltig - vom Global Young Greens Congress in Berlin (SB)


Wie können Kleinbauern nachhaltig arbeiten?

Junge Grüne aus aller Welt trafen sich zu einem Kongreß in der Heinrich Böll Stiftung

Interview mit Benedikt Härlin im Anschluß an den Bericht


Der Erfolg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Südafrika wäre sicherlich nicht ohne eine systematische Aufbauarbeit der Jugendmannschaften zustandegekommen. Auch die etablierten politischen Parteien ziehen laufend frische Kräfte heran, um sich auf dem politischen Spielfeld dauerhaft zu behaupten. Irgendwann mußten selbst die Mitgliederinnen und Mitglieder der jungen Partei der Grünen erfahren, daß der Zahn der Zeit nicht an ihnen vorübergeht und sie ihre Jugendarbeit nicht vernachlässigen dürfen. Ein Bestandteil ihrer Aufbauarbeit ist der Global Young Greens Congress, der sich nach Januar 2007 zum zweiten Mal zu einem internationalen Kongreß traf - damals unter Leitung von Wangari Maathai in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, diesmal vom 8. bis 13. August in der Heinrich Böll Stiftung in Berlin. Daß ein solches Bemühen um Nachwuchs keineswegs zu Eigentoren führen muß, bewiesen die gut 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses globalen Netzwerks aus grünen "Jungspunden" zu Genüge, indem sie ihre Anliegen mit Nachdruck verfolgten.

Auf der von zwei Schattenblick-Redakteuren besuchten Veranstaltung am 10. August, die unter dem Thema "Wie können Kleinbauern nachhaltig arbeiten? Möglichkeiten nachhaltiger Produktion und nachhaltigen Lebens" stand, wurde aufs lebhafteste vorgetragen und diskutiert. Tagungssprachen waren Deutsch und Englisch; außerhalb des Vortragssaals, auf der zum Verweilen einladend breiten Treppe und im Foyer, waren zahlreiche weitere Sprachen zu vernehmen. Gedacht hingegen wurde einheitlich in grün. Die "Generation nachhaltig" spricht anscheinend kontinente-übergreifend eine ähnliche Sprache, wenn es um den Schutz der Umwelt und des Klimas, Gender-Gleichberechtigung, den ökologischen Fußabdruck und soziale Gerechtigkeit geht.

Sicherlich, eine Aussage wie die des Referenten Benedikt Härlin in seinem Auftakt-Statement - "Ich blicke in die Gesichter künftiger Ministerpräsidentinnen und Minister in aller Welt. Die grüne Bewegung hat Zukunft, und die grünen Funktionäre werden die Welt retten, davon bin ich überzeugt!" - würde einem Fundamentalisten dieser Partei, wenn es ihn noch gäbe, kein geringes Unbehagen bereiten. Dieser Zweig der Grünen ist jedoch weitgehend verdorrt. Ein knarziger Stumpf an jener Gabelung, an der sich das junge Bäumchen schon frühzeitig verzweigt hatte, erinnert bestenfalls noch an das einstige Ringen um Richtung und Vorherrschaft zwischen den beiden Hauptästen dieser aufstrebenden Bewegung. Längst haben sich die Realos jeglicher als wirr empfundenen Umtriebe ihrer Weggefährten von einst entledigt, und der Nachwuchs dürfte die ursprüngliche Dichotomie der Grünen nur noch aus Erzählungen kennen. Wen es heute in diese Partei verschlägt, weiß, was ihn erwartet.

Birgit Laubach, am Pult stehend © Schattenblick

Birgit Laubach, Geschäftsführerin
der Heinrich Böll Stiftung
© Schattenblick
Die jungen grünen "Funktionäre in spe" gaben sich schon recht politikerfahren. Vielleicht waren sie es auch. Vielleicht war dort tatsächlich die heranwachsende grüne Elite aus Ländern wie Uganda, Namibia, Australien, Taiwan, Brasilien, Pakistan, Argentinien, Deutschland, etc. versammelt, um mit großer Aufmerksamkeit den Referentinnen und Referenten zu lauschen und sich selber in die Diskussion einzubringen. Möglicherweise werden sie eines Tages ebenfalls als Vertreterin einer Regierung wie Maren Kneller vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) oder als sachkundiger Vertreter der Zivilgesellschaft wie Benedikt Härlin - Gründungsmitglied der Alternativen Liste in Berlin, ehemaliger EU-Parlamentarier und heute Leiter des Berliner Büros der Zukunftsstiftung Landwirtschaft - einen Vortrag vor jungen Grünen der übernächsten Generation halten.

Oder wie Birgit Laubach, Geschäftsführerin der parteinahen Heinrich Böll Stiftung, die in ihrer Begrüßungsansprache betonte, daß Grün "nicht nur eine politische Agenda" bedeute, sondern "eine Denkweise, einen Lebensstil, ethisches Handeln, einen grundlegend anderen Umgang mit der Natur und unserer Umwelt". Wie war das noch mit dem verdorrten Zweig? Fehlt da nicht etwas? Waren die Grünen nicht auch aus der Anti-Atomkraft und Friedensbewegung, ja, sogar aus den K-Gruppen hervorgegangen und haben einst in unermüdlichen Palavern um Fragen gerungen, welche sich nicht zuletzt um die Abschaffung der gesellschaftlich vorherrschenden Kräfte drehten? Von diesen Aspekten war in der Stellungnahme der Vertreterin der Heinrich Böll Stiftung nichts zu vernehmen. Grün ist eben grün, andere Farben des Regenbogens oder gar Komplementärfarben finden sich heute nicht mehr darin.

"Die Heinrich-Böll-Stiftung steht mit ihrem Namensgeber, dem Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll, dafür, sich politisch, künstlerisch, demokratisch und ökologisch einzumischen", führte Laubach in ihrer Auftaktrede weiter aus. Und tatsächlich konnte man den Eindruck gewinnen, in diesem diskutierfreudigen Umfeld dem Geist Heinrich Bölls zu begegnen, der, streitbar wie er zweifellos war, am liberalen Rand der breiten bürgerlichen Mitte anzusiedeln ist. Für Laubach stellt es offensichtlich ein Qualitätsmerkmal dar, daß die deutschen Grünen, die sich vor 30 Jahren gegründet haben, "im Zentrum der Gesellschaft angekommen" sind.

Heinrich-Böll-Stellplakat hinter Glasscheibe mit angehefteten, bunten Zetteln © Schattenblick

Der Geist Heinrich Bölls war jederzeit präsent
© Schattenblick

Schlug Laubach noch einen weiten Bogen, indem sie die "große Transformation ins postfossile Zeitalter" propagierte, an der die Grünen als Speerspitzen fungierten, führte Ute Straub, die bei der Heinrich Böll Stiftung als Referentin für Internationalen Agrarhandel tätig ist und sich für diesen Abend als Moderatorin zur Verfügung gestellt hat, mit wenigen Sätzen in die Thematik des Abends ein: Die Zahl der Hungernden steigt, die Landwirtschaft ist gefordert. Doch welche Landwirtschaft soll es sein? Der Weltagrarbericht erteilt der industriellen Landwirtschaft und grünen Gentechnik eine Absage und sieht in Kleinbauern und ökologischen Anbaumethoden die Zukunft.

Damit lieferte sie Benedikt Härlin eine Steilvorlage. Er referierte anhand einer Serie an Schaubildern über die Hungerlage in der Welt - inzwischen haben mehr als eine Milliarde Menschen nicht genügend zu essen -, die Verteilung der Hungergebiete, die globale Produktionsmenge von Getreide, die Reduzierung der Getreidearten und vieles mehr. Demnach werden weltweit nur noch 46,5 Prozent der Getreideernte direkt für die Ernährung von Menschen eingesetzt, 34 Prozent wandern ins Tierfutter. "Ein steigender Anteil von mittlerweile fast 20 Prozent geht in sogenannte other uses", berichtete Härlin. Zu diesen anderen Verwertungsformen gehört die Erzeugung von Agrotreibstoff oder das Verbrennen von Getreide in Biogasanlagen.

Podiumsteilnehmer beim Vortrag © Schattenblick

Faktenreicher Vortrag
© Schattenblick

Härlin bezeichnete es als "eine ganz wichtige Perspektive für die grüne Bewegung, sich auf dem Land, bei den Bauern zu etablieren und von Landwirtinnen und Landwirten zu lernen". Zwar stehe die Lebensmittelproduktion im Mittelpunkt der Landwirtschaft, aber diese sei auch Dienstleister für eine Reihe überlebenswichtiger ökologischer Funktionen im Zusammenhang mit Klimawandel, Erhalt der Biodiversität, der Frage der Überdüngung der Weltmeere und der Binnengewässer, der Vergiftung durch Pestizide und andere Chemikalien. Wenn es den Kleinbauern gelänge, diese Funktionen zu erfüllen, sei das wichtiger für das Überleben der Menschheit als die Frage, wieviel sie produzieren könnten. Denn nach Härlin darf die Frage, wie künftig Nahrung erzeugt wird, nicht allein an der Erntemenge festgemacht werden. Mit dieser Abgrenzung hob er offensichtlich auf die "Erfolgsgeschichte" der grünen Revolution der sechziger und siebziger Jahre ab, bei der zwar die Erntemenge wuchs, aber mit ihr auch die ökologischen Probleme sowie die Abhängigkeit der Bauern von der Agroindustrie. Am treffendsten wird Härlins Position wohl durch seine folgende Aussage wiedergegeben:

"In Zukunft ist die Frage, die wir uns stellen müssen, nicht mehr: Wie kann ich den maximalen Mehrwert aus einem Hektar erwirtschaften? Sondern die Frage ist: Wie kann ich den maximalen Nährwert aus einem Hektar Land erwirtschaften? Das ist eine fundamental unterschiedliche Fragestellung."

In einem Punkt war sich die Referentin Maren Kneller mit ihrem Vorredner einig: Die Rolle der Frauen in der Landwirtschaft muß gestärkt werden. Die BMZ-Mitarbeiterin, die derzeit an einem Konzept für ländliche Entwicklung arbeitet, hatte alles in allem keinen leichten Stand, mußte sie doch erklären, wieso ihr "Chef", Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP), auf die Kräfte der Privatisierung setzt, während demgegenüber durch das Thema der Veranstaltung bereits vorgegeben wurde, daß das Kleinbauerntum gefördert werden soll. Das schließt zwar die Stärkung des Privatsektors nicht zwingend aus, hat aber in der Praxis wenig mit privatisieren, das bekanntlich aus dem Lateinischen stammt und auf "berauben" zurückgeht, zu tun.

Die Referenten und Diskussionsteilnehmer © Schattenblick Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz © Schattenblick

Angeregtes Gespräch auf dem Podium ...                         ... und wißbegierige junge Grüne
© Schattenblick

Alles in allem kam man nicht umhin festzustellen, daß die Vertreterin des Staates augenscheinlich schon so sehr im Politikbetrieb steckt, daß sie darum bemüht war, mit wohlfeilen Worten von dem Eindruck abzulenken, daß sie sich auf keine allzu konkreten Aussagen einzulassen bereit war - und vermutlich auch nicht durfte, wollte sie ihren Job nicht gefährden. Denn das Risiko, daß in der Öffentlichkeit gemachte Aussagen gegen sie oder Minister Niebel in Stellung gebracht werden, ist nicht zu verleugnen. Also zeichnete sich Kneller durch ziemlich vage Aussagen aus wie: "Für das BMZ stellt die starke Präsenz kleinbäuerlicher Strukturen in den Entwicklungsländern eine Chance dar, eine Chance für nachhaltige Entwicklungen."

Was ist mit "starke" Präsenz gemeint? Was ist unter "nachhaltige Entwicklung" zu verstehen? Und welchen Wert hat "eine Chance für nachhaltige Entwicklungen" gegenüber der Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung? Hier handelt es sich also um Formulierungen, die zielsicher mit einem großen Interpretationsspielraum versehen sind, der breite Ausweichmöglichkeiten erlaubt.

Von der großen Politik bis zu unteren administrativen Ebenen wird viel auf diese Weise geredet, was für die jungen Grünen, sollten sie tatsächlich Ministerposten anstreben, sicherlich ein Lehrstück war. Härlin, dessen Position mindestens tendenziell, teils sogar recht deutlich, den Erklärungen der BMZ-Vertreterin entgegenstand, nahm die Referentin schließlich doch ein wenig in Schutz, indem er erklärte, daß sie als Mitarbeiterin eines Ministeriums vermutlich gar nicht anders hätte reden können.

Dennoch ist das bedauerlich, denn das hat einen tendenziell bremsenden Effekt auf die Lebhaftigkeit von Debatten und unterbindet eine konstruktive Streitkultur. Darauf legten die jungen Grünen jedoch allein von der Form der Podiumsdiskussion her einen großen Wert. Nachdem Härlin und Kneller ihre Vorträge gehalten hatten, durften sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die beiden freien Stühle des Podiums setzen und ihre Frage oder Stellungnahme ins Mikrophon sprechen. Die Publikumsanmerkungen sollten jedoch nicht gesammelt und später beantwortet werden, wie es zunächst - in der Gewohnheit verhaftet - praktiziert wurde. Ein junger Grüner griff korrigierend ein und erläuterte charmant das von ihnen gewünschte Verfahren: Wer auf einem der beiden Stühle saß, durfte so lange am Podiumsgespräch teilnehmen, bis der oder die nächste aufstand, ihm auf die Schulter tippte - aber bitte nicht zu fest - und somit das Signal zu seiner Ablösung setzt.

Junger Grüner erklärt Verfahrensregel © Schattenblick Kongreßteilnehmerin aus Taiwan berichtet über Umweltfragen © Schattenblick

Junge Grüne haben ihre eigenen Verfahrensregeln ...     ... und auch die Gender-Ausgeglichenheit wird
                                                                                            sichergestellt
© Schattenblick

Nach dieser Erklärung hatten prompt zwei Vertreter des männlichen Geschlechts die freien Plätze ergattert, was beim Publikum augenblickliches Murren auslöste. "Gender!" tönte es mit Nachdruck aus verschiedenen Ecken des Saals. Also mußte Mann Nr. 2, die Arglosigkeit war ihm ins Gesicht geschrieben, aufstehen und gehen ... Wenn nicht die Moderatorin Ute Straub recht pragmatisch eingegriffen und gesagt hätte, daß es diesmal noch durchgehe, aber daß anschließend darauf geachtet werden sollte, daß je eine Frau und ein Mann zu Wort kommen. Mann Nr. 2 durfte wieder Platz nehmen und sein Anliegen vortragen.

Das taten er und die anderen jungen Grünen mit großer Ernsthaftigkeit und mitunter viel Verve. Ein Teilnehmer aus Namibia beklagte, daß Deutschland zwar viel Sonnenenergie und Windkraft nutze, aber die deutsche Entwicklungspolitik unterstütze die Kleinbauern nicht dabei, ebenfalls solche Energiegewinnungsformen aufzustellen, womit ein kleiner Zuverdienst erarbeitet werden könnte. Von anderen jungen Grünen angesprochene Themen bezogen sich unter anderem auf die Budgethilfe des BMZ, Landraub, die Frage des eigenen Konsumverhaltens, heimische Umweltfragen, transnationale Verflechtung des Landbesitzes, etc. Resümierend bleibt zu sagen, daß die Veranstaltung an diesem Abend das von ihr gesteckte Thema bestenfalls angerissen hat. Etwas schärfer formuliert, könnte man sogar sagen, daß die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor der gestellten Frage, wie Kleinbauern nachhaltig arbeiten können, zurückgeschreckt sind. Die Frage enthält nämlich ein utopisches Moment, um das genauer zu fassen sicherlich noch erheblich mehr gerungen werden muß.

Die Diskussionsteilnehmer schienen sich darin einig, DASS die Kleinbauern gefördert werden sollen, aber die Frage, WIE Kleinbauern nachhaltig arbeiten können, wurde weitgehend ausgespart. Als ob sich die Frage erübrige. Aber das tut sie ganz und gar nicht.

Mit dem "Wie" wird nach den Voraussetzungen für Kleinbauerntum gefragt. Hier kommt man unvermeidlich zu Fragen, wie in der vorgegebenen Weltordnung landwirtschaftliche Arbeit verwertet wird und welche Interessen die führenden Wirtschaftsmächte haben könnten, um Kleinbauern zu fördern oder eben nicht zu fördern. Das hat auch mit aktuellen Themen wie den Agrarsubventionen der Industriestaaten, der Doha-Runde, den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit den AKP-Staaten, Biospritzielen der USA und EU und Landraub (land grabbing) zu tun. Seit Jahrzehnten wird das Modell des Bauern als Angestellten der industriellen Landwirtschaft favorisiert. Warum sollte ein Industriestaat, der bisher von seiner wirtschaftlichen Überlegenheit gegenüber den Entwicklungsländern profitiert hat, ausgerechnet das Kleinbauerntum fördern, wenn das darauf hinausliefe, daß sich die Kleinbauern den vorherrschenden Verwertungsbedingungen entziehen?

Viele Jahre lang wurde der landwirtschaftliche Sektor in den Ländern des Südens unter anderem mit Hilfe von Strukturanpassungsprogrammen zerstört, so daß Länder wie Mexiko, die zuvor landwirtschaftlicher Selbstversorger waren und sogar Nahrungsmittel exportiert haben, heute nicht mehr genügend selbst produzieren und Nahrung einführen müssen. Hat sich die Einstellung der politischen Entscheidungsträger in den Ländern des Nordens gewandelt? Dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil, Nahrungsproduktion und Nahrungsmittelhilfe sind unverhohlener Bestandteil geostrategischer Absichten und Machenschaften. Soll das Kleinbauerntum vollkommen ohne eigennützige Hintergedanken gefördert werden? Oder wird die Fürsprache für die Kleinbauern irgendwann einmal darin münden, daß von ihnen ein größerer Mehrwert abgeschöpft wird und daß sich die Regierungen nur dann, wenn diese Form der Ausbeutung gesichert ist, auf die am heutigen Abend eingebrachten Vorstellungen einlassen?

Viele Fragen, die der fortgesetzten Debatte bedürfen und selbstverständlich nicht auf einem Kongreß wie diesem, respektive einer einzigen Abendveranstaltung, beantwortet werden können. Eine größere Annäherung an das gestellte Thema hätte man sich allerdings schon gewünscht. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die jungen Grünen mit ihrem Global Young Greens Congress unterstrichen haben, daß sie längst flügge geworden sind und ihr Nest verlassen haben - so wie die jungen Nebelkrähen, an die ein amtliches Schild auf dem alten Baumbestand unmittelbar neben der Heinrich Böll Stiftung erinnert. Ihr seid die künftigen Ministerinnen und Minister - ein wenig schaudert's schon ob dieser keineswegs übertriebenen Prognose und der Aussicht, daß mit Kongressen wie diesem Karrieren in der Berufspolitik vorbereitet werden.

Amtliches Hinweisschild: Junge Nebelkrähen verlassen ihr Nest © Schattenblick

Flügge werden - ein Ziel des Global Young Greens Congress
© Schattenblick

Trotz der fortgeschrittenen Zeit und terminlichen Enge war Benedikt Härlin so freundlich, im Anschluß an die Veranstaltung dem Schattenblick "zwei, drei Fragen" zu beantworten. Aber nicht drinnen, sondern vor der Tür, bei einer Zigarette. Daß aus den "zwei, drei Fragen" ein längeres Gespräch wurde, dürfte wohl dem gemeinsamen Interesse an den Themen Ernährung und Landwirtschaft geschuldet sein.


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Interview mit Benedikt Härlin am 10. August 2010 in Berlin

Schattenblick: Ihren politischen Werdegang kann man sicherlich als bunt bezeichnen: Mitherausgeber der Zeitschrift 'Radikal', Gründung der 'Zeitungskooperative', taz-Mitarbeit, Hausbesetzer, für die Regenbogenfraktion Grüne/EFA von 1984 bis '89 im europäischen Parlament usw. Später Initiator der Aktion 'Save our Seeds', Mitglied der International Commission on the Future of Fruit, um nur einige Stationen zu nennen. Haben Sie mit der Initiative gegen die Gentechnik im Saatgut und Fragen der Ernährungssicherheit Ihre politische Heimat gefunden?

Benedikt Härlin: Ich glaube, ja. Es hat vielleicht mehr etwas mit meinem Alter zu tun, ich bin dreiundfünfzig. Die ersten dreißig Jahre meines politischen Lebens hatte ich mir darüber nie Gedanken gemacht, aber ich glaube, dieses Thema - vielleicht nicht einfach nur die Gentechnik, sondern die Fragen: Wie ernähren wir uns? Wie schaffen wir die Anpassung an den Klimawandel? Welche Art von Landwirtschaft brauchen wir in den nächsten 30 Jahren? - ist so ein Riesenthema, das wird mich, habe ich das Gefühl, doch den Rest meines Lebens ganz wesentlich beschäftigen. Hat ja auch etwas mit Garten zu tun.

SB: Mit einem eigenen Garten?

BH: Ja, das hat etwas mit meinem eigenen Garten zu tun, und es hat etwas damit zu tun, daß, wenn ich dieses neue Paradigma tatsächlich ernst nehme, es nicht nur darauf ankommt, was der maximale Mehrwert ist, den ich aus einem Hektar heraushole, sondern was der maximale Nährwert ist, den ich aus einem Hektar heraushole. Da komme ich auf eine gartenartige Bestellung dieser Erde.

SB: Das ist ja auch der neue Renner in den USA - 'urban gardening' und ähnliches. Verstehen Sie auch das darunter?

BH: Ja, es gibt eine wirklich interessante Bewegung weltweit. Die ist in amerikanischen Vorstädten anzutreffen, wo sie endlich ihren schrecklichen Rasen umgraben und wieder Gemüse anbauen; die ist auf den Dächern von São Paulo, die ist in vielen Slums. Es gibt viele dieser sogenannten Mega-Städte, auch in Asien, die bis zu einem Drittel ihres Frisch-Ernährungsbedarfs innerhalb ihrer Stadtgrenzen decken. Das ist natürlich auch eine Riesenchance für die Stadt, wieder grün zu werden. Von daher finde ich das oft extrem spannend. Hier in Deutschland gibt es ja wirklich spannende Initiativen, auch diese interkulturellen Gärten zum Beispiel - also viele Versuche, die Ernährung wieder näher an uns heranzubringen. Die Leute haben die Schnauze voll, daß das irgendwo 'aus der Steckdose', das heißt aus der Fabrik kommen soll, das Essen.

Benedikt Härlin beim engagierten Vortrag in der Heinrich Böll Stiftung © Schattenblick

Benedikt Härlin beim engagierten Vortrag in der Heinrich Böll Stiftung
© Schattenblick

SB: Stichwort 'Save Our Seeds'. Was verstehen Sie unter Schutz des Saatgutes?

BH: Die Initiative 'Save Our Seeds' versucht als erstes einmal, Saatgut vor eigentlicher gentechnischer Verunreinigung zu schützen. Es gibt seit acht Jahren in der Europäischen Union Bestrebungen, sogenannte Grenzwerte festzulegen, unterhalb derer Gentechnik im Saatgut nicht mehr ausgewiesen werden müßte. Das hieße aber, daß der Bauer gar nicht mehr weiß, ob er Gentechnik anbaut oder nicht. Und die Grenzwerte, die da vorgeschlagen wurden, würden bedeuten, daß auf einem angeblich gentechnikfreien Maisacker pro Hektar 300 Gentechnikpflanzen stehen könnten. Das ist der Ausgangspunkt.

Ich mache das aber im Rahmen der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, und die fördert schon seit vielen Jahren die Entwicklung von Saatgut, also die Neuentwicklung von Sorten für den ökologischen Landbau. Es ist ja ein großes Problem, daß auch im Bio-Bereich häufig eigentlich Saatgut benutzt wird, was für ganz andere Zwecke entwickelt wurde. Was gar nicht den optimalen Ertrag bringt für Bio und auch nicht den Prinzipien von Bio folgt. Unsere Zukunftsstiftung Landwirtschaft fördert nur die Entwicklung von samenfesten Sorten und keinen Hybrid. Weil die Hybride sozusagen der erste Schritt sind, um die Landwirte zu enteignen. Sie müssen immer wieder neues Saatgut kaufen, sie können sich nicht mehr selbst an der Entwicklung des Saatgutes beteiligen. Und das halten wir eigentlich für eine Sackgassentechnologie. Die Zukunft liegt in unseren Augen darin, daß sowohl Landwirte als auch Gärtnerinnen und Gärtner eben wieder mehr eigenes Saatgut optimieren. Dabei kann man heute sicher auch ganz moderne Technologien zum Einsatz bringen - von der Gentechnik halten wir dabei nichts.

SB: Wie stehen Sie zu Saatgutbanken? Die haben ja auch den Anspruch, das Saatgut zu bewahren. Deckt sich das mit Ihrer Vorstellung des 'Save Our Seeds'?

BH: Die beste Art, Saatgut zu bewahren, ist, es aufzuessen, das heißt, es in Gebrauch zu halten. Aber es ist natürlich auch so, daß Landwirte oder Gärtner heute Tausende von Sorten nicht mehr einsetzen, weil sie einfach nicht den Ertrag bringen, weil sie nicht die Eigenschaften haben, die diese gerne haben möchten. Trotzdem ist es wichtig, auch dieses Saatgut zu erhalten, weil es möglicherweise Eigenschaften hat, die sich später als besonders vorteilhaft herausstellen, und da haben Saatguterhaltungsbanken eine ganz wichtige Rolle zu spielen. Ich will das auf keinen Fall schlecht machen. Ich finde, das ist eine ganz wichtige Sache. Wir müssen den Schatz unserer landwirtschaftlichen Vielfalt so vollständig wie möglich erhalten.

Das Problem ist, die haben in der Regel zu wenig Geld, um das seriös zu machen, und ein großes Problem ist, daß häufig das Wissen, was eigentlich zu dem Saatgut gehört, nicht mitgespeichert wird. Dann ist es sozusagen nur noch genetisches Material, nur noch Rohstoff für 'gene screening' und so etwas und hat damit viel von seinem ursprünglichen Wert verloren. Ich bin eher dafür, daß mehr Geld in diese Art von Ex-situ-Erhaltung von Saatgut investiert wird. Aber das allerwichtigste ist natürlich, daß es sich auch für Landwirte lohnt, Sorten anzubauen, die nicht den maximalen Ertrag, aber dafür einen ganz besonderen Geschmack oder eine ganz besondere Ästhetik oder einen ganz besonderen regionalen Wert haben. Und da gibt es ja auch Initiativen, die versuchen, systematisch wieder bestimmte Sorten in den kommerziellen Kreislauf zu bringen. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Gärtner, aber auch engagierte Landwirte, die erhalten bestimmte Sorten neben ihrem kommerziellen Interesse aus Verantwortung, und das ist natürlich sehr viel besser, als wenn das nur irgendwo im kryo-konservierten Stickstoff passiert.

SB: Kooperiert Ihre Organisation mit solchen Gendatenbanken wie zum Beispiel die auf Spitzbergen?

BH: Ja, die Züchter, die unsere Stiftung fördert, bedienen sich beispielsweise auch aus Gatersleben hier in Deutschland. Was Spitzbergen betrifft, da muß man immer vorsichtig sein. Auf Spitzbergen wird nur eine spezielle Technik eingesetzt. Das Saatgut, das dort eingelagert wird, wird von nationalen und teilweise auch kommerziellen Saatgutbanken besessen. Und Spitzbergen ist eben nur so kalt und sicher, auch wenn der Strom ausfällt, aber es ist praktisch so etwas wie ein 'Mietplatz'. Es ist keine Bank, die da eine eigene Politik verfolgt.

SB: Es gibt da keine zentralisierte Verfügungsgewalt über diese eingelagerten Saaten aus aller Welt, die jetzt herangeschafft werden?

BH: Nein. Ich möchte einmal persönlich anmerken: Ich habe hohen Respekt vor Cary Fowler, der das ja initiiert hat. Auf der einen Seite läuft es uns allen kalt den Rücken runter, wenn wir diesen Bunker da in Spitzbergen sehen und sagen: 'So weit haben wir es also gebracht'. Auf der anderen Seite zu sagen: 'Let's face it' - es kann passieren, wir müssen auch solche extremen Maßnahmen ergreifen, um möglicherweise künftigen Generationen bestimmte Lebensgrundlagen zu sichern. Das hat leider seine Berechtigung, und man sollte da jetzt nicht den Boten töten für die Nachricht, die er damit natürlich auch überbringt. Da gibt es Einzelheiten, da kann man sicher trefflich drüber diskutieren, aber ich bin kein Feind von Cary Fowler.

SB: Eine Frage noch zur grünen Gentechnik: In verschiedenen Tierversuchen - wissenschaftlichen Tierversuchen, Vergleichsstudien - wurde festgestellt, daß gentechnisch veränderte Pflanzen nicht identisch sind mit den sogenannten konventionellen Pflanzen. Das heißt, es kam zu Schädigungen bei Ratten, bei Monarchfaltern. Es gibt eine ganze Reihe solcher Studien. Gibt es eigentlich auch Studien, die Schädigungen bei Menschen wissenschaftlich nachgewiesen haben?

BH: Es gibt natürlich bestimmte gentechnische Veränderungen, die schon in der Versuchsphase als zumindest problematisch erkannt wurden und deshalb auch gar nicht auf den Markt kamen. Es gibt zum Beispiel bestimmte Allergien, die durch die gentechnische Manipulation übertragen wurden. Das ist eine relativ einfache Geschichte, das haben sie aber auch frühzeitig gemerkt. Es gab andere Sachen, da waren sie sehr überrascht. Da haben sie ein Gen von einer Bohne auf eine Erbse übertragen, und plötzlich führt das zu Gesundheitsreaktionen, aber auch das hat man schon im Mausversuch festgestellt. Die wenigen gentechnisch veränderten Pflanzen, die heute auf dem Markt sind und von denen wir ja auch relativ wenig essen - über neunzig Prozent der gentechnisch veränderten Pflanzen werden von Tieren gegessen ...

SB: Die wir dann essen.

BH: ... und kommen dann über diesen Umweg, über die Milch oder das Fleisch bei uns an. Von all denen sind keine akuten toxischen Wirkungen auf Menschen bekannt, und das sollte man auch klar so sagen. Man muß allerdings auch sehr klar sagen, es gibt keine epidemiologischen Langzeitstudien, weder bei Tieren und noch viel weniger bei Menschen. Von daher weiß man nicht so genau, was man eigentlich tatsächlich sagen kann. Und dieses Argument, das ja oft von Gentechnikern und von der Industrie gebracht wird, das seien sozusagen die sichersten Pflanzen überhaupt, denn keine andere Pflanze sei so genau untersucht worden wie diese Gentechnikpflanze, das ist natürlich Unfug. Das Problem ist, wir wissen zu wenig. Ich kenne keinen Fall, wo ich sagen würde, das ist wirklich gefährlich, das darf man nicht essen, weil wir wissen, das hat die und die gesundheitsschädigende Wirkung.

SB: Betrachten Sie das Kleinbauerntum als Gegenentwurf zur Gentechnik?

BH: Ich betrachte die Förderung des Kleinbauerntums eher als Gegenentwurf zum Konzept der Monokultur. Die Gentechnik dient heute fast ausschließlich Zwecken der Monokultur. Das müßte nicht so sein. Man könnte sich auch vorstellen, daß es bestimmte Anwendungen gibt, die Kleinbauern nützen, und es gibt ja auch Methoden zum Beispiel zur Beschleunigung des konventionellen, des herkömmlichen Züchtungsvorganges, der sich gentechnischer Methoden bedient, indem man einfach bestimmte Gene identifiziert. Man manipuliert nichts, sondern man identifiziert.

SB: Mit Marker-Genen und ähnlichem.

BH: So etwas ließe sich genausogut auch für kleinbäuerliche Zwecke einsetzen. Das Problem ist, da ist halt nicht so viel Geld zu machen, und deshalb passiert es nicht. Das ist eine hoch kapitalintensive Technologie, bis heute jedenfalls.

Benedikt Härlin beim Podiumsgespräch © Schattenblick

Benedikt Härlin beim Podiumsgespräch
© Schattenblick

SB: Was halten Sie denn von der jüngsten Entwicklung in der Europäischen Union, die es ihren Mitgliedern freigestellt hat, ob sie gentechnische Produkte auf den Markt bringen - der Anbau ist ja weiterhin verboten - beziehungsweise zulassen?

BH: Naja, bisher ist es nur ein Vorschlag der EU-Kommission. Wir wollen das erstmal noch als Gesetz tatsächlich sehen, und das dauert sicher ein, zwei Jahre. So lange brauchen solche Prozesse. Ich sehe das auf der einen Seite als Erfolg von uns an, ganz klar. Die EU-Kommission hat eingesehen, sie kann zumindest den Anbau von Gentechnik nicht zentral aus Brüssel EU-weit vorschreiben. Es hat natürlich auch eine taktische Komponente. Die europäische Kommission macht das, weil sie hofft, daß dann die Mitgliedstaaten, die der Gentechnik kritisch gegenüberstehen, in der wissenschaftlichen Diskussion nicht mehr das letzte Engagement bringen und möglicherweise der Zulassung zustimmen, mit dem Argument, wir können es ja dann bei uns wieder verbieten.

Ich sehe auch große Chancen. Es bedeutet ja, wenn das so durchkommt, daß sich jede Regierung der Europäischen Union hinstellen muß und sagen muß, wir wollen politisch, daß dieses gentechnische Konstrukt hier angebaut wird. Und das ist etwas ganz anderes, als wenn man sich rausredet und sagt: 'Ja, das wurde leider gegen unsere Stimme in der EU so entschieden und leider können wir ja nur etwas machen, wenn wir wissenschaftliche Erkenntnisse haben, daß es schädlich ist.' Nein, ein simples Jeder-kann-es-verbieten bedeutet auch, daß jede Regierung die volle politische Verantwortung für den Anbau übernehmen muß. Da sehe ich große Chancen. Ich glaube, das wird sehr schwierig für eine Bundesregierung, das durchzustehen. Ich glaube, es ist unmöglich für eine italienische Regierung so etwas durchzustehen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine französische Regierung das tun kann. Also, da kommt schon - auch durch die Dezentralisierung der Entscheidung - wieder mehr Demokratie vor. Regierungen sind ja doch noch etwas anfälliger für die Meinung des Volkes als die EU-Kommission.

SB: Welchen Einfluß hatten die NGOs auf den Weltagrarbericht, der letztlich von fast allen Regierungen anerkannt wurde?

BH: Der Bericht ist von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geschrieben worden und nicht von den Leuten im Aufsichtsrat, wo ich zum Beispiel auch die NGOs vertreten habe. Der Aufsichtsrat hat sich grundsätzlich im Konsens auf die Auswahl der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geeinigt. Aber dadurch daß wir einbezogen waren in diesen Konsens, konnten wir natürlich auch dafür sorgen, daß nicht nur die Industrie ihre Wissenschaftler geschickt hat und nicht nur das amerikanische Landwirtschaftsministerium. Und es gab sehr interessante Koalitionen, würde ich es mal nennen, gerade innerhalb dieses Aufsichtsrates, auch mit vielen Regierungsvertreterinnen und -vertretern. Das war nicht so: Hier sind die NGOs, und da sind die Regierungen. Ich habe auch eigentlich gut mit dem Mann von Syngenta zusammengearbeitet, gegen die ständigen Zumutungen der Weltbank (lacht). Auch das hat es gegeben.

SB: Kam es zu ganz neuen Bündnissen?

BH: Genau. Wenn man vier Jahre immer wieder zusammensitzt und zusammen Sachen entscheiden muß, da bleibt es nicht aus, daß man einfach ein gewisses Vertrauen zu Menschen entweder entwickelt oder auch nicht entwickelt. Und das ist wichtig. Ich bin mit vielen von diesen Leuten bis heute in Kontakt, und ich bedaure es deshalb sehr, daß dieser Weltagrarbericht nicht fortgeführt wird so wie der Weltklimabericht. Wenn man da nach dem ersten wieder Schluß gemacht hätte, was wäre das gewesen?

SB: Täuscht der Eindruck oder verschwindet der Weltagrarbericht zwar nicht in der Versenkung, aber wird doch nicht so hoch gehalten, wie er es eigentlich verdient hätte, weil er doch von internationalen Wissenschaftlern erstellt wurde und eigentlich doch eine Leitlinie sein müßte? Trotzdem wird immer noch so getan, als ob die Fragen noch völlig ungeklärt wären, die jetzt eigentlich vom Weltagrarbericht schon als Ideen und Entwürfe beschrieben werden.

BH: Der Eindruck täuscht nicht so ganz. Es ist natürlich auch so, daß es eben ein wissenschaftlicher Bericht ist und nicht ein politischer Bericht in dem Sinne, daß hier klare Kochrezepte, sozusagen politische Kochrezepte vorgegeben würden. Auf der anderen Seite ist es trotzdem so, daß die Weltbank einfach geflucht hat, als sie das Ergebnis gesehen hat.

SB: Ja, das kann ich mir vorstellen.

BH: Syngenta ist ja dann ausgestiegen, sogar noch auf die letzten Meter, und auch die Bundesregierung hat da eine ganz traurige Rolle gespielt, leider Gottes ...

SB: Die hat den Bericht nicht unterzeichnet.

BH: ... Die schwarz-rote, nicht die schwarz-gelbe, muß man dazu sagen. Das Problem ist, daß dieser Weltagrarbericht auch ein richtiger Nestbeschmutzer ist. Er kritisiert sehr fundiert, aber auch relativ radikal, die Rolle, die die Wissenschaft und die wissenschaftlichen Institutionen spielen. Er sagt, so wie wir im Moment Agrarwissenschaft betreiben, werden wir keine sauberen Lösungen produzieren können. Und das nervt natürlich alle Bischöfe und Fürsten der Branche. Er hat es sich auch deshalb schwierig gemacht, weil er sozusagen kein Fettnäpfchen ausgelassen hat. Hätte man das als Politiker eingefädelt, hätte man sich gesagt: 'Naja, also das schreiben wir jetzt mal nicht 'rein, damit wir den noch auf unsere Seite bekommen.' Das ist aber auch die Ästhetik eines wissenschaftlich sauberen Berichtes, ich schätze das.

SB: Herr Härlin, wir bedanken uns recht herzlich für das Gespräch.

BH: Ich danke auch Ihnen.

SB-Redakteur im nächtlichen Gespräch mit Benedikt Härlin © Schattenblick

SB-Redakteur im Gespräch mit Benedikt Härlin
© Schattenblick



18. August 2010