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KLIMA/753: Arabisches Meer - Überlebenskampf und Klimanot ... (SB)



Die Klimaforschung arbeitet seit Jahrzehnten daran, die physikalischen Veränderungen der Natursysteme unter dem Einfluß der globalen Erwärmung in Computersimulationen nachzustellen. Auf dieser Grundlage werden Trends möglicher Klimaentwicklungen aufgezeigt. Eine solche Modellierung gilt als zuverlässig bzw. "robust", wenn damit zurückliegende Ereignisse und Prozesse treffgenau nachgestellt werden können.

Diese Methode hat zwar ihre Grenzen, beispielsweise wenn nicht alle denkbaren Parameter in das Modell einberechnet wurden oder wenn unvorhergesehene, da vielleicht erdgeschichtlich seltene oder erstmalige Ereignisse eintreten, aber die Computersimulation zählt zum klimawissenschaftlichen Standard. Das abstrahierende Verfahren ergänzt die Feld- und Laborarbeit, ebenso wie umgekehrt diese die Daten für die Berechnungen liefert.

Vor kurzem hat eine internationale Forschungsgruppe um Joaquim I. Goes vom Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York eine Studie in "Nature Scientific Reports" [1] vorgestellt, bei der ein großräumiger Teilaspekt der Klimaentwicklung näher beleuchtet wurde.

Die Nahrungskette im Arabischen Meer wurde in Folge von Veränderungen an weit entfernten Orten durchbrochen. Vom Gebirgskomplex tibetisches Hochland-Himalaya, von dem sich die Gletscher und Schneefelder aufgrund der globalen Erwärmung nach und nach zurückziehen, wehen im Winter zunehmend wärmere Winde herab auf die tropischen Meeresgebiete. Diese werden nicht mehr so stark aufgewirbelt und durchmischt wie früher, als die Winde noch kälter waren. Durch sie waren in der Vergangenheit zuverlässig Nährstoffe von tieferen in die oberen Schichten des Indischen Ozeans und seiner Randmeere wie dem Arabischen Meer eingebracht worden.

Der heutzutage geringere Temperaturunterschied zwischen dem tropisch warmen Wasser und den im Winter tendenziell wärmeren Winden aus dem Hochgebirge hat zur Folge, daß das Meer nicht mehr so stark aufgewühlt wird. Die daraufhin nährstoffarm bleibenden oberen Meeresschichten werden inzwischen alljährlich bis ins Arabische Meer hinein von einer einzigen Planktonart, Noctiluca scintillans (Meeresleuchttierchen), dominiert. Diese Einzeller kommen mit wenigen Nährstoffen gut zurecht und dienen ihrerseits nur wenigen Tierarten als Nahrung.

Das Meeresleuchttierchen, das pflanzliche und tierische Eigenschaften in sich vereint, setzt größere Mengen Ammonium frei, das Fischen gefährlich werden kann. Phytoplankton dagegen, das traditionell die Basis der Nahrungskette in dem Meeresgebiet war, wurde nicht nur verdrängt, sondern wird von Noctiluca sogar absorbiert. Das hat zur Folge, daß den Fischen nicht mehr die gewohnte Nahrungsmenge zur Verfügung steht und sie daraufhin weniger Nachkommen zeugen. Darüber hinaus wird beim Zerfall von verstorbenen Einzellern der Meeresumgebung Sauerstoff entzogen. Auch deshalb sind die Algenblüten eine Plage, denn sie erzeugen sauerstoffarme Zonen, in denen die Fische sterben.

In Folge dieses Rückgangs ist der Fischfang eingebrochen, von dem 150 Millionen Menschen ökonomisch abhängig sind, und die Fischer müssen sich andere Berufsfelder erschließen. Da sie über Boote verfügen, bietet sich manchem von ihnen offenbar eine Alternative besonders gut an, die Piraterie. Auch in anderen Gewässern bereitet Noctiluca scintillans Probleme, beispielsweise in den Küstengewässern von Indien, Indonesien, Thailand, Vietnam und den Seychellen.

Ende der 1990er Jahre war im Arabischen Meer zum ersten Mal das Auftreten von Noctiluca beobachtet worden. Seitdem herrschen dort mehrere Monate im Jahr jene nachtleuchtenden Algenblüten. Und das Phänomen weitet sich drastisch aus, wie anhand von Satellitenaufnahmen der US-Weltraumagentur NASA gezeigt werden kann.

Zu den wenigen Tierarten, die sich von Noctiluca ernähren, gehören Salpen und Quallen. Die werden von den Algenblüten angezogen und vermehren sich dank der üppigen Nahrungsgrundlage ebenfalls kräftig. Beide zusammen, Quallen und Noctiluca, bilden dann vor allem in Küstennähe riesige Teppiche aus schleimigen Massen, die regelmäßig den Betrieb von am Meer gelegenen Installationen wie Ölraffinerien, Aquakulturen und Meerwasserentsalzungsanlagen behindern. Touristen sind ebenfalls nicht sonderlich erbaut, wenn sie zum kühnem Sprung ins Meer ansetzen, aber in einer Art Schleimsuppe landen.

Ein Malheur, das allerdings noch leicht zu verschmerzen sein dürfte verglichen mit den anderen ökologischen und sozioökonomischen Folgen der globalen Erwärmung im Arabischen Meer. Die Studie veranschaulicht die Komplexität der Atmosphäre-Meer-Wechselwirkungen, die der Klimawandel bereits jetzt mit sich gebracht hat und in Zukunft noch verstärkt mit sich bringen dürfte. Die Existenz des Klimawandels zu leugnen heißt, seine unübersehbaren Begleiterscheinungen zu leugnen.


Fußnote:

[1] https://www.nature.com/articles/s41598-020-64360-2.pdf

7. Mai 2020


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