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KLIMA/746: Korallensterben - der Mensch in der Kette ... (SB)



Offenbar stellen sich manche Korallenarten auf ein Massenaussterben ein. Sie schalten in den gleichen "Überlebensmodus" wie vor dem letzten erdgeschichtlichen Massenaussterben, das vor 66 Millionen Jahren im Übergang vom geologischen Zeitalter der Kreide zum Tertiär stattfand. Hochrechnungen zufolge werden die meisten Korallen bis Ende dieses Jahrhunderts nicht überleben. Das hat weitreichende Folgen für die marinen Ökosysteme, denn Korallen nehmen zwar nur 0,2 Prozent der Meeresgebiete ein, bieten aber rund 35 Prozent der im Meer lebenden Arten einen Lebensraum.

Die heutige Generation von Kindern wird in eine Welt hineinwachsen, in der viele Meerestiere verschwinden oder bereits verschwunden sind. Zusammen mit den Landlebewesen sind insgesamt rund eine Million Arten vom Aussterben bedroht. An dieser Entwicklung sind die fossile Energiewirtschaft, ihre politische Lobby und große Teile der Gesellschaft, die nach wie vor einen auf Basis der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas befeuerten Konsum- und Lebensstil pflegen, wesentlich beteiligt.

Die Steinkorallen wissen Bescheid. Nicht nur unter Menschen, sondern auch unter ihnen, die zu den Nesseltieren gehören, gibt es anscheinend eine "Prepper"-Bewegung. Die Arten der Scleractinia suchen das tiefere Meer auf (über 100 Meter Wassertiefe), breiten sich geographisch weltweit aus, leben nicht symbiotisch (sind also nicht auf andere Arten angewiesen), bilden kleine Kolonien oder leben solitär und sind gegen die Korallenbleiche unempfindlich. Die gleichen Indizien lassen sich aus den 66 Millionen Jahre alten fossilen Korallenbänken ablesen. Damals gingen zahlreiche wirbellose Tierarten unter, nicht so bestimmte Steinkorallenarten.

Diese gehören nicht zu den 839 Korallenarten auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN, sondern bilden relativ stabile Populationen. "Als wir schließlich alle Ergebnisse beisammen hatten und das Ergebnis sahen, war das ein Moment, bei dem sich bei mir die Nackenhaare sträubten", sagte der an der diese Woche in "Scientific Reports" [1] erschienenen Studie beteiligte Meeresbiologe David Gruber von der City University von New York gegenüber "Newsweek". "Es war so wie: Oh mein Gott, die Korallen tun genau das gleiche, was sie damals getan hatten." [2]

Abgesehen von der Universität in New York waren an der Studie unter anderem auch die Universität von Haifa, das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und die Universität Leeds beteiligt.

Mehr als die Hälfte aller Korallen sind in den letzten 30 Jahren verschwunden, insbesondere die farbenprächtigen, tropischen Arten. Ausgelöst wird der Niedergang vor allem durch Faktoren wie Versauerung und Erwärmung der Meere samt den Folgeerscheinungen wie Krankheitsbefall. So sind vor kurzem in der Karibik viele Korallen aufgrund eines Virus verendet, im Roten Meer ist zur Zeit die Vermehrung der Korallen gestört, und das 2300 Kilometer lange Great Barrier Reef vor der australischen Ostküste, das schon seit Jahren schwere Beeinträchtigungen erleiden muß, wurde im vergangenen Jahr von einer Hitzewelle heimgesucht. Binnen weniger Tage starben etliche Korallen ab.

Die australische Regierung fördert die Schadensentwicklung geradezu und riskiert ein beschleunigtes Korallensterben, indem sie den Kohleabbau unmittelbar an der Küste des Bundesstaats Queensland genehmigt hat. Umweltschutzbewegungen laufen Sturm gegen den neuen Aufschluß, nicht zuletzt weil dann auch reger Schiffsverkehr das weltgrößte Korallenriff bedroht.

Seit Beginn der industriellen Revolution (1760 - 1840) erwärmt sich die Erde und nahezu zeitgleich steigt die CO₂-Konzentration in der Atmosphäre an, insbesondere ab den 1950er Jahren. Heute liegt der CO₂-Gehalt bei 413,50 ppm (parts per million), ein so hoher Wert, wie er in den letzten 800.000 Jahren nicht aufgetreten ist. Da sich abgesehen von der Erwärmung auch der Trend der CO₂-Zunahme fortsetzt, wird die Versauerung der Meere aufgrund der steigenden CO₂-Konzentration in der Atmosphäre weitergehen. Im Zeitraum von 2014 bis 2017 waren weltweit 37 Prozent der Korallenriffe von der für sie typischen Bleiche betroffen. Sie entsteht, wenn die Koralle unter Streß gerät und ihren Symbiosepartner, die Bakterien, abstößt.

Abgesehen davon, daß Korallenbänke für viele Tieren unverzichtbar sind, schützen sie auch Menschen. Denn sie bremsen Sturmfluten und Tsunamis, bilden also einen natürlichen Küstenschutz. Das alles wird nun aufs Spiel gesetzt, indem einer auf Expansion und Profitgenerierung angelegten Wirtschaftsweise gehuldigt wird, die ihre Dynamik aus der Zerstörung der Um- und Mitwelt gewinnt.

Perspektiven wie die der EU-Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyens, die Europäische Union bis Mitte des Jahrhunderts netto klimaneutral zu machen, sind viel zu unambitioniert, wie der Niedergang der Korallen als ein Beispiel des Naturverlusts unter vielen zeigt. Die von Menschen angestoßenen Entwicklungen laufen schneller ab und drohen eine Eigendynamik zu entwickeln, die kaum aufzuhalten sein wird. Auch der Kohleausstieg bis 2038 der Bundesrepublik Deutschland wird der Geschwindigkeit nicht gerecht, mit der gegenwärtig epochale Veränderungen anlaufen. Die Wissenschaft spricht vom sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte, das gegenwärtig stattfindet und auf den Menschen zurückgeht.


Fußnoten:

[1] https://doi.org/10.1038/s41598-020-60605-2

[2] https://www.newsweek.com/fossil-corals-mass-extinction-1490202

6. März 2020


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