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KLIMA/673: Artensterben - selbst im Regenwald ... (SB)



Laut einer neuen Untersuchung hat die Biomasse von Gliederfüßern, zu denen auch die Insekten zählen, im Tropischen Regenwald Puerto Ricos innerhalb von 36 Jahren um das 10- bis 60fache abgenommen. Die an der Studie beteiligten Forscher vermuten, daß das innerhalb des gleichen Zeitraums um rund zwei Grad gestiegene durchschnittliche jährliche Temperaturmaximum ein wesentlicher Grund für den Schwund der Tiere ist. Daraus wird hergeleitet, daß die Fauna des Tropischen Regenwalds womöglich viel empfindlicher auf den Klimawandel reagiert als angenommen.

Obwohl Gliederfüßer (Arthropoden) wie Insekten, Tausendfüßer und Spinnen mehr als zwei Drittel aller Tierarten ausmachen und wiederum ein Großteil von ihnen in den Tropen lebt, hat die Wissenschaft ihre Abundanz (Verbreitung) in jenen Breiten bislang wenig erforscht. Für die aktuelle Studie, die in dem Journal PNAS (Proceedings of the National Academy of Sciences) veröffentlicht wurde [1], haben die beiden Biologen Bradford C. Lister von der Rensselaer Polytechnischen Universität in Troy, US-Bundesstaat New York, und Andres Garcia von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko die Trockenbiomasse von Gliederfüßern in zwei Habitaten in mittlerer Höhenlage des tropischen Regenwalds bei Luquillo ermittelt. In dieser Region, die im Nordosten des als Außengebiet der Vereinigten Staaten von Amerika zählenden Puerto Rico liegt, wurden zwei verschiedene Fallentypen (Netze und Behältnisse mit klebriger Flüssigkeit) aufgestellt. Die ersten Messungen waren durch Lister bereits 1976, die letzten durch ihn und Gracia 2013 durchgeführt worden.

Es ist zu erwarten, daß Tiere, die in den Tropen leben, in denen ein relativ gleichmäßiges Klima herrscht, empfindlicher auf Temperaturschwankungen reagieren als Tiere beispielsweise in unseren Breiten mit seinen kalten Wintern und warmen Sommern. Die Bewohner der Tropen leben sozusagen an ihrem Temperaturoptimum, ohne daß sie sich auf schwankende Temperaturen hätten einstellen müssen. Die aktuelle Studie legt nahe, daß Insekten und andere Gliederfüßer noch empfindlicher auf Änderungen der Temperatur reagieren als angenommen.

Gleichzeitig haben die Forscher einen Rückgang der Eidechsen, Frösche und Vögel, also der Freßfeinde der Arthropoden, registriert. Als begleitende Forschung wurde zudem die Verbreitung von Gliederfüßern und Stabschrecken im Kronenbereich der Bäume untersucht und es wurde erstens eine Abnahme der Abundanz festgestellt und zweitens, daß diese Abnahme im Verhältnis zur höheren durchschnittlichen Maximaltemperatur stand. In den Tropen verändert sich anscheinend die gesamte Freßkette von unten nach oben. Die Forscher berichten von anderen Studien, unter anderem aus Costa Rica, bei denen ähnliche Trends festgestellt worden waren.

Das alle fünf bis sieben Jahre auftretende Klimaphänomen El Niño habe zwar Einfluß auf die Verbreitung der Waldarthropoden, aber entscheidend für den Biomasseschwund sei doch wohl das wärmere Klima, analysieren die Forscher mögliche andere Erklärungen für das von ihnen beobachtete Phänomen. Aufgrund des seit 1930 bestehenden Schutzstatus des Nationalparks El Yunque, in dem die Untersuchungen durchgeführt wurden, halten die Forscher einen direkten menschlichen Einfluß auf die Abundanz für unwahrscheinlich. Es gab einfach keine Landnutzungsänderungen. Außerdem sei die Verwendung von Pestiziden in Puerto Rico zwischen 1969 und 2012 um 80 Prozent gesunken, und die meisten verwendeten Pestizide besäßen eine Halbwertszeit von Tagen und nicht Jahrzehnten.

Im vergangenen Jahr sorgte ein ähnlicher Bericht unter Federführung des Entomologischen Vereins Krefeld für weltweites Aufsehen, wonach die Insektenbiomasse in mehreren Dutzend Schutzgebieten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg zwischen 1989 und 2016 um rund 75 Prozent abgenommen hat. [2]

Der Vorzug der Krefelder Untersuchungsergebnisse gegenüber denjenigen aus Puerto Rico besteht darin, daß der Verein die Trockenbiomasse der Insekten lückenlos, Jahr für Jahr, registriert hat und somit eine relative Kontinuität des Rückgangs festgestellt werden konnte. Wohingegen für die puertoricanische Untersuchung nur Messungen an sechs Zeitpunkten, nämlich Juli 1976 und Januar 1977 sowie Juli 2011, Januar 2012, Juli 2012 und Januar 2013, durchgeführt worden waren. Man weiß also nicht, ob zwischenzeitlich größere Schwankungen in der Abundanz der Gliederfüßer aufgetreten sind oder nicht. Von daher kann man aus dem Ergebnis auch keinen Trend für die Zukunft ableiten.

Zu bedenken geben die Autoren auch die Möglichkeit, daß die Zahl der Arthropoden gar nicht abgenommen hat, sondern daß die Tiere aufgrund des wärmeren Klimas lediglich abgewandert sind. Und mit ihnen dann beispielsweise die Vögel, die sich von ihnen ernähren.

Auch das könnte dann eine Folge der Klimaveränderung sein, wenngleich sie weniger drastisch erscheinen würde als jene 10- bis 60fache Abnahme der Biomasse. Außerdem würde im Zuge der globalen Erwärmung, die auch für die Tropen prognostiziert wird, irgendwann kein Ausweichen der Tiere nach oben mehr möglich sein; sowieso nimmt der verfügbare Lebensraum zum Gipfel hin ab. Irgendwann ist Schluß, spätestens dann würde ein umfassendes Artensterben einsetzen.

Für die Hypothese der Forscher spricht, daß die beobachteten Trends bei verschiedenen Arten gleichzeitig auftraten. Das könnte bedeuten, daß die Tiere auf einen für alle Spezies gleichermaßen wirkenden Einfluß - eben die Erwärmung - reagieren.

Die Forscher stellen ihre Beobachtungen in einen Zusammenhang mit dem gegenwärtig ablaufenden sechsten größeren Massensterben der Erdgeschichte. Daran ist der Mensch wesentlich beteiligt. Beispielsweise über Landnutzungsänderungen wie Entwaldung zugunsten von Flächen für die Futtermittel- oder Biospritproduktion, landwirtschaftliche Effizienzsteigerungen (Pestizide, Beseitigung von Randstreifen, Monokulturanbau) und Versiegelung der Landschaft durch Städte und Verkehrswege. Gegenwärtig sterben jedes Jahr 100 bis 1000 Tier- und Pflanzenarten pro eine Million Arten aus. Das übertrifft sogar die Massensterben in der früheren Erdgeschichte, die laut Stuart Pimm von der Duke University um den Faktor 1000 langsamer abliefen [3].


Fußnoten:

[1] http://www.pnas.org/content/pnas/early/2018/10/09/1722477115.full.pdf

[2] Ein Interview mit einem der beteiligten Wissenschaftler der Krefelder Untersuchung, Dr. Martin Sorg, finden Sie im Schattenblick unter:
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0271.html

[3] http://science.sciencemag.org/content/344/6187/1246752

22. Oktober 2018


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