Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REDAKTION


KLIMA/659: Antarktis - Gemessene Eisschmelzen ... (SB)



Lange Zeit galt der ostantarktische Eisschild als Hort der Stabilität in einer ansonsten allmählich aus den Fugen geratenden Welt. Wenn noch vor zehn, 15 Jahren in der Forschungsgemeinde im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung über den Rückzug der Hochgebirgsgletscher, das Abtauen einiger grönländischer Gletscher oder auch die Zerrüttung und das beschleunigte Abschmelzen des westantarktischen Eisschilds gesprochen wurde, dann wurde das gern mit der Ostantarktis kontrastiert. Deren bis zu vier Kilometer mächtiger Eispanzer bleibe von dem Klimawandel weitgehend unberührt, da die Temperaturen dort extrem niedrig sind, so der vorherrschende Eindruck.

In den letzten Jahren mehren sich jedoch die Beobachtungen und Berichte, in denen dieses beschönigende Bild korrigiert wird. So auch in einer aktuellen Studie über die Massenbilanz des Totten- und des Universität-Moskau-Gletschers. Beide fließen von einem ostantarktischen Eisfeld ab, das heißt, sie werden von ihm laufend gespeist. Bei einem völligen Abschmelzen dieses Eisfelds würde der Meeresspiegel weltweit um fünf Meter steigen, berichtete die Forschergruppe in den Geophysical Research Letters [1].

Schwerefeldmessungen, die mit dem Satelliten GRACE durchgeführt wurden, lassen darauf schließen, daß die beiden Gletscher tatsächlich in den letzten 15 Jahren beschleunigt Masse verloren haben. Noch bilden sie eine Art Eisbarriere. Ohne sie würde das landeinwärts liegende Gletscherfeld schneller ins Meer abgleiten und dabei auch noch von unterwärts angeschmolzen. Denn unter dem riesigen Antarktischen Eisschild verbirgt sich keine geschlossene Landmasse, sondern ein Archipel aus einer Vielzahl von Inseln, zwischen denen Wasser fließen kann.

Der Tottengletscher hat ein Ausmaß von 537.900 km², der Universität-Moskau-Gletscher von 221.600 km². Aus den Daten des Satelliten GRACE, der zwischen 2002 und 2017 um die Erde gekreist ist, geht nach der Berechnungsmethode der Forschergruppe um Hauptautor Yara Mohajerani von der Universität von Kalifornien in Irvine hervor, daß die beiden Gletscher im Durchschnitt 18,5 Gigatonnen Masse jährlich verlieren. Das ist verglichen mit anderen Gletschern insbesondere der Westantarktis nicht viel - die Antarktis verliert jedes Jahr rund 67 Gigatonnen (im Zeitraum 2003 bis 2013), wobei einige Regionen der Ostantarktis sogar eine Massenzunahme verzeichnen -, aber es verdeutlicht, daß die Ostantarktis ein besonderes Augenmerk verdient.

Zu den neueren Beobachtungen anderer Forschergruppen gehört, daß das Meerwasser in einem Hohlraum an der Gletscherzunge des Tottengletschers eine Temperatur von 0 bis 0,5 Grad Celsius aufweist. Für einen Laien klingt das nicht spektakulär, für die Forschung indes ist das ein Warnsignal, daß das Wasser den Gletscher zu unterspülen begonnen hat. So hat sich die Aufsetzlinie des Tottengletschers - das ist die Grenze, aber der er auf dem Meer schwimmt - zwischen 1996 und 2013 um drei Kilometer landeinwärts bewegt.

Da die Meeresströmung, die um die Antarktis herumfließt, wärmer wird, schmelzen die Gletscher schneller ab. Zugleich erhöht sich die Gefahr, daß warmes Wasser entlang der "Wasserstraßen" tief ins Innere der Antarktis vordringt und dadurch die Eismassen von unterwärts angelöst werden. Dadurch wird nicht einfach nur das Abschmelzen beschleunigt, sondern zugleich die Gefahr erhöht, daß die Gletscher ihre Haftung mit dem Untergrund verlieren und die Eismassen der Schwerkraft folgend ins Meer abgleiten.

Dazu paßt, daß vor einigen Jahren erstmals ein Fluß entdeckt wurde, dessen Verlauf von einem der Seen unter dem antarktischen Eis bis zum Meer verfolgt werden konnte. Und im vergangenen Jahr berichteten britische Forscher, daß sie weitere 93 Vulkane unter der Antarktis ausfindig gemacht haben. Das hat die Gesamtzahl an bekannten subantarktischen Vulkanen auf 138 erhöht.

Vulkanismus ist ein Unsicherheitsfaktor, der womöglich die Karten vollkommen neu mischt. Vermehrte vulkanische Aktivitäten könnten, ergänzend zur globalen Erwärmung in Folge der unverdrossen steigenden CO2-Emissionen aus dem Verbrennen fossiler Energieträger, die Fließgeschwindigkeit von Gletschern, ihre Schmelzrate und somit den Eisverlust deutlich erhöhen.

Weitere Forschungen zeigen, daß die Ostantarktis in erdgeschichtlicher Vorzeit empfindlich auf Klimaveränderungen reagiert hat. So lag der globale Meeresspiegel während des geologischen Zeitalters des Pliozäns (5,3 bis 2,6 Mio. Jahre vor heute) rund 20 Meter höher als heute. Die Erde war zwar etwa zwei bis drei Grad wärmer, doch entsprach der CO2-Gehalt der Atmosphäre dem heutigen Wert. Das kann bedeuten, daß die Temperatur noch nachzieht und in Folge dessen auch der Meeresspiegel höher steigen wird, als beispielsweise die relativ konservativen Einschätzungen des Weltklimarats vermuten lassen (95 cm bis Ende des Jahrhunderts).

Verhältnisse wie während des Pliozäns auf die heutige menschliche Gesellschaft bezogen, wären jedenfalls eine globale Katastrophe. Viele Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen würden vertrieben, einfach schon deshalb, weil ausgedehnte Landflächen im Meer versinken - von kriegerischen Konflikten im Kampf um die verbliebenen Ressourcen ganz zu schweigen.


Fußnote:

[1] https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1029/2018GL078173

3. August 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang