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KLIMA/624: Zeitbombe Antarktis (SB)


Zahlreiche Vulkane, Flüsse und Seen unter dem eisigen Kontinent


Ausgerechnet zu einer Weltregion, deren Wandlung einen maßgeblichen Einfluß auf die gesamte Erde hat, weiß die Wissenschaft vergleichsweise wenig, sind ihre Zukunftprojektionen uneinheitlich. Die Rede ist von der Antarktis, die über einen bis zu vier Kilometer mächtigen Eispanzer verfügt. Während die westantarktischen Eismassen bereits als Folge der globalen Erwärmung unaufhaltsam abschmelzen und mehrere Meter zum weltweiten Meeresspiegelanstieg beitragen werden, galt das Eis der Ostantarktis bis vor wenigen Jahren noch als stabil. Seitdem häufen sich jedoch die Berichte, wonach die Vorstellung der Stabilität aus einer trügerischen Hoffnung hervorgeht. Andere Untersuchungen halten indes mit der Behauptung dagegen, daß die Ostantarktis nicht dem gleichen Erwärmungstrend unterliegen muß wie die Westantarktis.

Die jüngste Publikation auf diesem Gebiet wirft ein deutliches Licht darauf, wie wenig bislang über den sechsten Kontinent bekannt war. In vielerlei Hinsicht bleibt die Antarktis ein weißer Fleck auf der Landkarte, und damit ist nicht die Bedeckung mit Schnee und Eis gemeint.

Eine Forschergruppe von der Rice-Universität schrieb in "Nature Geoscience", sie habe erstmals einen Fluß unter dem Eis entdeckt, und es sei gelungen, diesen Fluß von früheren Flußsystemen, die sich im Meeresboden vor der Küste abzeichneten, bis zu unter der Antarktis liegenden Seen weiterzuverfolgen.

Solche subglazialen Seen entstehen unter anderem deshalb, weil das Eis unter seinem eigenen Gewicht einen dermaßen hohen Druck erzeugt, daß es schmilzt. Normalerweise würden Gletscher höchsten mit wenigen Dutzend Metern pro Jahr in Richtung Meer fließen. Es gibt jedoch einige Gletscher, die jährlich mehrere hundert Meter zurücklegen. Ermöglicht wird dies entweder durch subglaziale Flüsse oder aber durch ein anderes Phänomen, das den gefrorenen Boden aufweichen und matschig werden läßt, so daß er zur Gleitfläche wird: Vulkanismus.

Vulkane sind eine weitere jüngere Entdeckung der Antarktis-Forschung. Natürlich ist es schon länger bekannt, daß sich unter dem Eis Vulkane befinden, aber vor knapp zwei Wochen wartete eine britische Forschergruppe mit einem überraschenden Befund auf: Man habe 91 Vulkane entdeckt. Diese lägen in einem Gebiet, das bereits für seine vielen Vulkane bekannt sei. Das Netzwerk aus insgesamt 138 Vulkanen sei vermutlich die weltweit dichteste Anhäufung dieser Art, hieß es in einer Sonderpublikation der Geological Society. Nun müsse man dringend herausfinden, ob die Vulkane aktiv sind, sagte der an der Forschung beteiligte Geowissenschaftler Robert Bingham von der Universität Edinburgh zum "Guardian". Denn wenn unter dem Eis ein Vulkan ausbricht, könnte dadurch das Eis oberhalb des Kraters schmelzen und auch den Gletscherabfluß beschleunigen.

Nicht nur das. Sollte der Eisschild weiter an Masse verlieren, verringert sich der Druck, der auf dem Untergrund lastet. Das wiederum dürfte die Aktivität der Vulkane verstärken, warnen die britischen Forscher.

Die Antarktis ist eine Zeitbombe, wie es sie in kaum einer anderen Region der Erde vorkommt, allenfalls noch vergleichbar mit dem Auftauen der Permafrostböden, in denen gewaltigen Mengen Treibhausgase eingefroren sind. In der Antarktis ist soviel Wasser in Form von Eis gebunden, daß, würde es komplett schmelzen, der Meeresspiegel weltweit um 70 Meter steigt.

Wie lange es dauert, bis das Eis der Westantarktis geschmolzen ist, vermag niemand genau abzuschätzen. Man rechnet nicht mit Jahrzehnten, sondern mit Jahrhunderten. Für den ostantarktischen Eisschild, so er denn vollständig verschwände, werden Fristen von Jahrtausenden bis Jahrzehntausenden angenommen. Problematisch ist beides, trotz solcher langen Fristen. Denn auf dem Weg dahin steigt bereits der Meeresspiegel, nimmt die Höhe von Sturmfluten dramatisch zu, versinken ganze Inseln und müssen Hafenstädte eingedeicht oder evakuiert werden. Und einiges davon noch im Laufe dieses Jahrhundert. Die sozialen Folgen dieser Entwicklung kann man wohl nur in düsteren Farben malen, wo doch die Staaten bereits jetzt ihre Grenzen dicht machen und militärisch gegenüber Flüchtlingen absichern. Um vieles mehr dürfte die Fluchtbewegung zunehmen, wenn erst wichtige Infrastrukturen und Landflächen vom Meerwasser überspült werden.

23. August 2017


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