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KLIMA/621: Methanausbrüche vor Helgoland (SB)


Welchen Einfluß haben die Treibhausgasemissionen auf die Verfügbarkeit von Sauerstoff?


In der Deutschen Bucht, 45 Kilometer nordwestlich von Helgoland, wurden rund 300.000 frische Krater am Meeresgrund entdeckt. Sie sollen im Herbst 2015 durch eine schlagartige Freisetzung von Methan entstanden sein, berichtete eine Forschergruppe um Knut Krämer vom MARUM - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften in Bremen im Wissenschaftsmagazin "Scientific Reports".

Die Forscher hatten das etwa 915 Quadratkilometer große, im Helgoland-Riff gelegene Kratergebiet im November 2015 entdeckt. Das Entstehungsdatum der vielen, zehn bis 20 Meter großen Krater kann deshalb relativ genau bestimmt werden, weil dasselbe Gebiet im Mai 2015, also nur wenige Monate zuvor, besucht worden war und zu dem Zeitpunkt noch keine Krater zu sehen waren.

Vor allem dort, wo Flüsse größere Mengen organischen Materials ins Meer verfrachtet haben, das dann zusedimentiert wurde, so daß die gasförmigen Ausscheidungen von Bakterien, die das organische Material verstoffwechseln, sich sammelten, werden weitere Methanvorkommen in der Deutschen Bucht vermutet. Für Wissenschaftler, die sich von Berufs wegen mit Methanausbrüchen befassen, mag so eine Entdeckung nicht überraschend kommen, lassen sich doch Vergleiche mit Methanemissionen aus anderen Regionen wie dem Kontinentalhang Nordamerikas, den Permafrostregionen auf dem sibirischen Kontinentalschelf oder auch dem Südpolarmeer ziehen. Für die Deutsche Bucht jedoch ist so ein Ausbruch etwas Besonderes, und er wirft die Frage auf, wo denn noch alles in der Welt Methanausbrüche stattfinden, die jedoch deshalb unentdeckt bleiben, weil die betroffenen Regionen nicht so intensiv besucht und erforscht werden. Jedenfalls hat die Methankonzentration in der Atmosphäre in den letzten zehn Jahren stark zugenommen, was sich die Wissenschaft noch nicht vollständig erklären kann.

Die Vermutung, daß jene Krater durch Methan entstanden sind, gründet sich darauf, daß dieses Phänomen - eine spezifische Kraterform am Meeresgrund mit randlich frischem Sedimentauswurf - als "Pockmarks" (Pockennarben) in der Fachliteratur beschrieben ist. Zudem maß die Forschergruppe im Meerwasser eine um 1000 Prozent höhere Methankonzentration.

Die Forscher haben eine ihren Worten zufolge "moderate" Einschätzung an freigesetztem Methan versucht und sind auf 5000 Tonnen gekommen. Diese Menge entspricht etwa zwei Drittel der jährlichen Methanemissionen der gesamten Nordsee. Ein weiterer Vergleich: Die 5000 Tonnen Methan machen etwa 0,5 Prozent des jährlichen anthropogenen Methanausstoßes Deutschlands aus. Das klingt auf den ersten Blick nach nicht viel. Insofern könnte man den Standpunkt vertreten, daß die Menge an ausgetretenem Methan vor Helgoland nicht wirklich klimarelevant ist. Aber bereits der Umstand, daß laut den Forschern in vielen Gebieten der südlichen Nordsee vermutlich ähnliche Methanvorkommen existieren, die potentiell freigesetzt werden könnten, verleiht jener Einzelbeobachtung mehr Gewicht. Und das auch deshalb, weil nach Ansicht der Forscher hohe Wassertemperaturen am Meeresgrund im Jahr 2014 und 2015 dafür sorgten, daß das Methan zunächst bis knapp unter dem Meeresgrund aufsteigt, und daß dann eine Sturmserie im November 2015 der entscheidende Auslöser war, durch den das Methan schlagartig freigesetzt wurde. Besagen nicht die meisten Simulationen der Klimaforschung, daß die Temperatur der Weltmeere auch dann noch steigen wird, sollte es den Menschen gelingen, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren? Wäre deshalb nicht mit vermehrten Methanfreisetzungen zu rechnen?

Auch wenn die geschätzte Methanmenge von 500.000 Kilogramm, die vor Helgoland dem Meeresboden entwichen sein sollen, nur einen winzigen Bruchteil der 5 Trillionen und 130 Billiarden Kilogramm der gesamten Erdatmosphäre ausmachen würde, sollte das Gas bis in die Atmosphäre aufgestiegen sein (was noch unklar ist), käme selbst dieser kleinen Menge keine zu vernachlässigende Bedeutung zu. Methan ist ein etwa 28mal potenteres Treibhausgas als CO2, um dessen Emissionsreduktion große Teile der Welt so sehr bemüht sind. Allerdings hat es eine Halbwertszeit von zwölf Jahren, das heißt, vom Zeitpunkt seiner Entstehung an zerfällt es nach relativ kurzer Zeit, wobei eines der Abbauprodukte wiederum CO2 ist. Der Vergleichswert zu CO2 wurde jedoch auf einen Zeitraum von 100 Jahren berechnet.

Das Methan in der Deutschen Bucht ist nicht das einzige klimawirksame Gas, das für Überraschungen in der Fachwelt gesorgt hat. Erst diese Woche berichtete eine andere Forschergruppe unter anderem vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel im Fachjournal "Scientific Reports" von der Entdeckung, daß im Atlantik vor der westafrikanischen Küste bis zu 100 Kilometer durchmessende, extrem sauerstoffarme Wasserwirbel entstehen, die von Ost nach West wandern. In 100 Meter Wassertiefe jener "toten Zonen" maßen die Forscher die höchsten Konzentrationen an Lachgas (Distickstoffmonoxid), die jemals im offenen Atlantik festgestellt wurden. Lachgas ist ein 310mal so starkes Treibhausgas wie CO2.

Die Konzentration eines weiteren Treibhausgases, Schwefelhexafluorid (SF6), das auf einen Zeitraum von 100 Jahren bezogen 22.800mal klimawirksamer ist als CO2, nimmt ebenfalls zu, und zwar um mehrere Prozent pro Jahr. Das Gas entsteht vor allem in der Elektro- und Halbleiterindustrie. Ähnliches gilt für Stickstofftrifluorid (NF3), das 19.700mal so klimawirksam wie CO2 ist und wie SF6 unter anderem in der Halbleiterindustrie produziert (und emittiert!) wird.

Kohlenstoffdioxid, Methan, Lachgas, Schwefelhexafluorid, Stickstofftrifluorid - all diese Treibhausgase verzeichnen einen signifikanten Anstieg in der Atmosphäre. Allein der Umstand, daß ihr Volumenanteil trotz der Steigerung vergleichsweise sehr, sehr gering bleibt, hat bislang verhindert, daß auf der Erde in kurzer Zeit extrem lebensfeindliche Verhältnisse einkehren - womöglich ähnlich denen auf der Venus, deren Oberflächentemperatur rund 400 bis 500 Grad und Atmosphäre 92 bar beträgt. Jedoch stellen sich in diesem Zusammenhang Fragen. Wenn der Volumenanteil jener Treibhausgase in der Erdatmosphäre wächst, bedeutet das nicht, daß auf der anderen Seite etwas schwindet? Man weiß, daß zum Beispiel der Sauerstoffgehalt ungefähr in dem Maße abnimmt, wie der Gehalt von CO2 zunimmt. Mischen sich aber die genannten Treibhausgase komplett in die Atmosphäre ein oder können lokale Konzentrationen auftreten? Methan ist leichter als Luft und steigt auf. CO2 hingegen ist schwerer und würde sich am Boden ablegen, sofern es nicht aufgrund der Windströmungen mit der übrigen Luft vermischt wird. Gleiches gilt für Lachgas, Stickstofftrifluorid und Schwefelhexafluorid.

Wenn im Zuge des Klimawandels die globale, bodennahe Durchschnittstemperatur weiter steigt, kann das den Abbau organischer Substanzen im Boden beschleunigen und somit die Freisetzung von Gasen wie zum Beispiel Methan verstärken. Umgekehrt werden in warm-feuchten Umgebungen Oxidationsvorgänge unterstützt, was dazu führen könnte, daß der Sauerstoffanteil der Atmosphäre abnimmt. Auch durch eine Änderung der Sonneneinstrahlung kann der Zerfall organischen Materials im Boden beschleunigt werden; und die Einstrahlung hat sich schon dadurch geändert, daß das Ozonloch ausgedünnt wurde und nun ein höherer UV-Anteil auf die Oberfläche trifft. Zudem wird das Ozonloch länger offen bleiben, als es die Wissenschaft bis vor kurzem noch angenommen hat.

Die Veränderung der Atmosphärenzusammensetzung wird von der Wissenschaft vor allem mit Blick auf die weitere globale Erwärmung und somit den Klimawandel untersucht. Doch sollte sich die Atmosphäre ähnlich verhalten wie das Meer, wo sich die Schichten mit zunehmender Erwärmung stabilisieren und immer weniger durchmischen, könnte der Effekt eintreten, daß die Luftschichten tendenziell unterschiedliche Konzentrationen von Gasen wie Sauerstoff aufweisen werden. Davon wäre die bodennahe Luftschicht, der Hauptlebensraum von Mensch, Tier und Pflanze, vermutlich am stärksten betroffen.

Was aber hat das mit dem freigesetzten Methan vom Meeresboden vor Helgoland zu tun? Es ist wie mit dem Unterschied zwischen Wetter und Klima: Ein rekordverdächtig heißer Sommertag beweist noch nicht die Existenz des Klimawandels; der Klimawandel erzeugt jedoch heiße Sommertage. Ebensowenig ist jene Methanfreisetzung ein Beweis dafür, daß sich das Meer und die Luft im Wandel befinden. Doch in Verbindung mit anderen Veränderungen der Erdatmosphäre bekommt der "Helgoland-Fall" eine größere Bedeutung, als wenn man ihn isoliert betrachtet. Bislang wird der Klimawandel fast ausschließlich in Verbindung mit der globalen Erwärmung untersucht, nicht jedoch hinsichtlich der Sicherung relevanter Überlebensvoraussetzungen wie die permanente Verfügbarkeit von Sauerstoff zum Atmen.

14. Juli 2017


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