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KLIMA/593: Forscher rätseln - Stratosphärische Strömung monatelang blockiert (SB)


Ordnungswidriges Verhalten am Himmel

Begleitfolgen der globalen Erwärmung möglicherweise weitreichender als angenommen


Forscher haben in der oberen Atmosphäre (Stratosphäre) ein Phänomen entdeckt, das sie noch nie seit Beginn der regelmäßigen Beobachtungen festgestellt haben: Erstmals hat die quasi-biennale Oszillation (auch quasi-zweijährige Schwingung genannt, QBO abgekürzt) für ein halbes Jahr ausgesetzt. Über den Auslöser dieses Effekts und seine Folgen kann die Wissenschaft nur spekulieren. Paul Newman, Chefwissenschaftler für Geowissenschaften am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, US-Bundesstaat Maryland, und Hauptautor einer Studie in den Geophysical Research Letters (online [1]), verglich das außergewöhnliche Geschehen mit einem berühmten Geysir im Yellowstone-Nationalpark: "Die quasi-biennale Oszillation ist der Old Faithful der Stratosphäre. Wenn dieser mal für einen Tag aussetzt, fängst du an, dich zu fragen, was denn da unten im Boden vor sich geht." [2]


Foto: NASA

Space Shuttle Endeavour (Mission STS-130), am 2. Februar 2010 von der Raumstation ISS aus in rund 350 Kilometer Höhe über der Erde aufgenommen. Deutlich zu erkennen als orangefarbener Streifen über der Erde die Troposphäre (0 - 15 Kilometer), mit Wolkenbildung am linken Bildrand. Nach außen anschließend die weiß erscheinende Stratosphäre (15 - 50 Kilometer), in der sich die quasi-biennale Oszillation abspielt, sowie die Mesosphäre in leuchtend blau.
Foto: NASA

Die meisten Menschen werden schon mal beobachtet haben, daß die Wolken am Himmel gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen wehen können, wenn sie sich in verschiedenen Höhen bewegen - ein Hinweis auf großräumige (Umwälz-)Bewegungen in der Atmosphäre. Bei der QBO hat man es ebenfalls mit einer Umwälzbewegung zu tun, nur daß sie noch oberhalb der mit bloßem Auge sichtbaren Wolkenbewegungen abläuft. In der Stratosphärenforschung spricht man auch von einer Schwingung, Oszillation oder Welle.

Diese Welle läuft in 16 - 40 Kilometer Höhe oberhalb der äquatorialen Breiten rund um die Erde, ihr Maximum befindet sich bei 20 - 25 Kilometern. Quasi alle zwei Jahre (nach 22 bis 34 Monaten) kehrt sich die Windrichtung um. Das weiß man seit den fünfziger Jahren, als man begann, in den Tropen rund um den Globus Wetterballone aufsteigen zu lassen. Seitdem ergibt sich stets das gleiche Bild: Die etwas schwächeren westlichen Winde, die in der oberen Stratosphäre ihren Anfang nehmen und im Laufe der Zeit absteigen (knapp einen Kilometer pro Monat), werden von den kräftigeren östlichen Winden abgelöst, nur um diese nach rund zwei Jahren ihrerseits abzulösen. Vulkanausbrüche haben schon mal zu einer Verzögerung der Umkehrung geführt, aber noch niemals wurde der Ablauf dadurch unterbrochen. Die Umkehrung war so zuverlässig wie im Yellowstone Park der "alte Getreue", der regelmäßig für eine bestimmte Zeit Wasser auspustet und sich dann wieder in seine Höhle zurückzieht, um seine Backen erneut zu füllen.

Doch Ende 2015 war alles anders. Die Umkehrung der Windrichtung der QBO blieb aus. Die Westwindphase näherte sich gerade ihrem Ende, was normalerweise bedeutet, daß der Wind den untersten Punkt seines Abstiegs erreicht und vom Ostwind abgelöst wird. Diesmal machte der Westwind allerdings keinen Platz, stieg wieder auf und blockierte somit seinen Antagonisten, der gestaut wurde und sich teils unter die Westwindströmung schob. Erst im Juli dieses Jahres habe sich das alte Muster wieder eingestellt, berichtete die NASA.

Eine Aussage, die auf eine gewisse Ratlosigkeit hinsichtlich dieses "Regelbruchs" schließen läßt. Nach so kurzer Zeit, die seitdem vergangen ist, sollte man eigentlich noch nicht von einem Muster sprechen. Dafür, daß gerade erst die eigene Vorstellung über den Haufen geworfen wurde, ist dies schon eine recht gewagte Behauptung. Was hier als Rückkehr bezeichnet wird, könnte genausogut der Auftakt zu etwas völlig Neuem sein, für das die "Mustererkennung" des Menschen eben kein Vorbild hat. Diese Möglichkeit scheint auch Newman nicht auszuschließen, wenn er weitere Forschungen zu der Frage ankündigt, ob es sich bei dem Ereignis um einen "schwarzen Schwan" handelt, also um ein seltenes Ereignis, oder um einen "Kanarienvogel im Bergwerksstollen", der unvorhergesehene Umstände ankündigt.

Bekanntlich wird in der Wissenschaft versucht, für alles eine Ordnung zu finden und von Regelmäßigkeiten auszugehen. Da man in einem statistischen Datensatz immer einen mathematischen Mittelwert bilden kann, fällt das auch nicht schwer. In diesem Fall wird von einer "quasi-zweijährigen" Schwingung gesprochen, auch wenn die Oszillation alle 22 bis 34 Monate auftritt, was keine geringfügige Spanne ist. Erst in der abstrakten Darstellung der Datensätze in Diagrammform erscheint diese Periodizität überzeugend.

Als am 27. August 1883 der indonesische Vulkan Krakatau ausbrach, wurden bei der gewaltigen Explosion, deren Knall man noch in rund 5.000 Kilometern hören konnte, Gas- und Staubmassen bis in die Stratosphäre verfrachtet. Die Wolke wanderte von Ost nach West und brauchte dreizehn Tage, bis sie ihren Ausgangspunkt erreichte. Daraufhin nahm man an, daß in Höhe des Äquators eine stratosphärische Ostströmung vorherrscht, die daraufhin "Krakatau-Ostwind" genannt wurde. 1908 ließ der deutsche Meteorologe Arthur Berson am Victoriasee in Afrika Wetterballone aufsteigen und stellte fest, daß in 15 Kilometer Höhe Westwind vorherrschte. Dieser fand als Berson-Westwind Eingang in die wissenschaftlichen Lehrbücher. Beide Beobachtungen erwiesen sich als richtig, doch erst in den 1960er Jahren setzte sich die Theorie der wechselnden Windrichtungen, der quasi-zweijährigen Oszillation, durch.


Foto: NASA/GSFC/Jeff Schmaltz/MODIS Land Rapid Response Team, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Vulkanasche beeinflußt die Auswirkungen der QBO.
Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull auf Island. Die Aschewolke durchdringt die Wolkendecke und erreicht die Stratosphäre. Aufgenommen vom MODIS-Instrument des NASA-Satelliten Aqua am 17. April 2010.
Foto: NASA/GSFC/Jeff Schmaltz/MODIS Land Rapid Response Team, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Newman und seine Kollegen wollen nun herausfinden, wodurch die Unterbrechung der QBO ausgelöst wurde. Sie vermuten, daß es entweder mit der globalen Erwärmung oder aber mit der globalen Klimaumkehr namens El Niño zum Jahreswechsel 2015/16 zu tun haben könnte. Von der globalen Erwärmung weiß man zwar, daß hierbei den anthropogenen Treibhausgasemissionen eine entscheidende Bedeutung zukommt, aber warum der El Niño in diesem Jahr besonders ausgeprägt war, weiß man nicht. Man würde also ein unverstandenes Phänomen mit einem anderen unverstandenen Phänomen abgleichen, wollte man die QBO-Unterbrechung mit jener weltweiten Klimaumkehr zu erklären versuchen.

Welche Folgen die QBO-Unterbrechung hat, ist völlig offen. Angeblich sind "keine sofortigen Auswirkungen auf das Wetter oder das Klima, das wir auf der Erde erfahren", festzustellen, berichtet die Internetseite SpaceDaily. [3] Was natürlich nicht bedeutet, daß keine Auswirkungen stattfinden, nur daß es eben noch niemand bemerkt hat. Vergleichbar zum Beispiel mit bestimmten Blitzen in und oberhalb der Stratosphäre, die Sprites genannt werden und von denen einige erst 1992 dokumentiert werden konnten. Oder auch vergleichbar mit der Wechselwirkung zwischen Stratosphäre und Troposphäre, der unteren Atmosphäre. Der Stratosphärenforscher vom Forschungszentrum Jülich, Prof. Martin Riese, sagte dazu im Schattenblick-Interview:

"Ich habe mich zu Beginn meiner Arbeit in Jülich vor allem mit den Ozonverlusten in der Stratosphäre befasst. Im Laufe der Zeit wurde die Erforschung des Höhenbereichs um die kalte Tropopause zunehmend ein Schwerpunktthema, weil man erkannt hatte, dass in diesem Bereich der Atmosphäre bereits kleine Veränderungen in den Spurensubstanzen eine große Wirkung haben können.

Womit ich persönlich nicht unbedingt gerechnet hatte, war vor allem die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen der stratosphärischen und der troposphärischen Dynamik, anders gesagt, welche Auswirkung beispielsweise die Stärke des Polarwirbels, des Polarjets, auf das Wetter und das Klima nimmt. Der Polarwirbel ist ein Tiefdruckgebiet, das sich in jedem Winter in der Stratosphäre über dem Nordpol bildet. Die Kopplung mit der Troposphäre ist zwar noch nicht vollständig verstanden, aber dass die damit zusammenhängenden komplexen Prozesse einmal eine große Bedeutung für die Meteorologie haben könnten, hatte man vor zehn oder fünfzehn Jahren tatsächlich noch nicht so auf dem Radar." [4]

Davon ausgehend stellt sich die Frage, was wohl die Wissenschaft in zehn, fünfzehn Jahren über die Auswirkungen oder Begleiterscheinungen jenes QBO-Abbruchs sagen wird, der erstmals zum Jahreswechsel 2015/16 registriert worden war. Bis jetzt jedenfalls ist bekannt, daß sich mit dem Wechsel der QBO-Windrichtung die Menge an stratosphärischem Ozon oberhalb des Äquators um zehn Prozent verändert. Außerdem hat die Windrichtung Einfluß darauf, wie schnell sich vulkanische Aerosole in der Stratosphäre abbauen. Zudem geht mit der Westwindphase sowohl eine Verstärkung der Polarwirbel als auch der Jetstreams einher, jener großräumigen, einmal um die Erde mäandrierenden Luftströmungen innerhalb der Troposphäre. Beispielsweise bringt der Jetstream auf der Nordhalbkugel atlantische Tiefdruckgebiete und somit relativ mildes Wetter nach Europa.

Des weiteren haben Forscher bereits früher festgestellt, daß sich die Sonnenvariabilität unterschiedlich auswirkt, abhängig von der vorherrschenden Windrichtung der QBO. Im übrigen hat diese schon längst Eingang in die Hurrikanvorhersage gefunden.

Alles in allem wäre es somit verwunderlich, wenn der erstmals beobachtete, mehrmonatige Stopp des stratosphärischen Strömungsbands QBO keinerlei Folgen für das Klima- und Wettergeschehen auf der Erdoberfläche hätte. Ob diese überhaupt von einer Wissenschaft erfaßt werden können, die ein besonderes Gewicht auf die Feststellung von Ordnung, Periodizität und Mathematisierbarkeit legt und üblicherweise weit vom Forschungsgegenstand abstrahiert, ist zumindest eine zulässige Frage in diesem Kontext offensichtlicher Unwägbarkeiten.


Seitlicher Blick vom Weltraum auf ein riesiges Wolkenband über der Nordhalbkugel - Foto: NASA

Wolken entlang des Jetstreams über Kanada
Foto: NASA


Fußnoten:


[1] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/2016GL070373/abstract

[2] http://www.nasa.gov/feature/goddard/2016/a-strange-thing-happened-in-the-stratosphere

[3] http://www.spacedaily.com/reports/A_strange_thing_happened_in_the_stratosphere_999.html

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0243.html


6. September 2016


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