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KLIMA/537: Mehr Klimaschutz durch weniger Weidehaltung? (SB)


Neue Studie der Ökosystemforschung

Änderung der Landnutzung statt Fleischverzicht



Wenn die Menschheit weiterhin große Mengen an Treibhausgasen produziert, dürfte sich die globale Durchschnittstemperatur bis zum Ende des Jahrhunderts um drei bis fünf Grad Celsius erhöht haben, vermuten Wissenschaftler. Schwere Stürme, Hitzewellen, Überschwemmungen und die weiträumige Zerstörung bestehender Ökosysteme zählen zu den absehbaren Folgen. Womöglich entstehen gänzlich neue Klimazonen, in denen die Menschen nicht mehr leben könnten.

Eine häufig vernachlässigte Quelle für Treibhausgasemissionen ist die Landwirtschaft und dort speziell die Viehhaltung. Ihr Anteil an sämtlichen anthropogenen, das heißt menschengemachten Treibhausgasen liegt, je nach Einschätzung, bei 12 bis 18 Prozent. Die Emissionen gehen hauptsächlich auf die Ausweitung der landwirtschaftlichen Fläche zu Lasten von Wald und anderem Naturland sowie auf Landnutzungsänderungen zurück. Ein weiterer Faktor sind die Methanemissionen der Wiederkäuer.

Vor fünf Jahren riefen der Vorsitzende des Weltklimarats IPCC, Dr. Rajendra Pachauri, und der Musiker Paul McCartney zum Verzicht von Fleisch als Mittel im Kampf gegen den Klimawandel auf. [1] Auch der frühere Weltbankökonom und Berater der britischen Regierung, Sir Nicholas Stern, plädiert für Fleischverzicht als effektive Klimaschutzmaßnahme, und selbst die frühere Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sprach sich dafür aus, den Fleischkonsum zu beschränken.

Eine internationale Forschergruppe um den Ökosystemforscher Petr Havlik vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg bei Wien hat kürzlich einen anderen Vorschlag unterbreitet. Sie schrieb in den Proceedings of the National Academy of Sciences [2], daß die Viehhaltung nicht generell abgeschafft werden müßte, sondern daß die Fütterungs- und Haltungsbedingungen verändert werden sollten. Auf diese Weise könnten bis zum Jahr 2030 rund 23 Prozent der Treibhausgasemissionen eingespart werden. Zur gleichen Zeit würden die Bauern ein höheres Einkommen erwirtschaften und sie hätten ein höherwertiges Futter für ihre Tiere zur Verfügung.

"Es wird viel über die Reduzierung von Treibhausgasen durch die Verringerung des Fleischkonsums diskutiert", so Havlik. "Aber unsere Ergebnisse zeigen, daß Treibhausgase wirksamer reduziert werden können, wenn man die Produktionsseite ins Visier nimmt." [2]

Der Vorschlag der Ökosystemforscher lautet, daß mehr Vieh auf weniger Land gehalten und dadurch weniger Emissionen pro Produktionseinheit Fleisch oder Milch erzeugt werden. Den Berechnungen zufolge würden bis zum Jahr 2030 jährliche Emissionen von 736 Mio. Tonnen Treibhausgasen eingespart, wenn solch ein Wandel von reiner Weidehaltung zu einer Mischform aus Weidehaltung und Zufütterung mit höherwertigem Getreide stattfände. Entscheidender Einsparfaktor sind die vermiedenen Emissionen, die ansonsten bei der Umwandlung von 162 Mio. Hektar natürlichen Lands produziert würden.

Eine strikte Klimapolitik könnte zwar weltweit zu einer Verringerung der Nahrungsverfügbarkeit von bis zu 200 kcal pro Kopf und Tag führen, schrieben die Forscher. Doch hätten sie herausgefunden, daß Vermeidungsmaßnahmen, die auf die Emissionen von Landnutzungsänderungen abzielen, fünf bis zehn Mal so wirksam sind.

Wenn in der Klimapolitik vom Beginn der Industrialisierung und der fossilen Energiewirtschaft die Rede ist, werden die meisten Menschen zunächst an Autos, Flugzeuge, Heizkraftwerke oder Branchen wie die Stahl- oder chemische Industrie denken. Daß auch die Landwirtschaft im großen Umfang industrialisiert wurde und weltweit immer mehr Regionen in Produktionszonen für die Nahrungs- und Futtermittel- sowie die Agrospritwirtschaft transformiert werden, ist erst in den letzten Jahren verstärkt in die Aufmerksamkeit gerückt.

Die vorliegende Studie ist ein Beispiel für Forschungsarbeiten, in denen vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem Ziel, die Treibhausgasemissionen zu verringern, Berechnungen und Vorschläge für einen Wandel der landwirtschaftlichen Erzeugung von Nahrungsmitteln unterbreitet werden. Allerdings fällt auf, daß die Forschergruppe um Petr Havlik damit rechnet, daß Pflanzen in Zukunft energiereicher werden. Da stellt sich die Frage, welchen Anteil an dieser Entwicklung die Düngerproduktion haben wird, die sich bekanntlich durch ein sehr hohes Maß an Treibhausgasemissionen auszeichnet. Ohne Dünger hätte es die sogenannte Grüne Revolution nicht gegeben. Beim Düngen wird jedoch Lachgas freigesetzt, das ist 296 mal so klimawirksam wie Kohlendioxid.

So vertritt die Tierärztin Anita Idel, die das Buch "Die Kuh ist kein Klima-Killer. Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können" [3] geschrieben hat, die Auffassung, daß Kühe und andere Graser zwar das Klimagas Methan (25 mal so wirksam wie CO2) ausstoßen, aber daß sie das Klima schützen könnten, wenn sie auf Grünland gehalten werden und "keine mit Kunstdünger gemästeten Futterpflanzen" fressen. Dauerbegrüntes Land speichere den Kohlenstoff, vor allem im Boden, schreibt Idel in einem Aufsatz für den BUND und konstatiert: "Nicht die Kuh ist der Gau, sondern landwirtschaftliche Systeme, die unsere Nutztiere vom Grasland aussperren und mit immer eiweißreicherem Kraftfutter aus Mais, Soja und Getreide zu Nahrungskonkurrenten des Menschen machen." [4]

Während also einige Forscher sagen, daß die Weidehaltung nicht stärker ausgedehnt werden und statt dessen als Ergänzung gehaltvollere Nahrung produziert und verfüttert werden soll, erklären andere, daß die Erzeugung von energiereichem Futter das Problem ist und Weidehaltung - sofern die Tiere genügend Auslauf haben - zum Klimaschutz beitragen kann.

Einen vollkommen anderen Ansatz verfolgt der Forscher Dr. Frank Mitloehner von der University of California-Davis. Vor einigen Jahren behauptete er, daß die auf die FAO zurückgehende Angabe, wonach die Fleischproduktion für 18 Prozent der anthropogenen Treibhausgase verantwortlich ist, gar nicht zutrifft, sondern daß der Anteil lediglich drei Prozent beträgt. Weniger Fleisch und Milch zu erzeugen würde die Treibhausgasemissionen nicht verringern, sondern lediglich den Hunger in den ärmeren Ländern vermehren. Einen wirksamen Klimaschutz sieht Mitloehner dagegen in der Reduzierung des Verbrauchs von Erdöl und Kohle für die Produktion von elektrischem Strom, Wärme und den Antrieb von Fahrzeugen. [5]

Die hier beispielhaft ausgewählten, teils konträren Einlassungen, Konzepte und Standpunkte zur landwirtschaftlichen Produktion vor dem Hintergrund des Klimawandels zeigen, wie umkämpft die Deutungshoheit auf diesem Gebiet ist. Vom Blickwinkel der Verfasserinnen und Verfasser der obigen Studie aus erscheint es schlüssig, die Weidehaltung nicht laufend weiter auszubauen und einen Teil des Nahrungsbedarfs des Viehs durch Kraftfutter zu decken. Unausgesprochen wird damit jedoch ein Produktionsmodell bevorzugt, das eher zur industriellen denn zur kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu passen scheint. Wird doch das energiereiche Kraftfutter vorzugsweise in Großstrukturen angebaut. Dagegen wird im Weltagrarbericht aus dem Jahr 2008 gefordert, die Kleinbauern zu stärken; sie würden bereits mehr als die Hälfte der Nahrung in der Welt erzeugen.


Fußnoten:

[1] https://www.vebu.de/attachments/BriefvonPaulMcCartneyundRajendraPachauri.pdf

[2] http://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1308044111

[3] Anita Idel: Die Kuh ist kein Klima-Killer. Wie die Agrarindustrie die Erde verwüstet und was wir dagegen tun können, 210 Seiten, Metropolis Verlag, 2010, ISBN 978-3-89518-820-6

[4] http://www.bund.net/?5845

[5] http://www.acs.org/content/acs/en/pressroom/newsreleases/2010/march/eating-less-meat-and-dairy-products-wont-have-major-impact-on-global-warming.html

3. März 2014