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KLIMA/536: Wetterextreme rund um den Globus (SB)


Ein Rekord jagt den nächsten

2014 beginnt mit einer langen Serie an außergewöhnlichen Wetterverhältnissen



Beinahe könnte man meinen, daß die vielen Umstürze in der politischen Landschaft in letzter Zeit mit den meteorologischen Umstürzen zusammenhängen. Ein Statistiker wäre sogar in der Lage, eine treffliche Korrelation beider Faktoren zu erstellen, auch wenn das Ergebnis abwegig erscheint. Ausgenommen allenfalls die Zentralafrikanische Republik (ZAR), in der im vergangenen Jahr der Präsident gestürzt wurde, dann Rebellen an die Macht kamen, aber auch abdanken mußten, und inzwischen eine weitgehend machtlose Interimsregierung mit Hilfe ausländischer Beteiligung die staatliche Ordnung wieder herzustellen versucht. Mitunter als Kampf zwischen Muslimen und Christen simplifiziert, hatten doch klimatische Veränderungen im nördlichen Nachbarland Tschad dazu geführt, daß die Hirten ihre Weidegründe weiter nach Süden verlagerten und mit seßhaften Bauern in der ZAR aneinandergerieten. Diesen Konflikt als Klimakrieg zu bezeichnen, wäre dennoch übertrieben, weil er mehrere Ebenen hat, und nur eine davon geht auf die Verschiebung der Klimazone zurück.

Dessen ungeachtet ist für die Zukunft vieler Weltregionen zu erwarten, daß unter der Veränderung der klimatischen Verhältnisse beispielsweise landwirtschaftliche Erträge geringer ausfallen und daß immer mehr Menschen zu Flüchtlingen werden, weil ihr angestammter Lebensraum von Dürre, Überschwemmungen oder Erosionsfolgen wie Hangabrutschungen heimgesucht wurde.

Das Jahr 2014 begann mit einer Serie von meteorologischen Paukenschlägen, die zwar keinen Beweis des Klimawandels darstellen, aber sehr gut zu dem passen, was Forscher bei einer Veränderung des Klimas durch die Erderwärmung erwarten. Die World Meteorological Organisation (WMO) der Vereinten Nationen berichtete vor kurzem, daß in den ersten sechs Wochen des neuen Jahres weltweit in einer Reihe von Regionen extreme Wetterbedingungen geherrscht haben, ein Muster, das bereits im Dezember 2013 zu beobachten gewesen sei. [1]

So wurden weite Teile der Vereinigten Staaten von einer Kältewelle heimgesucht, und es traten kräftige Winterstürme auf, wohingegen sich Kalifornien im Griff einer knochentrockenen Dürre befand. An die Küstenregionen Westeuropas, von Irland über das Vereinigte Königreich bis Frankreich, Spanien und Portugal, brandete ein Atlantiksturm nach dem anderen an, formte stellenweise den Küstenverlauf neu und sorgte für anhaltende Überschwemmungen. Die Briten erlebten den regenreichsten Winter seit einem Vierteljahrtausend.

Unterdessen versanken die südlichen Alpen unter Schneemassen, während die Deutschen einen sehr milden Winter erlebten. Im Osten der Mongolei und Chinas waren die Temperaturen so hoch wie selten. In Südrußland brauchte man nicht in die Banja zu gehen, um zu schwitzen, sondern man tat dies bereits im Freien bei zehn Grad höheren Durchschnittstemperaturen als normalerweise. Auf der Südhalbkugel litten die Australier, Argentinier und Brasilianer unter einer rekordträchtigen Dürre.

Weltweite Extremwetterereignisse zum Jahreswechsel sind normalerweise ein Hinweis auf das El-Nino-Phänomen, jene alle fünf bis sieben Jahre auftretende, globale Klimaumkehr. Nicht jedoch diesmal. Als Erklärung für die extremen Wetterverhältnisse in Nordamerika und Europa bemühen die WMO-Wissenschaftler eine Veränderung des polaren Jetstreams, einer sich in zehn Kilometer Höhe um die Nordhemisphäre schlängelnden, kräftigen Windströmung. Warum aber ist sie in diesem Jahr so stark nach Süden ausgewandert, hat dabei polare Kaltluft mitgezogen, die aufgrund einer sogenannten meteorologischen Blockadesituation lange Zeit stabil blieb?

Der ausgebremste Jet-Stream sei die Ursache, erfahren wir. Eigentlich hat nicht der Jet-Stream, sondern die meteorologische Blockade zu den Wetterextremen geführt. Doch nein, nicht die meteorologische Blockade war's, sondern ein ausgeprägtes arktisches Hochdruckgebiet. Keineswegs! Nicht das stabile arktische Hoch, sondern eine für diese Jahreszeit vergleichsweise geringe Meereisausdehnung ...

Die Kette der kausalen Erklärungen, die noch beliebig verlängert werden könnte, erweckt den Eindruck, als wolle die Wissenschaft verzweifelt ihre Ordnungskonzepte auf Verhältnisse anwenden, die schon längst außer Rand und Band geraten sind. Genauer gesagt, die sich eigentlich zu keinem Zeitpunkt so verhalten haben, wie Wetterkundler und Klimaanalysten zu berechnen versuchten.

Laut dem "Guardian" erklärt Omar Baddour, der bei der WMO die Abteilung der Datenverarbeitung leitet, die jüngsten meteorologischen Extremereignisse mit dem "Klimawandel". Darauf deuteten neue Computermodelle. Im kommenden Monat werde man eine umfassende Analyse vorlegen, derzufolge die Häufigkeit extremer Hitzewellen um 500 Prozent gestiegen ist. [2]

Der Klimawandel hat jedoch noch gar nicht richtig Tritt gefaßt. Wissenschaftler gehen weiterhin davon aus, daß die globale Erwärmung gestoppt werden kann, wenn nur der Mensch unverzüglich begänne, seine Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren. Wie extrem müssen die Wetterverhältnisse erst werden, wenn der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten ist, was nach Forscheransicht ab einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit der Fall sein wird?

Rechnet man die gegenwärtigen Treibhausgasemissionen hoch, so ist die Erde am Ende des Jahrhunderts nicht um zwei, sondern drei oder gar vier Grad Celsius wärmer. Davon werden ausnahmslos alle Länder betroffen sein, und in den allerseltensten Fällen im positiven Sinne. Es werden allerdings nicht alle Länder auf die gleiche Weise be- bzw. getroffen. Die führenden Industriestaaten sind viel eher in der Lage, die zu erwartenden Klimawandelfolgen zu kompensieren, zumindest am Anfang. Ansonsten sind auch deren Kapazitäten begrenzt.

Ungeachtet dessen führte beispielsweise der Hurrikan Katrina, der Ende August 2005 die Überschwemmungen von Teilen New Orleans auslöste, vor Augen, wie politische Entscheidungsträger aus wohlhabenderen gesellschaftlichen Kreisen die Katastrophe nutzten, um eine gegen die ärmeren Einwohner gerichtete Stadtentwicklung zu erzwingen: Wohnbezirke mit Sozialwohnungen im Innenstadtbereich wurden durch Katrina überschwemmt, und die ursprünglichen Bewohner durften nicht wieder zurückkehren. Viele der sogenannten Public Housing Projects wurden von privaten Immobiliengesellschaften abgerissen; in den neu errichteten Häusern zogen nicht, wie ursprünglich, vorwiegend die Armen ein, sondern Mieter aus einer breit angelegten Sozialstruktur mit der Mittelschicht als Schwerpunkt. Es wird also vermutlich immer einige Begünstigte des Klimawandels geben. Dumm nur, daß es stets die gleichen Leute sind, die auch die Klimapolitik bestimmen ...


Fußnoten:

[1] http://www.wmo.int/pages/mediacentre/news/ExtremeWeatherinpartsoftheworld.html

[2] http://www.theguardian.com/environment/2014/feb/25/world-2014-extreme-weather-events

27. Februar 2014