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KLIMA/526: Schelfeis der Antarktis schmilzt unerwartet stark von unten her (SB)


Der antarktische Kontinent ist umfassenden Veränderungen unterworfen



In der Klimaforschung werden häufiger Meldungen über Vorgänge in der Umwelt aus der Kategorie "Huch, damit hat keiner von uns gerechnet!" verbreitet. Solch eine Meldung kam jetzt von einer Wissenschaftlergruppe um Eric Rignot vom Jet Propulsion Laboratory der US-Weltraumbehörde NASA und der Universität von Kalifornien in Irvine. In der vergangenen Woche stellten die Forscher ihre Untersuchungsergebnisse zur Eisschmelze in der Antarktis im Wissenschaftsmagazin "Science" vor. [1]

Daß unterhalb des Schelfeises Schmelzvorgänge stattfinden, war schon länger bekannt, aber die Ergebnisse der neuen Studie zu diesem Phänomen haben dann doch überrascht. Entgegen der bisherigen Annahme macht nicht das Kalben der Gletscher den Hauptanteil am Eisverlust in der Antarktis aus, sondern das erstmals jetzt in seinem ganzen Ausmaß bekannt gewordene unterseitige Abschmelzen (basale Schmelzen) des Schelfeises, jener auf dem Meer aufliegenden, aber mit dem Festland verbundenen Eisflächen.

In der Vergangenheit waren bisher nur sporadisch Messungen zum basalen Eisverlust des Schelfeises durchgeführt worden. Die US-Studie erhebt jedoch den Anspruch, erstmals einen Überblick verschaffen zu können. Nach der Auswertung der Daten aus Beobachtungen zwischen den Jahren 2003 und 2008 schätzen die Wissenschaftler, daß der Anteil dieser Schmelzvorgänge 55 Prozent des Eisverlustes in der Antarktis ausmacht. Demnach betragen die Verluste durch die Basalschmelze des Schelfeises rund 1325 Gigatonnen pro Jahr, die Verluste durch das Kalben dagegen 1089 Gigatonnen pro Jahr.

Die drei größten Schelfgebiete - Ross, Filchner und Ronne -, auf die zwei Drittel der gesamten antarktischen Schelfeisfläche entfallen, verzeichnen bislang einen relativ geringen Verlust an ihrer Unterseite. Die Forscher schätzen den Wert auf etwa 15 Prozent am gesamten basalen Schmelzen. Der Rest kommt durch das Ausdünnen kleinerer Schelfeisflächen zustande.

Schelfeis bildet eine natürliche Barriere, die den Gletscherabfluß auf Land bremst oder verhindert. Gletscher, die keine solche Barriere vor sich haben, sondern direkt ins Meer fließen, weisen in der Regel eine höhere Fließgeschwindigkeit auf. Ein Verlust des Schelfeises hätte somit den Effekt, daß die bislang aufgestauten Gletscher ins Rutschen geraten. Da der Untergrund des Westantarktischen Eisschilds teils mehrere hundert Meter unter dem Meeresspiegel liegt und zudem eine abfallende Neigung zum Meer hat, würden die Eismassen - in geologischen Zeiträumen gerechnet - ziemlich schnell abrutschen.

Die verbreitete Annahme, daß die Eismassen der Antarktis schwinden, weil sich die Erde erwärmt, ist ein Irrtum. Die zu beobachtende Erhöhung der Niederschlagsmenge in der Zentralantarktis sorgt insgesamt sogar für ein Volumenzuwachs des bis zu vier Kilometer mächtigen Eisschilds auf der Antarktis. Von einem stabilen System kann man jedoch nicht sprechen. Rignot erklärt:

"Schelfeisschmelze bedeutet nicht notwendigerweise, daß das Schelfeis abnimmt; das könnte durch einen Eisfluß vom Kontinent her kompensiert werden. Aber an vielen Stellen um die Antarktis herum schmilzt das Schelfeis zu schnell, und daraus folgt, daß sich die Gletscher und der ganze Kontinent ebenfalls verändern."

Da die wissenschaftlichen Modelle laufend den neuen Erkenntnissen angepaßt werden, können die obigen Einschätzungen und Aussagen selbstverständlich immer nur den gegenwärtigen Stand der Forschung wiedergeben. Der stellt somit eine Momentaufnahme dar, von der die Forscher eigentlich wissen, daß sie in Zukunft als überholt angesehen wird. Nach Ansicht des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung ist mit einem Totalverlust des antarktischen Eisschilds aufgrund der Erderwärmung nicht "in Tausenden von Jahren" zu rechnen. [2] Ob diese Angaben auch dann noch gelten, wenn die jüngsten Ergebnisse der US-Studie berücksichtigt werden, ist unklar.

Bei einem vollständigen Abschmelzen des antarktischen Eisschilds würde der Meeresspiegel weltweit um 65 bis 75 Meter steigen. Es käme zu riesigen Verlusten an Siedlungsräumen, landwirtschaftlichen Flächen und Infrastrukturen. Auch wenn den wissenschaftlichen Prognosen zufolge dieses Worst-case-Szenario nicht einmal innerhalb dieses Jahrtausends eintritt, befindet sich die Erde schon jetzt auf dem Weg dahin: Der Meeresspiegel steigt Millimeter für Millimeter an, die Erde erwärmt sich, es treten vermehrt katastrophale Ereignisse wie Dürren oder Überschwemmungen ein. Als Hauptfaktor dieser Entwicklung gelten anthropogene Treibhausgase, die wiederum vor allem aufgrund der Verbrennung fossiler Energieträger emittiert werden. Beispielsweise ist Deutschland, das sich die Energiewende auf die Fahne schreibt, Weltmeister beim Verstromen von Braunkohle, dem klimaschädlichsten Energieträger überhaupt.


Fußnoten:

[1] http://www.nasa.gov/topics/earth/features/earth20130613.html
Ein umfassender Bericht hierzu erschien am 13. Juni im Wissenschaftsmagazin "Science": DOI:10.1126/science.1235798

[2] http://www.awi.de/de/entdecken/klicken_lernen/haeufige_fragen/klima_und_atmosphaere/wann_und_mit_welchem_tempo_werden_eismassen_der_pole_schmelzen/

18. Juni 2013