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KLIMA/476: Reiche Länder schummeln sich aus Klimaschutz-Soforthilfe raus (SB)


Etikettenschwindel

Zugesagte Soforthilfe für arme Länder bleibt entweder weitgehend aus oder wird umdeklariert


Das Abkommen der UN-Klimakonferenz im Dezember vergangenen Jahres enthielt nur wenig Greifbares, das den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder in der sogenannten dritten Welt dabei helfen könnte, mit den zu erwartenden Naturkatastrophen durch die Erderwärmung zurechtzukommen. Wenige Tage vor der nächsten großen Klimakonferenz im mexikanischen Badeort Cancún machen erneut Klimaexperten darauf aufmerksam, daß den reichen Staaten das Wenige offensichtlich noch zuviel ist. Diese hatten versprochen, den ärmeren Ländern zwischen 2010 und 2012 mit 30 Milliarden Dollar Soforthilfe für Klimaschutzmaßnahmen (fast-start climate finance) unter die Arme zu greifen, und zwar ungefähr gleichgewichtig aufgeteilt in Finanzhilfe für Anpassungsmaßnahmen (adaptation) und Energieeinsparung bzw. CO2-Emissionsminderung (mitigation).

Wie das International Institute for Environment and Development (IIED) berichtete [1], sind jedoch faktisch nur drei Milliarden Dollar (10,3 bis 16,1 Prozent der Zusagen) für Anpassungsmaßnahmen vorgesehen. Die seien für arme Länder jedoch besonders wichtig angesichts des raschen Klimawandels, da sie am wenigsten Kapazitäten besäßen, um sich angemessen auf die Folgen des Klimawandels (beispielsweise Stürme, Überschwemmungen, Dürren) einzustellen, mit ihnen zurechtzukommen und sich von ihn zu erholen.

Die IIED-Analysten kritisieren nicht nur, daß die reichen Länder ihre Zusagen nicht einhalten, sondern auch, daß einige Geberländer vage bleiben, wo doch umgekehrt konkrete Programme und Maßnahmen erforderlich wären, um auf die Klimarisiken unmittelbar reagieren zu können. Auch gebe es keine Aufsicht über die Projekte. Zudem entfielen bislang nur wenige Prozent der Anpassungsmaßnahmen auf Projekte, die nur im Kontext des Klimawandels wichtig sind, zum Beispiel den Bau von Flutschutzmaßnahmen, den Wechsel zu dürreresistenten Getreidesorten oder Grundwasserschutz, damit das Eindringen von Salzwasser in Küstengebieten verhindert wird.

Wenn keine allgemeine Übersicht über die Klimaschutzmaßnahmen existiert, haben die Entwicklungsländer keine Handlungsgrundlage. Sie wissen nicht, was auf sie zukommt und was nicht. Die Regierungen dieser Staaten werden angesichts notorisch knapper Kassen womöglich keine langfristigen Klimaschutzmaßnahmen finanzieren, weil sie nicht planen können, ob diese nicht eines Tages von den reicheren Ländern finanziert werden. Die Analysten schlagen die Gründung eines Adaptation Fund Board vor, das vorwiegend von Vertretern aus Entwicklungsländern zu besetzen sei und den globalen Rahmen für die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen verwalte.

Kritik wird auch daran geübt, daß nicht genügend geklärt ist, ob die Soforthilfe eine "neue und zusätzliche" Finanzierung sei oder ob sie von anderen Budgets wie zum Beispiel dem der Entwicklungshilfe abgezogen wird. Wörtlich heißt es in dem Report hinsichtlich der Industriestaaten. Bereits im Februar 2010 hatte das World Ressources Institute die Klima-Soforthilfe kritisch unter die Lupe genommen und seine Kritik im August erneuert. Andere Analysten fanden ebenfalls heraus, daß die reichen Länder einen beträchtlichen Anteil der Zusagen schlicht und einfach aus anderen Budgets, beispielsweise dem für Entwicklungshilfe, oder aus früheren Zusagen der Klimaschutzhilfe, die aber noch nicht erfüllt wurde, umdeklariert haben. Etikettenschwindel nennt man das gewöhnlich. Der wird betrieben, um die Käufer eines Produkts zu täuschen. Worüber wollen die reichen Länder hinwegtäuschen? Das hat die Klimakonferenz von Kopenhagen deutlich gemacht: Hauptanliegen der größten Emittenten von Treibhausgasen bestand im Schutz des ungehemmten Kapitalverkehrs, nach Möglichkeit zum Vorteil der eigenen Wirtschaft. Daß "irgendwelchen" Pazifikstaaten das Wasser bis zum Hals steht, wurde und wird allenfalls mit Bedauern zur Kenntnis genommen, aber dadurch lassen sich die reichen Länder nicht in der Verfolgung ihres Hauptanliegens beeinträchtigen.


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Anmerkungen:

[1] http://www.iied.org/climate-change/media/rich-nations-failing-keep-copenhagen-promise-help-poor-nations-adapt-climate-ch

25. November 2010