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KLIMA/316: EU-Sicherheitspolitiker warnen vor Klimawandelfolgen (SB)


Flüchtlingsabwehr und Ressourcensicherung

Der Klimawandel stellt nach Einschätzung von EU-Politikern eine bislang nie dagewesene Gefahr für die vorherrschende Ordnung dar und verlangt nach ebenso nie dagewesenen militärischen Maßnahmen


Die Europäische Union soll ihre Möglichkeiten zur Abwehr von Klimaflüchtlingen und Sicherung von aktuellen und potentiellen Ressourcenräumen verstärken. Das geht aus einem internen Papier der EU hervor, das der "Financial Times Deutschland" vorliegt und über das die Staats- und Regierungschefs der EU in knapp zwei Wochen beraten wollen. Die Autoren EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner und EU-Chefdiplomat Javier Solana gelangen zu der Einschätzung, daß die globale Erwärmung "gravierende Sicherheitsrisiken" birgt, die bei einem Fortschreiten zu "Sicherheitsszenarien ohne Präzedenzfall" führen könnten (Financial Times Deutschland, 3.3.2008).

Damit umschreiben die beiden EU-Politiker, was seit einigen Jahren immer deutlicher zutagetritt und sich vor allem in der Militarisierung der EU - beispielsweise Forderung zur permanenten Weiterentwicklung der Wehrhaftigkeit, Aufstellung von rund ein Dutzend Schlachtgruppen (battle groups), Interventionismus unter dem Vorwand humanitärer Hilfe - zum Ausdruck gebracht wird: Die Regierungen bereiten sich militärisch auf Verteilungskämpfe globalen Ausmaßes vor. Die Formulierung "Sicherheitsszenarien ohne Präzedenzfall" bedeutet, daß der frühere NATO-Generalsekretär Solana und die ehemalige Außenministerin Österreichs Ferrero-Waldner damit rechnen, daß sich die EU auf einzigartige Kriegs- oder kriegsähnliche Situationen vorbereiten muß, da die europäischen Interessen in der Folge des Klimawandels massiv gefährdet werden. Das soll entsprechend massiv (ohne Präzedenzfall!) beantwortet werden.

Der Klimawandel stelle einen "Bedrohungsmultiplikator" dar, der "existierende Trends, Spannungen und Instabilität" noch verschlimmere; die Erderwärmung drohe "Staaten und Regionen zu überlasten, die bereits fragil und konfliktgefährdet" seien, daraus entstünden "politische Risiken und Sicherheitsrisiken, die direkt europäische Interessen betreffen", zitiert die "Financial Times Deutschland" aus dem Papier.

Zu den Sicherheitsgefährdungen zählen Solana und Ferrero-Waldner Konflikte um Wasser, Lebensmittel und Energieressourcen, Überschwemmungen in küstennahen Großstädten, den Untergang ganzer Landstriche und Inseln und daraus resultierende Grenzkonflikte sowie Flüchtlingswellen in Entwicklungsländern.

Die Konfliktregionen Sudan und das Horn von Afrika werden als aktuelle Beispiele für Wassermangel genannt, als potentiell konfliktgefährdet hingegen gelten die Türkei, Irak, Syrien, Saudi-Arabien und Israel. Wegen der Eisschmelze am Nordpol werde es in der Arktis zu territorialen und Nutzungsstreitigkeiten über Schiffahrts- und Handelsrouten kommen; die Küstenstreifen Chinas und Indien, wo Europa starke Wirtschaftsinteressen habe, seien durch Überschwemmungen und Naturkatastrophen bedroht. Nicht zuletzt rechnen die Autoren mit einem "deutlich erhöhten Migrationsdruck" auf Europa.

Anders gesagt, es werden immer mehr Menschen aus nackter Überlebensnot aufbrechen, um das klimatisch vergleichsweise begünstigte Europa zu erreichen. Jedes Jahr ertrinken hunderte bis tausende Menschen bei dem vergeblichen Versuch, das Mittelmeer oder den Atlantik zu überqueren. Mit Hilfe der gemeinsamen europäischen Grenzschutzinstitution Frontex - ein Name, der Assoziationen mit einem Insektenspray weckt, nur mit dem Unterschied, das sich in diesem Fall Flüchtlinge im Visier befinden -, deren materielle und personelle Ausstattung im vergangenen Jahr verstärkt wurde, sollen die Flüchtlinge möglichst frühzeitig abgewehrt werden. Die EU errichtet vor dem eigentlichen Festungswall in Form ihrer Außengrenzen einen weiteren Schutzwall aus Auffangstaaten. Länder wie Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen werden gewisse Vorteile (Handelserleichterungen, Militär- und finanzielle Hilfe) eingeräumt, damit sie die Flüchtlinge abfangen und in Lagern stecken oder andere Maßnahmen ergreifen, damit die EU vor Flüchtlingsströmen geschützt wird.

Diese Ideen sind bereits auf den Weg gebracht, woraus folgt, daß Solana und Ferrero-Waldner weitreichendere Vorstellungen haben müssen. Über konkrete Maßnahmen ließen sie sich noch nicht aus, das werden erst künftige Treffen der EU-Administration leisten. Aber was könnte die EU noch unternehmen, um sich auf einen bislang unerreichten Präzedenzfall als Folge klimatischer Umbrüche einzustellen?

Das EU-Territorium ist bereits nach Osten durch einen Hightech-Zaun gesichert. Der kann selbstverständlich noch ausgebaut werden. Vor allem aber wird die EU versuchen, Seeverbindungen nach Europa abzuschneiden. Mit einem Ausbau der Flotte von Küstenwachschiffen für Frontex ist deshalb fest zu rechnen, denkbar wäre aber auch eine lückenlosere Grenzüberwachung durch das künftig vier Satelliten umfassende Spionagesystem der Bundeswehr, SAR-Lupe genannt. Diese europaweit einzigartigen Satelliten liefern rund um die Uhr und bei jedem Wetter ein hochgenaues Abbild der Erdoberfläche. Prinzipiell versucht die EU, eine Flüchtlingsabwehr noch vor der eigentlichen Flüchtlingsabwehr zu erreichen, deshalb hat Frontex seine Aktivitäten bis ins zentrale Afrika sowie nach Lateinamerika ausgedehnt.

In dem neuen EU-Papier heißt es zwar, daß sowohl zivile als auch militärische Planungen und Kapazitäten verstärkt werden sollten, um auf die neuen Sicherheitsrisiken reagieren zu können, aber es ist sicherlich nicht übertrieben zu vermuten, daß der militärische Aspekt überwiegen wird. Zumal rigide Sicherheitsmaßnahmen wie der Ausbau von Frontex, die Finanzierung von Lagern für Klimaflüchtlingen in der Sahara oder das Aufgreifen von "Illegalen" innerhalb des EU-Raums und deren Rückführung in ihre mutmaßlichen Herkunftsländer als "zivil" gezählt werden dürften.

Mit Aussagen wie, daß das multilaterale System gefährdet ist, wenn die internationale Gemeinschaft die Bedrohungen als Folge des Klimawandels nicht in Angriff nimmt, knüpft das Papier an das zweitägige Treffen "Impulse der Außenpolitik für eine sichere Energieversorgung und den Klimaschutz" Anfang Dezember 2007 in Berlin an. Teilgenommen hatten unter anderem die G8-Außenminister und Benita Ferrero-Waldner. Schon damals forderte die EU-Kommissarin, daß sich die internationale Gemeinschaft über die "potentiell destabilisierenden Folgen des Klimawandels" für die Arbeit mit den gefährdetsten Ländern bewußt sein müsse (siehe Index KLIMA/308 hier im Schattenblick).

Insbesondere der Verweis auf die Bedrohung von Großstädten in Indien und China, durch die angeblich europäische Interessen gefährdet werden, gibt zu denken, erinnert es doch an kolonialzeitliche Begründungen zur Unterwerfung eben dieser Länder. Daß vor dem Hintergrund des Klimawandels die Sicherung von Ressourcen zum Zweck der Durchsetzung des eigenen Herrschaftsanspruchs mehr ist als die Abwehr von dicht gedrängten Flüchtlingen auf morschen Pirogen, die von Westafrika in Richtung der Kanarischen Inseln, Malta oder Italien treiben oder von Menschen, die via Türkei nach Griechenland eingeschleust werden, zeigt die Anschaffung von neuen Korvetten und Fregatten durch die Bundesmarine, die damit in die Lage versetzt wird, weltweit zu operieren. Nicht Landesverteidigung, sondern Verteidigung der eigenen privilegierten Position sowohl nach innen wie nach außen lautet das Gebot der Stunde, über das die EU-Oberen demnächst beraten werden. Dieses Anliegen erscheint um so dringlicher, je rascher die überlebenswichtigen Ressourcen Wasser und Nahrung im globalen Maßstab verknappen.

Mindestens ebenso bemerkenswert wie das, was Solana und Ferrero-Waldner schreiben, ist das, was sie nicht fordern. In dem Bericht der "Financial Times Deutschland" ist keine Rede davon, daß die Europäische Union am Vorabend einer apokalyptisch anmutenden Entwicklung, die nach Einschätzung renommierter Institutionen wie die FAO Hunger und Siechtum für hunderte Millionen wenn nicht Milliarden Menschen bereithält, jetzt endlich all ihre Kräfte darauf ausrichten sollte, in den sogenannten Entwicklungsländern geeignete Lebensverhältnisse herzustellen, um die Not zu beheben, und die eigene Abschottungspolitik aufzugeben und große Anstrengungen zu unternehmen, um möglichst viele Menschen aus den klimatisch strapazierten Regionen in den EU-Raum hineinzulassen. Die auffällige Betonung der europäischen Interessen angesichts einer düsteren Zukunft für große Teile der Menschheit ist nicht mißzuverstehen.

3. März 2008