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GENTECHNIK/289: Entwurf der EU-Kommission rechtlich unausgegoren (SB)


EU-Kommission schlägt vor, daß jedes EU-Mitglied selbst über die Zulassung gentechnischen Anbaus entscheidet

Gentechnikfreie Regionen würden gestärkt und gleichzeitig ausmanövriert


Worauf läuft es hinaus, sollte jedes Mitgliedsland der Europäischen Union künftig selbst entscheiden, ob es den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zuläßt oder nicht? Würden die gegenüber der Grünen Gentechnik eher skeptisch eingestellten Länder wie Österreich, Ungarn und Italien von einer solcher Regelung Vorteile erringen, da sie die Gentech-Saat außen vor halten könnten? Oder lägen diese ganz auf Seiten der Befürworter der Grünen Gentechnik wie Spanien und die Niederlande, da sie nicht mehr von den Bedenkenträgern ausgebremst werden? Nach Abwägen der möglichen Entwicklungen kommt man wohl nicht umhin festzustellen, daß das Glas halb leer und nicht halb voll ist. Damit soll gesagt werden, daß sich die Parallelität der landwirtschaftlichen Anbauformen auf Dauer kaum aufrechterhalten lassen würde. Kontaminationen gingen immer nur in eine Richtung. Die Verunreinigung von Gentechsaat durch biologisch angebaute Saat wäre harmlos und unbedeutend; umgekehrt hingegen vermögen schon geringe Mengen an gentechnisch verändertem Saatgut eine große Ladung an biologisch erzeugtem Saatgut zu verseuchen.

Die britische Zeitung "The Guardian" [*] machte diese Woche auf einen weiteren Aspekt der geplanten Regelung aufmerksam: Biotechnologieunternehmen hätte gute Erfolgsaussichten, wenn sie gegen das in einem Land verhängte Anbauverbot klagten. Die Zeitung bezieht sich auf ein 15-seitiges Gutachten der Rechtsberater des EU-Ministerrats. Sie gehen mit dem Entwurf der EU-Kommission hart ins Gericht und warnen, daß die vorgeschlagene Regelung auf unzureichenden rechtlichen Füßen steht. Es bestünden ernsthafte Zweifel daran, daß der Entwurf mit den Gesetzen der Europäischen Union und der Welthandelsorganisation kompatibel ist.

Was zunächst wie ein peinlicher Fehler der EU-Kommission aussieht, könnte sich als Ausdruck hintersinniger Absicht erweisen, um die Grüne Gentechnik in der Europäischen Union zu etablieren. Der "Guardian" bezieht sich auf Thijs Etty, Assistenzprofessor für EU-Recht an der Freien Universität von Amsterdam, der erklärte, daß sich die Mitgliedstaaten in einer Klemme befänden. Nähmen sie den Entwurf, so wie er ist, an, würden Anbauverbote Klagen von Biotechnologie-Unternehmen, Landwirten und Welthandelspartnern auf sich ziehen; sogar die EU-Kommission könnte gegen ein Verbot vor Gericht ziehen. Sollten die EU-Mitgliedstaaten aber den Entwurf ablehnen, hätte die EU-Kommission freie Hand, um eine Vielzahl an neuen GM-Pflanzen für den Anbau freizugeben.

Es gibt gute Gründe zu vermuten, daß sich die EU-Kommission über die Konsequenzen ihres rechtlich unausgegorenen Entwurfs im klaren ist. Denn aus der Vergangenheit ist bekannt, daß beispielsweise WTO-Mitglieder ihre Unternehmen in für sie verschlossene Märkte einzuklagen versucht haben, wobei den Bemühungen durchaus Erfolg beschieden war. Wenn diese Annahme zutrifft, wäre der Vorschlag, den gentechnischen Anbau überall dort zuzulassen, wo es gewünscht wird, ein geschickter Schachzug der EU-Kommission, ihre Befürwortung der Grünen Gentechnik gegen den Widerstand im EU-Ministerrat durchzusetzen. Es wäre nicht das erste Mal, daß die Meinungsverschiedenheit zwischen Kommission und Ministerrat hinsichtlich der Zulassung gentechnisch veränderten Pflanzenanbaus offen zutagetritt.


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Anmerkungen:

[*] "Legal doubts over EU plans to give states choice on whether to grow GM", The Guardian, 15. November 2010
http://www.guardian.co.uk/environment/2010/nov/15/legal-doubts-over-gm-crops

18. November 2010