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GENTECHNIK/287: Britischer Forscher wegen Voreingenommenheit in der Kritik (SB)


Erster Versuch in UK mit gentechnisch veränderten Kartoffeln unter Aufsicht eines Lobbyisten der Gentech-Industrie

NGOs kritisieren mangelnde Ausgewogenheit


Erst wenn die Nahrungsmittelproduktion und -verteilung weitgehend zentralisiert ist, läßt sie sich optimal als Mittel der Herrschaftssicherung einsetzen. Da die Menschen existentiell von der Nahrungsversorgung abhängig sind, bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig, als ausbeuterische, fremdnützige Arbeit zu verrichten. Im Agrarsektor gibt es in den letzten mindestens einhundert Jahren eine Konzentration der Unternehmen. Aus vormals kleinen Betrieben wurden größere, die wiederum von noch größeren Konzernen geschluckt wurden. Im gleichen Maße wurde der Kontrollzuwachs ausgebaut.

Die Hauptaufgabe von Fortschritten in der Pflanzenzüchtung bestand und besteht nicht in der Bereitstellung von Nahrung für alle Menschen - das widerspräche der Funktion der Herrschaftssicherung mittels Nahrung -, sondern in jenem Kontrollzuwachs, das heißt, in der Qualifizierung der Verfügungsgewalt. Dem widerspricht keineswegs, daß im Zuge der sogenannten grünen Revolution des vorigen Jahrhunderts eine enorme Ertragssteigerung erzeugt werden konnte. Aber in diesem Zeitraum nahmen auch die Ausbeutungsmöglichkeiten zu, denn erstens gewannen kapitalstarke Saatgutzüchter an Einfluß, zweitens wurden dem Bewirtschaften immer engere Grenzen gesetzt, in denen sich die Bauern noch bewegen konnten. Um die hohen Erträge aus der grünen Revolution zu erzielen, mußten Hochertragssorten, größere Mengen an Dünger und Pflanzenschutzmittel gekauft werden. Die Bauern mußten auf Bewässerungskultur umsatteln und sich einen entsprechenden Maschinenpark anschaffen. Ihre Verschuldung nahm zu und damit auch die moderne Form der Schuldknechtschaft, die fremdbestimmte Arbeit.

Als eine Variante der modernen Züchtungsforschung, die zielgenauer denn je darauf abhob, die Nahrungsproduktion zu verrechtlichen, indem ein strengeres Lizenzierungssystem geschaffen wurde, fanden mikrobiologische Verfahren Eingang in die Pflanzenzüchtung. Etwa seit Mitte der neunziger Jahre trat die Mikrobiologie in der sogenannten grünen Gentechnik ihren Triumphzug an. Zwar sprach bis dahin auch das Sortenschutzgesetz den Agrounternehmen, die keine Gentechsaat herstellen, weitreichende Verwertungsbefugnisse zu, aber die Verträge zwischen Bauern und Monsanto, Syngenta, Bayer Crop Sciences und anderen Biotechkonzernen sind noch strenger ausgelegt. Durch diese Verträge wird den Bauern untersagt, das zu tun, was ihr Berufsstand seit Jahrtausenden getan hat, nämlich einen Teil der Ernte für die Aussaat in der nächsten Saison aufzuheben. Statt dessen müssen die Bauern jedes Jahr von neuem Saatgut bei den Agrokonzernen kaufen. Der Preis wird entsprechend der Marktsituation austariert, so daß er den Bauern trotz der ökonomischen Zwangslage, in die sie sich begeben, attraktiv erscheint.

Zu einer aggressiven Vermarktungsstrategie gehört immer auch der Versuch der Agrobranche, Einfluß auf die Politik zu nehmen. In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre kam heraus, daß Monsanto, das sich der Rückendeckung der US-Regierung sicher sein konnte, Großbritannien als Brückenkopf auserkoren hatte, um die Gentechnik auf dem attraktiven europäischen Markt einzuführen. Der Versuch wurde aufgedeckt, aber trotz eines jahrelangen EU-Moratoriums gegen den Anbau von Gentech-Pflanzen und trotz einer Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Produkte, geben die Befürworter dieses Anbausystems, das die Verfügungsgewalt über die Nahrungsmittelherstellung erweitert, nicht auf.

Seitdem die Brückenkopffunktion Großbritanniens aufflog und die enge Verbandelung der früheren Blair-Regierung mit der Biotechindustrie öffentlich thematisiert wurde, hat sich der Spalt zwischen Regierung, die für Gentechnik ist, und Bevölkerung, in der ein von der Politik nicht zu ignorierender Widerstand gegen die Gentechnik gewachsen ist, nie geschlossen. Die Politik ist zwar intensiv um den Eindruck bemüht, sie gehe auf die Bedenken ein, doch erteilt sie ausgerechnet einem Wissenschaftler wie Prof. Jonathan Jones die Aufsicht über die ersten britischen Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Kartoffeln. Diese wurden so manipuliert, daß sie gegen die Kartoffelfäule geschützt sein sollen.

Jones leitet nicht nur das Sainsbury Laboratory am John Innes Centre, dem führenden Pflanzenforschungszentrum Großbritanniens, sondern er ist auch Mitbegründer des Biotechunternehmens Mendel Biotechnology, das auf seiner Website damit wirbt, daß Monsanto sein wichtiger Geschäftspartner ist. Laut der britischen Zeitung "The Observer" vom 18. Juli 2010 üben Gentechgegner Kritik an Jones' Ernennung. So sagte Jonathan Matthews, Sprecher von GM Watch, daß der Frontmann des jüngsten Vorstoßes für die Gentechnik in Großbritannien als jemand dargestellt werde, der Wissenschaft im Sinne des öffentlichen Interesses betreibe. Doch nun stelle sich heraus, daß er nicht nur Eigeninteresse am Erfolg der Gentechnik hat, sondern sogar kommerzielle Verbindungen zu Monsanto unterhält. Im selben Bericht kritisiert Helen Wallace von GeneWatch UK, daß sich die PR-Strategie des US-Unternehmens auf vermeintlich unabhängige Wissenschaftler stützt, die leere Versprechen über die zukünftigen Vorzüge von GM-Pflanzen abgeben.

In einer Stellungnahme gegenüber dem "Observer" stellt Jones klar, daß er niemals mit seiner Rolle als Mitbegründer von Mendel Biotechnology und wissenschaftlicher Berater im Vorstand dieses Unternehmens hinter dem Berg gehalten habe. Das sei seit mindestens zehn Jahren auf der Website von Mendel Biotechnology nachzulesen.

Dieses Argument sticht jedoch nur zur Hälfte. Der Kernvorwurf der britischen Gentechgegner lautet nicht, daß Jones seine Voreingenommenheit aufgrund ökonomischer Interessen versteckt hätte, sondern daß er voreingenommen ist.

Insbesondere die Studien zur grünen Gentechnik zeigen, daß die Interpretation der Forschungsergebnisse interessengeleitet ist und nicht, wie gemeinhin unterstellt wird, in wissenschaftlicher Objektivität gründet. So wurde bereits in einer Reihe von Fütterungsstudien festgestellt, daß der Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen oder andere Pflanzenbestandteile eine signifikant höhere Mortalität auslösen oder zumindest zu schwereren Störungen führen als Pollen, die von artgleichen, aber nicht gentechnisch veränderten Pflanzen stammen. Nach solchen wissenschaftlichen Ergebnissen sollte man annehmen, daß sich die Wissenschaft in der Ablehnung der grünen Gentechnik einig ist. Ein Irrtum. Befürworter der Gentechnik stellen kurzerhand die Relevanz jener Studien in Frage, und es gelingt ihnen zu verhindern, daß die Ablehnung auf breitere gesellschaftliche Füße zu stehen kommt.

Was also soll anderes aus den Versuchen mit Gentech-Kartoffeln in Norwich herauskommen, als daß diese hinsichtlich des Verzehrs für unbedenklich erklärt werden, wenn die Studie im Auftrag des Staates von einem Lobbyisten der Gentechindustrie beaufsichtigt wird?

Da die politischen Entscheidungsträger ein gutes Gespür dafür haben, wo und wie sie ihre Kompetenzen erweitern und Herrschaftsstrukturen vertiefen können, bietet sich aus systemimmanenten Gründen von vornherein eine größere Nähe zur Wirtschaft an, wohingegen die Bevölkerung für Regierung wie für Unternehmen eher als ihrer beider Verfügungsmasse erscheint.

Das britische Pflanzenzüchtungsinstitut, das ursprünglich eine öffentliche Einrichtung war, wurde während der Thatcher-Ära privatisiert. Deshalb mußten die vormals staatlichen Wissenschaftler fortan mit der Privatwirtschaft zusammenarbeiten. Von einer Chancengleichheit der Befürworter und der Gegner der grünen Gentechnik, ihre Ansicht gesellschaftlich durchzusetzen, kann somit keine Rede sein. Deshalb greift das Argument von "Jones' Freunden", so der "Observer", nicht, daß es unfair sei, wenn immer nur Jones' Verbindungen zur Gentech-Industrie publik gemacht werden nicht aber die Verbindungen zwischen Gentechnikgegnern und der organischen Lebensmittellobby.

Auch wenn es unterstützenswert ist, daß solche kommerziellen Interessen, wo sie denn bestehen, nicht unerwähnt bleiben, bedeutet das nicht, daß zwischen beiden Seiten der Auseinandersetzung Waffengleichheit herrscht. Oder wären jene ominösen "Freunde von Jones" damit einverstanden, wenn die Versuche zur Beurteilung von gentechnisch veränderten Kartoffeln von einem erklärten Gentechnikgegner und wissenschaftlichen Mitarbeiter bei GM Watch, GeneWatch UK oder Friends of the Earth durchgeführt würde?

19. Juli 2010