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GENTECHNIK/284: US-Außenministerium nimmt Gentechgegner ins Visier (SB)


2010 BIO International Convention - Politisches Establishment auf weltweit größtem Biotech-Kongreß stark vertreten

US-Staatssekretär kündigt Vier-Punkte-Strategie des Außenministeriums zur Verbreitung der Gentechnik an


Vergessen Sie die Klimakonferenz von Kopenhagen im vergangenen Jahr und vergessen Sie insbesondere den Welternährungsgipfel von Rom wenige Wochen zuvor, wenn Sie etwas über die Zukunft der Nahrungsversorgung der Menschheit erfahren wollen. Blicken Sie nach Chicago. Dort fand vom 3. bis 6. Mai die "2010 BIO International Convention" statt. [1] Mehr als 15.000 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aus fast allen US-Bundesstaaten und 65 Ländern waren im riesigen Konferenzzentrum McCormick Place zusammengekommen, um sich über die weiße, rote und grüne Gentechnik - Pharmazie, Medizin und Landwirtschaft - zu informieren, auszutauschen und, last but not least, sich über Taktiken und Strategien zur Verbreitung biotechnologischer Verfahren und Produkte abzustimmen. Sehr zum Ärger der Hersteller biotechnologischer Produkte, gibt es im Bereich der landwirtschaftlichen Nutzung noch große weiße Flecken auf der Landkarte.

Für wie wichtig die Konferenz nicht zuletzt vom politischen Establishment in den Vereinigten Staaten genommen wurde, zeigte sich daran, daß dort die ehemaligen Präsidenten Bill Clinton und George W. Bush, der ehemalige Vizepräsident Al Gore ("An Unconvenient Truth") und einflußreiche Funktionsträger der Obama-Administration, beispielsweise aus dem Außen- und dem Landwirtschaftsministerium, von der Food and Drug Administration (FDA) und dem US-Patentamt, angereist waren. Aus Frankreich fand sich die für Außenhandel zuständige Staatssekretärin Anne-Marie Idrac ein. [2] Die ehemalige Generalsekretärin der Regierungspartei UDF steht für eine Politik des freien Handels und dürfte trotz der amerikanischen Vorbehalte gegen das EU-Mitglied Frankreich hochwillkommen gewesen sein.

Auch Michael Specter, Autor des Buchs "Denialism: How Irrational Thinking Hinders Scientific Progress, Harms the Planet, and Threatens Our Lives", in dem ein hohes Lied auf die Gentechnik gesungen und Kritiker dieser US-dominierten, agro-industriellen Produktionsweise des mittelalterlichen Irrglaubens bezichtigt werden, wußte mit seiner Rede bei der Konferenz des Dachverband der Biotechindustrie zu begeistern. Specter, der mit Unerschütterlichkeit nur jene Wissenschaft als relevant anerkennt, die seinen Pro-Gentechnik-Standpunkt bestätigt, geht nicht davon aus, daß von den profitorientierten, transnationalen Konzernen, welche durch den Erwerb von Patenten Vollkontrolle über die Nahrungsmittelherstellung und -verteilung anstreben, die größte Gefahr für die Nahrungsversorgung der Menschheit ausgeht, sondern von denen, die Kritik an eben dieser Vormachtstellung der Industrie im Bereich der Nahrungsmittelproduktion üben. Das heißt, die den Finger in die Wunde legen und auf diese Weise dem allmählichen Vergessen entreißen, daß die grüne Gentechnik nach wie vor nicht ausreichend erforscht ist und vernünftigerweise auf keinen Fall über den gesamten Planeten verbreitet werden sollte.

Abgesehen davon vernachlässigt Specter, daß der Schwerpunkt der Biotechindustrie gar nicht auf der Herstellung von Pflanzen liegt, mit denen den inzwischen mehr als eine Milliarde Hungernden in der Welt zu Ernährungssicherheit verholfen werden könnte, sondern von Mais, Soja, Baumwolle und Raps. Die werden hauptsächlich als Viehfutter, Fasern, Treibstoff und agroindustrielle Grundstoffe verwendet, nicht jedoch als Pflanzen für die unmittelbare menschliche Ernährung. Selbst wenn die Strategie der Biotechkonzerne aufgehen sollte - womit langfristig durchaus zu rechnen ist -, daß sie auch im Bereich der Lebensmittelproduktion Zuchterfolge vorweist und einen Fuß in die Tür der Europäischen Union und anderer Weltregionen, in denen zur Zeit noch hohe rechtliche Hürden gegen die Einfuhr und Verbreitung gentechnisch manipulierter Organismen (GMO) bestehen, setzen und großmaßstäblich GM-Reis, -Weizen, -Gerste, -Hafer, etc. produzierten kann, würde damit der Hunger in der Welt nicht behoben. Denn wenn mit den Hungernden Geschäfte zu machen wären, hätten die Unternehmen dies längst getan. Die Nachfrage nach Nahrung ist riesig - warum folgt dann nicht dem Mangel das Angebot, wo doch - so die verbreitete Annahme - weltweit genügend Nahrungsmittel produziert werden, um die ganze Menschheit zu ernähren?

Die Antwort liegt auf der Hand bzw. der ausgestreckten Hand der Hungernden: Sie ist leer. Mit diesen Habenichtsen sind keine Geschäfte zu machen. Wenn also bereits heute eine Milliarde Hungernde aus Sicht der Konzerne unattraktiv sind, so wird dies um so mehr für die Zukunft gelten, wenn sie ihre Investitionskosten für die Hybridzüchtung wieder herausholen und Gewinne einstreichen wollen.

Es widerspräche vermutlich dem Geist, der in den Fluren und Sälen des Chicagoer Kongreßzentrums vorherrschte, wenn sich die Konferenzteilnehmer von solchen Widersprüchen hätten irritieren lassen. So dürften die Organisatoren der Biotechnology Industry Organization (BIO) mit Genugtuung den Worten von Jose Fernandez, Staatssekretär im Bureau of Economic, Energy and Business Affairs des State Department, gelauscht haben. Er erläuterte die Strategie des Außenministeriums, wonach die Kritiker der landwirtschaftlichen Biotechnologie anscheinend hart rangenommen werden sollen. Confronting critics, verhieß Fernandez, und kündigt an, daß sein Ministerium "Allianzen" bilden wolle. Dazu vermutet Jim Goodman in CounterPunch [3], daß sich die US-Regierung vermutlich mit der Biotechindustrie sowie anderen Regierungen verbünden will - der EU-Markt lockt, ebenso Indien und China. Fernandez strich außerdem die Wissenschaftlichkeit heraus, der sein Ministerium verpflichtet sei. Goodman kommentiert das nüchtern:

"Sie möchten uns glauben machen, daß die 'Wissenschaft' mehr gehaltvolle Nahrung, höhere Ernteerträge, dürreresistente Nutzpflanzen und ein Ende des Welthungers bringen wird. Doch diese Behauptungen stützen sich nicht auf Wissenschaft, sondern nur auf 'das Versprechen' oder 'die Hoffnung', daß GM erfüllt, was seine Unterstützer behaupten, was es erfüllen könne." [3]

Fernandez teilte die Strategie des State Department zur Propagierung von Biotechnologie in vier Maßnahmen ein. Neben den drei von Goodman erwähnten Zielen "Betonung der Wissenschaft", "Konfrontation der Kritiker" und "Bildung von Allianzen" sprach der Staatssekretär auch von "Hindernisse der Akzeptanz ahnen und in Angriff nehmen". [4] Nicht, daß die US-Regierung das bisher versäumt hätte. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre unterstützt die damalige US-Regierung unter Präsident Bill Clinton die weltweite Vermarktung gentechnisch manipulierter (GM) Pflanzen, bei denen der in St. Louis ansässige Biotechkonzern Monsanto quasi eine Monopolstellung besaß. Heute müßte man von einem Oligopol sprechen, denn der US-Konzern ist zwar noch weltweit mit Abstand führend, aber auch andere Unternehmen haben sich auf die Züchtung von Gentechpflanzen eingeschossen.

Wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen. Das ist den gesellschaftlich vorherrschenden Kräften seit Urzeiten bekannt. Über die Verteilung und somit auch den Mangel von Nahrung läßt sich Herrschaft ausüben. Innerhalb der vorgegebenen ökonomischen Verhältnisse handelte ein Agrokonzern gegen seine Interessen, wollte er nicht laufend expandieren. Im Falle der grünen Gentechnik bedeutet das, daß ein Unternehmen versuchen wird, Lizenzhohheit zu erlangen und seine lizenzierten Produkte massenhaft zu verbreiten. Das bringt die Landwirte in eine tiefe Abhängigkeit: Bauern müssen ihre jahrtausendealte Tradition des Weiterzüchtens aufgeben, andernfalls sie wegen Lizenzverstoßes belangt werden können. Das gilt zwar nicht nur für Produkte von Monsanto, sondern bei jeder Form der Verletzung des Sortenschutzgesetzes und Lizenzrechts, aber dem US-Konzern wird eine besonders "konsequente" Form der Durchsetzung seiner Interessen bescheinigt.

Waren die Mittel und Wege, mit denen die US-Regierung in der Vergangenheit die Biotechindustrie auf ihrem Expansionskurs unterstützt hat, schon von einem hohen Aggressionspotential bestimmt - man denke nur an die "Hilfs"-Lieferung von Gentech-Mais an afrikanische Hungerregionen, die nicht einmal über die erforderlichen Analyseeinrichtungen für den Nachweis des höchst umstrittenen Saatguts verfügten -, so scheint die Obama-Administration dem Vormarsch noch mehr Nachdruck verleihen zu wollen.

Wenn George W. Bush ein Mann des Erdöls war, so ist Barack Obama einer des Biosprits. Ein großer Teil des in den USA hergestellten "Treibstoffs vom Acker" stammt von gentechnisch manipulierten Pflanzen wie Mais. Fernandez' Ankündigung einer Lobby-Offensive des US-Außenministeriums dürfte darauf hinauslaufen, daß noch mehr Druck als zuvor auf Länder, in denen ein Einfuhrverbot für GMOs besteht, ausgeübt wird. Denn was für Konzerne gilt, gilt für Regierungen allemal: Wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen. In Zeiten des Klimawandels, des Bevölkerungswachstums und der schrumpfenden landwirtschaftlichen Fläche besinnt sich die US-Regierung auf das wesentliche. Dazu wurden in Chicago die eingeschlagenen Weichenstellung noch einmal abgesichert und festgeklopft.

Daß sich neben dem Landwirtschaftsministerium (USDA) verstärkt auch das Außenministerium um die Verbreitung von GM-Saat kümmern will, läßt die Ahnung aufkommen, daß neben den üblichen Wegen, über die im Rahmen der Weltordnung wirtschaftlicher Austausch abgewickelt wird, auch diplomatische bzw. klandestine Mittel zum Einsatz gelangen könnten. Wenn beispielsweise eine Regierung bereit ist, im Rahmen eines bewaffneten Konflikts Hunderttausende Dollar zu bezahlen, um einen Gegner einzukaufen, dürfte sie auch bei der Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen auf die "Überzeugungskraft" eines solchen Mittels vertrauen. Da die USA mit ihrer geostrategische Interessen bedienenden Agrarsubventionspolitik einen vergleichsweise großen Einfluß auf die Welternährung haben, ist das, was auf der Biotechnologie-Konferenz ausgehandelt wurde, auch von globaler Bedeutung.


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Anmerkungen:

[1] "2010 BIO International Convention Closes in Chicago With Record Number of Partnering Meetings", 6. Mai 2010


[2] "ECONOMIC AGENDA", Ankündigung des französischen Konsulats in Chicago, APRIL 2010
http://www.consulfrance-chicago.org/IMG/html/FMEX/FMEX04-10/economie0410.htm

[3] "A World of Benefits? For Whom? Marketing Biotech", Jim Goodman, CounterPunch, 14. - 16. Mai 2010
http://counterpunch.org/goodman05142010.html

[4] "Obama State Department Official Pledges to Confront Global Biotech / GMO Critics", 13. Mai 2010
http://www.fooddemocracynow.org/blog/2010/may/13/obama_state_ department_official_pledges_toconfront/

17. Mai 2010