Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REDAKTION

GENTECHNIK/264: GM Watch irrt - Sir David King weiter für GM-Saat (SB)


Britische Zeitung präsentierte zweideutige Überschrift

Ex-Chefwissenschaftler Großbritanniens glaubt nach wie vor, daß GM-Saat das Hungerproblem in der Dritten Welt lösen kann

Weltkonzerne wollen nicht Hunger beenden, sondern Nahrungsproduktion kontrollieren


Gute Gründe sprechen dafür, gegenüber der sogenannten Grünen Gentechnik äußerst skeptisch zu sein. Bislang konnten die Bedenken, daß die Hybridsaat, in der art- und gattungsfremde Bestandteile eingezüchtet werden, zu unabsehbaren gesundheitlichen und ökologischen Schäden führen, nicht ausgeräumt werden. Diverse Studien belegen, daß die GM-Saat eben nicht, wie ihre Befürworter behaupten, genauso harmlos oder gefährlich ist wie konventionelle Saat.

Der Versuch des US-Agrokonzerns Monsanto in den neunziger Jahren, Großbritannien klammheimlich als Brückenkopf zur Verbreitung seiner Hybridsaaten in Europa zu benutzen, beweist, daß sich der Konzern durchaus über das große Ablehnungspotential gegenüber der GM-Technologie in der Bevölkerung im klaren war. Der Vorstoß wurde ausgebremst, aber nicht abgewendet. Weltweit befindet sich die GM-Technologie langsam, aber sicher auf dem Vormarsch. Das gilt auch für die Europäische Union, in der es durchaus Eigeninteressen an der Einführung der GM-Technologie gibt, die aber auch von den USA mittels der Welthandelsorganisation gezwungen werden soll, die umstrittenen Produkte nicht nur als Tierfutter, sondern auch als Lebensmittel zuzulassen.

Abgesehen von gesundheitlichen und ökologischen Risiken durch gentechnisch veränderte Produkte dürfte in Zukunft ein diesen Faktoren gegenüber bislang vernachlässigter Aspekt an Bedeutung gewinnen: Das Saatgut ist Lizenzen unterworfen, seine Verwendung wird eingeschränkt. Die Saat wird von der Wirtschaft als "gentechnisch verändert" bezeichnet, um den Eindruck zu erwecken, man habe auf mikrobiologischer Ebene etwas Neues geschaffen, indem man sie einer gezielten Veränderung unterwarf - vergleichbar mit dem Auswechseln eines Bausteins innerhalb eines eindeutig definierten Systems wie einem Haus von Lego.

Die Zielgenauigkeit ist ein Irrtum. Eine zentrale Methode der Gentechniker ist das Schrotschußverfahren. Dabei wird die Saat tatsächlich beschossen. Beispielsweise mit Goldpartikeln, die die gewünschten Substanzen, an die wiederum Marker gebunden sind, ins Innere der Körner bringen sollen. Die Marker sollen anzeigen, ob die Substanz im Saatkorn an der richtigen Stelle angekommen ist oder ob der Schuß daneben ging. Anschließend werden die aussichtsreichsten Saatkörner zum Keimen gebracht. Die Forscher ziehen letztlich in langen Versuchsreihen hunderte Pflanzen heran und erzeugen eine Pflanzengeneration nach der nächsten, wobei jeweils die aussichtsreichsten Kandidaten weitergezüchtet werden. Deshalb kann die Behauptung des gezielten Vorgehens in Frage gestellt werden.

Es handelt sich im Grunde genommen um konventionelle Züchtung. Die erfüllt jedoch nicht die gleiche Funktion, also behaupten die Saatguthersteller, ihre Produkte seien gentechnisch verändert. Die Folgen sind hinlänglich bekannt: Landwirten wird vertraglich die jahrtausendealte Praxis verboten, ein Teil ihrer Ernte einzubehalten, um die Saat in der kommenden Saison auszusäen. Nun müssen die Landwirte jedes Jahr von neuem Lizenzen entrichten. Auf diese Weise verlieren sie ihre Souveränität und geraten in eine tiefe Abhängigkeit von den Konzernen, die längst an weltmonopolartigen Vertriebsstrukturen arbeiten.

Wenn sich erst die globale Nahrungsproduktion in den Händen weniger Unternehmen befindet, wird dies in Verbindung mit administrativen Institutionen, wie sie gegenwärtig die USA und ihr Juniorpartner EU in ihrem globalhegemonialen Projekt anstreben, zu einem ungeheuer wirkungsvollen Herrschaftsinstrument ausgebaut. Nahrung ist nach Atemluft und Wasser die drittwichtigste Überlebensressource. Wird sie einem Menschen entzogen, läßt sich darüber sein Verhalten bestimmen und Anpassung einfordern. Die Abwehr großer Flüchtlingsströme an den EU-Außengrenzen und der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze stellt bereits einen ersten Schritt dar, Menschen von den privilegierten Räumen, in denen noch keine so große Nahrungsnot herrscht, gewaltsam fernzuhalten. Diese Entwicklung, nur ein, zwei Schritte weitergedacht, könnte auf die Bildung von globaladministrativen Einrichtungen hinauslaufen, die nicht nur die Nahrungsproduktion, sondern eben auch die Verteilung von Nahrung übernehmen.

Das setzte allerdings voraus, daß der Geldverkehr stärker als bisher eingeschränkt wird. Eine Vollkontrolle über die Nahrung wäre nicht durchsetzbar, wenn die Menschen weiter in den Supermarkt gehen und einkaufen könnten, was sie wollen. Vorstellbar wäre der Ersatz des Geldes durch Lebensmittelgutscheine, wie sie heute bereits für einen einkommensarmen Teil der Bevölkerung ausgegeben werden. (Interessanterweise wird in den USA bereits über die Abschaffung des Dollars und die Bildung eines gemeinsamen Währungsraums mit Kanada und Mexiko nachgedacht. Der ins Gespräch gebrachte "Amero" als Währung könnte in diesem Zusammenhang als Übergangsgeld zur bargeldlosen Gesellschaft verstanden werden, in der die Lebensmittel nur noch von behördlichen Stellen nach utilitaristischen Kriterien ausgegeben oder eben nicht ausgegeben werden.)

Das vergangene Jahr hat gezeigt, daß der weltweite Getreidebestand rapide schrumpft. Die Lebensmittelpreise sind teils empfindlich gestiegen, und zwar weltweit. Zudem wächst die Weltbevölkerung unaufhörlich. Jeden Tag müssen 212.000 Menschen zusätzlich ernährt werden. Darüber hinaus wird ein zunehmender Anteil der erzeugten Nahrungsmittel als Treibstoff verwendet. Diese Trends rufen geradezu nach einer weltumspannenden Obrigkeit, die die knappen Ressourcen verwaltet - wobei es nicht als sicher angenommen werden sollte, daß am Ende die USA die führende Position einnehmen. Jedenfalls gibt die Grüne Gentechnik den Apologeten dieser Entwicklung ein wirksames Mittel an die Hand, solche globalen Strukturen voranzutreiben.

Wer eine entschiedene Ablehnung zu der hier angedeuteten Qualifizierung der Verfügungsgewalt vertritt, durch die - absehbar und von Experten unter anderem der Vereinten Nationen prognostiziert - künftig hunderte Millionen Menschen keinen Zugang zu Nahrung und Wasser erhalten (also verhungern oder verdursten), sollte die eigentliche Gefahr der Grünen Gentechnik nicht in den zweifellos vorhandenen gesundheitlichen und ökologischen Risiken sehen, sondern in der Monopolisierung der Nahrungsmittelherstellung und -verteilung.

Um so wichtiger ist es, die Einstellung und Argumente der bewußten oder unbewußten Befürworter dieser Entwicklung zu kennen. Aus diesem Anlaß sei hier auf eine irreführende Überschrift der englischen Zeitung "The Daily Mail" (18.12.2007) und einer den Sachverhalt noch mehr verfälschenden Übersetzung im Monatsrückblick Nr. 52 der Deutschen Ausgabe (9/1/2008) von GM Watch, der vom DNR Redaktionsbüro Fachverteiler in Umlauf gebracht wurde, aufmerksam gemacht.

"Daily Mail" titelte: "Scientist Who Claimed GM Crops Could Solve Third World Hunger Admits He Got It Wrong". In einer wortgetreuen und daher etwas steifen Übersetzung lautet die Überschrift: Wissenschaftler, der behauptete, GM-Getreide könnte den Hunger in der Dritten Welt beenden, räumt ein, daß er falsch lag.

Hierbei wird bei den Leserinnen und Lesern der Eindruck erzeugt, jener Wissenschaftler sehe ein, daß GM-Getreide nicht das Hungerproblem der Dritten Welt lösen kann. In der Deutschen Ausgabe von GM Watch heißt es prompt: "WISSENSCHAFTLER BEKENNT: HUNGER KANN NICHT DURCH GENTECHNIK BEENDET WERDEN".

Erst beim genauen Lesen des "Daily Mail"-Artikels wird deutlich, daß sich das Eingeständnis jenes Forschers, bei dem es sich um den zum Jahresende zurückgetretenen wissenschaftlichen Chefberater der britischen Regierung, Sir David King, handelt, nicht auf die Beendigung des Welthungers bezog, sondern auf seine falschen Angaben über Feldversuche am Victoriasee in Afrika. King hatte in der Sendung "Today" von Radio Four behauptet, daß gentechnisch veränderte Gräser den Ertrag von Nutzpflanzen um 40 bis 50 Prozent gesteigert haben. Tatsächlich gelang die Ertragssteigerung ohne die Gentechnik. Mit konventionellen Zuchtmethoden war es Forschern in Kenia gelungen, Gräser so zu züchten, daß sie Pflanzenschädlinge, die ansonsten in angrenzenden Feldern Nutzpflanzen befallen hätten, anlocken. In diesem Push-and-pull-project wurde die Getreideernte drastisch gesteigert.

Der Wissenschaftler räumte seinen schweren Fehler ein - doch er hat sich nicht von seiner Meinung distanziert, daß die Grüne Gentechnik zur Lösung des Hungerproblems in der Dritten Welt beitragen kann.

Wie weiter oben ausgeführt, könnte sich diese Hoffnung als fataler Irrtum erweisen. Nicht um die Beseitigung des Hungers geht es den Saatgutkonzernen, sondern um die Kontrolle über die globale Nahrungsproduktion. Die Grüne Gentechnik dürfte das Hungerproblem sogar noch verstärken.

11. Januar 2008