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ATOM/453: USA - ohne Rücksicht auf Gefahren ... (SB)



Die Nuklearwirtschaft der Vereinigten Staaten hat eine Initiative zur Lockerung der Sicherheitsbestimmungen für Atomkraftwerke gestartet. Die Atomaufsichtsbehörde NRC, deren Entscheidungsgremium von Anhängern der Trump-Regierung kontrolliert wird, hat bereits Entgegenkommen signalisiert.

Viele Atomkraftwerke der USA haben ihre ursprünglich geplante Betriebszeit längst überschritten, altersbedingte Störungen nehmen dementsprechend zu. Anstatt aber genau deshalb die Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen, will die Atomindustrie die NRC dazu bewegen, weniger Inspektionen durchzuführen. Darüber hinaus soll in Zukunft nicht jede "kleinere" Störung gemeldet werden, weil das nur die Presse auf den Plan ruft.

Im Juni dieses Jahres wird der fünfköpfige Vorstand der US-Atomaufsichtsbehörde eine Überprüfung seines Regelwerks zur Handhabung der 98 kommerziell betriebenen Atomkraftwerke des Landes abschließen. Das betrifft unter anderem eine Bewertung der Vorschläge der Industrie, berichtete AP diesen Monat. [1]

Vier der fünf Vorstandsplätze der NRC wurden von der Trump-Administration bestätigt bzw. neu besetzt. Beispielsweise ist Annie Caputo, die früher für den Akw-Betreiber Exelon Corp. gearbeitet hat, im Mai 2018 neu hinzugekommen. Laut AP deutete sie bereits an, sie sei gegenüber der Idee aufgeschlossen, daß die Atomaufsichtsbehörde weniger Inspektionen vornimmt und sich stattdessen die Industrie selber beaufsichtigt.

Eigentlich hat die NRC vom US-Kongreß unter anderem den Auftrag erhalten, darüber zu wachen, daß die Akw-Betreiber nicht die Gesundheit der Öffentlichkeit gefährden. Doch regelmäßig bewertet die Behörde die finanziellen Interessen der Atomwirtschaft höher, kritisiert die Organisation Beyond Nuclear die NRC. [2]

Paul Gunter, Mitglied bei Beyond Nuclear, hält es für keine gute Idee, daß eine Industrie, die in wachsendem Ausmaß in finanzielle Schwierigkeiten gerät, nicht mehr so streng von der NRC beaufsichtigt werden soll. Dadurch wachse die Gefahr eines Atomunfalls. Wohingegen es Greg Halnon vom Akw-Betreiber FirstEnergy Corp. in Ohio laut AP für "verantwortungsbewußter" hält, wenn nicht immer jeder Störfall per Presseerklärung an die Weltöffentlichkeit gebracht wird.

Die Trump-Regierung hat in den zurückliegenden gut zwei Jahren wie ein Tornado in der Umweltgesetzgebung der Vereinigten Staaten gewütet und nicht viel davon übriggelassen. Nachdem bereits die Kohle- und Frackingindustrie von Auflagen befreit wurden, durch die die Öffentlichkeit zumindest einen gewissen Schutz vor Umweltverschmutzungen besaß, sieht es ganz danach aus, als käme jetzt die Nuklearwirtschaft in die Gunst der Deregulierung. Im Januar dieses Jahres hat die Atomaufsichtsbehörde bereits einen Vorschlag abgelehnt, demzufolge die Akws besser gegen Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen geschützt werden sollten. Dieser Vorschlag war von Behördenmitarbeitern aufgebracht worden, nachdem vor acht Jahren das japanische Akw Fukushima-Daiichi zunächst von einem Erdbeben und anschließend einem Tsunami zerstört worden war.

Die Atomaufsichtsbehörde ist so etwas wie der TÜV für Atomkraftwerke. Die Vorschläge der Nuklearwirtschaft zu einer gelockerten Aufsicht und verstärkter Selbstüberwachung wären somit wie der Vorschlag, TÜV-Termine zu streichen, weil man sein Fahrzeug selber kontrolliert und Kleinigkeiten sowieso nicht gemeldet werden bräuchten, weil das nur für Unruhe in der Öffentlichkeit und lästige Nachfragen sorge ...

Nicht erst unter dem Deregulierer Donald Trump entwickelt die NRC eine Nähe zur Industrie. Bereits 1987 attestierte ein Kongreßausschuß dieser vermeintlich unabhängigen Behörde in einem Gutachten mit dem bezeichnenden Titel "NRC Coziness with Industry" - frei übersetzt: NRC kuschelt mit der Industrie -, daß zwischen September 1989 und 1994 die Institution entweder darauf verzichtet oder beschlossen hat, die Vorschriften für Atomreaktoren über 340mal nicht durchzusetzen, und die Regulierungsbehörde wichtige Aufgaben an das brancheneigene Institute for Nuclear Power Operations (INPO) abgetreten hat. [3]

Sollten sich die Akw-Betreiber selber beaufsichtigen, rückte das die Vereinigten Staaten noch weiter als bisher in Richtung eines Staatsmodells, in dem die Industrie nach Belieben schalten und walten kann, wobei gleichzeitig die Regierung mit milliardenschweren Subventionen dafür sorgt, daß die Branche am Leben bleibt und die Bevölkerung so wenig wie möglich über die akuten Gefahren erfährt.

1979 war es in den USA zum bis dahin schwersten Unfall in der Geschichte der zivilen Nuklearenergienutzung gekommen, als in dem Akw Three Mile Island eine partielle Kernschmelze eintrat und eine beträchtliche Menge an Radionukliden freigesetzt wurde. Wie man heute weiß, durften die Gesundheitsbehörden aufgrund einer richterlichen Anordnung das wahre Ausmaß der Gefahren einer solchen Strahlenfreisetzung gar nicht erst ermitteln. [4]

Übertroffen wurde der Unfall sechs Jahre darauf von der Explosion des Akw Tschernobyl in der Ukraine und 2011 von der dreifachen Kernschmelze im Akw Fukushima Daiichi. Zwei schwere Unfälle, die von den Behörden beider Länder jeweils heruntergespielt wurden und heute noch werden. Die Atomaufsichtsbehörden erfüllen die Funktion eines Feigenblatts, dazu wurden sie eingerichtet. Sie sollen den Eindruck erwecken, daß die Atomenergie beherrschbar ist und außerdem die Aufsichtsbehörden die richtige Adresse sind für alle Sorgen der Bevölkerung ob der unfaßbaren Gefahren, die mit dieser Art der Stromproduktion verbunden sind.


Fußnoten:

[1] tinyurl.com/y2lpd4wg

[2] http://www.beyondnuclear.org/nrc/

[3] tinyurl.com/yxwhwa8e

[4] tinyurl.com/yy3s2aar

26. März 2019


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