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ATOM/446: Indien - nicht 'mal eine Atempause ... (SB)



Ein Tuch mit bunten Handabdrücken und der Botschaft 'Don't Work for Nuclear Power - Hands off Jaitapur', z. Dt.: 'Arbeitet nicht für die Kernkraft - Hände weg von Jaitapur'. Das Tuch hatte der indische Dokumentarfilmer Praved Krishnapilla im September 2015 zur Vorführung seines Films 'Nuclear Lies' ins Hamburger Centro Sociale mitgebracht - Foto: © 2015 by Schattenblick

Klare Ansage der Anti-Akw-Bewegung in Jaitapur an die europäische Atomindustrie
Foto: © 2015 by Schattenblick

Bereits vor vielen Jahren protestierten indische Dorfbewohner gegen den geplanten Bau des größten Kernkraftwerks der Welt in der Hafenstadt Jaitapur im indischen Bundesstaat Maharashtra. Das Projekt löste eine regelrechte Massenmobilisierung aus, und ursprünglich war nur ein kleiner Teil der Dorfbewohner bereit, sein Land für das Akw abzutreten. Doch nach und nach haben die Betreiber das Gebiet von rund 1000 Hektar zusammengekauft. Bei der ursprünglichen Begutachtung des Standorts waren allerdings zwei tektonische Risse übersehen worden - die Region gilt als schwach bis mittelstark erdbebengefährdet. Zudem liegt der Standort an der Südwestküste Indiens, der "Monsun-Einflugschneise" auf den Subkontinent, die ein einzigartiges Biodiversitätshabitat hervorgebracht hat. Es zählt zu den weltweit zehn wichtigsten Hotspots der Artenvielfalt. Gewichtige Gründe, weswegen die Proteste gegen den Akw-Bau bis heute anhalten.

2015 war der französische Konzern Areva aus dem Vorhaben ausgestiegen. Damit galt das Projekt insgesamt als nahezu gescheitert. Doch hält Premierminister Narendra Modi von der hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP (Bharatiya Janata Party) an der Kernenergie fest - und die Proteste gegen das geplante Akw Jaitapur gingen ebenfalls weiter. Vor kurzem hat der französische Präsident Emmanuel Macron mit einer großen Wirtschaftsdelegation Indien besucht und dabei zugesagt, daß sich Frankreich weiter an dem Bau beteiligen wird. Somit liegen die Jaitapur-Pläne wieder auf dem Tisch. [1]

Für die ersten beiden Druckwasserreaktoren will der staatliche französische Energiekonzern EDF (Électricité de France) die Planung übernehmen; außerdem soll er für die Technologie und Beschaffung der Bauteile zuständig sein. Medienberichten zufolge würden die übrigen vier Reaktoren mit stärkerer Beteiligung indischer Unternehmen vorangetrieben. Der indische Staatskonzern Nuclear Power Corporation of India (NPCIL), der das entsprechende Rahmenabkommen mit EDF unterzeichnet hat, würde sich dabei um die Genehmigungen kümmern und die Bauleitung übernehmen. Die Gesamtleistung der sechs Reaktoren soll sich auf knapp 10.000 MW belaufen. Damit wäre Jaitapur der leistungsstärkste Akw-Komplex weltweit und würde elektrischen Strom an rund fünf Millionen Haushalte liefern.

Frankreich und Indien haben bislang "nur" ein Rahmenabkommen abgeschlossen. Medienberichten zufolge wurden dabei wichtige Fragen, beispielsweise hinsichtlich der Kostenübernahme, ausgespart. Ohne staatliche Zuschüsse, ob nun seitens Frankreichs oder Indiens, kann das Projekt nicht gebaut werden. Hier werden die Steuerzahlerinnen und -zahler zur Kasse gebeten. Auch dagegen richten sich die Proteste. Zumal die Kosten für eine alternative Stromquelle, Solarstrom, immer weiter sinken. Da kann die Kernspaltungstechnologie gar nicht mithalten, sie muß also immer weiter subventioniert werden, genau umgekehrt zur Solarenergie.

Der Widerstand gegen das geplante Akw Jaitapur wird unter anderem von der rechtsextremen, hindu-nationalistischen Partei Shiv Sena unterstützt. Diese hat keine prinzipiellen Vorbehalte gegen die Kernenergienutzung, hatte sich aber dafür ausgesprochen, das Akw im benachbarten Bundesstaat Gujarat zu bauen. Diese Einstellung wird nicht von allen Protestierenden geteilt, und sicherlich nicht von jenem Teil der international vernetzten Anti-Akw-Bewegung, für den es nicht allein um einen Wechsel der Energieform geht, sondern um weitreichendere Fragen der menschlichen Produktivität und des gemeinschaftlichen Zusammenlebens.

Aus Sicht der Anti-Akw-Bewegung gibt es vermutlich nur einen einzigen Hoffnungsschimmer, nämlich daß das Projekt an technischen und finanziellen Problemen scheitert. Frankreich versucht mit bislang bescheidenem Erfolg, sowohl bei sich zu Hause (Flamanville) als auch in Finnland (Olkiluoto 3) und China (Taishan 1 und 2) den Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) aufzubauen. Der Abschluß all dieser Projekte verzögert sich schon seit Jahren. Ob in Indien das gelingt, was woanders scheitert? Und wird Indien die gleichen Sicherheitsanforderungen an die Reaktoren anlegen wie die europäischen Länder?

Mit dieser Frage soll nicht unterstellt werden, daß die Kernenergie kontrollierbar wäre, wenn sie nur von den vermeintlich richtigen Leuten betrieben wird. Die Geschichte der Kernenergienutzung ist voller Störfälle, Fehleinschätzungen und Nachlässigkeiten, welches Land auch immer man sich anschaut. Indien stellt da keine Ausnahme dar ... um es diplomatisch zu formulieren. So berichtete vor einigen Jahren der indische Dokumentarfilmer Praved Krishnapilla, Regisseur des per Crowdfunding finanzierten Films "Nuclear Lies", daß seinen eigenen Messungen zufolge die Gegend um eine indische Wiederaufbereitungsanlage herum hochgradig radioaktiv kontaminiert ist, die Behörden hätten jedoch seine Warnhinweise abgebügelt. Man habe keine erhöhten Strahlenwerte registriert, wurde verlautbart. [2]

Im Umfeld indischer Nuklearanlagen treten vermehrt Krebserkrankungen, Fehl- und Mißgeburten auf, und im ältesten indischen Akw Tarapur im Bundesstaat Maharashtra wurden in den 1980er Jahren Hunderte Arbeiter verstrahlt. Allerdings wurde auch um deutsche Atomkraftwerke herum eine überdurchschnittliche hohe Krebsrate bei Kindern unter fünf Jahren entdeckt. Politik und Atomindustrie haben ebenfalls abgewunken. Indien, Deutschland und Akw-Weltmeister Frankreich ähneln sich mehr, als man dem ersten Eindruck nach vermuten könnte. Darum werden umgekehrt die deutschen und französischen Anti-Akw-Interessen auch in Indien "verteidigt", wenn dort demnächst wieder mit größerer Wucht gegen das Akw Jaitapur protestiert wird. Dort hat es bereits Demonstrationen gegen Macrons Besuch gegeben.


Fußnoten:

[1] https://indien.antiatom.net/

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0195.html


12. März 2018


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