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ATOM/419: Russisch Roulette mit Akw San Onofre (SB)


Betreiber des Akw San Onofre wollen wieder ans Netz

US-Atomaufsicht erstellt umfangreichen Forderungskatalog



Man könnte es als Hybris bezeichnen, Atomkraftwerke ausgerechnet in erdbebengefährdeten Gebieten zu errichten, wenn eine solche Einschätzung nicht implizierte, daß Akws an anderen Standorten nicht aus Selbstüberschätzung des Menschen geboren sind. Gut ein halbes Jahrhundert kommerzielle Nutzung der Kernenergie legt indessen nahe, daß es wohl eine grobe Fehleinschätzung der Konstrukteure war, zu behaupten, zu einem Akw-Unfall mit Kernschmelze käme es nur alle 100.000 Jahre. Einmal in 25 Jahren ist treffender (Windscale/Sellafield 1957, Harrisburg 1979, Tschernobyl 1986, Fukushima 2011).

Kalifornien ist eines der seismisch aktivsten Gebiete weltweit. Der US-Bundesstaat wird von mehreren großen und vielen kleineren tektonischen Bruchlinien durchzogen. 1906 wurde San Francisco von einem schweren Erdbeben heimgesucht, mehr als 3000 Einwohner starben. 1989 wurde die Stadt erneut erschüttert. In der Folge starben 63 Menschen, die Schäden beliefen sich auf sechs Milliarden Dollar. Die Stärke der Beben wurde mit 7,8 - 8,4 (1906) und 6,9 (1989) auf der Richterskala angegeben.

Das Atomkraftwerk San Onofre liegt ausgerechnet auf der gleichen aktiven Bruchzone wie San Francisco. Der San-Andreas-Graben liegt keine 100 Kilometer vom Akw entfernt. Vor der Küste verlaufen drei Bruchzonen innerhalb von nur zehn Kilometern und nicht mal 1000 Meter ist der tektonische Cristiano-Graben vom Akw San Onofre entfernt. Das ist nach Angaben des Betreibers Southern California Edison (SCE) auf eine Bebenstärke von 7,0 ausgelegt. Damit liegt es unter dem, was bereits an schweren Erdbeben in dieser Region aufgetreten ist. Bei solchen Vergleichen wird jedoch automatisch unterstellt, daß sich alle Bauteile und Aggregate das Akw in einem einwandfreien Zustand befinden. Das sind sie aber nicht unbedingt - um es vorsichtig zu formulieren.

Beispielsweise war im Januar vergangenen Jahres in der Anlage zunächst ein kleines Strahlenleck entdeckt worden. Weitere Untersuchungen brachten zutage, daß schätzungsweise 1300 Rohrleitungen, durch die heißer radioaktiver Dampf geschickt wird, marode waren. Und das, obwohl man sie erst wenige Jahre zuvor (2009/2010) eingebaut hatte und sie zusammen mit anderen Wartungsarbeiten Kosten in Höhe von 670 Millionen Dollar verursacht hatten. Nach der Entdeckung der Schäden wurden die Kraftwerksblöcke 2 und 3 von der Nuclear Regulatory Commission (NRC) stillgelegt; Block 1 war bereits 1992 wegen maroder Rohrleitungen vom Netz genommen worden. Ursprünglich hätte der Meiler bis 2004 laufen sollen.

Vor kurzem meldete die Nachrichtenagentur AP unter Berufung auf den leitenden Inspektor der Nuclear Regulatory Commission, Greg Warnick, daß seine Behörde einen detaillierten Plan erstelle, unter welchen Bedingungen das Akw San Onofre wieder ans Netz gehen könnte. [1] Umweltschützer hingegen fordern die komplette Stillegung des Atomkraftwerks. Oder, wie Friends of the Earth, zumindest eine Änderung der Betriebsgenehmigung, so daß vor einer Wiederinbetriebnahme öffentliche Anhörungen durchgeführt werden müssen, die bis zu zwei Jahre dauern können.

Im Umkreis von 80 Kilometern leben 7,4 Millionen Menschen um das Akw San Onofre, unter anderem betrifft es die Metropolen Los Angeles und San Diego. Ein Erdbeben, wie es vor knapp zwei Jahren auf der anderen Seite des Ozeans vor der Küste der japanischen Präfektur Fukushima in der gleichen globalen Bruchzone, die wegen der vielen Vulkane "zirkumpazifischer Feuergürtel" genannt wird, auftrat, dürfte auch das Akw in Kalifornien aufs schwerste beschädigen. Und der Tsunami könnte der direkt am Meer gelegenen Anlage den Rest geben, ist doch die Schutzmauer zum Meer hin nach Betreiberangaben nur zehn Meter hoch. Der Tsunami, der kurz nach der Zerstörung des Akw Fukushima Daiichi am 11. März 2011 die bereits durchs Erdbeben vorgeschädigte Anlage traf, wird auf vierzehn Meter Höhe geschätzt.

Doch noch immer beharren Lobbyisten auf dem Standpunkt, daß von dem Akw keine Gefahr für die Bevölkerung ausgeht. So etwas hatte das Unternehmen TEPCO auch behauptet, bevor sein Akw Fukushima eine Nuklearkatastrophe größten Ausmaßes angerichtet hatte. Die NRC wurde von den Betreibern gebeten, zumindest Block 2 zu genehmigen, wenn er nicht mit mehr als 70 Prozent seiner Kapazität hochgefahren wird. Darauf hat sich die Aufsicht bislang nicht eingelassen und 30 Fragen zur technischen Ausführung der Anlage vorgelegt, die zunächst geklärt werden müßten.

Auch wenn die Betreiber des Akw San Onofre deutliche Schwächen in der Aufsicht über ihre Anlage gezeigt haben, indem erst ein radioaktiver Austritt zur Entdeckung der 1300 maroden Dampfdruckleitungen führen mußte, liegt ihre Stärke sicherlich im Verschleiern, mit welchen unkalkulierbaren Risiken man es bei der Kernenergie zu tun hat. Wer die Begriffe "songs community" googelt, stößt nicht etwa auf einen kommunalen Gesangsverein oder auf lokales Liedgut, sondern auf die San Onofre Nuclear Generating Station. Das Akronym in Verbindung mit Community - ein Begriff, der sich immer gut macht und Geborgenheit im sozialen Umfeld verspricht - ergibt die Internetadresse http://www.songscommunity.com/ jenes Akw-Betreibers.

Die weltweit häufiger großen, vielen mittleren und zahllosen kleinen Stör- bzw. Unfälle in Atomkraftwerken haben eines gezeigt: Die Meiler sind nicht sicher. Das Auftreten von Erdbeben ist es dagegen schon. Würde man das Akw San Onofre wieder hochfahren, hätte das etwas von Russisch Roulette: Vielleicht kommt man ja heil davon ...


Fußnoten:

[1] http://www.mintpress.net/troubled-calif-nuke-plant-inches-toward-restart/

16. Januar 2013