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ATOM/310: 1966 stürzte US-Bomber mit Kernwaffen über Spanien ab (SB)


Spanisches Dorf Palomares weiträumiger verstrahlt als angenommen

Regierung sperrt mit Americium kontaminierte Zonen für die Bebauung


Über den schwerwiegendsten Zwischenfall mit Nuklearmaterial in Spanien hat lange Zeit der Mantel des Vergessens gelegen. Neuere Radioaktivitätsmessungen zeigen jedoch erhöhte Strahlenwerte in der Umgebung, so daß das Thema wieder aufs Tablett gehoben wird - zumal der Bauboom in die halbwüstenartige Region an der ostspanischen Mittelmeerküste vorgedrungen ist.

Am Morgen des 17. Januar 1966 war ein US-amerikanischer B-52-Bomber mit vier Nuklearbomben an Bord auf dem Rückflug von der türkisch-sowjetischen Grenze beim Versuch, in der Luft aufzutanken, mit dem Tankflugzeug kollidiert und aus 9000 Metern Höhe in das spanische 1200-Einwohner-Dorf Palomares und Umgebung abgestürzt. Zwei Bomben blieben intakt. Eine von ihnen schlug am Dorfrand hinter dem Friedhof ein, die andere wurde von einem spanischen Fischer beim Einschlag ins Meer, fünf Meilen vor der Küste, beobachtet. 80 Tage später wurde sie mit Hilfe eines Mini-U-Boots unversehrt aus einer Tiefe von 760 Metern geborgen.

Die restlichen beiden Bomben explodierten beim Einschlag aufgrund der chemischen Reaktion des TNT, es kam jedoch zu keiner nuklearen Kettenreaktion. Dennoch wurde das Zentrum von Palomares und die nahegelegenen Hügel mit rund 20 Kilogramm Plutonium- und Uranstaub verseucht. Bei dem Unglück ist keiner der Einwohner gestorben, und es ist anscheinend auch keine erhöhte Krebshäufigkeit in der Bevölkerung aufgetreten. Wohingegen sieben der zehn Besatzungsmitglieder der beiden am Unglück beteiligten Militärmaschinen ums Leben kamen.

Die USA entsandten 1600 Experten, um gemeinsam mit spanischen Katastrophenschützern das Bombenmaterial, die verstrahlte Erde, Felsgestein und Pflanzen einzusammeln. Dabei kamen mehr als 1400 Tonnen zusammen und wurden zum Kernwaffenlabor Savannah River in den USA gebracht. Während die Air-Force-Mitarbeiter bei der Entseuchung zumindest eine gewisse Schutzkleidung trugen, mußten ihre spanischen Helfer ohne solche Maßnahmen auskommen.

Drei Monate dauerte die Entseuchung, anschließend galt die Region in der südostspanischen Provinz Ameria offiziell als erfolgreich dekontaminiert. Der spanischen Tourismusminister Manuel Fraga und der US-Botschafter in Spanien nahmen vor den Augen der Presse ein Bad im Mittelmeer, um zu demonstrieren, daß sich niemand Sorgen zu machen brauche, weder die Einheimischen noch die Touristen, auf deren massenhaftes Kommen sich sich das Spanien unter der Franco-Herrschaft damals vorbereitete.

In einem Bericht der US-Behörde Defense Nuclear Agency aus dem Jahre 1975 hieß es allerdings, daß man das gesamte Ausmaß der Verseuchung niemals wissen werde. Und vor dem US-Kongreß sagte der für die Dekontamination zuständige Air Force Commander aus, daß die Luftwaffe nicht darauf vorbereitet gewesen sei, im Ausland einen Flugzeugabsturz mit Beteiligung von Kernwaffen angemessen zu handhaben und Menschen vor Verstrahlung zu schützen.

Vierzig Jahre darauf haben die spanische Atomaufsichtsbehörde gemeinsam mit dem nationalen Forschungszentrum für Energie, Umwelt und Technologie, CIEMAT (Centro de Investigaciones Energeticas, Medioambientales y Tecnologicas), die erste, groß angelegte Studie über das Ausmaß der radioaktiven Kontamination um das Dorf herum durchgeführt. Die Untersuchung hat 200.000 Euro gekostet und wurde teilweise von der US-Regierung finanziert. Bereits im Jahr 2001 waren in Palomares erhöhte Werte von Plutonium, Uran und Americium gemessen.

In der jüngsten Studie wurde festgestellt, daß die Ausdehnung der mit Americium, einem radioaktiven Zerfallsprodukt von Plutonium, verseuchten Fläche dreimal so groß war wie ursprünglich angenommen. Die stärkste radioaktive Stelle befand sich östlich von Palomares in den Almagrera-Hügeln, wo eine der beiden Bomben eine Wolke aus Rauch und Radionukleotiden erzeugt hatte, die vom Wind über viele Hektar verteilt wurde.

Experten rechnen damit, daß die spanische Atomaufsichtsbehörde ein Verbot des Baus von Gebäuden in dieser kontaminierten Region verhängen wird, ungeachtet dessen daß die CIEMAT-Direktorin Teresa Mendiz gegenüber der spanischen Zeitung "El País" behauptete, es gebe kein Gesundheitsrisiko. Die radioaktive Belastung sei sehr niedrig, man verhänge allein als Vorsichtsmaßnahme ein Bauverbot für jene Gebiete, in denen Americium gefunden worden sei. Ohnehin wiesen nur 4,5 Prozent der untersuchten 6,6 Millionen Quadratmeter Americium-Werte oberhalb der akzeptablen Grenzen auf, so Mendiz.

Solche Zahlen besagen jedoch nicht viel, warnen Umweltschützer. Denn auch wenn nur die nicht-kontaminierten Flächen für den Tourismus freigegeben werden sollen, so könnten durch die Erdbewegungsarbeiten radioaktive Substanzen an die Oberfläche gebracht werden und in die Nahrungskette gelangen oder Personen unmittelbar schädigen.

Die Einwohner von Palomares und Umgebung dagegen wollen von den Thema Kernwaffen nichts mehr wissen und von der regen Bautätigkeit entlang der Mittelmeerküste profitieren. Hier sollen Luxuswohnungen entstehen und Golfplätze angelegt werden. Wer von den Einheimischen über Grund und Boden verfügte (und nicht 2004 von der spanischen Regierung enteignet wurde, da sein Land verseucht war), darf sich über die mittlerweile Verzehnfachung der Bodenpreise binnen weniger Jahre freuen.

3. Juli 2007