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STELLUNGNAHME/289: Elbvertiefung - weiterhin massiver Verstoß gegen Umweltrecht (BUND HH)


BUND-Landesverband Hamburg - 1. Juni 2016

Elbvertiefung: Umweltverbände sehen weiterhin massiven Verstoß gegen Umweltrecht

Mängelrügen des Bundesverwaltungsgericht nicht geheilt / Umweltauswirkungen und Folgen für Sedimentmanagement erheblich


Das Aktionsbündnis Lebendige Tideelbe aus BUND, NABU und WWF hat fristgerecht einen umfangreichen Schriftsatz zum aktuellen Planergänzungsbeschluss der Wasser- und Schifffahrtverwaltung beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Wesentliche Mängel, die das Gericht in seinem Beschluss vom Oktober 2014 gerügt hatte, sind nach Auffassung der Verbände nicht ausgeräumt. Auch die neuen Vorgaben, die sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1.07.2015 zur Auslegung des europäischen Wasserrechts ergeben, werden nur unzureichend abgearbeitet. Damit verstößt die Planung aus Sicht der Verbände weiterhin gegen geltendes Umweltrecht.

"Die Genehmigungsbehörden ignorieren nach wie vor die Vorgaben des Umwelt- und Naturschutzrechts. Auch dieser Planergänzungsbeschluss, der mittlerweile die zehnte Änderung im Verfahren markiert, ändert daran nichts", so die Verbände.

Obwohl im Vergleich zur letzten Elbvertiefung mit knapp 40 Millionen Kubikmetern die dreifache Sedimentmenge aus dem Fluss gebaggert werden soll, kommen die Planfeststellungsbehörden zu dem Ergebnis, dass keine Verschlechterung im Sinne des Wasserrechts zu erwarten sei. Aus Sicht der Umweltverbände verstößt die geplante Elbvertiefung hingegen klar gegen das Verschlechterungsverbot und gegen die Verbesserungspflicht der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Durch das Vorhaben würden u. a. die heute schon schlechten Sauerstoffverhältnisse im Sommer, die Schwankungsbreite der Tidewasserstände, die Strömungsverhältnisse, der Salzeinfluss und damit auch die Lebensbedingungen für Flora und Fauna weiter verschlechtert.

Die dem Planergänzungsbeschluss zugrunde gelegten neuen Untersuchungen zu Brutvögeln, bedrohten Pflanzenarten und Elbfischen können nach Ansicht der Umweltverbände ebenfalls nicht überzeugen. Auch die vom Bundesverwaltungsgericht auferlegte Abgrenzung von Pflichtaufgaben und zusätzlichen Ausgleichsmaßnahmen in EU-Schutzgebieten (Kohärenzsicherungsmaßnahmen) sei nicht haltbar. Viele der vorgeschlagenen Ausgleichsmaßnahmen dürften nicht angerechnet werden, das Vertiefungsvorhaben sei allein deswegen rechtswidrig.

Raute


Hintergrundpapier

Hamburg, 01. Juni 2016

Elbvertiefung verstößt weiterhin massiv gegen Umweltrecht

Die Umweltverbände haben in ihrer Klagebegründung ausführlich vorgetragen, dass die geplante Elbvertiefung erhebliche Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenarten in und entlang der Elbe haben wird. Diese Auswirkungen widersprechen den Schutzbestimmungen der FFH-Gebiete an der Elbe und verstoßen gegen das Verschlechterungsverbot sowie die Verbesserungspflicht der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL).

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom Oktober 2014 wesentliche Mängelrügen festgestellt, die nach Auffassung der Verbände BUND, WWF und NABU nicht ausgeräumt sind. Auch die neuen Vorgaben, die sich aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 01.07.2015 zur Auslegung des europäischen Wasserrechts ergeben, werden nur unzureichend abgearbeitet. Die Eingriffe werden weiterhin bagatellisiert, um die tatsächlichen Umweltbelastungen zu kaschieren.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte zudem in seinem Hinweisbeschluss vom 2. Oktober 2014 gefordert, Pflichtaufgaben von möglichen zusätzlichen Ausgleichsmaßnahmen in EU-Schutzgebieten (Kohärenzsicherungsmaßnahmen) an der Tideelbe systematisch abzugrenzen. Nach Einschätzung der Umweltverbände muss der Großteil der geplanten Kohärenzsicherungsmaßnahmen unabhängig vom Verfahren zur Elbvertiefung von den Behörden umgesetzt werden, um den heute schlechten Zustand der Tideelbe wieder zu verbessern.

Die Planfeststellungsbehörden kommen zu dem Ergebnis, dass die Baggerung von knapp 40 Millionen Kubikmetern Sediment keine Verschlechterung im Sinne des Wasserrechts bedeuten würde. Auf der Basis veralteter Modellrechnungen der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) wird die These aufrechterhalten, es gebe keine beachtenswerten Veränderungen bei Wasserständen, Sedimentation und Strömungsgeschwindigkeiten. Dafür nutzen die Genehmigungsbehörden einen absichtsvoll groben Maßstab, mit dem die tatsächlichen Verschlechterungen am Gewässer vertuscht werden sollen. Diese sind aber nach Auffassung der Verbände bedeutsam und müssten zu einer Ausnahmeprüfung entsprechend des Wasserhaushaltsgesetzes für das rund 800 Mio. teure Vorhaben führen.


Auswirkungen auf Tier- und Pflanzenarten
  • Schädigung der nach europäischem Naturschutzrecht unter Schutz stehenden Fischart Finte u. a. durch Verschlechterung der Sauerstoffsituation im Hauptlaichgebiet. Folge: Erhöhung der Absterberate von Eiern und Larven mit wahrscheinlicher Verringerung des Fortpflanzungserfolges. Darüber hinaus konnten die Umweltverbände Mängel an der methodischen Vorgehensweise und der fachlichen Interpretation im Fintengutachten, auf das sich die Planfeststellungsbehörde stützt, aufzeigen.
  • Verkleinerung des Weltareals der vom Aussterben bedrohten und ausschließlich an der Elbe vorkommenden Pflanzenart Schierlings-Wasserfenchel. Die von der Planfeststellungsbehörde festgesetzten Ausgleichsmaßnahmen für den Schierlings-Wasserfenchel in den Gebieten "Kreetsand" und "Zollenspieker" sind nicht geeignet, die Beeinträchtigungen auszugleichen. Die Gebiete genügen vom Flächenumfang her nicht den Anforderungen, die die EU-Kommission zur Grundlage ihrer Zustimmung zum Vorhaben formuliert hat. Vielmehr müsste der Maßnahmenumfang das 3-fache betragen. Aufgrund der besonderen Schutzstatus der endmischen Art hätte die EU-Kommission erneut beteiligt werden müssen.
  • Fehlende praktische Ermittlung möglicher Auswirkungen durch die ausbaubedingte Zunahme der Überflutungsgefahr auf Vogelnester im Elbvorland (vor allem: Wiesenbrüter wie Rotschenkel, Bekassine, Austernfischer, Sandregenpfeifer). Die Herleitungen der Vorhabensträger sind nicht belastbar, da die Grundannahmen über die jährlichen Aufwuchsraten oder die Sedimentation im Vorland nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Die Neststandorte sind entgegen der üblichen Praxis von Kartierungen gar nicht ermittelt worden.

Unvereinbarkeit mit der EG-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL)
  • Fehlerhafte, in wesentlichen Teilen nicht belastbare und nicht transparente Analyse und Bewertung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Gewässerökologie
  • Weitere Verschlechterung der bereits schlechten Sauerstoffverhältnisse im Sommer
  • Größere Schwankungsbreite der Wasserstände während einer Tidephase
  • Veränderung der Strömungsverhältnisse
  • Zunahme des Salzgehaltes in der Elbe unterhalb von Hamburg Verschlechterung der Lebensbedingungen von Fischen, Kleintieren und der Ufervegetation durch die o.g. vorhabensbedingten Veränderungen
  • Einschränkung der Möglichkeiten für erfolgreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensbedingungen für Tiere und Pflanzen. Dabei muss jedoch gelten: Eine Intensivierung der Nutzung darf nur bei paralleler Verbesserung der ökologischen Gesamtsituation erfolgen.
  • Die Bewertung der Vorhabensträger kann keine solide Grundlage für einen Ausgleich zwischen Wirtschaft und Ökologie darstellen, da negative Auswirkungen durch den Vorhabenträger negiert oder weggewogen werden.

Unvollständige bzw. fehlende Ermittlungsgrundlagen
  • Vom BVerwG gerügte Fehler in der Erstellung der Umweltverträglichkeitsuntersuchung (Grundlagenermittlung für das Erkennen von Umweltauswirkungen) durch den Vorhabenträger sind nicht abgearbeitet:
  • Mangelnde Konsistenz bei der Kartierung der gefährdeten Pflanzenarten. Es fehlen zu kartierende Arten, manche Artengruppen wurden unvollständig oder ohne Grund lediglich exemplarisch ermittelt.
  • Angesichts angeblich mangelnder Relevanz fehlen aktuelle Daten im Tideelbeabschnitt oberhalb des Stromspaltungsgebietes (u. a. NSG Heuckenlock) vollständig. Auswirkungen der Elbvertiefung sind nach Einschätzung des Vorhabenträgers angeblich nicht messbar, wobei Betroffenheit in früheren Stadien des Planungsvorhabens auf der Basis der BAW-Modellierungen bereits anerkannt wurde. Dort wurde ein ausbaubedingter Anstieg des Tidehubs prognostiziert, was eine vorhabensbedingte Beeinträchtigung der Umwelt (u. a. Ufer- und Röhrichtpflanzungen) zur Folge hat.

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Quelle:
Presseinformation, 01.06.2016
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND-Landesverband Hamburg
Lange Reihe 29, 20099 Hamburg
Tel.: 040/600 387-0, Fax: 040/600 387-20
E-Mail: bund.hamburg@bund.net
Internet: www.bund.net/hamburg


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2016

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