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STELLUNGNAHME/261: Atommüll - Das Nationale Entsorgungsprogramm der Bundesregierung (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 682-683 / 29. Jahrgang, 4. Juni 2015 - ISSN 0931-4288

Atommüll

Kritische Stellungnahme zum Nationalen Entsorgungsprogramm der Bundesregierung

von Thomas Dersee


Die EU-Richtlinie 2011/70/EURATOM verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, bis zum 23. August 2015 eine Bestandsaufnahme der abgebrannten Brennelemente und radioaktiven Abfälle zu erheben und ein Nationales Entsorgungsprogramm (NaPro) vorzulegen. Während die "Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfälle" des Deutschen Bundestages in Berlin noch über die dauerhafte Verwahrung der strahlenden Abfälle diskutiert, schafft die Bundesregierung Fakten. Sie hat - wie bereits berichtet - mitten in den Osterferien den Entwurf des nationalen Entsorgungsprogramms zusammen mit einem Umweltbericht veröffentlicht.[1] Bis zum 31. Mai 2015 hatten Behörden und Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, dazu Stellungnahmen und Einwendungen einzureichen. In Zukunft soll alle drei Jahre ein Fortschrittsbericht bei der EU-Kommission eingereicht werden, der jedoch nicht zwingend mit einer weiteren Beteiligung der Öffentlichkeit verbunden ist. Die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V. in Salzgitter hat mit Datum vom 26. Mai 2015 eine ausführliche kritische Stellungnahme und Einwendungen zum Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms der Bundesregierung vorgelegt.[2]

Die Art der Auslegung der Unterlagen behindert eine tatsächliche Öffentlichkeitsbeteiligung

Das Bundesumweltministerium startete die Öffentlichkeitsbeteiligung am 1. April 2015, dem Mittwoch in der Karwoche, mitten in den Osterferien. Eine Voranzeige auf den Beteiligungsprozess fand nicht statt. Auf der Startseite der Ministeriumswebseite findet sich keinerlei Hinweis auf den Beteiligungsprozess. Erst der Pfad Themen/Atomenergie/Nukleare Sicherheit führt schließlich zum ersten Artikel. Ein solches Vorgehen widerspricht einer ernst gemeinten Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an einem Konsultationsprozess und degradiert die Öffentlichkeitsbeteiligung zu einer Alibiveranstaltung, kritisiert die Arbeitsgemeinschaft (AG) Schacht Konrad. Ähnliches konstatiert die AG Schacht Konrad bezüglich der grenzüberschreitenden Öffentlichkeitsbeteiligung. Bürgerinnen und Bürger in den Nachbarländern, die weder Deutsch noch Englisch (Fachvokabular) verstehen, müssen sich in ihrer Muttersprache mit netto 8 ½ Seiten Übersetzung der Zusammenfassung des Umweltberichtes begnügen.

Die ausgelegten Unterlagen sind unvollständig

Öffentlich ausgelegt wurden lediglich der Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms vom 6. Januar 2015 sowie der Umweltbericht vom 27. März 2015 und seine Zusammenfassung im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung zum Nationalen Entsorgungsprogramm. Folge man aber dem Schaubild auf Seite 4 des Nationalen Entsorgungsprogramms, so die AG Schacht Konrad, dann gehören unter das Dach des Programms aber ebenfalls der Bericht für die Überprüfungskonferenz des gemeinsamen Übereinkommens über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle, der Bericht zur Durchführung der Richtlinie 2011/70/EURATOM, das Verzeichnis radioaktiver Abfälle sowie der Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle. Diese Dokumente sind jedoch nicht Teil der ausgelegten Unterlagen. Der Bericht zur Durchführung der Richtlinie 2011/70/EURATOM und der Bericht über Kosten und Finanzierung der Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle sind im Netz gar nicht zu finden.

Der Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms könne auch nicht als Zusammenfassung der anderen Dokumente angesehen werden, meint die AG Schacht Konrad. So führe der "Bericht für die Überprüfungskonferenz des gemeinsamen Übereinkommens über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle" wenigstens ansatzweise Probleme beim Rückbau atomarer Anlagen und beim Umgang mit den radioaktiven Abfällen auf, wenn er auch keine umfassende Problemdarstellung biete. Man finde dort zum Beispiel weder ein Wort zu den verrosteten Fässern in den Kavernen in Brunsbüttel noch den Grund für die Konzeptänderung beim Rückbau des AVR Jülich und die Kontamination des Bodens unter dem Reaktor (S. 105). Der Bericht verweise zumindest an einigen Stellen auf vorhandene Probleme. Diese fänden jedoch im Nationalen Entsorgungsprogramm keinerlei Berücksichtigung.

Wunschvorstellung statt Problembeschreibung

Das Nationale Entsorgungsprogramm verzichtet ebenso wie das Verzeichnis radioaktiver Abfälle auf eine problemorientierte Darstellung, rügt die AG Schacht Konrad weiter. Statt Problembewusstsein erkennen zu lassen, würden Wunschbilder jenseits der Realität gezeichnet. Allenfalls gewünschte Wege und Ziele würden benannt, ohne die Teilschritte und die zu überwindenden Hürden zu problematisieren.

Der tatsächliche Zustand der radioaktiven Abfälle und die damit verbundenen Probleme werden sowohl im Nationalen Entsorgungsprogramm als auch im Verzeichnis radioaktiver Abfälle völlig ausgeblendet, konstatiert die AG Schacht Konrad. Spätestens seit der Meldung des Fundes völlig verrosteter Fässer im Zwischenlager in Brunsbüttel im Jahr 2012 sei das Problem von Korrosion oder anderen Beschädigungen an den Abfallgebinden in den Zwischenlagern bekannt. In Brunsbüttel seien 154 von bisher 573 untersuchten Fässern stark beschädigt. Auch in anderen Zwischenlagern seien solche Beschädigungen aufgetreten. Fast 2.000 beschädigte Fässer entdeckten die Landesaufsichtsbehörden in den letzten Jahren.[3] Von einem "Programm für eine verantwortungsvolle und sichere Entsorgung bestrahlter Brennelemente und radioaktiver Abfälle" müsse aber erwartet werden, dass es ein Konzept für die flächendeckende Untersuchung der zwischengelagerten Abfälle, die Bergung bzw. Sicherung der defekten Behälter und des gegebenenfalls ausgetretenen radioaktiven Inventars sowie für die Verhinderung solcher Vorfälle in Zukunft biete. Als Richtschnur dafür könnte die Empfehlung der Reaktorsicherheitskommission "Sicherheitsanforderung an die längerfristige Zwischenlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle" vom 5. Dezember 2002 dienen, schlägt die AG Schacht Konrad vor.

Die Aussagen zum Endlager Morsleben - drei Zeilen auf Seite 17 - sind noch dürftiger, als im ersten Entwurf des Entsorgungsprogramms vom 11. September 2014. Kein Wort, bemängelt die AG Schacht Konrad, gibt es zu den erheblichen Problemen mit der Standfestigkeit und dem Wasserzutritt im Grubengebäude. Und auch kein Wort dazu, dass in Morsleben ein Radiumfass und radioaktive Strahler eingelagert wurden, für die es keine Endlagergenehmigung gibt und die das Bundesamt für Strahlenschutz trotzdem vor Ort lassen will. Kein Wort darüber, dass es das Bundesamt für Strahlenschutz bisher nicht geschafft hat, einen Langzeitsicherheitsnachweis für Morsleben zu erbringen und dass es höchst zweifelhaft ist, ob das jemals gelingt. Die Aussage "Das Endlager soll stillgelegt und langfristig sicher verschlossen werden" sei vor diesem Hintergrund eine bloße Wunschvorstellung aber kein realistisches "Programm", so die AG Schacht Konrad.

Bereits heute zu erkennende Zeitprobleme werden weitgehend negiert. So zweifelt die AG Schacht Konrad an dem Zeitplan für die Errichtung eines tiefengeologischen Lagers für die wärmeentwickelnden Abfälle, die auch in der Kommission "Lagerung hochradioaktiver Abfälle" diskutiert wurden. Sie werden in dem Programm nicht erwähnt. Auch bezüglich der Einlagerung in Schacht KONRAD seien die Zeitangaben weder validiert noch deckten sie sich mit der bestehenden Genehmigung. Das Nationale Entsorgungsprogramm erinnere an die Entsorgungsberichte der Bundesregierung aus den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Aussagen über die Entsorgung radioaktiver Abfälle erschienen ähnlich wenig konsistent wie damals, als im Entsorgungsbericht von 1983 sowohl die Inbetriebnahme von Schacht KONRAD für 1988 als auch eine Wiederinbetriebnahme der ASSE II für Ende der 1980er Jahre prognostiziert wurden.[4]

Ein subtraktives Entsorgungskonzept verstößt gegen das Minimierungsgebot der Strahlenschutzverordnung

Die Bundesregierung befleißigt sich eines subtraktiven Entsorgungskonzeptes, rügt die AG Schacht Konrad. Bedeutende Partien radioaktiver Abfälle werden wegdefiniert, um die Menge der zu behandelnden Abfälle zu minimieren. Damit setze sie die Bevölkerung einem vermeidbaren Strahlenrisiko aus und verletze das Minimierungsgebot der Strahlenschutzverordnung.

Freigabe: Die Umdefinierung radioaktiver zu konventionellen Abfällen

Mit den Regelungen zur Freigabe radioaktiver Abfälle werden radioaktive zu konventionellen Abfällen umdefiniert, kritisiert die AG Schacht Konrad. Auf Seite 14 des Entwurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms schreibt die Bundesregierung, dass für jeden Leistungsreaktor "ein durchschnittliches Abfallgebindevolumen radioaktiver Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung von rund 5.000 m3 erwartet" wird. Dies ist nur infolge der Verteilung gering strahlender Abfälle auf Hausmülldeponien, in die Umwelt und das Alltagsleben möglich, stellt die AG Schacht Konrad fest. So würden etwa 98 Prozent der Rückbauabfälle zu nicht-radioaktiven Abfällen umdefiniert.

Mit der Novellierung der Strahlenschutzverordnung im Jahr 2001 (modifiziert 2011) wurde die Freigabe radioaktiver Abfälle unterhalb bestimmter Grenzwerte bundeseinheitlich geregelt und signifikant ausgeweitet, wird weiter erklärt. Die Behandlung radioaktiver Abfälle als Wertstoff oder als konventionelle Abfälle führe zu enormen Kosteneinsparungen bei den Anlagenbetreibern. Teure Gebühren für die tiefengeologische Lagerung in einem Atommülllager, die sich zudem nach Volumen und nicht nach eingelagerter Radioaktivität bemessen, entfallen.

Radioaktive Abfälle, die gering kontaminiert sind, werden "freigemessen" und anschließend "freigegeben". Bei einer uneingeschränkten Freigabe gibt es keine Festlegungen bezüglich der künftigen Nutzung, Verwendung, Verwertung, Wiederverwertung oder dem endgültigen Verbleib der Stoffe. Bei einer Freigabe zur Beseitigung müssen die Stoffe auf einer Deponie gelagert oder verbrannt werden.

Bei der Freigabe soll die maximale Individualdosis (effektive Äquivalentdosis) durch eine Freigabepraktik 10 Mikrosievert pro Jahr (µSv/a) und durch die Gesamtheit aller Freigabepraktiken einige 10 µSv/a nicht überschreiten. Bei der Festlegung dieses Grenzwertes wurde das Risiko einer Krebserkrankung durch die Freigaberegelung systematisch unterschätzt. Die Strahlenschutzverordnung fordert für die Freigabe die Einhaltung der Grenzwerte von über 300 verschiedenen Radionukliden. In der Praxis müssen die jedoch nicht einzeln nachgewiesen werden. Es werden nur sogenannte Leitnuklide gemessen und die restlichen nach Plausibilität abgeschätzt.

Es kommt hinzu, dass keine absolute Begrenzung der freigegebenen Mengen aus einer, zwei oder mehreren Atomanlagen besteht. Und es besteht keine Gesamtbilanzierung der Freigabemengen aus allen Anlagen, so dass hierüber nicht gesichert ist, ob das 10 µSv-Konzept eingehalten werden kann. Das wiegt besonders schwer vor dem Hintergrund, dass bei der Festlegung des Freigabekonzeptes nicht mit dem sprunghaften Anstieg der Masse an kontaminierten Materialien infolge der Abschaltung und des Rückbaus der Reaktoren in Deutschland nach der Atomgesetz-Novelle von 2011 gerechnet wurde, beklagt die AG Schacht Konrad.

Eine Freigabe lehnt die AG Schacht Konrad deshalb wegen der Unkontrollierbarkeit des Verbleibs, möglicher Ansammlung von Radionukliden jeder Art in beliebigen Objekten (auch in Dingen des täglichen Umgangs) und auf Deponien und wegen der Erhöhung der Hintergrundstrahlung für die Bevölkerung ab. Stattdessen sei das Konzept einer oberflächennahen, kontrollierten und revidierbaren Lagerung für solche Abfälle zu erwägen.

Sanierung nach Strahlenschutzrecht der DDR: Wegdefinieren der Wismut-Abfälle

Die Anlagen der Wismut in Sachsen und Thüringen tauchen im Nationalen Entsorgungsprogramm der Bundesregierung gar nicht auf, rügt die AG Schacht Konrad. Die SDAG Wismut war bis zum Ende der DDR der viertgrößte Uranproduzent der Welt. Nach Einstellung der Förderung blieben auf circa 3.700 Hektar radioaktiv kontaminierte Halden, Absetzanlagen und Betriebsflächen auf dem Gebiet der Bundesländer Sachsen und Thüringen übrig. Über 300 Millionen Kubikmeter Bergematerial auf circa 48 Halden abgelagert und über 160 Millionen Kubikmeter Schlämme mit radioaktivem Material und anderen Schadstoffen müssen saniert werden. Auch das ist Atommüll, stellt die AG Schacht Konrad richtig fest.

Die Wismut GmbH ist dabei aufgrund des Wismut-Gesetzes vom 31. Dezember 1991 ausschließlich zur Sanierung der Anlagen verpflichtet, die sich am 30. Juni 1990 im Besitz der SDAG Wismut befanden. Das betrifft den Uranabbau in Schlema, Königstein, Pöhla, Dresden-Gittersee und Ronneburg sowie die Uranaufbereitung in Crossen und Seelingstädt. Daneben existieren laut Bundesamt für Strahlenschutz circa 1.900 Altstandorte in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, für die keine Sanierungsverpflichtungen für die Wismut GmbH bestehen. Diese Altstandorte sind meist vor 1962 von der SAG/SDAG Wismut überwiegend unsaniert an die Gebietskörperschaften zurückgegeben worden. Entscheidend für die Sanierungspflicht der Wismut GmbH ist nicht die Höhe der Strahlung vor Ort, sondern die Eigentumsverhältnisse 1990, kritisiert die AG Schacht Konrad. Die Sanierung der anderen Altstandorte ist Aufgabe der Kommunen und Länder. Während Sachsen diverse Standorte saniert, sah die thüringische Landesregierung bisher dafür keine Veranlassung.

Neben diesen Halden und Schlammbecken existierten eine ganze Reihe übertägiger Anlagen zur Uranverarbeitung. Die Abfälle aus diesen Anlagen, die nicht freigemessen werden konnten, wurden seit 1990 in die Halden und Schlammbecken mit eingelagert.[5] Damit werden diese Absetzbecken und Halden zu dauerhaften oberflächennahen Endlagern. Ein Planfeststellungsverfahren, eine formelle Öffentlichkeitsbeteiligung und einen Langzeitsicherheitsnachweis hat es für diese Endlagerprojekte jedoch nie gegeben, kritisiert die AG Schacht Konrad.

Auf die Frage, weshalb es dafür kein Planfeststellungsverfahren gegeben hat, antwortete die Bundesregierung am 27. Dezember 2013, dass für "die Sanierung von Hinterlassenschaften aus früheren Tätigkeiten und Arbeiten sowie auf die Stilllegung und Sanierung der Betriebsanlagen und Betriebsstätten des früheren Uranerzbergbaus auf dem Gebiet der ehemaligen DDR" die Strahlenschutzverordnung der DDR fortgelte: "Es handelt sich daher bei den radioaktiven Stoffen nicht um radioaktive Abfälle im Sinne des Atomgesetzes."[6]

Mit dieser Rechtsauffassung lassen sich die AtommüllProbleme 24 Jahre nach dem Ende der DDR vielleicht juristisch wegdefinieren, erklärt die AG Schacht Konrad, die radiologischen Belastungen, die davon für die Bürgerinnen und Bürger ausgehen, jedoch nicht. Bei einer ehrlichen Bestandsaufnahme dürften die Wismut-Altlasten nicht fehlen.

Leistungsreaktoren werden für den Export der Brennelemente umdefiniert

Das Nationale Entsorgungsprogramm beschreibt den Export bestrahlter Brennelemente aus Leistungsreaktoren als Entsorgungsweg, stellt die AG Schacht Konrad fest. Dazu werden Leistungsreaktoren zu sogenannten Versuchs- oder Demonstrationsreaktoren umbenannt und - fachlich durch nichts begründet - den Forschungsreaktoren gleichgestellt. Die Bundesregierung fasst in der Kategorie der Versuchs- und Demonstrationsreaktoren acht Reaktoren zusammen: Den Heißdampfreaktor Großwelzheim, das Versuchsatomkraftwerk Kahl, das AKW Niederaichbach, den Schnellen Brüter KNK II und den Mehrzweckforschungsreaktor aus Karlsruhe, den Atomantrieb des Schiffs Otto-Hahn, den AVR Jülich und den THT Hamm-Uentrop. Mit Ausnahme des Atomantriebs der Otto-Hahn werden alle diese Reaktoren bislang beim Bundesamt für Strahlenschutz und der Internationalen Atomenergieorganisation als Leistungsreaktoren geführt.

Die Bundesregierung und die Landesregierung Nordrhein-Westfalens erwägen, die abgebrannten Brennelemente aus dem AVR Jülich und dem THTR Hamm-Uentrop zur Wiederaufarbeitung und zum dauerhaften Verbleib in die USA zu exportieren und haben zu diesem Zweck im April 2014 einen "letter of intent" mit der US-Administration unterzeichnet. Weil das für Brennelemente aus Leistungsreaktoren durch das Atomgesetz, das Standortauswahlgesetz und die Abfallverbringungsverordnung verboten ist, wird nun diese Umdefinierung und Gleichsetzung mit Forschungsreaktoren vorgenommen, denn für abgebrannte Brennelemente aus Forschungsreaktoren gelten die Exportverbote nicht.

Das Manöver im Nationalen Entsorgungsprogramm wird umso durchsichtiger, wenn man die Formulierungen aus dem vorgelegten Entwurf mit denen des ersten veröffentlichten Entwurfes vom 11. September 2014 vergleicht, konstatiert die AG Schacht Konrad. Damals hieß es: "Bestrahlte Brennelemente aus Versuchs-, Demonstrations- und Forschungsreaktoren können zur Verwertung ins Herkunftsland des Kernbrennstoffes verbracht werden."[7] Jetzt heißt es: "Bestrahlte Brennelemente aus Versuchs-, Demonstrations- und Forschungsreaktoren können in ein Land, in dem Brennelemente für Forschungsreaktoren bereitgestellt oder hergestellt werden, verbracht werden."[8] Inzwischen scheint auch der Bundesregierung aufgefallen zu sein, dass nur die ersten 30.000 Brennelemente für den AVR Jülich in den USA hergestellt wurden. Die anderen circa 260.000 Brennelemente für den AVR und alle für den THTR Hamm-Uentrop wurden bei der Firma HOBEG in Hanau (Deutschland) gefertigt, merkt die AG Schacht Konrad an.

An keiner Stelle gebe es im Nationalen Entsorgungsprogramm einen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Änderung des Rechtsrahmens, rügt die AG Schacht Konrad. Dies lege den Schluss nahe, dass die Bundesregierung diesen Export im Rahmen der aktuellen Gesetzeslage durchführen will. Das wäre jedoch illegal, konstatiert die AG Schacht Konrad.

Der postulierte "Rückbau bis zur "Grünen Wiese" bis 2045" widerspricht den bisherigen Erfahrungen

Im Nationalen Entsorgungsprogramm wird die Wiederherstellung des "ursprünglichen Zustands in Form der sogenannten "Grünen Wiese"" oder die konventionelle Weiternutzung der Gebäude als Ziel für den Rückbau der Atomanlagen formuliert. Die Bundesregierung geht dabei davon aus, "dass die Beendigung des Rückbaus aller Leistungsreaktoren um das Jahr 2045 erreicht wird."

Abgesehen davon, dass in dem Nationalen Entsorgungsprogramm eine Abwägung zwischen dem Konzept des "sofortigen Rückbaus" und dem "sicheren Einschluss" fehlt, handelt es sich bei den Zielen mehr um Wunschvorstellungen denn um realistische Prognosen. Bisher wurden nur die beiden Leistungsreaktoren, der HDR Großwelzheim und das VAK Kahl bis zur "Grünen Wiese" zurückgebaut, erklärt die AG Schacht Konrad. Beim AKW Niederaichbach seien die Bodenplatten von Reaktor- und Gruftgebäude im Boden verblieben, weil zur vollständigen Beseitigung eine Absenkung des Grundwassers erforderlich gewesen wäre. Die staatlichen Energiewerke Nord, die den Rückbau der Atomkraftwerke in Greifswald und Rheinsberg verantworten, haben im Oktober 2012 einen "Antrag auf Langzeitverwahrung nicht mehr genutzter, innen kontaminierter Gebäude" gestellt. Sie wollen die Gebäude aus Kostengründen nur noch bis zu einem gewissen Grenzwert dekontaminieren und 50 Jahre lang stehenlassen. Für Rheinsberg wird Gleiches geplant, berichtet die AG Schacht Konrad.

Der AVR Reaktor in Jülich, ebenfalls ein Leistungsreaktor, ist infolge schwerer Unfälle so stark kontaminiert, dass er erst in einigen Jahrzehnten zerlegt werden kann. Die kürzlich erfolgte Verschiebung des Reaktors in ein nahe gelegenes Zwischenlager sei zwar ein Trick, um am Ursprungsort eine "Grüne Wiese" herstellen zu können, doch an der Realität, dass der Reaktor noch vorhanden ist - nur 400 Meter weiter weg - und stark strahlt, ändere dies nichts, stellt die AG Schacht Konrad fest.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Rückbau von Atomanlagen zeigen, dass Zeitprognosen mit großen Unsicherheiten behaftet sind. Das AKW Gundremmingen sollte bis 2005 zurückgebaut sein, der MZFR Karlsruhe bis 2006, die KNK Karlsruhe bis 2013; bei allen gibt es Verzögerungen über viele Jahre. Im Betonsockel des AKW Stade wurden unerwartet hohe Kontaminationen entdeckt, so dass sich auch dort der Rückbau verzögern und verteuern wird.

Konsequenzen aus der Aufhebung der Genehmigung für das Standortzwischenlager Brunsbüttel fehlen

Am 19. Juni 2013 erklärte das Oberverwaltungsgericht Schleswig die Genehmigung für das Standortzwischenlager Brunsbüttel als nicht rechtens. Unter anderem sei der Schutz vor gezielten Terrorangriffen sowie dem Absturz eines Airbus A380 nicht ausreichend nachgewiesen worden. Am 8. Januar 2015 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig und damit die Aufhebung der Betriebsgenehmigung. Derzeit lagern die Castor-Behälter auf Grundlage einer atomaufsichtlichen Anordnung des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (MELUR) vom 16. Januar 2015. Sie dürfen bis Anfang 2018 ohne Genehmigung im Standortzwischenlager verbleiben. Bis dahin muss die Betreiberin des Zwischenlagers, Vattenfall, für eine genehmigte Aufbewahrung Sorge tragen.

Die Bundesregierung zieht in ihrem Nationalen Entsorgungsprogramm keinerlei Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, weder für das Standortzwischenlager Brunsbüttel, noch für die anderen, teilweise sogar baugleichen Zwischenlager. Die Bundesregierung verweist an anderer Stelle darauf, dass das Gericht nicht über die Sicherheit, sondern über die Aussagekraft der ihm vorgelegten Unterlagen geurteilt habe. Diese Auffassung der Bundesregierung ändert aber nichts am genehmigungslosen Zustand des Standortzwischenlagers Brunsbüttel und an der Notwendigkeit, Auswirkungen auf das Zwischenlagerkonzept im Nationalen Entsorgungsprogramm zu untersuchen, stellt die AG Schacht Konrad fest.

Es gibt keinen konsistenten Zeitplan für die Lagerung der abgebrannten Brennelemente und Abfälle aus der Wiederaufarbeitung

Das Nationale Entsorgungsprogramm drückt sich vor der Aufstellung eines konkreten Zeitplans für die Aufbewahrung der abgebrannten Brennelemente und Abfälle aus der Wiederaufarbeitung, stellt die AG Schacht Konrad weiter fest. Zwar werde auf Seite 11 festgestellt, dass bis Ende der Aufbewahrungsgenehmigung in den derzeit existierenden Zwischenlagern "eine vollständige Räumung" nicht gewährleistet werden könne und deshalb "derzeit die technischen Voraussetzungen für eine verlängerte Aufbewahrung an den Standorten der Zwischenlager untersucht" würden. Andererseits werde auf Seite 12 auf ein Eingangslager am Endlagerstandort verwiesen, als Voraussetzung, um "mit dem Beginn der Räumung der bestehenden Zwischenlager zu beginnen."

An die Standortauswahl schließt sich das konkrete Genehmigungsverfahren für Errichtung und Betrieb des Endlagers an, das weitere Jahre dauern wird, erklärt die AG Schacht Konrad. Bereits nach Festlegung des Standortes soll ohne vorhandene Endlagergenehmigung an diesem Standort ein sogenanntes "Eingangslager" errichtet werden. Eine solche Errichtung vor der abschließenden Genehmigung führe zu einer Festlegung, die sich analog zur Zwischenlagerung in Gorleben als vorschnell erweisen könne. Letztlich werde der Eindruck erweckt, es handele sich um eine überschaubare Übergangsfrist zwischen dem Auslaufen der Zwischenlagergenehmigungen und der Einlagerung in ein tiefengeologisches Lager. Das entspreche jedoch nicht den zu erwartenden Abläufen. Erstens werde die Realitätstauglichkeit der Zeitplanung für die Errichtung eines Endlagers für insbesondere hochradioaktive Abfälle in Fachkreisen wie auch in der Kommission "Lagerung hochradioaktiver Abfälle" kontrovers diskutiert und teilweise stark angezweifelt. Zweitens könne es vor dem Hintergrund, dass die Entscheidung für ein Einlagerungskonzept noch nicht getroffen ist, auch keine belastbaren Annahmen geben, wie hoch der Durchsatz in der geplanten Konditionierungsanlage und wie schnell der Abfluss in das tiefengeologische Lager sein wird. Die Angabe der Arbeitsgruppe 3 der Kommission "Lagerung hochradioaktiver Abfälle" spricht - je nach Einlagerungskonzept - von einer Dauer bis in das Jahr 2170, bis alle Brennelemente eingelagert sein würden.

Drittens laufen die Genehmigung für das Zwischenlager Gorleben bereits Ende 2034, für das Zwischenlager Ahaus Ende 2036 und für das Zwischenlager Lubmin am 31. Oktober 2039 aus. Auch bei einem "optimalen Verlauf" müsse davon ausgegangen werden, dass das "Eingangslager" erst Jahre nach Ende der Betriebsgenehmigungen dieser Zwischenlager deren Castoren aufnehmen könne, meint die AG Schacht Konrad. Bei den Standortzwischenlagern habe der Zeitraum zwischen Antragstellung und Inbetriebnahme durchwegs sechs bis sieben Jahre betragen. An die Inbetriebnahme des "Eingangslagers" schließe sich die Umlagerung von 113 Behältern aus Gorleben, 328 Behältern aus Ahaus und 74 Castoren aus Lubmin an, was wiederum Jahre dauern würde.

Die Genehmigungen für die Standortzwischenlager enden zwischen dem 9. Dezember 2042 und dem 17. Juni 2047. Das hat sicherheitstechnische Gründe, da die Dichtheit der Castoren bei einer weiteren Lagerung in Frage steht, erklärt die AG Schacht Konrad. An den Standorten Ahaus und Lubmin gebe es ebenso wie bei den Standortzwischenlagern keine heiße Zelle, in der Castoren geprüft und gegebenenfalls repariert werden könnten.

Laut Umweltbericht (S. 61) soll das "Eingangslager" etwa 500 Stellplätze vorhalten. Gleichzeitig stellt die Bundesregierung fest, dass bis zum Jahr 2027 alle in Leistungsreaktoren eingesetzten Brennelemente in insgesamt etwa 1.100 Behälter verbracht worden seien. Dazu kommen noch 291 Behälter aus der Wiederaufarbeitung. In dieser Rechnung nicht dabei sind die Behälter für die bestrahlten Brennelemente aus Versuchs-, Demonstrations- und Forschungsreaktoren, die die Bundesregierung gerne gesondert betrachten und möglichst exportieren will. Bei diesen Zahlen ist es eine einfache Rechnung, dass viele Behälter noch Jahre nach dem derzeitigen Genehmigungsende in den jetzigen Zwischenlagern verbleiben werden, stellt die AG Schacht Konrad fest.

Sowohl die angedachte Dimensionierung des "Eingangslagers", als auch die absehbare Lagerzeit der Behälter in diesem Lager überschreiten die Funktion, die ein Eingangslager zu erfüllen hat. Es handele sich dabei um ein zentrales Zwischenlager, das voraussichtlich über mehrere Jahrzehnte voll belegt sein würde, prophezeit die AG Schacht Konrad. Dies müsse bei der Konzipierung und den Sicherheitsbetrachtungen berücksichtigt werden. Gleichzeitig könne dieses zentrale Zwischenlager bei der im Umweltbericht zugrunde gelegten Dimensionierung aber gar nicht alle in den betreffenden Zeiträumen anfallenden Behälter aufnehmen. Die Frage bleibe offen, wo die restlichen circa 891 Behälter plus abgebrannte Brennelemente aus Versuchs-, Demonstrationsund Forschungsreaktoren sicher gelagert werden sollen.

Das Zwei-EndlagerKonzept entbehrt der fachlichen Begründung

Die Bundesregierung stellt im Nationalen Entsorgungskonzept fest, dass sie "plant, alle Arten radioaktiver Abfälle an zwei Standorten in Endlagern in tiefen geologischen Formationen einzulagern. Dazu wird Schacht KONRAD derzeit zu einem Endlager für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung umgerüstet. Der Standort eines Endlagers für insbesondere Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle wird durch ein Auswahlverfahren festgelegt" (Seite 5).

Bemerkenswert, so die AG Schacht Konrad, ist die Unbestimmtheit der verwendeten Formulierungen. Sie ließen einerseits theoretisch den Schluss zu, dass KONRAD zwar derzeit für Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung umgerüstet wird, jedoch Planungen für die Einlagerung aller Arten radioaktiver Abfälle möglich wären. Hier würde eine definitive Formulierung, die unmissverständlich klarstellt, dass Wärme entwickelnde Abfälle nicht in KONRAD eingelagert werden können, weiterhelfen, meint die AG Schacht Konrad.

Ist dies (hoffentlich) nur ein semantisches Problem, so versteckt sich hinter der Formulierung zum zweiten Standort ein fachliches Problem. Erstens stellt sich die Frage der Bedeutung von "insbesondere" in diesem Zusammenhang, stellt die AG Schacht Konrad fest. Diese Formulierung vermittele den Eindruck, weiteren Partien einzulagernder radioaktiver Abfälle könnten vernachlässigt werden. Tatsächlich könne sich das "insbesondere" alleine auf die Menge der Radioaktivität beziehen. Betrachte man das Volumen, so handele es sich bei den angesprochenen Partien Müll um etwa das Zehnfache der Abfälle mit Wärmeentwicklung, stellt die AG Schacht Konrad fest.

Zweitens werden die Probleme, die von den Eigenschaften der zusätzlich einzulagernden Abfälle ausgehen, völlig ausgeblendet. Diese Abfälle sind inhomogen und unterliegen biologischen, physikalischen und chemischen Prozessen, die zu unerwünschten Entwicklungen in einem tiefengeologischen Lager führen können. Das Bundeswirtschaftsministerium schreibt in seiner Broschüre "Endlagerung hochradioaktiver Abfälle in Deutschland" zur Lagerung von Abfällen mit vernachlässigbarer und solchen mit nicht vernachlässigbarer Wärmeentwicklung: "Die verschiedenen physikalisch-chemischen Eigenschaften dieser zwei unterschiedlichen Abfallkategorien stellen unterschiedliche Anforderungen an ihre Endlagerung in tiefen geologischen Formationen. In Deutschland wird daher das so genannte ZweiEndlager-Konzept verfolgt, d.h. die Endlagerung der zwei Abfallkategorien in getrennten Endlagern in verschiedenen Endlagerformationen." (2008, S. 11)

Die Debatte um die gemeinsame Lagerung aller Arten radioaktiver Abfälle an einem Standort ist alt. Die Bundesregierung hatte sie für sich entschieden. Eine Abkehr von dieser Entscheidung bedarf zumindest einer umfassenden fachlichen Debatte und einer neuen Sicherheitsbetrachtung auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik. Sie einfach so nebenbei im Nationalen Entsorgungsprogramm zu treffen, nur weil es erhebliche Partien radioaktiver Abfälle gibt, die man bei den Planungen vergessen oder verdrängt hat, ist dem Problem nicht angemessen, rügt die AG Schacht Konrad. Ansonsten dränge sich der Verdacht auf, dass die Propagierung des Zwei-Endlager-Konzeptes in der Vergangenheit allein auf die vorhandene Genehmigung für die Lagerung eines Teils des Atommülls in Schacht KONRAD zurückzuführen sei und nur der pseudowissenschaftlichen Legitimierung des eingeschlagenen Vorgehens diene.

Einerseits drängt sich die Frage nach der fachlichen und ökonomischen Legitimierung von zwei Standorten für tiefengeologische Lager auf, wenn alle Arten radioaktiver Abfälle gemeinsam an einem Standort gelagert werden könnten. Andererseits ist jedoch auch nicht zu begründen, weshalb sich das Nationale Entsorgungsprogramm ohne Not auf zwei Standorte beschränkt. Es sei durchaus denkbar, dass beide Alternativen (Erweiterung von Schacht Konrad, gemeinsame Lagerung mit hochradioaktiven Abfällen) aus sicherheitstechnischen und genehmigungsrechtlichen Gründen nicht zu realisieren sind, meint die AG Schacht Konrad. Spätestens dann müsste nach einem weiteren Standort gesucht werden. Ein nationales Entsorgungsprogramm, das sich nicht voluntaristisch sondern rationalsystematisch der Lagerung der radioaktiven Abfälle in Deutschland widmen würde, müsste diese Variante mit abwägen.

Das Projekt Schacht KONRAD muss gestoppt statt erweitert werden

Das Nationale Entsorgungsprogramm beruft sich auf die Rechtskraft des Planfeststellungsbeschlusses für Schacht KONRAD. Es ignoriert, dass grundlegende Eckpfeiler des Projektes KONRAD, wie die Lagerung in einem Gewinnungsbergwerk, Lagerung in einem Rohstoffvorkommen, Lagerung in wasserführenden Schichten, nicht dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen und nicht heilbar sind, kritisiert die AG Schacht Konrad. Ein solcher Abschlag bei der Sicherheit der Bevölkerung im Vergleich zu neuen Projekten sei nicht zu rechtfertigen. Deshalb müsse das Projekt KONRAD gestoppt werden.

Die Bundesregierung wolle Schacht KONRAD auf der Basis des Planfeststellungsbeschlusses in Betrieb nehmen und danach möglichst viele weitere Partien Atommüll dort unterbringen. Sie ignoriere, dass der Langzeitsicherheitsnachweis für Schacht KONRAD fest an das vorgesehene Einlagerungsinventar gebunden und dieses nicht beliebig erweiterbar ist. Berufe man sich auf die Legitimierung des Projektes durch den Planfeststellungsbeschluss, müsse man vor der Inbetriebnahme einen neuen Langzeitsicherheitsnachweis auf Basis des gesamten geplanten Inventars erstellen.

Die grundlegenden Sicherheitsberechnungen für Schacht KONRAD stammen aus den 1980er Jahren. Damals gab es keine ausreichenden Rechnerkapazitäten, um komplexe hydrogeologische Modelle zu berechnen. Auch geologische Untersuchungsmethoden wie eine 3 D-Reflexionsseismik waren unbekannt. Es wurden viel zu wenige Naturdaten erhoben. So gibt es bis heute kein Grundwasserfließmodell für KONRAD, das validiert ist. Die Sicherheitsberechnungen entsprechen in keiner Weise mehr dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik, stellt die AG Schacht Konrad fest.

Durch Änderungen bei der Konditionierung (Kompaktierung) der radioaktiven Abfälle, werden die genehmigten Werte für die Gebinde und Einlagerungskammern ausgeschöpft, erklärt die AG Schacht Konrad. Dies widerspreche den Annahmen bei den Sicherheitsbetrachtungen vor 25 Jahren. Damals sei man davon ausgegangen, dass das Inventar eines Gebindes deutlich unterhalb der genehmigten Werte liegt und es deshalb noch einen Sicherheitsspielraum zwischen den Störfallberechnungen und den tatsächlichen Auswirkungen eines Störfalles geben würde. Diese sogenannte "konservative" Betrachtung sei durch die neuen Kompaktierungsmethoden hinfällig, sei aber bisher nicht angepaßt worden.

Durch die Kompaktierung der Abfälle steige zudem die untertägige Gasentwicklung durch Korrosionsprozesse. Diese starke Gasbildung wurde als Antriebsmechanismus für den Austritt von Radioaktivität über alte Bohrungen oder nicht betrachtete Wegsamkeiten bisher nicht ausreichend untersucht.

Der Umweltbericht zum Nationalen Entsorgungsprogramm stellt ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko durch erhöhte Radonkonzentrationen fest (Seite 47f.). Gleichzeitig geht er davon aus, dass sich Abwetterschächte eines Bergwerks nicht in der Nähe von Wohnbebauungen befinden. Zwischen KONRAD 1 und KONRAD 2 befindet sich jedoch Salzgitter-Bleckenstedt, KONRAD 2 befindet sich auf dem Gelände der Stahlwerke mit Tausenden von Beschäftigten.

Der Standort KONRAD ist deshalb nach sozialen Kriterien schlecht gewählt, rügt die AG Schacht Konrad. Er liegt in einem Ballungsgebiet mit etwa einer Million Einwohnerinnen und Einwohner. Die Böden der BraunschweigHildesheimer Lössbörde gehören zu den fruchtbarsten in Deutschland. Der Einlagerungsschacht befindet sich auf dem Gelände der Stahlwerke der Salzgitter AG. Im Umkreis von 5 Kilometern sind durch mögliche Unfälle beim Transport oder Einlagerungsbetrieb etwa 25.000 Industriearbeitsplätze bedroht.

Die Bundesregierung ignoriere zudem die Zeitprobleme bei den gering wärmeentwickelnden Abfällen. Die wasserrechtliche Erlaubnis für die Einlagerung radioaktiver Abfälle in Schacht KONRAD ist bis 2047 begrenzt, nämlich auf 40 Jahre nach Eintreten der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses, erläutert die AG Schacht Konrad. Diese Bestandskraft bestehe seit der Zurückweisung des Revisionsbegehrens der Kläger gegen das Projekt KONRAD durch das Bundesverwaltungsgericht am 26. März 2007. Das Nationale Entsorgungsprogramm ignoriere diese Befristung und spreche auf Seite 15 davon, "dass der Einlagerungsbetrieb für das planfestgestellte Abfallvolumen von 303.000 m3 40 Jahre nicht überschreiten soll". Sollte Schacht KONRAD tatsächlich wie gegenwärtig geplant 2022 in Betrieb gehen, erlaube die derzeitige Rechtslage jedoch nur eine 25jährige Einlagerungszeit. Das Entsorgungsprogramm müsste also von einer maximal 25jährigen Einlagerungszeit ausgehen. Dann aber fehlen jegliche Hinweise darauf, wie es gelingen soll, die Menge von 303.000 Kubikmeter in dieser Zeit in den Schacht zu verbringen. Oder die Bundesregierung plant bereits jetzt, nach Inbetriebnahme, wenn nach derzeit geltender Rechtslage die Zuständigkeit für die Erteilung wasserrechtlicher Erlaubnisse und Bewilligungen auf das Bundesamt für kerntechnische Entsorgung übergegangen ist, sich die Verlängerung der wasserrechtlichen Erlaubnis selbst zu genehmigen.[9] Aber auch dann fehlt hierzu jeglicher Hinweis im Entsorgungsprogramm, stellt die AG Schacht Konrad fest.

Der konkrete Nachweis, dass der Schutz Dritter nach dem geltenden Stand von Wissenschaft und Technik sichergestellt wird, muss nicht erst zum Ende des Endlagerbetriebes (wie es auf Seite 16 des Nationalen Entsorgungsprogramms heißt), sondern dem Planfeststellungsbeschluß zufolge vor Inbetriebnahme im Rahmen der Gesamt-Abnahmeprüfung geführt werden, merkt die AG Schacht Konrad an.

Die Erfahrungen aus dem Desaster in der ASSE II und die jetzigen Probleme bei der Rückholung der Abfälle zeigen, dass eine nicht-rückholbare Lagerung im Falle unvorhergesehener Schadenseintritte kontraproduktiv ist, erklärt die AG Schacht Konrad. Der Verzicht auf ein gesondertes behördliches Kontrollund Überwachungsprogramm und auf eine Rückholbarkeit bzw. Bergbarkeit der Abfälle sei deshalb nicht zu verantworten.

Die Rückholung des Mülls aus der ASSE II muss beschleunigt werden

Im Nationalen Entsorgungsprogramm wird festgestellt, dass nach aktuellen Planungen mit der Rückholung des Mülls aus der Asse II erst 2033 begonnen werden könne, ein früherer Beginn jedoch angestrebt werde. Seit Jahren wird das Projekt der Rückholung des Mülls aus der ASSE II nicht mit dem notwendigen Impetus verfolgt, um eine tatsächliche Beschleunigung zu erreichen, rügt die AG Schacht Konrad.

Bereits 2010 habe der Asse-IIKoordinationskreis darauf hingewiesen, dass die vorgeschaltete Faktenerhebung, also die Probebohrung in eine Kammer zum Erkenntnisgewinn, verlorene Zeit sei, denn allgemeine Erkenntnisse könnten auch bei Beginn der Bergung gewonnen werden und spezielle Erkenntnisse seien nicht von einer Kammer auf eine andere übertragbar. Jetzt, im Frühjahr 2015, gab das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bekannt, dass es die vorgeschaltete Faktenerhebung einstellen werde, weil die Erkenntnisse schwierig zu übertragen seien.

Das BfS setzt für das Errichten von Schacht 5, dem Schacht, über den die Abfälle geborgen werden sollen, einen Zeitbedarf von 18 Jahren an, der sachlich nicht fundiert und ohne Beispiel ist. Ein realistischer Zeitbedarf liegt im Vergleich zu anderen Schachtbauvorhaben bei fünf bis sechs Jahren, findet die AG Schacht Konrad.

Sollte die Bundesregierung tatsächlich an einer Beschleunigung der Rückholung der Abfälle aus der ASSE II interessiert sein, wäre eine wichtige Maßnahme die Einsetzung eines kompetenten Projektmanagers, schlägt die AG Schacht Konrad vor. Es fehle jeglicher Hinweis im Nationalen Entsorgungsprogramm, dass die Bundesregierung Erkenntnisse und Konsequenzen aus den desaströsen Erfahrungen mit den Versuchen der nichtrückholbaren, tiefengeologischen Lagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland -ASSE II und Morsleben - gezogen hat.

Die Öffentlichkeitsbeteiligung ist mangelhaft

Das Problem der mangelhaften Öffentlichkeitsbeteiligung begann bereits vor der Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes, konstatiert die AG Schacht Konrad. Zugunsten eines kurzfristigen und überhasteten Parteienkonsenses sei auf eine breite gesellschaftliche Debatte vor der Verabschiedung der gesetzlichen Festlegungen für eine Standortsuche verzichtet worden. Im zweiten Schritt sei dann die notwendige gesellschaftliche Debatte in eine parteipolitisch zusammengesetzte Kommission verlegt worden. Und im dritten Schritt ersetzten nun unverbindliche Bürgerdialoge, Bürgerversammlungen, Internetplattformen und Bürgerbüros die Rechte der Bürgerinnen und Bürger in einem Planfeststellungsverfahren. Nach der Standortentscheidung unterliege das eigentliche Vorhaben nicht mehr einem Planfeststellungsverfahren, sondern einem Genehmigungsverfahren, in dem nur noch betroffene Bürgerinnen und Bürger (i.d.R. AnwohnerInnen) und Behörden Rechte haben.

Völlig zur Farce gerieten die Ausführungen über die Beteiligung der Öffentlichkeit, wenn auf Seite 20 auf die Informationsangebote der Betreiber von Atomanlagen verwiesen wird. Information und Beteiligung seien zwei völlig unterschiedliche Vorgänge und es sei entlarvend, wenn die Bundesregierung eine top-down-Information mit einem Beteiligungsprozess gleichsetzt.

Informationen der Betreiber seien zudem schwerlich als neutral anzusehen. Da sei es schon bemerkenswert, dass die Bundesregierung auf deren Informationen verweist, ohne auf diejenigen von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen hinzuweisen, stellt die AG Schacht Konrad fest.

Die Öffentlichkeitsbeteiligung zu diesem Nationalen Entsorgungsprogramm gebe einen Vorgeschmack auf die Ernsthaftigkeit, mit der das Bundesumweltministerium (BMUB) solche Beteiligungen von Bürgerinnen und Bürgern durchführt: Auslegung in den Osterferien, Versteckte Hinweise auf der BMUB-Webseite, unvollständige Auslegung von Unterlagen.

Ohne eine breite gesellschaftliche Diskussion und ohne einen Beteiligungsprozess, der den Betroffenen entscheidungsrelevante Rechte einräumt und der in seinem Ausgang offen ist, werden die Konflikte der letzten Jahrzehnte um Gorleben und Schacht KONRAD an anderer Stelle erneut in der gleichen Heftigkeit ausbrechen, prophezeit die AG Schacht Konrad.

Die Finanzierung der Kosten ist nicht gesichert

Auch das Kapitel Kosten und Finanzierung entbehrt jeglichen Hinweises, mit welchen Kosten denn tatsächlich gerechnet werden muss und wie sicher gestellt wird, dass die privaten Betreiber ihrer Verpflichtung nach Kostenübernahme tatsächlich vollumfänglich gerecht werden, kritisiert die AG Schacht Konrad abschließend. Dies verwundere umso mehr, als es bereits seit einigen Monaten eine intensive Debatte um die verschiedenen Versuche der atomkraftwerksbetreibenden Energieversorgungsunternehmen gibt, die eigene Kostenbelastung zu begrenzen, von der Drohgebärde der Schadenersatzforderungen für die vorzeitige Stilllegung, die verrechnet werden müssten, über die Vorschläge zur Überführung der Atomkraftwerke in einen öffentlichrechtlichen Fonds bis hin zur Ausgliederung der Atom- und Kohlestromproduktion bei E.ON als Vorbereitung auf eine Schadensbegrenzung für den Gesamtkonzern. Der jüngste Vorstoß von RWE, eine Belastung der Braunkohleverstromung würde dazu führen, dass die EntsorgungsRückstellung, die erst verdient werden müssten, nicht zur Verfügung stehen würden, konnte dem Zeitablauf zufolge nicht im Entwurf des Entsorgungsprogramms vom 6. Januar 2015 aufgenommen werden. Er ist jedoch ein deutlicher Hinweis, dass es bestenfalls naiv ist, wenn die Bundesregierung diese drohende Sozialisierung privater Kosten nicht zur Kenntnis nimmt und keine Maßnahmen dagegen einleitet. Die völlige Ignoranz gegenüber diesem Problem im Nationalen Entsorgungsprogramm lässt allerdings fürchten, dass die Bundesregierung hier auf Seiten der Konzerne und nicht der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler steht, meint die AG Schacht Konrad.

Die Bundesregierung müsse jetzt handeln und eine sukzessive Überführung der Entsorgungsrückstellungen in die öffentliche Hand einleiten, ohne gleichzeitig die Atomkraftwerke mit zu übernehmen und ohne die Betreiber damit aus ihrer Verpflichtung für die vollumfängliche Kostenübernahme für Stilllegung und Rückbau von Atomanlagen und die Lagerung radioaktiver Abfälle und bestrahlter Brennelemente zu entlassen.

Fazit

Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Entwurf die Chance vertan, mit dem Nationalen Entsorgungsprogramms einen Schritt weiter in der gesellschaftlichen Debatte um den verantwortbaren Umgang mit Atommüll zu gehen, rügt die AG Schacht Konrad. Die völlige Ignoranz gegenüber jeglichen Problemen erinnere an die Herangehensweise vergangener Regierungen im vorigen Jahrhundert. Genauso, wie diese an der Problem- und Fehlerverdrängung gescheitert sind, werde die jetzige Bundesregierung daran scheitern, da sie von den Realitäten schlicht eingeholt werden wird. Für die Gesellschaft sei diese verlorene Zeit in Richtung einer möglichst sicheren Verwahrung der strahlenden Hinterlassenschaften der Atomenergienutzung fatal - zumal gleichzeitig Weichen gestellt werden, die später kaum mehr zu revidieren sind. Ein "Neufang in der Atommülldebatte", wie er noch vor einem Jahr propagiert wurde, sieht tatsächlich anders aus.


[1] Nationales Entsorgungsprogramm, Stand 6.1.2015
http://www.atommuellreport.de/fileadmin/Dateien/pdf/Pdf_Entsorgungspolitik/NaPro_Entwurf_06._Januar_2015.pdf
Umweltbericht zum Nationalen Entsorgungsprogramm vom 27.3.2015
http://www.atommuellreport.de/fileadmin/Dateien/pdf/Pdf_Entsorgungspolitik/nationales_entsorgungsprogramm_sup_umweltbericht_bf.pdf
Kurzfassung des Umweltberichts
http://www.atommuellreport.de/fileadmin/Dateien/pdf/Pdf_Entsorgungspolitik/nationales_entsorgungsprogramm_sup_zusammenfassung_bf.pdf

[2] Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad e.V.: Stellungnahme und Einwendungen zum Entwurf des Nationalen Entsorgungsprogramms vom 6. Januar 2015, Salzgitter, 26.05.2015, für den geschäftsführenden Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V. gez. Karl-Ludwig Wasmus
http://www.atommuellreport.de/fileadmin/Dateien/pdf/Pdf_Entsorgungspolitik/NaProStellungnahme_Arbeitsgemeinschaft_Schacht_Konrad.pdf

[3] NDR, 18.11.2014

[4] Bundestags-Drucksache 10/327

[5] Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie "20 Jahre Wismut GmbH - Sanieren für die Zukunft", März 2011

[6] Bundestags-Drucksache 18/243

[7] Entwurf NaPro 11.9.14 S. 5 u. 7

[8] Entwurf NaPro 6.1.15 S. 5 u. 11

[9] AtG §23d in Verbindung mit §58 (6)


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
http://www.strahlentelex.de/Stx_15_682-683_S05-12.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juni 2015, Seite 5-12
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
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Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
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Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2015

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