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STELLUNGNAHME/109: IPPNW fordert sofortigen Stopp der Atomtransporte (IPPNW)


IPPNW - 13. Juni 2013
Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

IPPNW fordert sofortigen Stopp der Atomtransporte
Stellungnahme der Hamburger IPPNW vom 13.6.2013

Beinah-Katastrophe mit Uranhexafluorid am 1. Mai in Hamburg
Ständig Atomtransporte trotz Abschaltung von Atomkraftwerken



Anlässlich der heutigen Debatte in der Hamburger Bürgerschaft und vor dem Hintergrund des Brandes auf dem Atomfrachter "Atlantic Cartier" am 1. Mai fordert die Regionalgruppe der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW den sofortigen Stopp aller Atomtransporte. Nach Ansicht von IPPNW-Arzt Matthias Plieninger ist es wegen des Risikos von Freisetzungen "ein Skandal, dass regelmäßig radioaktives Material im Hamburger Hafen umgeschlagen wird."

Allein 2012 waren es 117 Atomtransporte. Das Problem sei, dass die Transporte mit dem Beschluss zum Atomausstieg nicht abnehmen und auch nach dem Abschalten des letzten deutschen Atomkraftwerks weitergehen würden. "Denn Absender und Empfänger sind neben vielen internationalen Bestimmungsorten in Deutschland die Urananreicherungsanlage Gronau und die Brennelementefabrik Lingen, die für internationale Kunden produziert. Deren Kapazitäten wurde sogar noch ausgebaut", kritisiert Plieninger.

Zwar stehe der Hamburger Senat hinter dem Beschluss, aus der Atomenergie auszusteigen, so Plieninger. Durch ihre Beteiligung an der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und an Hapag Lloyd profitiere die Stadt Hamburg aber an den Atomtransporten. "Deshalb ist es kein Wunder, dass der Senat nicht daran denkt, den Hafen für Atomtransporte zu sperren, wie das Bremen wenigstens teilweise beschlossen hat."

Die IPPNW weist mit großer Sorge auf die Gefahren hin, die durch die Atomtransporte im Hamburger Hafen, aber auch quer durch die Stadt und über Autobahnen und Eisenbahnen zu den westdeutschen Atomanlagen fortwährend entstehen. Sie fordert eine Sperrung des Hamburger und der anderen deutschen Häfen für Atomtransporte sowie ein Ende der Transporte radioaktiver Stoffe zu Land.

Hintergrund:
Am 1. Mai war Auftakt des Kirchentags in Hamburg. 35.000 Menschen versammelten sich am nördlichen Elbufer. Gleichzeitig brach 1200 m entfernt im Hafen ein Brand auf dem Frachter "Atlantic Cartier" aus. Der Frachter, der regelmäßig Uranhexafluorid (UF6) transportiert, hatte eine brisante Fracht geladen: 70 Autos (von denen 30 verbrannt sind), 20 t Container mit radioaktivem Material, darunter Behälter mit Uranhexafluorid, 2,2 t Brennstäbe, angereichertes Uranoxid, 180 t Ethanol, 3,8 t funktionsfähige Patronen und Raketenbrennstoff und weitere brennbare Stoffe. Durch die Hitze entstanden Farbblasen an der Außenwand, die Temperatur an Deck betrug 200 Grad.

Erst drei Stunden nach Eintreffen der Feuerwehr gelang es, die radioaktive Fracht mit einem Kran von Bord zu schaffen. Bis dahin durfte nicht mit Wasser gelöscht werden, weil Uranhexafluorid bei Kontakt mit Wasser (oder auch nur Wasserdampf) die extrem ätzende Flusssäure entwickelt. Erst nach 15 Stunden war der Brand gelöscht.

Die Öffentlichkeit erfuhr erst 14 Tage nach dem Ereignis von der brisanten Fracht. Die vom Hamburger Senat veröffentlichte Liste der geladenen Güter nannte 9 t Uranhexafluorid als gefährlichsten Teil der radioaktiven Ladung. Die Behälter für UF6 müssen 30 Minuten einer Temperatur von 800 Grad standhalten. Wenn sie platzen und das Material mit Wasser in Berührung kommt, entsteht Flusssäure, die stärkste bekannte Säure. Sie kann Haut und Schleimhäute extrem verätzen und eigeatmet zum Lungenödem und zum Tod führen. UF6 ist nicht nur ätzend, sondern auch radioaktiv mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren. Wenn es in den Körper gelangt, kann es Krebs auslösen. Zudem ist Uran ein sehr giftiger Stoff, der toxisch auf Leber und Niere wirkt.

Die zuerst genannten Mengen UF6 hätten - durch eine Explosion verteilt - noch in 1000 m Entfernung Menschen in Lebensgefahr bringen können. Die Stadtteile Veddel und Wilhelmsburg sind zum Teil nur 600 m entfernt und wären vom herrschenden Wind betroffen gewesen.

Erst vor Kurzem wurde mitgeteilt, dass die UF6-Behälter weitgehend geleert gewesen seien, sie hätten insgesamt nur 10,3 kg enthalten. Dennoch: Die Atlantic Cartier und andere Atom-Frachter transportieren mit jeder zweiten Fahrt volle Behälter, das zunächst genannte Szenario war insofern realistisch.

Der Senat hatte erklärt, dass im Fall einer Explosion mit großflächiger Ausbreitung des UF6 eine Evakuierung der Kirchentagsbesucher oder von Stadtteilen unmöglich gewesen sei.


Die IPPNW ist eine berufsbezogene, friedenspolitische Organisation, die 1981 von einer Gruppe von Ärzten aus den USA und Russland gegründet wurde. Ihre Überzeugung: Als Arzt hat man eine besondere Verpfl ichtung zu sozialer Verantwortung. Daraus entstand eine weltweite Bewegung, die 1984 den UNESCO-Friedenspreis und 1985 den Friedensnobelpreis erhielt. Heute setzen sich Mediziner und Medizinerinnen der IPPNW in über 60 Ländern auf allen fünf Kontinenten für eine friedliche, atomtechnologiefreie und menschenwürdige Welt ein.

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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - vom 13.06.2013
Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung
des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Juni 2013