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STANDPUNKT/1200: Nachhaltig mobil - Verkehrspolitik reformieren (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 2/2020
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Verkehrspolitik reformieren
Nachhaltig mobil

von Werner Reh und Josephine Michalke


Mobil sein, ohne die Umwelt und unsere natürlichen Ressourcen übermäßig zu belasten - so bewahren wir unsere Lebensgrundlagen. Das ist die Bedeutung von »nachhaltiger Mobilität«.


Nachhaltig mobil sein - was heißt das konkret? In der Nähe einkaufen können, statt weit entfernt in Einkaufszentren der Peripherie. Gemüse und Obst der Region genießen, passend zur Jahreszeit und auf kurzen Wegen angeliefert. Das Internet nutzen, um Verkehr zu vermeiden: Geschäfts- und Tagungsreisen durch Videokonferenzen ersetzen, und das tägliche Pendeln durch häufigeres Homeoffice.

Mehr Mobilität mit weniger Verkehr heißt vor allem: nähere Ziele wählen, zu Fuß gehen und - anstelle des eigenen Autos - das Fahrrad und den Nahverkehr, Mitfahrgelegenheiten oder Carsharing nutzen. All das hat aber Voraussetzungen: attraktive Fußwege, sichere und komfortable Radwege, gute Nahverkehrsangebote, innovative Mobilitätsdienstleistungen, schnelles Internet. Die deutsche Verkehrspolitik hat hier bisher kläglich versagt. Schlimmer: Die Bundesregierung will diese Mobilitätswende noch heute nicht.

Wie alle seine bayerischen Vorgänger fördert auch Verkehrsminister Scheuer nach Kräften das Wachstum des Straßen- und Luftverkehrs. Wirklich mobiler sind wir dadurch nicht geworden. Stattdessen stieg die Zahl der Autos und der darin zurückgelegten Kilometer. Die Folge: mehr Staus auf den Straßen und ein Verkehrskollaps in vielen Städten.

Bis heute baut die Politik dem selbst entfachten Wachstum hinterher und befeuert damit einen Teufelskreis: Neue Straßen ziehen neuen Verkehr an. Die Wege werden länger und machen weitere Straßen nötig.

Sieben Schritte sind aus Sicht des BUND wesentlich für die Mobilitätswende:

1. ÖKOLOGISCHE WAHRHEIT SAGEN
Neue, effizientere Technik und neue Straßen führen meist zu Rebound-Effekten: Einsparungen wie der Zeitgewinn dank neuer Straßen werden teilweise oder sogar ganz aufgefressen, wenn die gewonnene Zeit in längere Wege »re-investiert« wird. Deshalb brauchen wir Preise, die die ökologische Wahrheit sagen. Der BUND fordert: Wer das Klima schädigt, dem sollten die Kosten - 180 Euro pro Tonne CO2 - schrittweise bis 2030 angelastet werden. So würde der Liter Sprit um maximal 45 Cent teurer.

Die Mehreinnahmen sollten über einen einheitlichen Öko-Bonus an die Bevölkerung zurückfließen. Das schafft soziale Gerechtigkeit: Die oberen Einkommen, die dreimal mehr CO2 im Verkehr ausstoßen als die unteren, zahlen drauf. Niedrige Einkommen profitieren.

2. CO2-AUSSTOSS AUF NULL SENKEN
Priorität muss darauf liegen, den Verkehr insgesamt zu verringern. Um das 1,5°-Klimaziel zu erreichen, muss der CO2-Ausstoß des verbleibenden Verkehrs noch vor 2035 auf Null gesenkt werden. Züge, Straßen- und U-Bahnen sowie Busse können schon viel früher CO2-frei werden. Bei Pkw ist die direkte Stromnutzung in Elektroautos weit effizienter und kostengünstiger als Brennstoffzellen und synthetische Kraftstoffe.

Vorgaben aber benötigen wir, damit die E-Autos effizienter und die Batterien recyclingfähiger werden. Um sie mit ausschließlich grünem Strom versorgen zu können, müssen wir Sonnen- und Windenergie dringend naturverträglich ausbauen. Die Bundesregierung verfolgt auch hier einen Irrweg: Sie will riesige Mengen synthetischer Kraftstoffe aus Nahost und Nordafrika einführen.

3. STADTVERKEHR SELBST PLANEN
Eine Stadt der kurzen Wege ist in den kompakten deutschen Städten gut möglich. Die Kombination aus Nahverkehr, Rad- und Fußverkehr (der »Umweltverbund«) muss aber attraktiver werden. Ausländische Städte zeigen, wie es geht: Kopenhagen beim Rad- und Wien beim Nahverkehr (mit einem 365-Euro-Jahresticket). Zürich verlagert seit Jahrzehnten den Parkraum zugunsten des Umweltverbundes.

In Deutschland blockieren sich Bund und Länder. Wir brauchen einen Wettbewerb der Kommunen um die besten Mobilitäts- und Klimakonzepte; und eine Rekommunalisierung der Verkehrsplanung schon in mittelgroßen Städten. Über ein Jahrzehnt sollte ein Bundesfonds mit jährlich zehn Milliarden Euro nachhaltige Mobilitätskonzepte fördern. Geld gibt es nur bei einer guten Bürgerbeteiligung.

Im ländlichen Raum müssen die Mobilitätsangebote gebündelt und für alle geöffnet werden - einschließlich privater, betrieblicher oder veranstaltungsbezogener Mitnahmemöglichkeiten auf digitalen Plattformen. Der BUND schlägt vor, dafür drei Jahre lang in allen 300 Landkreisen Mobilitätsmanager*innen aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Mit der Streichung von nur vier Ortsumfahrungen im Bundesverkehrswegeplan stünde dafür genug Geld bereit.

4. DIGITALISIERUNG NUTZEN
Mobilität kann auch virtuell erfolgen, per digitaler Kommunikation. Der große Vorteil digitaler Plattformen und Apps ist, dass sie nutzerzentriert arbeiten und sämtliche Verkehrsmittel in Echtzeit vernetzen können. Videokonferenzen können viele Flüge, das Homeoffice kann vieles Pendeln ersetzen. Und mit dem Motto »Nutzen statt besitzen« werden Privatautos unnötig: durch Autoteilen, Carsharing oder die Bildung von Fahrgemeinschaften.

Eine kluge Kombination aller Verkehrsmittel ist in den Städten meist heute schon schneller, kostengünstiger und definitiv sauberer als Autofahrten. Ziel muss es sein, beim Teilen von Autos, bei Taxis oder neuen Mobilitätsdiensten mehrere Fahrgäste pro Auto zu transportieren. Die Mobilitäts-App der Stadt Vilnius zeigt, wie alle Verkehrsmittel in Echtzeit kombinierbar sind.

Entscheidend ist, welche Interessen hinter solchen Plattformen stehen. Großkonzerne wie Google, Apple und Amazon wollen durch »autonomes Fahren« in privaten Pkw zu mehr Autofahrten anreizen und mehr Pkw auf die Straßen bringen - was riesige, energiefressende Rechnerleistungen bedingt. Der BUND fordert deshalb von Großkonzernen unabhängige und am Gemeinwohl orientierte Plattformen aufzubauen. Auch die Stadtwerke oder Nahverkehrsunternehmen müssen zu Anbietern werden können, etwa mit selbstfahrenden Kleinbussen auf eigenen Spuren.

5. INTEGRIERT PLANEN
Der Güterverkehr muss auf die Schiene: Mit gezielten Investitionen kann der Anteil des Schienengüterverkehrs verdoppelt werden. Damit lassen sich 8 bis 10 Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen. Geld muss in die richtige Infrastruktur fließen: Die völlig überlasteten Verkehrsknoten und die Güterkorridore müssen ausgebaut und zusätzliche Anlagen für den Umschlag der Güter errichtet werden. Viel Transitverkehr durch Deutschland könnte vermieden werden, wenn Mittelmeerhäfen und Seeschiffe besser genutzt werden.

Im Personenverkehr ist das Gebot der Stunde der Deutschland-Takt: Fernzüge fahren in einem Takt von 30 oder 60 Minuten, die regionalen Fahrpläne sind bundesweit aufeinander abgestimmt. Fahrgäste kommen so einfacher, bequemer und schneller an ihr Ziel, und das bestehende Schienennetz wird besser ausgenutzt.

Die Bundesregierung will dagegen alle Verkehrsträger parallel ausbauen und hat nicht den Mut, Prioritäten zu setzen.

6. MEHR STATT WENIGER BETEILIGEN
Gute Beteiligung und Mitgestaltungsangebote sind eigentlich eine demokratische Selbstverständlichkeit. Sie müssen rechtzeitig, ergebnisoffen und auf Augenhöhe erfolgen, also im Dialog. Mit ihren Gesetzen zur »Planungsbeschleunigung« aber schränkt die Bundesregierung unsere Beteiligungsrechte ein. Damit höhlt sie auch die gerichtliche Kontrolle der Verwaltungen aus. Klima- und naturzerstörende Straßenprojekte werden als alternativlos erklärt und sollen gegen Widerstände vor Ort verwirklicht werden.

Immerhin beteiligt die Deutsche Bahn gut an ihren Projekten. Sie prüft die Alternativen gründlich und setzt sie auch um.

7. NEUE MOBILITÄTSKULTUR
Eine nachhaltige Mobilität erreichen wir nicht alleine dadurch, dass sich die Politik um eine bessere Infrastruktur, Technik oder Effizienz kümmert. Hinzukommen muss eine Änderung unserer Mobilitätskultur. Wir alle können unseren ökologischen Fußabdruck auf ein verträgliches Maß verringern - indem wir kurze Wege wählen für Einkauf und Freizeit, Flüge und Fahrten durch Videokonferenzen ersetzen oder die Alternativen zum eigenen Auto nutzen. Ein solch umwelt- und ressourcenverträgliches Verhalten wirkt sofort und steigert die Lebensqualität.

Klar ist aber auch: Dieser »suffiziente« Lebensstil muss durch gute Mobilitätsangebote gestützt werden. Noch aber orientiert sich die Bundesregierung am Leitbild des wachsenden Verkehrs. Keinen der genannten sieben Schritte für eine Wende zu nachhaltiger Mobilität will sie ernsthaft gehen. Damit steuert sie Deutschland auf einen klima- und verkehrspolitischen Holzweg. Nur gründliche Reformen machen unsere Mobilität zukunftsfähig.


Werner Reh ist designierter Sprecher des BUND-Arbeitskreises Verkehr.

Josephine Michalke ist die stellvertretende Sprecherin des Arbeitskreises.

WWW.BUND.NET/MOBILITAET

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Quelle:
BUND MAGAZIN 2/2020, Seite 12 - 14
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2020

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