BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
An die Medien - 6. Mai 2019
Hintergrund: Artensterben Oberrhein
Heute wird die IPBES, der UN-Weltrat für biologische Vielfalt, seinen neuen Report veröffentlichen. Das ist Grund genug das Thema auch auf der regionalen Ebene darzustellen.
Die Ursachen für das große globale und regionale Artensterben und für den Klimawandel sind vielfältig und doch lassen sie sich zu einem Bild zusammenfügen. Wir leben in einer Zeit der global organisierten Gier und einer Endzeit exponentiellen wirtschaftlichen Wachstums im begrenzten System Erde und verwandeln die vielfältige Welt in eine große einheitliche Fabrik. In eine Agrar-Fabrik, eine Fabrik-Fabrik, eine Konsum-Fabrik und eine Wohn-Fabrik, in der zunehmend übersättigte Menschen immer unzufriedener werden. Wir zerstören die Erde für dummen Überkonsum und der Rest der Welt will genauso verschwenderisch leben wie wir. Die meisten der angebotenen Problemlösungsansätze von Politik und Medien sind "putzig" angesichts der Dimension der Probleme. In Friedenszeiten werden in Deutschland die Rüstungsausgaben auf 85 Milliarden Euro (85.000.000.000) verdoppelt und die Überlebensausgaben (Artensterben, Klimakatastrophe) werden vernachlässigt.
Die Artenvielfalt ist nicht nur in Europa und in weit entfernten,
exotischen Ländern bedroht,
sondern auch hier vor unserer Haustür, am Oberrhein, in Südbaden und
im Elsass. Darum wollen wir Ihre Aufmerksamkeit auch auf bedrohte
Feldlerchen und Rebhühner, auf den vom Aussterben bedrohten großen
Brachvogel und den Kiebitz lenken, auf die Verrummelung der Natur am
Feldberg und im Taubergießen, auf die Gefährdung der
Naturschutzaspekte des Integrierten Rheinprogramms und auf das
aktuelle, klimabedingte Waldsterben. Raubbau an Natur und Umwelt,
insbesondere durch Agrargifte und den enormen Flächenverbrauch war und
ist immer auch ein Thema in der so genannten "Ökoregion" am Südlichen
Oberrhein und die Probleme nehmen massiv zu.
Der Schwarzwald mit seinen Vorbergen,
die Vogesen, der Kaiserstuhl, die Rheinauen, die Elzwiesen und das
elsässische Ried: Manche Gebiete am Oberrhein gehören zu den schönsten
und wertvollsten Naturlandschaften Europas, mit einer faszinierenden
und reichhaltigen Flora und Fauna.
Die letzten Jahrzehnte
waren keine gute Zeit für die Artenvielfalt am Oberrhein, in Südbaden
und im Elsass. Die größten Landschaftszerstörungen gab und gibt es
insbesondere in der Rheinebene. Durch den Druck der Globalisierung auf
die immer noch kleinräumige, südbadische Landwirtschaft werden die
Naturflächen kleiner und zerstückelt, Bäume und Hecken werden weniger.
Flächenverbrauch, Zersiedelung und Verscheußlichung der Landschaft
haben massiv zugenommen und gehen ungebremst weiter. Dazu kommen immer
neue Straßen, der klimaschädliche Autobahnausbau und auch die geplante
neue Bahntrasse wird massive Naturverluste bringen, die auch durch
sogenannte "Ausgleichsmaßnahmen" nicht kompensiert werden können. Der
menschengemachte Klimawandel zerstört im Elsass und in Baden die
Wälder. Während an anderen Stellen der Republik die Bevölkerung
bereits abnimmt, hält der Flächenverbrauch in der Region zwischen
Schwarzwald und Vogesen an. Durch die Metropolregion Oberrhein und die
Wucherungswünsche der Politik werden sich die Probleme noch
verstärken.
Die Tendenz zur industriellen Landwirtschaft
führt in Südbaden zu einer zunehmenden, großflächigen Maismonokultur.
Wo früher eine artenreiche Acker-, Wiesen- und Streuobstlandschaft
war, steht heute häufig giftgeduschter Mais. Viele der in der
Landwirtschaft eingesetzten Spritzmittel und Gifte sind ein Grund für
den massiven Rückgang der Artenvielfalt auf Ackerböden und in deren
Umgebung. Erschreckend ist die Fernwirkung von Gift und Dünger, bis in
weit entfernte Naturschutzgebiete hinein. Wir leben in Zeiten, in
denen es den Bienen in den Städten besser geht als auf dem Land.
Vogelsterben
Feldlerche und Rebhuhn, Grauammer und Wachtel, einst häufige Arten in
der Agrarlandschaft, sind in vielen Gebieten der Rheinebene bereits
verschwunden. Der große Brachvogel und der Kiebitz stehen hier vor dem
Aussterben und die Bestände des Feldhasen gehen drastisch zurück. Die
Insektenvergiftung führt zum Vogelsterben und nicht nur Schwalben
hungern.
Besserung ist nicht in Sicht, die monotone Maissteppe und intensive Sonderkulturen dringen immer weiter in die Täler des Schwarzwalds und des Kaiserstuhls vor. Unsere Landwirtschaft konkurriert auf einem globalisierten Agrarmarkt im Rahmen des Freihandels mit Ländern wie Kanada. Eine immer noch erfreulich kleinräumige Landwirtschaft, z.B. in Südbaden, konkurriert auf dem gleichen Markt wie die giftdominierte, großindustrielle Landwirtschaft in den USA. Wenn nur noch der Preis und die Ideologie des "freien Marktes" zählen, dann haben Insekten, Vögel, Hecken, aber auch die Mehrzahl der Landwirte selber keine Chancen. Die Naturschutzbewegung ist nicht der Feind der Landwirtschaft, sondern die potentiell Verbündete einer naturnäheren, giftärmeren, nachhaltigen und somit auch moderneren und zukunftsorientierten Landwirtschaft.
Auch in südbadischen Gärten wird wieder heftig "gegiftet"
Die aktuelle Buchsbaumzünzler-Bekämpfung in den Gärten wird häufig mit
Neonicotinoiden durchgeführt. Zur Zeit gibt es in vielen Gärten wieder
richtige "Gift-Orgien" wie in den sechziger Jahren des letzten
Jahrhunderts. Auch die "Versteinerung" der Gärten nimmt zu.
•Natur und Naturschutzgebiete
am Oberrhein sind einer immer stärkeren Kommerzialisierung und
Verwertung ausgesetzt. Natur ist für viele Lokalpolitiker nur gut,
wenn sie auch viel Geld bringt und vermarktbar ist. Das führt zu einer
zunehmenden "Verrummelung" der wertvollsten Gebiete. Gerade der
Feldberg und das Naturschutzgebiet Taubergießen sind besonders stark
betroffen. Der Griff des Europaparks nach dem Taubergießen, die
Seilbahnpläne und die Unterwürfigkeit von Behörden und Politik
gegenüber dem mächtigen Park zeigen dies überdeutlich.
• Wiesen und Weiden
Die beginnende weltweite Energiekrise und der damit verbundene
Energiehunger beeinflusst auch die Wiesen und Weiden am Oberrhein. In
der Rheinebene wurden immer mehr Wiesen umgebrochen und durch eine
Maiswüste für Energiemais ersetzt. Im Schwarzwald werden immer mehr
Wiesen totgedüngt, um möglichst viel Gras für die Biogasanlagen zu
erzeugen. Dieser Zerstörungsprozess bedroht alle Arten, die lebendige,
vielfältige Wiesen brauchen.
• Insektensterben, auch in den Naturschutzgebieten am
Kaiserstuhl
"Ich untersuche die Tag- und Nachtfalter in der Oberrheinebene
seit 30 Jahren regelmäßig und sowohl die Artenzahlen als auch die
Faltermengen gehen insgesamt stark zurück. Es fällt auf, dass auch
Wiesen, die selbst nicht zerstört wurden, aber in der Agrarlandschaft
unmittelbar den Randeinflüssen der gespritzten Kulturen ausgesetzt
sind, nur noch von wandernden Faltern besucht werden. Wiesen im Wald
sind oft noch nicht so betroffen. Die bunten Wiesen der
Hochwasserdämme in der Aue sind vom Wald abgeschirmt und geschützt und
darum immer noch Falter-reich. Im Kaiserstuhl haben sich einige Arten
nur noch in den windgeschützten Tälern gehalten. Da wundert man sich
natürlich nicht, dass neben Schmetterlingen und anderen Insekten auch
Singvögel und Fledermäuse selten werden." sagt Jörg-Uwe Meineke,
Schmetterlingsexperte und ehemaliger Leiter des Referats für
Naturschutz und Landschaftspflege im Regierungspräsidium Freiburg
• Amphibien
Das globale Amphibiensterben hat auch den Oberrhein erreicht. Die
Bestandszahlen einheimischer Amphibien sind rückläufig.
• Elz, Dreisam, Glotter, Kinzig, Rench, Schutter...
In der Vergangenheit wurden die meisten Mittel- und Unterläufe
unserer Bäche und Flüsse zu geradegestreckten, kanalisierten,
naturfernen Kanälen umgebaut. Die landschaftsprägenden Gewässer
unserer Heimat könnten durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch
Dammrückverlegungen, ökologisch aufgewertet, renaturiert und zu grünen
Bändern werden, die Rheinauen und Schwarzwald natürlich verbinden.
Hier gibt es -auch durch Druck des BUND- erste, kleine Fortschritte,
doch leider auch Widerstand gegen sinnvolle Projekte.
• Gefährdetes Naturschutzgebiet Taubergießen
Der Oberrheinausbau von 1960-1970 hat das Naturschutzgebiet stark
verändert und die Hauptwassermenge wurde zur Stromgewinnung über einen
Seitenkanal mit Staustufe abgeführt. Abgetrennt von Rhein und
Leopoldskanal lag der Taubergießen jahrzehntelang abgesperrt von der
dynamischen Kraft des Hochwassers. Sinnvollerweise wurden an einigen
Stellen des Leopoldskanals die Dämme abgesenkt und neue Dynamik kam
ins Naturschutzgebiet. Doch politischer Druck hat dazu geführt, dass
die Dämme, gegen jede ökologische Vernunft, wieder erhöht wurden.
• Debatte von Schein- und Nischenproblemen
In vielen Bereichen werden auch am Oberrhein in Sachen Umwelt &
Naturschutz industriegelenkte Schein- und Nischendebatten geführt.
Über die jährlich ca. 100.000 von Windrädern getöteten Vögel in
Deutschland wird interessengeleitet viel berichtet. Doch alleine an
Glasscheiben sterben 18 Millionen Vögel jährlich. Von der Hauptursache
des Vogelsterbens, dem giftverursachten Insektensterben, wird mit
diesen gut organisierten Nischendebatten gezielt abgelenkt. Der
Klimawandel wird das Artensterben massiv beschleunigen und nicht der
Ausbau der zukunftsfähigen Energiequellen. Immer mehr
"Bürgerinitiativen" verfolgen mit vorgeschobenen Naturschutzargumenten
teilweise vollkommen andere Ziele.
Natürlich werden auch am Oberrhein neue Naturschutzgebiete
ausgewiesen.
Der 28. November 2013 war ein guter Tag für Natur, Umwelt und Baden
Württemberg. Der Landtag von Baden-Württemberg beschloss mit 71 zu 63
Stimmen endlich das Gesetz zur Errichtung eines Nationalparks
Schwarzwald. FDP und CDU stimmten gegen Natur und Nationalpark.
Gemeinsam mit Sägern, Jägern und Bürgerinitiativen und vorgeschobenen
"Naturschutzargumenten" hatten sie den Nationalpark massiv bekämpft.
Doch während kleine Naturschutzgebiete (manchmal) unter öffentlichem
Beifall eingeweiht werden, verschwinden gleichzeitig wesentlich
größere Flächen unter Beton und Asphalt. Fahren Sie einmal mit offenen
Augen auf der B3 von Offenburg nach Freiburg: Es entsteht ein
durchgängiger, gesichtsloser Siedlungsbrei. Auf der Gesamtstrecke von
68 km bleiben zwischen 50,3 km Siedlungsflächen nur noch 17,7 km
Freiraum.
Gerade auch am Oberrhein gilt: "Der Naturschutz arbeitet am kleinen Detail, die Naturzerstörer arbeiten am großen Ganzen".
Die Vogelstimmen werden weniger, die
Klingeltöne der Handys nehmen zu.
Es scheint weltweit ein Nivellierungsprinzip zu geben, nach dem die wertvollen, einzigartigen Landschaften so lange vermarktet werden, bis aus Schönheit Mittelmaß (oder weniger) wird.
Nur in wenigen Bereichen am Oberrhein, in Südbaden und im Elsass gibt es positive Entwicklungen. Wir freuen uns über den erkämpften Nationalpark Nordschwarzwald, die Rückkehr der Lachse und der Biber, die Wildkatzen am Kaiserstuhl und die langsam anlaufenden Renaturierungsmaßnahmen an Elz, Dreisam und Kinzig. Zu den regionalen Gewinnern der vergangenen Jahre gehören auch Bienenfresser, Wiedehopf, Zaunammer, Alpensegler, Storch, Steinkauz, Wanderfalke und Graureiher. Das kompensiert aber nicht ansatzweise die großen Verluste.
Die Hauptprobleme, Flächenverbrauch und die Vergiftung der Natur durch Agrargifte, werden nur in winzigen Nischen symbolhaft angegangen. Viel zu zaghaft werden Naturschutzgebiete ausgewiesen und kleine Teilstücke der kanalisierten Flüsse und Bäche renaturiert. Wir freuen uns, dass 2017 das Biosphärengebiet Schwarzwald von der UNESCO anerkannt wurde. Doch uns ist aufgefallen, dass bei den Feierlichkeiten und den offiziellen Reden das Wort "Natur" fast nicht vorkam.
Zunehmende Verrummelung
bedroht auch die letzten Naturschutzgebiete. Das abschreckendste
Beispiel für die Verrummelung naturnaher Gebiete am Oberrhein ist der
schönste Berg des Schwarzwaldes, der Feldberg. Der Erholungsdruck
nimmt massiv zu und die Feldbergisierung des Schwarzwaldes schreitet
voran. Oder besuchen Sie einmal an einem schönen Wochenende das
Naturschutzgebiet Taubergießen oder den inneren Kaiserstuhl...
Ordnung & Sauberkeit contra "wilde" Natur
Bei vielen großen Konfliktthemen im Naturschutz am Oberrhein und im
Schwarzwald schimmert immer wieder eine deutsche Urangst hervor. Es
ist die große Angst vor Veränderung und Unordnung. Das beginnt im
Kleinen, beim sauber auf- und ausgeräumten Garten, in dem kein Vogel
mehr einen Brutplatz findet. Es geht weiter mit der auf- und
ausgeräumten Kulturlandschaft, wo Hochstammbäume und Hecken in der
Maissteppe nichts mehr zu suchen haben. Ein Wald, der sich "ungeplant
und nicht von Menschen gesteuert" verändert, eine neu entstandene
Kiesbank nach einem Hochwasser im Taubergießen... solche Veränderungen
oder gar "Wildnis" lösen tiefsitzende Ängste aus. Ein "aufgeräumter,
sauberer" Schwarzwald, versteinert Vorgärten und eine zugemaiste Ebene
sind dann die Ergebnisse solchen Denkens.
Um die letzten und wertvollsten Gebiete und Arten zu erhalten müssten eigentlich immer mehr "Rühr-mich-nicht-an"-Schutzgebiete ausgewiesen werden. Es gibt ein unauflösbares Dilemma zwischen der Notwendigkeit, die bedrohten Arten zu schützen und dem Wunsch, Menschen an die Natur heranzuführen. Ein großes Problem bei zu wenigen naturnahen Gebieten ist die übertriebene Kommerzialisierung aller Lebensbereiche und damit auch des "Naturerlebens". Der beginnende Profi-Paddeltourismus in den Rheinauen ist nur ein Beispiel für diese Entwicklung.
Noch finden sich am Oberrhein einzigartige und wertvolle Naturlandschaften mit seltenen, manchmal stark gefährdeten Tieren und Pflanzen. Dass Wiedehopf, Storch, Smaragdeidechse und Küchenschelle am Oberrhein vorkommen, ist nicht zuletzt das Verdienst ehrenamtlichen Engagements und einer engagierten, politisch leider geschwächten Naturschutzverwaltung. Jahr für Jahr kommen tausende Menschen an den Kaiserstuhl, um den farbenprächtigen Bienenfresser, die Gottesanbeterin und seltene Orchideen zu bewundern.
Wir wollen aufzeigen,
dass Artenvielfalt und Schutz der Natur immer auch dem Menschen
nützen. Zersiedelung, Flächenverbrauch, Verlärmung, Monokulturen und
Natur- und Umweltzerstörung bedeuten eben nicht nur Verlust von
Artenvielfalt, sondern auch Verlust an Lebensqualität. Das
Artensterben kann nicht losgelöst von unserer globalen
Raubbauwirtschaft betrachtet werden. Wir wollen Vielfalt statt Einfalt
und Biodiversität statt Monokultur. Angesichts der Dramatik der
Situation dürfen wir uns nicht mit den von der Politik angebotenen
Nischen und Spielwiesen zufrieden geben.
Der Naturschutz muss
- nicht nur in Baden und im Elsass -
kreativer und kämpferischer werden!
Unser Dank geht an die Menschen, die sich im Naturschutz engagieren. An Naturschützerinnen und Naturschützer in Verbänden und Vereinen, aber auch in den Naturschutzbehörden. An alle, die mit Sense, Spaten, Rechen, Ziege, Spende, Leserbrief und Computer dazu beitragen, dass die Natur am Oberrhein auch für die Zukunft erhalten bleibt.
Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer
Hintergrund: Artensterben Oberrhein
http://www.mitwelt.org/artensterben-oberrhein-suedbaden-elsass.html
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Quelle:
Mitteilung an die Medien vom 06.05.2019
Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein
Wilhelmstr. 24a, 79098 Freiburg
Tel.: 0761/30383, Fax: 0761/23582
E-Mail: bund.freiburg@bund.net
Internet: www.bund-freiburg.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2019
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