Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LEBENSRÄUME

VIELFALT/034: Nachhaltige Nutzung und indigene Völker (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010
2010 Entscheidungsjahr für die Biologische Vielfalt

Nachhaltige Nutzung und indigene Völker
Schutz und Nutzen gewohnheitsrechtlicher Praktiken für die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt

Von Sabine Schielmann


Obwohl die "nachhaltige Nutzung der Bestandteile der biologischen Vielfalt" das zweite Ziel der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) darstellt, zeigen Erfahrungsberichte, dass nicht-nachhaltige Nutzung in vielen Bereichen nach wie vor eine der Hauptursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt ist. Artikel 10 der Konvention nennt die wichtigsten Schritte, welche die Unterzeichnerstaaten zur Förderung der nachhaltigen Nutzung unternehmen sollen. Artikel 10 c) fordert die Anerkennung der gewohnheitsrechtlichen nachhaltigen Nutzungspraktiken indigener Völker und lokaler Gemeinden, die einen wesentlichen Beitrag zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt und ihrer Bestandteile leisten. Ein vermehrtes Verständnis und entschiedenere Berücksichtigung dieser Praktiken wäre ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des zweiten Ziels der CBD.

Nachhaltige Nutzung, die Umsetzung des Artikels 10 und der Addis Abeba Prinzipien und Richtlinien (AAPG - Addis Ababa Principles and Guidelines) für die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt sind Schwerpunktthemen auf der kommenden Sitzung des SBSTTA in Nairobi sowie auf der 10. Vertragsstaatenkonferenz der CBD in Japan. Das CBD-Sekretariat hat nach der Durchsicht von nationalen Berichten und freiwilligen Beiträgen festgestellt, dass nicht-nachhaltige Nutzung als wesentliche Ursache für den Verlust der biologischen Vielfalt weiterhin besteht. "Nachhaltige Nutzung" ist zwar als Ziel in allen Arbeitsprogrammen der Konvention und als Element in den meisten nationalen Biodiversitäts-Strategien integriert, dennoch finden sich insbesondere in Wirtschaftsbereichen wie der Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei, die stark auf biologische Vielfalt angewiesen sind bzw. direkte Auswirkungen auf diese haben, nicht-nachhaltige Nutzungspraktiken.[1] Einige der Gründe hierfür sind mangelnde Wertschätzung der Ökosystem-Dienstleistungen, Mangel an politischem Willen, gesundheitsschädliche oder perverse Anreize, mangelnde Einbeziehung der biologischen Vielfalt in alle Wirtschaftsbereiche sowie die unzureichende Umsetzung des Ökosystem-Ansatzes.

Ein Teil des Problems scheint eine unnatürliche Trennung zwischen Schutz und Nutzung, zwischen geschützten und ungeschützten Bestandteilen der biologischen Vielfalt zu sein, die sowohl Nutzungs- als auch Erhaltungskonzepten zugrunde liegt. Wünschenswert ist eine integrative und ausgewogenere Herangehensweise an nachhaltige Nutzung und Erhaltung, wie dies auch im Grundsatz 10 des Ökosystem-Ansatzes gefordert wird. Unser aller Leben hängt von der biologischen Vielfalt und den Ökosystem-Dienstleistungen ab und so sind wir alle Nutzer der biologischen Vielfalt; und obwohl wir uns nicht alle als Naturschützer engagieren können, so können wir doch bewusst, verantwortungsvoll und nachhaltig nutzen und damit unseren Beitrag zum Biodiversitätsschutz leisten. (In diesem Zusammenhang weisen die AAPG darauf hin, dass nachhaltige Nutzung ein wertvolles Instrument zur Erhaltung der biologischen Vielfalt ist und umgekehrt kann es ohne effektive Schutzmaßnahmen keine nachhaltige Nutzung geben.[2])


Artikel 10c) und der Ökosystem-Ansatz

Der Ökosystem-Ansatz als eine Strategie für integriertes Biodiversitäts-Management sollte deutlicher als Orientierungsrahmen für eine ausgewogene Umsetzung der drei Ziele der CBD genutzt werden. Das traditionelle Umwelt-Management indigener Völker und lokaler Gemeinschaften ist dem Ökosystem-Ansatz sehr nah und ihre gewohnheitsrechtliche Nutzung hat eine Menge Potenzial für die Nachhaltigkeit der biologischen Vielfalt.[3] Artikel 10c) der CBD erkennt dies an und ruft die Vertragsstaaten auf:

"...die herkömmliche Nutzung biologischer Ressourcen im Einklang mit traditionellen Kulturverfahren, die mit den Erfordernissen der Erhaltung oder nachhaltigen Nutzung vereinbar sind, [zu] schützen und fördern;...".

Die deutsche Übersetzung von "customary" in Artikel 10c) mit "herkömmlich" hört sich an, als ob es sich um "übliche" und "gewöhnliche" Nutzung und eher altmodische, unwissenschaftliche und technisch wenig entwickelte Nutzungspraktiken handelt. Jedoch sind gewohnheitsrechtliche Praktiken eng verbunden mit traditionellem Wissen, und ebenso wie dieses sind sie komplex, dynamisch und werden ständig an die Veränderungen in der Umwelt angepasst. Daher sind sie bestens geeignet für adaptives Umwelt-Management, das von zentraler Bedeutung für den Ökosystem-Ansatz ist. Die gemeinsamen traditionellen Praktiken von Menschen einer bestimmten Gruppe und/oder Region dienen der Regulierung des gleichberechtigten Zugangs zu den Ressourcen und dem Schutz lokaler Ressourcen vor Übernutzung. Darüber hinaus sind sie in lokale Glaubens-Systeme und Kosmologien eingebettet und werden von langjährigen Regeln und Normen geleitet, so dass sie die Kraft und Gültigkeit von Gesetzen besitzen. Darum erscheint "gewohnheitsrechtlich" als geeignetere Übersetzung von "customary". Zum Beispiel beinhaltet das Gewohnheitsrecht der Wapichan aus Guyana Normen und Überzeugungen, welche die "vernünftige" Nutzung von Land und natürlichen Ressourcen fördert. Es enthält Regeln gegen Übernutzung und verurteilt Verschwendung. Traditionelle Praktiken fördern die selektive Ressourcennutzung und den Fruchtwechsel, um das Nachwachsen und die Regeneration zu ermöglichen.[4]


Potential und Bedrohungen gewohnheitsrechtlicher Praktiken

Die gewohnheitsrechtlichen Praktiken indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zur Kontrolle, Nutzung und Bewirtschaftung von Land und natürlichen Ressourcen finden in allen Gebieten in denen indigene Völker leben Anwendung, d.h. auf rund 20% der Erdoberfläche. Terrestrische Schutzgebiete machen im Vergleich dazu nur etwa 12% aus. Gewohnheitsrechtliche Systeme haben sich über Jahrhunderte als effizient im Sinne einer nachhaltigen Nutzung und Erhaltung der biologischen Vielfalt erwiesen. Dies wird deutlich, wenn wir die Gebiete der Erde mit der reichsten biologischen Vielfalt mit den Lebensgebieten indigener Völker vergleichen und viele Überschneidungen finden. Die traditionelle Praxis der Kayapo im Amazonasbecken z.B., Waldinseln in der Savanne anzulegen, die wie Wildnis erscheinen, dient nicht nur dem Erhalt der biologischen Vielfalt sondern bereichert diese sogar.[5]

Allerdings werden die gewohnheitsrechtlichen Nutzungssysteme indigener Völker nicht angemessen berücksichtigt, weder im Rahmen der CBD-Verhandlungen über nachhaltige Waldwirtschaft oder die Errichtung und das Management von Schutzgebieten, noch in der Diskussion von REDD+ im Rahmen des UNFCCC-Prozesses. Es gibt eine Tendenz, das Rad bei der Konzeption und Entwicklung von nachhaltigen Praktiken neu zu erfinden, statt von den gewohnheitsrechtlichen nachhaltigen Nutzungspraktiken indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zu lernen und diese als positive Praxis-Beispiele und Richtlinien heranzuziehen. Die Karen in Thailand zum Beispiel betreiben Wanderfeldbau, bei dem die landwirtschaftlichen Flächen nach sorgfältiger Prüfung einer Reihe von Faktoren ausgewählt werden. Handelt es sich beispielsweise um einen tabuisierten Wald, weil sich dort eine Wasserscheide befindet, mit Wegen und Wasserstellen, die von Tieren frequentiert werden und einem breiten Spektrum an Pflanzenarten, dann dürfen solche Wälder nicht gestört werden und es dürfen keine Aktivitäten in ihnen stattfinden.[6]

Die gewohnheitsrechtlichen nachhaltigen Nutzungspraktiken indigener Völker und lokaler Gemeinschaften sind jedoch durch eine Reihe von Faktoren gefährdet, wie Fallstudien und eine Untersuchung der Umsetzung von Artikel 10c) im Rahmen der Arbeitsgruppe zu Artikel 8(j) der CBD zeigen. Zu den Bedrohungen gehören der Mangel an sicheren Land- und Ressourcennutzungsrechten; die Beschränkungen oder Verweigerung des Zugangs zu Wäldern, Land, Wasser und Ressourcen; von oben herab konzipierte Infrastrukturprojekte und Flächennutzungspläne; mangelnde Anerkennung der Gewohnheitsrechte und Institutionen; die Einrichtung und Verwaltung von Schutzgebieten ohne die Achtung der Rechte dort lebender indigener Völker und lokaler Gemeinschaften; Mangel an wirksamer Beteiligung auf allen Ebenen der Verwaltung der Ressourcen und Entscheidungsfindung; fehlende Anerkennung des Rechts auf freie, vorherige und informierte Zustimmung; Bevölkerungszuwachs in ländlichen Gebieten; Industrialisierung; bis hin zur Verurteilung gewohnheitsrechtlicher Praktiken als Ursachen für den Klimawandel.[7]

Um solchen Bedrohungen entgegen zu wirken und nachhaltige gewohnheitsrechtliche Nutzungssysteme aufzuwerten, hat das japanische Umweltministerium gemeinsam mit dem Institut für Höhere Studien der Universität der Vereinten Nationen (UNU-IAS) die SATOYAMA-Initiative ins Leben gerufen. Insbesondere bei der COP10 in Japan soll für verstärkte Unterstützung dieser Initiative geworben werden, die den Schutz vom Menschen beeinflusster Naturgebiete fördert.

Der zweite Grundsatz der AAPG hebt hervor, dass nachhaltige Nutzung unterstützt wird durch die Stärkung der Rolle indigener Völker und lokaler Gemeinschaften als Hüter der biologischen Vielfalt, durch die Anerkennung ihrer Rechte auf Zugang zu und Verwaltung von biologischen Ressourcen sowie durch ihre Beteiligung an Entscheidungen über die Nutzung der Ressourcen und die Befugnis zur Durchführung aller Maßnahmen, die sich aus diesen Entscheidungen ergeben. Dies unterstreicht die zentrale Rolle indigener Völker und lokaler Gemeinschaften und die Notwendigkeit eines auf Rechten basierenden Ansatzes im Prozess der Umsetzung der CBD.

Die Autorin ist beim Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie (INFOE) Koordinatorin für das Thema "Indigene Völker und biologische Vielfalt".


[1] UNEP/CBD/SBSTTA/14/7
[2] http://www.biodiv.org/doc/publications/addisgdlen.pdf
[3] UNEP/CBD/WG8J/6/2/Add.1
[4] www.forestpeoples.org/documents/.../10c_overview_iascp_jun06_eng.pdf
[5] United Nations (2009) State of the World's Indigenous Peoples. DESA. New York. Siehe auch Karten von UNEP WCMC und Terralingua www.terralingua.org. Zu den Kayapo: http://www.agroforestry.net/overstory/overstory34.html
[6] UNDP-RIPP and AIPP Foundation (2007) Bridging the Gap: Policies and Practices on Indigenous Peoples' Natural Resource Management in Asia.
[7] www.forestpeoples.org/documents/.../10c_paper_wg8j_6_nov09_eng.pdf

Weitere Informationen unter:
- www.Indigenousportal.de
- www.forestpeoples.org/documents/conservation/bases/10c.shtml


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


*


Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010, S. 10-11
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Koblenzer Str. 65 53173 Bonn
Telefon: 0228/35 97 04, Fax: 0228/923 993 56
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010