BUNDmagazin - 4/2017
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany
Natura 2000
Kehdinger Marsch
Im Reich von Kiebitz und Wachtelkönig
von Severin Zillich
Obwohl die Ufer der Unterelbe einen Großteil ihrer einstigen Vielfalt eingebüßt haben, sind sie ein wertvoller Lebensraum geblieben - besonders für etliche bundesweit bedrohte Vögel. Über den künftigen Status der europäischen Schutzgebiete in der Elbmarsch ist nun ein Streit entbrannt.
Für Wildgänse der Tundra mag das ja ein passender Ort sein. Doch
auf die kleine BUND-Delegation, die an diesem Oktobertag vom Deich aus
über weite Wiesen und Äcker blickt, wirkt die Kehdinger Marsch
entschieden ungemütlich. Der Wind zerrt an Jacken und Ferngläsern, und
als Regen einsetzt, findet der Ortstermin ein rasches Ende. Nur die
Rastvögel geben sich ungerührt. In großer Zahl beweiden Nonnengänse
das Grasland, Schwärme von Kiebitzen und Staren fliegen umher, in den
Wassergräben drängen sich Hunderte Stockenten.
Wertvolle Vogelwelt
Über 20 Kilometer begleitet die Kehdinger Marsch die Elbe kurz vor
ihrer Mündung in die Nordsee. Ein neuer Hauptdeich, in den 70er Jahren
vor dem alten Winter- und Sommerdeich errichtet, entzog dem Fluss
damals drei Viertel seines natürlichen Schwemmlands. Die Bauern nahmen
das Geschenk dankend an. Sie entwässerten die fruchtbaren Marschböden
und nutzten sie fortan intensiv: erst als Viehweide, später immer
häufiger als Ackerland für Mais und Raps.
Nur 30 Prozent der Kehdinger Marsch sind heute noch Grünland - Flächen, die ganz überwiegend dem Landkreis, dem Land oder der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gehören. Diese Wiesen sind besonders wertvoll. Hier brüten noch Kiebitz und Kampfläufer, Uferschnepfe und Wachtelkönig, Blaukehlchen und Wiesenweihe. Im Herbst und Winter rasten Vögel wie Nonnen-, Bläß- und Saatgans, Sing- und Zwergschwan oder Goldregenpfeifer. Die Marsch zählt damit zu den wichtigsten Brut- und Rastgebieten für Wat-, Wasser- und Wiesenvögel in Deutschland.
Gemischte Bilanz
Als Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung ist die verbliebene
Uferzone vor dem neuen Deich seit 1976 geschützt. Zu wenig, fand der
BUND. Der fordert seit Jahrzehnten eine Rücknahme des Deiches, um der
Elbe wieder mehr Raum zu geben. Massiver Druck aus Brüssel zwang
Niedersachsen schließlich 2001 dazu, ein europäisches FFH- und
Vogelschutzgebiet »Unterelbe« auszuweisen - letzteres fast 17.000
Hektar groß, mit der Kehdinger Marsch im Zentrum.
Damit war nun auch ein guter Teil der einstigen Elbwiesen hinter dem Deich geschützt. Theoretisch zumindest. Die Umwandlung vieler Wiesen in monotone Äcker konnte das nicht verhindern.
Fazit aus der Sicht des Naturschutzes: Während die öffentliche Hand und die Stiftung auf ihren Flächen viel Positives leisten konnten, nahm das ackerdominierte Agrarland in Privatbesitz eine klägliche Entwicklung. Und bei dieser gemischten Bilanz wäre es wohl auf absehbare Zeit geblieben, wenn, ja wenn die EU hier nicht am Ball geblieben wäre.
Landschaftsschutz reicht nicht
Denn sie hat gegen Deutschland ein »Vertragsverletzungsverfahren«
angestrengt. Der Grund: Bis 2010 hätten die Bundesländer ihre
FFH-Gebiete in nationales Recht überführen, sprich als Schutzgebiete
mit eigener Verordnung ausweisen müssen. Dies ist an der Unterelbe bis
heute nicht passiert. Da empfindliche Strafen drohen, muss das
Versäumte eilig nachgeholt werden. Um das »wie« aber gibt es nun
heftigen Streit.
Dazu muss man wissen: Die Bauern im Kehdinger Land sind ein eigener Menschenschlag. Sehr konservativ und - vorsichtig gesagt - dem behördlichen Naturschutz wenig aufgeschlossen. Darum plante der Landkreis Stade zuerst über Einzelverträge gewisse Schutzpflichten zu vereinbaren. Doch das hätte dem EU-Recht nicht genügt. Darauf kündigte der Kreis an, die Marsch als Landschaftsschutzgebiet (LSG) auszuweisen.
Was für manche Landwirte einer »kalten Enteignung« gleichkommt, geht dem BUND Niedersachsen längst nicht weit genug: »Der Schutzstatus eines LSG öffnet Tür und Tor für Jagd, Vergrämung und die industrielle Landwirtschaft. Wir fordern den Landkreis Stade auf, die Kehdinger Marsch in weiten Teilen als Naturschutzgebiet auszuweisen. Nur so können störungsempfindliche Brut- und Rastvögel geschützt werden.«
Beteiligung gefordert
Um das Neben- und Miteinander von Naturschutz und Landwirtschaft zu
regeln, dringt der BUND auf einen detaillierten Managementplan: Wo
soll was genau und wie geschützt werden? Entscheidend sei, das
verbliebene Grünland zu sichern und hier nicht länger zu düngen und zu
spritzen. Auch die Vollzugsdefizite im Ackerland müssten rasch
beseitigt werden.
Der BUND fordert, dass sich der Landkreis Stade bald mit den Umweltverbänden an einen Tisch setzt. Nur so könne eine Regelung gefunden werden, die dem europäischen Rang der Kehdinger Marsch gerecht wird - und all den anderen schutzwürdigen Lebensräumen am Unterlauf der Elbe.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
*
Quelle:
BUNDmagazin 4/2017, Seite 32 - 33
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Redaktion: Severin Zillich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2018
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