Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LEBENSRÄUME


SCHUTZGEBIET/818: Millionen für feuchte Wiesen - EU-Projekte am Unteren Niederrhein (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 4/15
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Millionen für feuchte Wiesen
EU-Naturschutzprojekte am Unteren Niederrhein

Von Julja Koch


Das EU-Vogelschutzgebiet "Unterer Niederrhein" ist eine der wichtigsten Wiesenvogellandschaften in Nordrhein-Westfalen. Rotschenkel, Uferschnepfe, Kiebitz und Großer Brachvogel finden hier letzte Rückzugsräume, denn die feuchten Wiesen und Weiden bieten ihnen Nahrung, Schutz und Brutplätze.


Man könnte meinen, dass seltene Arten wie diese in einem Schutzgebiet sicher sind und ihre Bestände sich dort im Laufe der Zeit erholen können. Doch so einfach ist es nicht. Verschiedene Gefahren bedrohen die Tiere weiterhin. So können zum Beispiel die Landwirte, denen die Felder und Wiesen im Schutzgebiet gehören, frei wirtschaften. Im Laufe der Zeit hat sich die Landwirtschaft stark verändert. Kühe sind immer seltener außerhalb ihrer Ställe zu sehen. Statt der alten Weiden gibt es heute zum Beispiel wesentlich größere Ställe und mehr Mais. Auch die Wiesen werden anders genutzt und im Schnitt früher und häufiger gemäht als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten. So wird der Raum, den Wiesenvögel zur Brut und zur Aufzucht ihrer Jungen nutzen können, immer kleiner. Die Brutbestände befinden sich im Sinkflug.

Hoffnung für die Wiesenvögel

Doch weil das Vogelschutzgebiet zum europäischen Schutzgebietssystem Natura 2000 gehört, gibt es Möglichkeiten, die Wiesenvogelarten noch zu retten. Denn die EU gibt, etwa im Rahmen von LIFE-Projekten, Geld für Schutzmaßnahmen aus. Seit 2012 gibt es in der Düffel, einem Naturschutzgebiet, das Teil des Vogelschutzgebietes "Unterer Niederrhein" ist, ein LIFE-Projekt zum Schutz von Wiesenvögeln. Dabei sollen die Bereiche, die jetzt noch die meisten Brutpaare anziehen, langfristig gesichert werden. Für 12,3 Millionen Euro sollen Flächen gekauft und auf die Bedürfnisse der Wiesenvögel angepasst und bewirtschaftet werden.

Dazu müssen Naturschutz und Landwirtschaft zusammenarbeiten, denn die Vögel brauchen feuchte Wiesen und Weiden mit vielen Insekten und Blüten. Die gekauften Flächen werden an Landwirte verpachtet, die diese so nutzen, dass die Vögel ideale Bedingungen vorfinden. Dazu werden die Flächen zum Beispiel nicht mehr mit Gülle oder Mineraldünger aufgedüngt, auf Spritzmittel wird verzichtet und das Grünland darf bis Juni aus Rücksicht auf die Jungvögel nicht gemäht werden. Davon profitieren nicht nur Rotschenkel, Uferschnepfe und andere Vogelarten, sondern auch Pflanzen wie Wiesenschaumkraut, Kuckuckslichtnelke und Margerite, die sich auf intensiv genutzten Flächen nicht mehr entwickeln können.

Uferschnepfen vermehren sich

In der Hetter bei Emmerich, die ebenfalls zum Vogelschutzgebiet gehört, hat die NABU-Naturschutzstation Niederrhein zusammen mit dem Naturschutzzentrum im Kreis Kleve schon gezeigt, wie es klappen kann. Hier wurde ein LIFE-Projekt zum Schutz der Uferschnepfe im letzten Jahr erfolgreich abgeschlossen. Insgesamt knapp 100 Hektar Grünland wurden in ein Feuchtwiesenparadies verwandelt und locken alljährlich Uferschnepfen, Rotschenkel und Brachvögel an. Nach Abschluss der Maßnahmen brütete die Hälfte aller Rotschenkel Nordrhein-Westfalens in der Hetter. Außerdem wurden 2011 erstmals seit 20 Jahren wieder über 50 Uferschnepfenpaare gezählt. Ein toller Erfolg!

Was wäre der Niederrhein ohne das melancholische Flöten des Großen Brachvogels, das "kiewit" des Kiebitzes und ohne die Königin der Wiesen, die Uferschnepfe?

Doch kaum zeigten die Bewässerungsmaßnahmen erste Wirkung, tauchte die nächste Bedrohung der Vogelbestände auf. Dieses Mal aus der Luft: In den Niederlanden planten Investoren keine 300 Meter vom Vogelschutzgebiet entfernt, eine Reihe von zehn Windkraftanlagen. Die Pläne konnten dank des Status und der Bedeutung als EU-Vogelschutzgebiet "Unterer Niederrhein" abgewendet werden. Das höchste Verwaltungsgericht in den Niederlanden hat den Bau mit Verweis auf die internationale Bedeutung des Gebietes vorerst untersagt. Mit einem kleinen, einzelnen Naturschutzgebiet wäre das sicherlich nicht gelungen.

Auch die Kiesindustrie macht vor den Toren des Vogelschutzgebietes nicht halt. 2010 konnte nur durch ein Klageverfahren eine geplante Kiesabgrabung mitten im Vogelschutzgebiet verhindert werden.

Wettlauf mit der Zeit

Diese Beispiele zeigen wie wichtig die europäischen Schutzgebiete sind, aber auch, dass die Schutzvorschriften alleine nicht reichen. Der Kampf um den Erhalt der Lebensräume ist oft ein Wettlauf mit der Zeit. In der Hetter ist es geglückt, aber in der Düffel muss es erst noch gelingen, die Flächen überhaupt zu erwerben. Während noch mit der Landwirtschaft verhandelt wird, gehen die Brutbestände der Wiesenvögel von Jahr zu Jahr zurück. Es bleibt zu hoffen, dass auch in diesem Fall die Natur ihr Recht bekommt.


Info
LIFE hilft Überleben

LIFE ist das Förderprogramm der EU für Umwelt, Naturschutz und Klimapolitik, mit dem seit 1992 über 4.000 Projekte europaweit finanziert wurden. In der laufenden Finanzperiode von 2014 bis 2020 ist LIFE mit insgesamt 3,4 Milliarden Euro ausgestattet. Der NABU führt zahlreiche LIFE-Projekte durch oder ist an ihnen beteiligt. Unter anderem wurden Teile des Federseemoores in Oberschwaben renaturiert und Wiesenflächen vernässt, in Niedersachsen wurden dank "LIFE Amphikult" landesweit 39 Laichgewässer neu angelegt - vor allem für den Laubfrosch -, im Münsterland ist die NABU-Naturschutzstation an einem Projekt zum Schutz der Knoblauchkröte beteiligt, die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe ist Partner des LIFE-Projektes zum Schutz des Schreiadlers im Natura-2000-Gebiet Schorfheide-Chorin.

*

Quelle:
Naturschutz heute - Heft 4/15, Seite 14 - 15
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang