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SCHUTZGEBIET/754: Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin - Anspruch und Wirklichkeit (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 4/2012
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

BIOSPHÄRE
Schorfheide-Chorin
Mehr wäre möglich und nötig

von Severin Zillich



Im Nordosten Brandenburgs liegt seit 1990 das rund 1 300 Quadratkilometer große Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Einst galt es als Flaggschiff der deutschen Biosphären. Doch eine Überprüfung durch die UNESCO hat jüngst deutliche Defizite ergeben.


Neben einer großen umgestürzten Buche zeichnet sich eine kreisrunde Mulde auf dem Waldboden ab. Fein säuberlich hat hier ein Dachs alle Blätter beiseite geschoben und seine nächtliche Toilette verrichtet. Einige Meter weiter hebt meine kundige Begleiterin eine große Flaumfeder auf: »Die ist vom Seeadler!«

Wir befinden uns am Rande des Weltnaturerbes »Buchenwald Grumsin«. Zwischen grauen Stämmen glitzert der Buckowsee. Noch frischgrün sprießen am Ufer die Blätter des Wasserschierlings. Weil kürzlich ringsum alte Gräben geschlossen wurden, haben einige Buchen nasse Füße bekommen. Ein Kleinspecht ruckt die toten Äste hinauf, der Ruf eines Schwarzspechts dringt aus dem rostroten Kronendach.

An Naturschätzen fehlt es nicht im Biosphärenreservat »Schorfheide-Chorin«. Nur einige Kilometer südlich liegt das 1.200 Hektar große Plagefenn, in seiner Mitte das älteste deutsche Naturschutzgebiet, ein seit über hundert Jahren ungenutzter Buchen- und Bruchwald. Grumsin und Plagefenn zählen zur Kernzone der Biosphäre und zu den Juwelen ihrer ausgedehnten Wälder.

Eine Fahrtstunde nördlich von Berlin hat die Eiszeit eine reizvolle Landschaft modelliert, mit schroffen Höhen und sanften Senken. 356 Seen, viele Moore und zahllose Kleinstgewässer sind darin eingebettet. Über 400 Kranichpaare brüten hier, ein Rekord für deutsche Großschutzgebiete, genauso wie die 53 Libellenarten. Die dünn besiedelte Region beherbergt eine beeindruckende Lebensfülle. Dank intensiver Forschung der nahen Hochschule Eberswalde ist sie gut dokumentiert.

Kritik der UNESCO

Trotz einiger Reste urwüchsiger Natur ist die Gegend zwischen Eberswalde und Schwedt, Angermünde und Templin vor allem eine Kulturlandschaft. Ihre Zukunft ist darum in einem Biosphärenreservat bestens aufgehoben. Doch wird »Schorfheide-Chorin« den hohen internationalen Ansprüchen an ein Modellgebiet für Nachhaltigkeit gerecht? Gelingt es hier, das Miteinander von Mensch und Natur beispielhaft zu gestalten? Eine Kommission hat dies jüngst im Auftrag der UNESCO überprüft - und viele Versäumnisse moniert.

Auf Kritik stieß vor allem die Politik der Brandenburger Landesregierung. Zu oft missachte sie die Ziele der Biosphäre, wenn sie Straßen ausbaue, große Schweineställe oder Stromtrassen im Gebiet plane. Auch sei die Wasserqualität vieler Seen gesunken, ein Fakt, den sich ebenfalls die Landespolitik zuzuschreiben hat: Um die Fischerei ökologischer auszurichten, fehlt es am Einvernehmen zwischen Umwelt- und Agrarministerium. Doch wo, wenn nicht im Biosphärenreservat, wäre der Ort, um nachhaltige Wirtschaftsformen zu entwickeln?

Zu wenig Personal

Schließlich gehen auch massive Personalkürzungen auf das Konto des Landes. Von einst 25 Naturwächtern (und einer Vielzahl ABM-Kräften) sind nur 13 geblieben. Naturschutzgegner wie die, die im September in der Randzone des Weltnaturerbes Grumsin gleich sechsmal Schutt in den Buchenwald kippten, brauchen in dem weitläufigen Gelände keine Entdeckung mehr zu fürchten. Auch häufen sich die Störungen durch Surfer, Ballonfahrer oder wilde Camper. Sie zu ahnden fehlt das Personal.

Einschnitte gibt es zudem bei der Landschaftspflege, und Umweltbildung und Öffentlichkeitsarbeit leiden ebenfalls. In Schulen oder auf Dorffesten kann die Biosphäre nicht mehr wie früher für ihre Ziele werben.

In der Verwaltung hat sich die Zahl der Mitarbeiter halbiert, desgleichen die Stelle des Leiters selbst: Hartmut Kretschmer, Abteilungsleiter im Landesumweltamt, hat seit März 2011 auch die Leitung des Biosphärenreservates inne, er pendelt zwischen beiden Arbeitsorten hin und her. Diese bundesweit einmalige Konstruktion wird offenkundig weder den betroffenen Mitarbeitern noch den komplexen Aufgaben der Modellregion gerecht. Kretschmer selbst sieht in der Doppelbelastung keine Lösung auf Dauer.

Hochwertige Erzeugnisse

Die aber wäre der Schorfheide zu wünschen. So hätte zum Beispiel das Prüfzeichen als ein Kernstück der Biosphäre wieder mehr Aufmerksamkeit verdient. Über 80 regionale Erzeuger, Handwerker, Händler oder Gastronomen sind seit 1998 für die Naturverträglichkeit und Qualität ihres Angebots ausgezeichnet worden. Doch seit einiger Zeit kümmert sich niemand mehr recht um mögliche Neuanwärter. So ist Angermündes einziger Bioladen - in Sichtweite der Verwaltung - noch ohne Prüfzeichen. Hier müsste dringend wieder mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Gerade Schorfheide-Chorin ist für seine hochwertigen Erzeugnisse bekannt geworden. In seinen Grenzen liegt das mit 12.000 Hektar größte geschlossene Bioanbaugebiet Europas. Auf die Nachfrage aus dem nahen Berlin hat sich vor allem das Ökodorf Brodowin eingestellt. Der dortige Demeterhof versorgt speziell mit seinen Milchprodukten zahllose Hauptstädter - und über einen Hofladen das ganze Jahr Einheimische und Ausflügler, die die reizvolle Umgebung erkunden.

Mit dem Forschungsprojekt »Naturschutz in der Landwirtschaft« hat die Biosphäre in den 90er Jahren zudem Wegweisendes geleistet. Wo sonst als rund um Brodowin ließe sich heute besser zeigen, wie sich nachhaltiger Landbau und Artenschutz verbinden lassen?

Giftspritze und Übernutzung

Nicht überall ist die Welt so heil. Worunter der Modellanspruch so vieler deutscher Biosphärenreservate leidet, ist auch in der Schorfheide zu besichtigen. Auch hier gibt es sie, riesige Maisfelder und vergilbte Äcker, denen mit der Giftspritze alles Grün ausgetrieben wurde. Die Verwaltung muss tatenlos zusehen, wird doch der Rahmen der landwirtschaftlichen Praxis wie überall im fernen Brüssel abgesteckt. Eigenes Geld, um den ökologischen Landbau zu fördern, hat das Biosphärenreservat heute nicht mehr zur Hand.

Auch in einigen wertvollen Wäldern wird das Gebot der Nachhaltigkeit verletzt. Vermögende Privatleute haben seit der Wende Tausende Hektar Wald gekauft. In ihnen wird heute Holz gemacht wie seit Jahrzehnten nicht, stellenweise ragen nur noch Einzelbäume in den Himmel, von einem geschlossenen Wald keine Rede mehr. Gleichzeitig streuen Traktoren großflächig Mais und Hafer für das Wild aus. Hier wird fraglos gegen die »gute forstliche Praxis« verstoßen, von den Zielen der Biosphäre ganz zu schweigen. Doch wieder fehlt es der Verwaltung an Personal und politischer Unterstützung, um dem Treiben Einhalt zu gebieten.

Es wäre zu schade, wenn es dabei bliebe. Der BUND setzt sich dafür ein, dass das Biosphärenreservat »Schorfheide-Chorin« künftig wieder mehr aus seinen reichen Möglichkeiten machen kann.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Herbst im Grumsin, Teil des Weltnaturerbes »Alte Buchenwälder Deutschlands«.
  • Gegensätze: Die »Vermaisung« macht auch vor den Grenzen des Biosphärenreservats nicht halt. Dennoch brüten in keinem anderen deutschen Großschutzgebiet derart viele Kraniche. Ganz rechts das Informationszentrum »Blumberger Mühle«.
  • Als Fahrtziel Natur ist die Schorfheide (auf Initiative auch des BUND) bestens per Bahn erreichbar: www.fahrtziel-natur.de

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Quelle:
BUNDmagazin 4/2012, Seite 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2012