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SCHUTZGEBIET/736: Biosphärenreservat Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 1/2012
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

BIOSPHÄRE
Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft
Wölfe, Karpfen, Kormorane

von Severin Zillich



Seit 1996 sucht ein Biosphärenreservat nördlich von Bautzen nach Wegen, einer strukturschwachen, aber in Teilen noch vielfältigen Kulturlandschaft Perspektiven für die Zukunft zu geben.
Wo der Wolf regiert, wächst der Wald.« Frank Kallenbach, Wirt der Pension am Olbasee bei Guttau, muss es wissen. Der Jäger kehrt gerade erfolglos vom Ansitz zurück, das Gewehr noch geschultert. Nachbarn haben zu Weihnachten zwei Rehe bei ihm bestellt. Doch die Rehe machen sich rar, seitdem die Oberlausitz wieder zum Wolfsland geworden ist. Und damit ist auch der Verbiss junger Bäume hier kein so großes Thema wie sonst überall in Deutschland.

Wenig Menschen, viele Teiche

Drei Wolfsrudel sind in den Grenzen des Biosphärenreservats heimisch. Während der Winternächte dringt ihr Geheule durchs gekippte Fenster bis in Kallenbachs Schlafzimmer. Für Wölfe ist die alte Kulturlandschaft der Oberlausitz ein guter Lebensraum. Die dünn besiedelte Region in Ostsachsen bietet den scheuen Tieren ungestörte Rückzugsorte, um ihre Jungen aufzuziehen. So dehnen sich, wo früher Militär mit Panzern probte, weite Heiden aus. Neben den Wölfen leben hier seltene Insekten und Vögel. Damit sich Heide- und Sandflächen nicht wiederbewalden, weiden Schafe. Weitgehend menschenleer ist auch der einstige BraunkohleTagebau Bärwalde, der im Norden mit 2 000 Hektar ins Reservat ragt. Nordöstlich grenzt die Mondlandschaft des Tagebaus Nochten/Reichwalde (Vattenfall) an.
Charakteristisch für die sächsische Biosphäre aber sind die vielen Teiche: Über 350 bilden mit der Niederlausitz im Norden die größte Teichlandschaft Mitteleuropas. Jahrhundertelang bot die Teichfischerei eine wichtige Lebensgrundlage. Ein Dutzend Betriebe existiert noch heute, ihr Absatz sinkt pro Jahr um etwa fünf Prozent. Guter Rat ist also teuer. Drei Betriebe haben die Zeichen der Zeit erkannt und auf »Bio« umgestellt. In ihren Teichen ist der Besatz niedriger, Wildfische werden toleriert, gefüttert wird mit Biogetreide.
Der Karpfen als »Brotfisch« der Lausitz gilt nicht eben als Feinkost. Zu Unrecht, wie Peter Heyne meint. Der Leiter der Biosphäre schwärmt von geräuchertem Biokarpfen - der übrigens nur 2,8 % Fett enthalte! Nicht nur der Raubbau an den Meeresfischen spricht dafür, häufiger heimischen Süßwasserfisch zu essen. Denn die Lausitzer Teiche werden nur eine Zukunft haben, wenn Karpfen, Schleie, Hecht oder Wels die wichtigsten Exportartikel des Biosphärenreservates bleiben.

Lebensraum aus zweiter Hand

Auch für den Naturschutz haben die Fischteiche große Bedeutung. Liefern sie doch Ersatz für die in Sachsen gänzlich vernichteten natürlichen Flussauen. Nachhaltig bewirtschaftet bieten die Teiche Raritäten wie Rotbauchunke, Schlammpeitzger und Armleuchteralgen ein Refugium. Mit bis zu 1 500 Tier- und Pflanzenarten konzentriert sich hier die biologische Vielfalt der Oberlausitz. Obgleich die intensive Karpfenzucht der 60er bis 90er Jahre an vielen Teichen nachwirkt: Zu DDR-Zeiten mästete man bis zu zwei Tonnen Fisch pro Hektar, auf Kosten fast aller natürlichen Begleitarten. Die Wasserqualität und mit ihr die Vegetation der Teiche haben sich von dieser Massenfischhaltung bislang nicht erholt. Seit Gründung des Biosphärenreservates wurde die Teichwirtschaft extensiviert, der Ertrag liegt heute bei durchschnittlich 550 kg/Hektar.
Das reicht, um im Sommer etwa tausend Graureiher und Kormorane anzulocken, dazu Rohrdommeln, Silberreiher und - beim Abfischen - bis zu 50 Seeadler. Um die Teiche nutzen und erhalten zu können, sind bei Kormoran und Graureiher Vergrämungsabschüsse angeblich unverzichtbar. Ganz sicher indiskutabel ist die noch praktizierte Privatjagd auf Wasservögel in der Biosphäre. Die Verwaltung kann sie zwar an Teichen untersagen, wo geschützte Vögel rasten. Sie trägt aber die Beweislast, was eine aufwendige Gebietskontrolle erfordert. Immerhin werden Jagdpachten an landeseigenen Teichen grundsätzlich nicht verlängert.

Wald und Feld: begrenzter Einfluss

Um mehr Nachhaltigkeit bemüht sich die Verwaltung auch bei den Bauern, die ein Drittel der Biosphäre nutzen. Die Zwangskollektivierung hat wie überall Großbetriebe hervorgebracht, es dominiert öde Agrarsteppe. Viele kleine Projekte sollen für mehr Vielfalt sorgen: Hecken und Feldgehölze werden angelegt, dazu auf über 50 Hektar »Bienenweiden«, die Insekten bis in den Spätherbst Nahrung bieten. Einige Getreideschläge dienen bedrohten Ackerwildkräutern als letzte Zuflucht. Und der bis in die 50er Jahre angebaute »Champagnerroggen« erlebt eine bescheidene Renaissance, zwei Bäckereien verarbeiten ihn zu einem beliebten Brot.
Doch mit nur zwölf Wiedereinrichtern nach der Wende fehlt es an kleinen Höfen, die flexibel mit der Verwaltung kooperieren können. Die Großbetriebe zeigen sich nur wenig offen für Umweltprogramme. Es bleibt daher bei punktuellen Verbesserungen.
Begrenzt ist der Einfluss auch auf die Forstwirtschaft. Knapp die Hälfte der Biosphäre ist bewaldet, der Wald zu zwei Dritteln in privater Hand. Statt Laubwald stocken zu 87 % Kiefern, nur im Umfeld der Teiche finden sich Auwaldreste. Doch insgesamt wird der Wald allmählich nachhaltiger genutzt, der Anteil des Laubwaldes erhöht sich langsam. Große Probleme beim Waldumbau bereiten Späte Traubenkirsche und Filziger Spierstrauch, Neophyten aus Nordamerika.

Mehr Wertschätzung

Mit 30 102 Hektar erreicht das Biosphärenreservat so gerade die international gebotene Mindestgröße. Peter Heyne empfindet den kompakten Zuschnitt als Vorteil: Man sei präsent in der Region und mit vielen Menschen im Gespräch, schon weil die Verwaltung jeden Bauantrag absegnen müsse. Nach anfangs vehementem Widerstand habe sich das Bild stark gewandelt: Drei Viertel der Einwohner stünden der Biosphäre heute positiv oder »wohlwollend neutral« gegenüber - eine Frucht auch der Umweltbildung, speziell in den Schulen.
Urlauber entwickeln ebenfalls immer mehr Sympathie für die Region. 50 000 reisen pro Jahr an, besonders Spree- und Neiße-Radweg erfahren viel Zulauf. Das im Frühjahr öffnende Infozentrum in Guttau wird sicher rasch zu einem neuen Anziehungspunkt.

Was sollen Biosphärenreservate sein? Im Rahmen des UNESCO-Programms »Der Mensch und die Biosphäre« entstanden bis heute 580 Biosphärenreservate in 114 Ländern, fünfzehn davon in Deutschland. Ihr vorrangiges Ziel ist das harmonische Miteinander von Wirtschaft, Ökologie und Sozialem. Dazu Walter Hirche, Präsident der deutschen UNESCO-Kommission: »Für nachhaltige Entwicklung gibt es kein Patentrezept. An möglichst vielen Stellen unseres Planeten sind daher Räume für Experimente und für das Lernen nachhaltigen Wirtschaftens unter Realbedingungen gefragt. Diese Räume sind die Biosphärenreservate.«

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Knapp die Hälfte des Biosphärenreservates steht unter Naturschutz - ein deutscher Rekord! Geschützt sind naturnahe Gewässerufer (oben der Altdubinteich bei Guttau) ebenso wie artenreiches Offenland (hier die Göbelner Heide).
• Beim Abfischen der Biokarpfen / Wilder Wolf aus einem der drei Oberlausitzer Rudel / Profitiert von der extensiven Teichwirtschaft: der Kammmolch.

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Quelle:
BUNDmagazin 1/2012, Seite 26-27
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2012